Kirche und Gewerkschaften teilen gemeinsame Werte

Nikolaus Schneider

Beitrag zum Dialog mit dem Bundesvorsitzenden des DGB Michael Sommer auf der Tagung "Gewerkschaften und Kirche. Akteure im gesellschaftlichen Wandel", Bad Herrenalb

"Was deine Hände erwarben, kannst du genießen;
wohl dir, es wird dir gut ergehn." Psalm 128,2

Kirche und Gewerkschaften teilen gemeinsame Werte

Anrede

I. Vorbemerkungen
Die Kirche ist nach dem Verständnis und nach der Überzeugung von Christenmenschen keine "Werte-Instanz", die aus sich selbst heraus "Werte" produzieren könnte. Die Werte, an die sich alle christlichen Kirchen gebunden wissen, gründen sich in dem Wort und dem Willen Gottes. Sie stehen deshalb auch heute in unlösbarer Korrespondenz zu dem lebendigen Wort Gottes, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt ist.

Gemeinsame Werte müssen allerdings nicht gemeinsame Wurzeln oder gleiche Begründungszusammenhänge haben, um Menschen zu einem gemeinsamen Handeln zu inspirieren.

"Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘", dieser Liedtext aus der Arbeiterbewegung kann nach meinem Verständnis auch für das Verhältnis von Kirche und Gewerkschaften gelten – auch wenn ihre  Wurzeln und Visionen in unterschiedlichen Traditionen gründen und sich in ihnen unterschiedliche Weltanschauungen und Glaubenshaltungen niederschlagen.

Ich denke dabei etwa an den Antrieb der Arbeiterbewegung, sich auf die eigene Kraft und die eigene Widerstandsfähigkeit des Menschen zu besinnen. "Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun", wie es in einem anderen berühmten Arbeiterlied heißt. Die klassische Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung will Gerechtigkeit aktiv und kämpferisch herbeiführen. Und dafür hat sie gute Gründe!

Dem gegenüber steht auf kirchlicher Seite die christliche Haltung, sich nicht primär – und schon gar nicht ausschließlich – auf die eigene Kraft zu verlassen. Christenmenschen trauen und vertrauen auf Gottes Wirken in der Welt und versuchen, seinem Wort und seinen Weisungen zu folgen, damit Gottes Reich "schon hier und jetzt" in dieser Welt erfahrbar wird.

Und Christenmenschen warten – allerdings durchaus aktiv –, dass Gott sein Reich vollenden wird, und dass erst dann Unterdrückung, Unrecht und Gewalt endgültig und vollkommen besiegt sein werden.

Unterschiedliche Weltanschauungen und Glaubenshaltungen müssen Menschen und müssen auch Kirchen und Gewerkschaften nicht daran hindern, sich kraft ihrer "gemeinsamen Werte" für das Wohl unserer Gesellschaft einzusetzen.

Im Folgenden will ich die in meinen Augen entscheidenden "gemeinsamen Werte" kirchlichen und gewerkschaftlichen Handelns beschreiben und dabei auf unterschiedliche Wurzeln und Begründungszusammenhänge nur in soweit eingehen, wie es für das Miteinander von Kirche und Gewerkschaft von Bedeutung ist.


II. Gemeinsame Werte im Blick auf die Anthropologie
II.1. Die Würde der Einzelnen ist unverfügbar.

Unabhängig von Intelligenz und Gesundheit, von Leistungswillen und Leistungsvermögen, von Herkunft und Religionszugehörigkeit, von Geschlecht und Alter, aber auch unabhängig von der Mitgliedschaft in Gewerkschaft und Kirche gilt ganz grundsätzlich für alles kirchliche und für alles gewerkschaftliche Handeln:

Die unverfügbare Menschenwürde eines jeden und einer jeden Einzelnen ist zu achten und zu schützen. Widerspruch und Widerstand ist geboten, wenn – wie  gegenwärtig etwa in den neuen rechtsextremistischen Umtrieben – die Würde einzelner Menschen und bestimmter Menschengruppen in Frage gestellt, bestritten und verletzt wird. Das, so denke ich, ist unsere grundlegende und für alles gemeinsame Agieren oder kontroverse Streiten entscheidende Gemeinsamkeit!

  
II.2. Arbeit ist Teil der menschlichen Identität.

Die Wertschätzung produktiver Arbeit ist Kirchen und Gewerkschaft gemeinsam. In der biblischen und der christlichen Tradition wird Arbeit als Teil der menschlichen Identität vorausgesetzt und von Menschen geleistete Arbeit als Quelle des gesellschaftlichen Wohlstandes und des Reichtums positiv gewertet.

Verstärkt wurde diese Sicht durch die Reformation und Martin Luther. Er betonte,  dass die alltäglich geleistete Arbeit ein "Gottesdienst im Alltag" sei, an dem jeder und jede – soweit  möglich – Anteil haben soll. Der unbedingte Vorrang jedes Menschen vor jeder Sache führt zu dem Grundsatz: Arbeit hat den Vorrang – vor dem Kapital! Und noch einmal Martin Luther, der Arbeit als Teil menschlicher Identität so auf den Punkt gebracht hat: "Wie das Fliegen zum Vogel, so gehört Arbeiten zum Menschen".

Arbeit ist nach biblischem Verständnis kein Selbstzweck, sondern sie wird als notwendig für den Erwerb des Lebensunterhalts und als Dienst am anderen Menschen angesehen. Im Neuen Testament betont der Apostel Paulus, wie stolz er darauf ist, dass er seinen Lebensunterhalt mit eigener Hände Arbeit verdient:

"Ihr erinnert euch, Brüder, wie wir uns gemüht und geplagt haben. Bei Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen." (1. Tess. 2,9). Dieser Stolz geht dann sogar so weit, dass Paulus sehr polemisch formulieren kann: "Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen. Wir hören aber, dass einige von euch ein unordentliches Leben und alles Mögliche treiben, nur nicht arbeiten. Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im Namen Jesu Christo des Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen und ihr selbstverdientes Brot zu essen." (2.Tess 3,10-12). Hier wurde gleichsam eine neue Arbeitsethik geboren, die dann später in der Entwicklung des Christentums immer wieder durchgeschlagen hat:


II.3. Der Mensch ist auf Gemeinschaft angewiesen.

Kein Mensch kann leben und überleben ohne die Gemeinschaft mit anderen Menschen. Die biblische Tradition und alle christlichen Werte zielen auf menschliches Leben "in Beziehung" und "in Gemeinschaft". In der Bibel wird die Gemeinschaftstreue Gottes bezeugt und zugleich Gemeinschaftstreue von den Menschen gefordert. Menschen, die im Bund mit Gott leben, leben immer zugleich in gegenseitiger Angewiesenheit aufeinander und sind gefordert, in ihrem Zusammenleben, Gottes Recht und Gerechtigkeit zu verwirklichen. Sie sollen solidarisch zusammenleben.

Dem Wort Gottes geht es niemals allein um das individuelle Seelenheil eines Menschen, sondern immer auch um heilsame und heilende Strukturen für ihr Gemeinschaftsleben.  Insofern sehe ich uns Christenmenschen und unsere Kirchen auch heute gerufen, etwa durch eine gerechte und faire Arbeitsmarktpolitik und durch eine sozialstaatliche Systematik sozialen Spannungen in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken.
 

II. 4. Der Mensch hat die Aufgabe und die Fähigkeit, Verantwortung für die Welt und für die Gemeinschaft zu übernehmen.

Für die Kirche ist es unverzichtbar, den grundsätzlichen und vom Menschen nicht zu überwindenden Unterschied zwischen Gott und Mensch, von Schöpfer und Geschöpf zu achten und zu respektieren. Zum anderen aber bezeugt die Kirche, dass Menschen von Gott zur Verantwortung befähigt und beauftragt sind – denn darauf zielt die biblische Rede von der "Gottesebenbildlichkeit" des Menschen. Gott hat uns Menschen die Welt anvertraut, damit wir sie treuhänderisch und nachhaltig für alle seine Geschöpfe gestalten. Und eben das geht nur in Gemeinschaft und mit der Perspektive von Gemeinschaftsgerechtigkeit.

Auch die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung ist dadurch geprägt, dass Konkurrenz untereinander minimiert oder gar aufgehoben wird. Es ist ihr erklärtes Ziel, dass alle arbeitenden Menschen ihre Angewiesenheit aufeinander erkennen und sich in dieser klaren Erkenntnis solidarisch organisieren und solidarisch gesellschaftlichen Fortschritt und mehr Gerechtigkeit durchsetzen. In dieser Form der Solidarität verkörpern sich für mich auch christliche Werte des "Füreinander Verantwortung Tragens" und der Überwindung von Vereinzelung und Egoismus. Natürlich geht es auch um die Vertretung von Gruppen-Interessen, aber in der Anerkennung der  Verantwortung für "das Ganze" entstehen Formen des Zusammenhalts, wie wir sie auch in kirchlichen Gemeinschaften anstreben. Sich gemeinsam gegen Ungerechtigkeiten, Ausbeutung, wachsende soziale Ungleichheit und die Arroganz der Mächtigen zu wehren, entspricht – so denke ich – durchaus dem Schöpfungsauftrag Gottes.


III. Gemeinsame Werte im Blick auf die Gesellschaft
III.1. Gerechtigkeit ist die unverzichtbare Grundlage eines friedlichen Zusammen-lebens von Menschen.

Die Gerechtigkeit, die in der Bibel von uns Menschen gefordert wird, bezieht sich ganz wesentlich auf die solidarische Integration der wirtschaftlich und sozial Schwachen in der Gesellschaft. Diese Gerechtigkeit hat in den letzten drei Jahrtausenden nicht an konkreter Bedeutung verloren. Im Gegenteil! Prozesse der Armutsentwicklung und der wachsenden sozialen Ungleichheit prägen die Entwicklung in Deutschland. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung ist zudem 2008 in der schwersten Wirtschaftskrise seit 1929/30 implodiert und steht zurzeit in Gesamteuropa erneut auf dem Spiel.

In der Denkschrift unserer Kirche zur Armut in Deutschland "Gerechte Teilhabe" aus dem Jahr 2006 haben wir erklärt: "Angesichts dieser Situation muss alles getan werden, um den Sozialstaat auch in Zukunft funktions- und lebensfähig zu erhalten. Ausgeschlossen scheint eine simple Verlängerung seiner fiskalischen Entwicklungstendenzen in die Zukunft. Es braucht einen entschiedenen Umbau, eine Reform um der Menschen Willen. Dieser muss auch weiterhin die Erreichung des Ziels sicherstellen, die Teilhabemöglichkeiten der Ärmeren zu stärken und so den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern." (Ziffer 78)

Wir haben für diesen Umbau das Leitbild der "Teilhabegerechtigkeit" geprägt und folgendermaßen definiert: "Eine gerechte Gesellschaft muss so gestaltet sein, dass möglichst viele Menschen in der Lage sind, ihre jeweiligen Begabungen zu erkennen als auch sie auszubilden und produktiv für sich selbst und andere einsetzen zu können."

Und weiter: "Das sozialethische Leitkriterium besteht darin, dass es für jede Person möglich sein muss, die Erfahrung zu machen, für sich selbst und für die eigene Familie sorgen zu können. In einer gerechten Gesellschaft ist dies für alle Glieder der Gesellschaft möglich. Alle Menschen erfahren dadurch so viel Unterstützung und Hilfe, dass sie vor Armut geschützt sind." (Ziffer 5)

Teilhabegerechtigkeit bedeutet, dass alle gesellschaftlichen Akteure dafür verantwortlich sind, die umfassende Beteiligung möglichst aller Menschen der Gesellschaft zu sichern und ihnen im wahrsten Sinne des Wortes einen Teil an der Gesellschaft zu sichern. Niemand soll herausfallen, jeder und jede ist wichtig und soll dafür auch Anerkennung bekommen.

In unserer Denkschrift über unternehmerisches Handeln haben wir dies auch für das Führungshandeln von Eliten ausformuliert: "Führungshandeln in der Perspektive des Christlichen Glaubens hütet sich deswegen vor der Verabsolutierung der eigenen Interessen und versteht seine Rolle im Sinne eines Treuhänders aller von seinem Tun Betroffenen – vor allem im Interesse der Verbesserung der Situation der Schwächeren." (Ziffer 27)

Nach biblischem Verständnis gehört zur Gerechtigkeit, dass Menschen für ihre Arbeit einen gerechten Lohn bekommen. Jeder soll seinen Lohn je nach der Mühe, die er aufgewandt hat, erhalten (vgl. 1.Kor 3,8). Oder noch deutlicher im Lukas-Evangelium: "Wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Lohn." (Luk. 10,7)
 
Das berühmte Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg – in dem alle Arbeitenden den gleichen Lohn erhalten, ganz egal wie lange sie gearbeitet haben – muss nicht dahingehend interpretiert werden, dass wir – um Gottes willen – das Lohn-Leistungsverhältnis aushebeln sollen. Wir können es auch so verstehen, dass der gerechten Entlohnung eines Arbeitenden eine Schranke nach unten hin zu setzen ist: "Den Arbeitenden wird ihr solidarisches Verständnis für eine Art Mindestlohn zur Existenzsicherung der Schwächeren abverlangt." (So sehr gut formuliert von Michael Kittner in seinem Buch "Arbeitskampf".) Dieses Verständnis begrenzt das Leistungsprinzip und nimmt es sozusagen "in Dienst", um die Lebenssituation der Schwächeren zu verbessern.

Die Erfahrung der Krise 2008-2010 hat die wichtige Rolle sozialstaatlicher Maßnahmen insbesondere im Bereich der Arbeitsmärkte sehr deutlich gemacht. Sie haben nicht nur die Existenz von vielen Menschen durch die Krise hindurch gesichert, sondern waren darüber hinaus auch ökonomisch effizient.

Die Forderung aus dem Wort der EKD zur Finanzkrise "Wie ein Riss in einer hohen Mauer" (2009) verlangt um der Gerechtigkeit willen: "Die Kosten der Krise müssen vor allem von den Stärkeren getragen und dürfen nicht nur den nachfolgenden Generationen aufgebürdet werden." (S. 8) Und: "Die sozialstaatlichen Sicherungssysteme müssen so gestaltet werden, dass sie gerade in der Krise ihrer Aufgabe gerecht werden, Solidarität zu stabilisieren und Existenzängste zu reduzieren." (S. 20) Das bedeutet aus meiner Sicht zur Zeit, dass wir gerade unter dieser Perspektive der Gerechtigkeit keine durchgängigen Steuerreduktionen brauchen, sondern vor allem diejenigen mehr in die finanzielle Verantwortung nehmen sollten, die selbst in der Krise noch profitiert haben. Reichtum gibt es in Deutschland genug.
 
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang für die EKD das Eintreten für mehr Bildungsgerechtigkeit – und auch hier sehe ich große Überschneidungen mit Analysen und Forderungen, wie sie von den Gewerkschaften vertreten werden. Politische Maßnahmen, die darauf zielen, den Teufelskreis von ererbter Armut für Kinder zu durchbrechen, müssen bei den Betreuungsangeboten und Bildungsmöglichkeiten schon für Kleinkinder ansetzen. Wir brauchen umfassende Reformen im Schulsystem, die vor allem auf eine erheblich bessere kompensatorische Förderung von Kindern aus sozial benachteiligten Schichten abzielen. Nicht ein an die Eltern ausgezahltes Betreuungsgeld kann und wird Bildungsgerechtigkeit fördern, sondern nur finanzielle und personelle Investitionen in Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen. Wir müssen sogar sagen: die Auszahlung des Betreuungsgeldes kann Kindern, vor allem in sie benachteiligenden Verhältnissen, Schaden zufügen. 


III.2. Wirtschaften hat dem Leben zu dienen und nicht der Gewinnmaximierung Einzelner.

Die chancengleiche Gestaltung von Bildung reicht nicht aus, um Teilhabegerechtigkeit zu sichern. Teilhabegerechtigkeit muss auch im Bereich der Wirtschaft gefördert und gesichert werden. Diese Verantwortung wird in Deutschland durch die gesellschaftliche Konzeption der "Sozialen Marktwirtschaft" als Gegenentwurf zu planwirtschaftlichen, aber auch zu rein wirtschaftsliberalen Vorstellungen betont. Deutlich ist dabei, dass der Markt aus sich heraus weder die Solidarität noch die Gerechtigkeit erzeugen kann, die für sein nachhaltiges Funktionieren grundlegend sind.

Schon frühzeitig hat die EKD darauf hingewiesen, dass sich die Finanzmärkte aus einer dienenden in eine herrschende Funktion verwandelt haben, die die nachhaltige Wohlstandsentwicklung in der Gesellschaft bedroht. Immer wieder haben wir vor kurzfristiger Renditemaximierung als oberstem Ziel gewarnt, da dies dem Prinzip nachhaltigen unternehmerischen Handelns widerspricht. Schon 2008 stellt die Unternehmerdenkschrift diesbezüglich fest: "Banken haben sich dadurch aus ihrer Verantwortung gegenüber Anlegern und Kreditnehmern sowie aus der gesellschaftlichen Verantwortung für die Stabilität des Finanzsystems gelöst." (Ziffer 83)

Und weiter heißt es dann in unserer Stellungnahme zur Finanzkrise: "Die Rahmenbedingungen der globalen Finanzmärkte sind so zu ändern, dass weitere spekulative Aufblähungen flüchtiger Finanzblasen soweit wie möglich verhindert werden. Nötig sind dafür eine klare Regulierung, eine wirksame Aufsicht für alle Finanzmarktakteure und –produkte auf allen Finanzmärkten, nicht nur für die Banken, Steuer- und Verdunkelungsoasen müssen verhindert werden." (S. 19)

Wir wünschten uns sehr, dass der Staat wieder klarer und entschiedener die Rolle als Schiedsrichter einer fairen und die soziale Gerechtigkeit befördernden Wettbewerbsordnung übernimmt. Es braucht mehr Distanz zwischen Politik und Wirtschaft und vor allem mehr politische Gestaltungskraft – und dies koordiniert auf europäischer Ebene. Es kann und darf nicht so sein, dass Menschen den Märkten oder der Wirtschaft dienen müssen, sondern es soll umgekehrt so sein, dass die Märkte und die Wirtschaft für die Menschen da sind.


IV. Schlussbemerkungen

"Kirche und Gewerkschaften teilen gemeinsame Werte" – das war das Thema meines Vortrags und das beschreibt auch meine Erfahrung und meine Überzeugung. Kirche und Gewerkschaften können kraft dieser gemeinsamen Werte im Interesse der Menschen und zum Wohl unserer Gesellschaft miteinander kooperieren, selbst wenn sie sich an unterschiedliche Weltanschauungen und Glaubenshaltungen gebunden wissen.

Dafür, dass sich unterschiedliche Weltanschauungen und Glaubenshaltungen im konkreten Handeln für die Menschen nicht im Weg stehen müssen, dafür gibt es genügend Beispiele in der Geschichte der Begegnung von Kirche und Gewerkschaft. Ich will an dieser Stelle nicht leugnen, dass es – insbesondere in der deutschen Geschichte – auch das Gegenteil gegeben hat, nämlich einen starken Gegensatz, bis hin zur Feindschaft zwischen der Arbeiterbewegung und den Kirchen. Allzu oft hat sich das offizielle Christentum mit den Kräften des Bestehenden, sogar des Reaktionären verbündet und weist in vielen Bereichen bisweilen bis heute Kennzeichen von patriarchalischem Denken auf, dem es schwer fällt, die Rechte der Betroffener als Rechte "auf Augenhöhe" anzuerkennen.

Aber – Gott sei Dank – gab und gibt es viele Einzelpersonen und Gruppen, die immer wieder gezeigt haben, dass christlicher Geist, christliche Wertorientierung und der Einsatz für Gerechtigkeit und die Rechte der Arbeitenden sich im Miteinander ergänzen und befruchten können. Ich hoffe und wünsche, dass wir uns in diesem Miteinander stärken und fördern können – in Anerkennung unserer gemeinsamen Werte, in Achtung vor den je eigenen Lebens- und Glaubenshaltungen und in kritischer Solidarität bei unseren öffentlichen Äußerungen über die jeweils Anderen. Im Besonderen hoffe und wünsche ich, dass wir in diesem Miteinander verbunden bleiben auch bei unserer Auseinandersetzung um den so genannten "3.Weg", also bei der Kontroverse um das Arbeitsrecht in den Kirchen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.