Stellungnahme des EKD-Ratsvorsitzenden, Nikolaus Schneider, zum Dokument „From conflict to communion. Lutheran-Catholic Commemoration of the Reformation in 2017"

Nikolaus Schneider

„From conflict to communion. Lutheran-Catholic Commemoration of the Reformation in 2017 des Lutherischen Weltbundes und des Vatikans vom 17. Juni 2013

Die EKD ist für die im Text “From conflict to communion. Lutheran-Catholic Commemoration of the Reformation in 2017“ zum Ausdruck gekommenen ökumenischen Überlegungen des Lutherischen Weltbundes und des Einheitssekretariates der römisch-katholischen Kirche anlässlich der Erinnerung an Martin Luthers Thesenanschlags vor 500 Jahren am 31. Oktober 1517 dankbar. Schon die Überschrift benennt dabei die entscheidende Perspektive: Vom Konflikt zur Gemeinschaft deutet den langen Weg der Klärungen an, den die lutherischen Kirchen mit der römisch-katholischen Kirche zurückgelegt haben. Und ruft man sich die Geschichte der bisherigen Reformationsjubiläen ins Gedächtnis und erinnert ihre oftmals antikatholisch-polemisch ausgerichteten Gestaltungen, dann wird deutlich, welch einen ökumenischen Fortschritt es zu würdigen gilt. Entsprechend überzeugt auch der Hinweis, dass alle Überlegungen zum Reformationsjubiläum 2017 hineingestellt werden in die heutige ökumenische Situation, die ihrerseits die globalisierte und säkularisierte Welt und damit die missionarische Grundsituation nicht vergessen darf (vgl. 4 -12).

Darüber hinaus nimmt die EKD die im Vorwort des Textes eingeschriebene Aufforderung der Autoren gerne auf, diesen Text „mit offenem Geist und kritisch“ zu studieren. Auch wenn naturgemäß viele historische und theologische Aussagen in dieser Erklärung der beiden Kirchen umstritten bleiben und eine Diskussion unter den Fachleuten auslösen werden, so konzentriert sich die Reaktion der EKD auf die entwickelten Perspektiven auf das Reformationsjubiläum 2017:

  • Besonders eindrücklich ist das deutliche Bemühen, keine verschiedene Geschichte der damaligen Ereignisse zu erzählen, sondern die damalige Geschichte verschieden zu erzählen (16). Entsprechend werden im 2. Kapitel sowohl die Kontinuitäten der Reformation zum Mittelalter herausstellt wie die zunehmende Würdigung der Theologie Martin Luthers durch die römisch-katholische Kirche im 20. Jahrhundert (Abs. 26. ff) bis hin zur Äußerungen von Papst Benedikt XVI. in Erfurt 2012 genannt (30).
  • Die in Kapitel 3 entfaltete Erinnerung an einige zentrale Ereignisse der Reformationsgeschichte ist sehr konzentriert auf die Person Martin Luthers. Die gewählte Darstellung löst aber Rückfragen dahingehend aus, dass in diesem Kapitel die reformatorischen Durchbrüche Martin Luthers bzw. die geistige Dynamik seiner theologischen Einsichten nicht wirklich entfaltet werden. Gerne hätten wir  etwas gelesen von der theologischen Wucht der reformatorischen Entdeckungen, von den tiefgreifenden Erkenntnissen und der auch gesellschaftlichen Dynamik, die diese entfalten konnten.
  • In dem sehr ausführlichen Kapitel 4 werden einige wesentliche Aussagen der Theologie Martin Luthers aufgegriffen und hineingestellt in den ökumenischen Dialogprozess des LWBs und der römisch-katholischen Kirche. Dass dabei die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre den Deutungsrahmen abgibt, liegt auf der Hand. Mit einer gewissen Enttäuschung allerdings nehmen ich wahr, dass die seinerzeit auf hohem theologischem Niveau geführte kritische Diskussion um diese gemeinsame Erklärung nicht eigens in den Blick genommen wurde.
  • Die Konzentration der Entfaltung des ökumenischen Diskurses um die Theologie Martin Luthers auf vier zentrale Felder führt zu einer treffenden Beschreibung des gegenwärtigen ökumenischen Diskursstandes: Die Frage der Rechtfertigung und der Eucharistie, die Frage nach der Bedeutung des Amtes und nach der Schrift sind gleichsam „die kontroverstheologischen Klassiker“. Der Text resümiert den gegenwärtig erreichten Stand dieses Dialogs und zeigt den erreichten Fortschritt, aber auch die bleibenden theologischen Differenzen.
  • Die beiden letzten Kapitel wenden sich dem Datum 2017 zu. Dabei können wir manche Anregung des Textes gut aufnehmen, z.B. die Stärkung der gemeinsamen Freude am Evangelium, das zuversichtliche Gebet für die Einheit der Christenheit, der würdigende Rückblick auf die gemeinsame Geschichte u.a.m. Das sind wichtige Impulse für die ökumenische Vorbereitung des Jubiläumsjahres 2017, denen wir von Herzen zustimmen.

II.

Die EKD begrüßt eine intensive Diskussion um diese Erklärung und will in einem zweiten Zugang einige kritische Fragen als Beitrag zur solch einer Diskussion formulieren:

  • Der Text konzentriert sich fast ausschließlich auf die Person Martin Luthers und seine Theologie, nur gelegentlich wird Melanchthon herangezogen. Die Reformation als geschichtliche Gesamtbewegung kommt kaum in den Blick, obwohl natürlich auch Martin Luther weder ein Singulär in der Geschichte ist noch unbeeinflusst bleibt z.B. von der oberdeutschen oder vom linken Flügel der Reformation. Diese Konzentration des Textes auf die Person und Theologie Martin Luthers hinterlässt den Eindruck, dass es sich bei dem Jubiläum 2017 um ein Lutherjubiläum handelt, nicht um ein Reformationsjubiläum. Dies schließt zugleich die Gefahr ein, dass die Internationalität der Reformation entgegen der Intention der Autoren aus dem Blick gerät. 
  • In der Erklärung tritt ein hoher Respekt vor der theologischen Grundfrage Martin Luthers nach dem gnädigen Gott entgegen, wie es auch Papst Benedikt XVI. in Erfurt zum Ausdruck brachte. Aber es wird nicht sichtbar, dass es nicht seine Frage, sondern die gefundenen Antworten waren, die die Reformation auslöste und zu einer Entängstigung des damaligen Gottesbildes führte. Der inhaltliche Kernbestand der reformatorischen Anliegen wird nicht in der Deutlichkeit entfaltet, die verständlich macht, warum die theologischen Einsichten Martin Luthers zum Ausgangspunkt einer weltweiten Reformation werden konnten.    
  • Zuzustimmen ist der Bereitschaft, die Schatten mancher Positionen Martin Luthers einzugestehen (z.B. im Blick auf die Juden oder die Täufer vgl. 229). Bedauerlich ist aber der Verzicht darauf sichtbar zu machen, dass manche intoleranten Haltungen damals auch von der katholischen Kirche geteilt wurden, weil sie dem gültigen Reichsrecht entsprachen. Es gibt in der heutigen Diskussion sehr differenzierte Analysen zu Luthers Antijudaismus, zu seiner Haltung zu den sog. „Türken“ und zu den Täufern, eine solche pauschale Verurteilung wird diesem Erkenntnisstand nur wenig gerecht. Es wird nicht erwähnt, dass Martin Luther und die Wittenberger Reformatoren eine    große Sehnsucht nach Verständigung mit den oberdeutschen Reformatoren suchten und an der Unüberwindlichkeit der Konflikte sehr gelitten haben. Es gab keineswegs nur die Bemühungen Melanchthons, zur Verständigung mit der römischen Kirche zu kommen, sondern immer auch das Bemühen, die Einheit der reformatorischen Bewegung insgesamt zu erreichen. Der Text spiegelt so gesehen auch im Rückblick auf die Geschehnisse eine gewisse Engführung auf den lutherisch-katholischen Konflikt, der die anderen reformatorischen Diskurse und Dialoge vergisst.
  • Entsprechend scheint der Text die Entwicklung zur Leuenberger Konkordie 1973 und die darin liegende Überwindung der innerreformatorischen Konflikte gar nicht wahrgenommen zu haben. Weder wird historisch auf das Jahr 1817 und das zweihundertjährige Jubiläum der Union in Deutschland 2017 hingewiesen noch erscheint die Leuenberger Konkordie irgendeine theologische Relevanz für die Beurteilung des Reformationsjubiläums 2017 zu haben. Ist diese Ausblendung der reformatorischen Geschwister im ökumenischen Zeitalter ein plausibles Verfahren? Ist ein lutherisch-katholischer Dialog ohne Berücksichtigung der ökumenischen Situation im Mutterland der Reformation und in Europa überhaupt noch ökumenisch verantwortbar? Müssten nicht wenigsten die weltweit verbundenen reformierten Geschwister beteiligt werden?
  • Diese kritischen Rückfragen werden nicht zuletzt dadurch bestärkt, dass die Erklärung durchgängig beschäftigt ist mit der Frage nach der sichtbaren Einheit der Kirche, die in der Reformation verloren gegangen ist und die wieder herzustellen das entscheidende Kriterium für einen Zugang zum Reformationsjubiläum 2017 ist. Die von den reformatorischen Kirchen in Europa erarbeitete Einsicht von der „versöhnten Verschiedenheit“ taucht nirgends auf. Es fehlt die Perspektive, dass die Einheit aller Kirchen in Christus auch in der Vielfalt der geschichtlichen Konkretionen von Kirche gelebt werden kann. Die im Text selbst als Kennzeichen des 20. Jahrhundert vorangestellte Wahrnehmung auf ein ökumenisches Jahrhundert bleibt faktisch unberücksichtigt.

III.

Zuletzt seien als Anregungen für das weitere ökumenische Gespräch einige Hinweise gegeben, die uns in der EKD in der Vorbereitung des Reformationsjubiläums wichtig geworden sind. Im Rahmen einer „Ökumene der Gaben“ erscheint diese Frage nach dem spezifisch geistlichen Beitrag der Reformation für die Christenheit weiterführend zu sein. In aller Vorläufigkeit verweist die EKD auf folgende Gesichtspunkte:

Die Reformation schuf eine neue Konzentration auf Jesus Christus, das Reformationsjubiläum ist also entsprechend ein Christusfest. Denn alle Erneuerung der Kirchen, die damals begann und bis in die Gegenwart reicht, gründet in dieser Umkehr zu Christus. Dass die Bibel in eine ganz neue Rolle hineinwuchs, die nicht nur die – auch vorher schon vorhandenen - volkssprachlichen Übersetzungen plausibel machte, sondern die theologische Bedeutung der Schrift neu bewusst machte, wird heute kaum bestritten. Die Reformation hat darüber hinaus einen kraftvollen Impuls zur Entängstigung des Gottesbildes gegeben, die Rede vom barmherzigen und gnädigen Gott hat seither bis in unsere Tage einen befreienden Klang erhalten, der in den Bestimmungen zur Rechtfertigung des Gottlosen aufbewahrt sind. Für heutige Gottesbilder wäre aber auch neu zu durchdenken, was es heißt, dass wir „Gott fürchten und lieben sollen“. Die Bedeutung der Gemeinden und des Priestertum aller Getauften ist auf vielfältige Weise zu einer Art Gemeingut der Christenheit geworden, niemand betreibt heute noch ein Verständnis von Kirche ohne Bezug auf das Volk Gottes. Und so umstritten in unseren Tagen die Frage nach der Freiheit ist und man keinesfalls das Freiheitsverständnis der Reformatoren mit dem heute landläufigen Freiheitsverständnis zusammenwerfen darf, so unbestreitbar ist doch, dass dieses Schlüsselthema der Neuzeit Freiheit in der Reformation neu ins Zentrum gerückt wurde und bis heute ein allgemein christliches Thema geblieben ist. Und schließlich wird man auch das gemeinsame missionarische Zeugnis der Christen in der Welt und für die Welt nicht ohne Rückgriff auf die Reformation in ihrer diakonischen Konkretion verstehen können.

Neben der Last, die die Erinnerung an Spaltungen und Trennungen, an Streit und Verfolgung, an Grausamkeit und Krieg mit sich bringen, sollte die gemeinsame Freude über diese geistlichen Gaben an die Christenheit nicht aus dem Blick geraten. Die EKD freut sich darauf, mit vielen Kirchen und Konfessionen ins Gespräch über diesen Beitrag zu einer „Ökumene der Gaben“ zu kommen, denn sie könnten zugleich die Brücke werden, über die ein Weg zum gemeinsamen Feiern des Reformationsjubiläums 2017 zu finden ist.