Begrüßung und Impuls zum Transformationskongress in Berlin

Nikolaus Schneider

Ziel dieses Transformationskongresses ist es "Vorschläge zu diskutieren, die zu einer zukunftsfähigen, gerechten Gesellschaft in den Grenzen der ökologischen Tragfähigkeit führen können." Voraussetzunge dafür sei "eine umfassende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, damit soziale Gerechtigkeit, ökologische Verantwortung und eine Stärkung der Demokratie erreicht werden können."

Das klingt gut und ist richtig - die Frage aber bleibt zu stellen:

Gehören dieses Ziel und diese Transformations-Aufgabe zu den Zielen und Aufgaben einer christlichen Kirche? Oder anders gefragt: Was geht dieser Transformationskongress Dienste der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihren Ratsvorsitzenden an?

Ich will im Folgenden kurz und thesenartig auf diese Frage antworten.

  1. Als Christinnen und Christen sind wir überzeugt:

    Gott ist der Schöpfer der Welt und allen Lebens. Die besondere Stellung des Menschen in Gottes Schöpfung liegt darin, dass allein ihm eine "Gott-Ebenbildlichkeit" zugesprochen ist. Wichtige Konkretionen dieser "Gott-Ebenbildlichkeit" sehen die Kirchen in der Verantwortung des Menschen, die Schöpfung zu bewahren und für Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt Sorge zu tragen. Indem Christinnen und Christen sich dieser Aufgabe stellen, nehmen sie wahr: Auch Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen teilen mit ihnen diese Verantwortung und diese Ziele. Trotz unterschiedlicher Wurzeln und Kulturen sind viele Menschen gemeinsam unterwegs zu einem friedlichen Miteinander der Menschen und Völker, zu einem Zusammenleben in sozialer Gerechtigkeit und zu einem nachhaltigen Wirtschaften in ökologischer Verantwortung.

  2. Zum biblischen Menschenbild gehört die Einsicht: Menschen machen Fehler. Sie überschätzen ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten. Sie deklarieren Eigenmächtigkeit als Fürsorge und Eigennutz als Gemeinwohl. Sie verrennen sich in ideologischen Überzeugungen. Deshalb gilt gerade in Krisenzeiten: Selbstkritisches Innehalten ist notwendig - für Einzelne, für gesellschaftliche Gruppen und für Regierungen. Vernünftige, sach- und fachgerechte Analysen sind notwendig. Und - vor allem in Krisen - die Bereitschaft zu Umkehr, Veränderung und zu Transformationen.

  3. Die Bibel lehrt Menschen, "Wohlstand" und "Fülle des Lebens" nicht ausschließlich und auch nicht in erster Linie materiell zu definieren. Was "Märkte" wollen darf nicht zum Leitbild für die Definition eines "guten Lebens" werden. Verzicht auf materielles Wachstum tut vielfach nicht nur der Umwelt gut, sondern auch den Menschen, die mehr als genug zum Leben haben. Mit einer "Ethik des Genug" wollen Theologie und Kirchen darauf aufmerksam machen. "Gut leben" heißt nicht nur "viel haben", sondern auch "solidarisch leben" und "mitmenschlich teilen".

    Einem nachhaltigen und menschenfreundlichen Wohlstandsmodell geht es um mehr als in Geld zu zahlen und in Geldwert zu messen ist: Es geht um Beziehungen und Kommunikation, um Sinn in unserer Arbeit, um die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familienleben, um gute Begegnungen und um Zeit für das Feiern von Gemeinschaft. Gott sei Dank, dass uns die Sabbat-Tradition der Bibel immer wieder neu darin bestärkt: Arbeit und Gewinnmaximierung haben eine Grenze.

  4. Gott als den Schöpfer der ganzen Welt und als den Vater aller Menschen zu bekennen, heißt: Alle nationalen Interessen sind nur von zweitrangiger Bedeutung. Die Verantwortung von Christinnen und Christen endet nicht an den Grenzen ihres Nationalstaates.

    Als Bürgerinnen und Bürger einer der mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt tragen wir in Deutschland auch eine besondere Verantwortung für die Entwicklung einer nachhaltigen globalen Wirtschaft in einem sozialen Europa. Wachstumsprogramme dürfen national und international nicht auf Kosten der Ärmsten der Armen und nicht auf Kosten der Schöpfung gehen. Gut, dass der Transformationskongress hier den begonnenen Kurswechsel voranbringen und stärken will.

  5. Aber auch Europa darf sich nicht als eine Festung nach außen abschotten. Das Wort Gottes ruft uns in die Verantwortung, Frieden und Gerechtigkeit in allen Ländern der Welt weiter voran zu bringen.

    Es schreit zum Himmel, dass unvorstellbare Summen auf den Finanzmärkten verdient werden, während jeden Tag 25000 Menschen sterben, weil wir es nicht schaffen, medizinische Ressourcen und Nahrungsmittel so zu verteilen, dass alle Menschen leben können.

    Diese weltweite Perspektive soll aber nicht dazu führen, dass wir die wachsende Ungleichheit in unserem Land ignorieren oder schön reden. Die Schere zwischen arm und reich in unserer Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren immer weiter geöffnet. Wir brauchen auch bei uns eine Transformation, die gerechtere Zugänge zu Gesundheit, Bildung, Arbeit und zu demokratischer Beteiligung ermöglicht und befördert. Soziale Gerechtigkeit in unserem Land durch immer mehr Wirtschaftswachstum zu garantieren, wird aber auf Dauer keine Lösung sein. Unser derzeitiges Wachstumsmodell ist weder nachhaltig noch übertragbar für alle Menschen in allen Ländern dieser Erde. Es gefährdet die Zukunft der Erde wie die der nächsten Generationen.

    Ob wir Gott als Herrn der Welt und als Vater aller Menschen glauben und bekennen oder nicht: In unserer verflochtenen Weltwirtschaft gibt es nur eine gemeinsame irdische Zukunft - oder keine. Im Wohlstand und in Krisen hängen wir voneinander ab.

Mein Fazit

Die Transformations-Aufgabe und dieser Transformationskongress sind sehr wohl auch eine Aufgabe der Kirche. Als Christinnen und Christen sind wir überzeugt:

Es gibt immer Alternativen, auch wenn sie oft nur von wenigen gedacht, geträumt, erhofft, erstritten und erarbeitet werden. Wir können uns und wir können unsere Welt verändern. Gottes Geist kann unser Denken und Handeln erneuern. Und wir sind überzeugt, dass dieser Geist des Lebens nicht nur in der Kirche wirkt. Wir wollen mit allen zusammenarbeiten, die unterwegs sind zu sozialer Gerechtigkeit, nachhaltiger Wirtschaft, Bewahrung der Schöpfung und lebendiger Demokratie. Das ist möglich, auch wenn wir aus ganz verschiedenen Traditionen und Kulturen kommen und in gewisser Weise verschiedene Sprachen sprechen. Diese Erfahrung haben wir vor kurzem mit dem Pfingstfest gefeiert. Und diese Erfahrung haben wir auch bei der Vorbereitung des Transformationskongresses gemacht. Deshalb freue ich mich, Sie alle hier versammelt zu sehen, aus Kirche und Gewerkschaft, aus Entwicklungsarbeit und Umweltbewegung, aus Nord und Süd. Lassen Sie uns miteinander reden, träumen, konstruktiv streiten und planen. Und hoffen wir, dass das, was hier beginnt, weiter wächst. In unseren Köpfen und Herzen, aber auch in Wirtschaft und Politik.