„Vertrauen bindet. Zur Verantwortung von Unternehmen“ - Vortrag beim Arbeitgeberverband Minden-Lübbecke in Minden-Lübbecke

Nikolaus Schneider

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Vertrauen ist ein Beziehungswort: Vertrauen entsteht und bewährt sich in Beziehungen! Ohne vertrauensvolle Beziehungen können Menschen nicht glücklich leben. Und ohne vertrauensvolle Beziehungen funktionieren weder Politik noch Unternehmen oder andere gesellschaftliche Institutionen – auch die Kirchen nicht.

Gerne bin ich heute zu Ihnen gekommen, um mit Ihnen über den Zusammenhang von Vertrauen und Verantwortung  im Blick auf Unternehmen nachzudenken: "Vertrauen bindet. Zur Verantwortung von Unternehmen" – zu diesem Thema rede ich als Theologe, nicht als Unternehmer oder Wirtschaftswissenschaftler. Deshalb mute ich Ihnen im Wesentlichen eine theologische Perspektive zu.

Mein Vortrag gliedert sich in drei Abschnitte: Der erste Abschnitt wird die Begriffe Vertrauen und Verantwortung theologisch akzentuieren. Im zweiten Abschnittgeht es um unternehmerisches Handeln in der evangelischen Perspektive der EKD-Unternehmerdenkschrift von 2008. Im abschließenden dritten Abschnitt werde ich in drei ausgeführten Thesen exemplarisch erläutern, dass und wie Vertrauen unternehmerisches Handeln an Verantwortung bindet.

Zum Ersten:
Vertrauen und Verantwortung in christlicher Perspektive

In der biblischen Tradition sind Glauben und Vertrauen nahezu parallele Begriffe. Wenn die Bibel von „Glauben“ spricht, dann geht es nicht zuerst um das „Für-Wahr-Halten“ von bestimmten Sachverhalten und theologischen Lehrsätzen, sondern um eine persönliche Lebensbindung. In der Bibel ist „Glaube an Gott“ gleichbedeutend mit „Vertrauen auf Gott“.

An Gott glauben bedeutet: Menschen wissen sich bei allem, was sie tun und lassen, was ihnen gelingt, was sie verschulden und was sie erleiden, von Gottes Wort, Gottes Gegenwart und Gottes Liebe begleitet, ermutigt, zurecht gebracht, getröstet und getragen.

Menschen vertrauen Gott grundlegend und existentiell und über den Tod hinaus. Dieses Gottvertrauen macht Menschen gewiss, dass Gottes Macht stärker ist als der Tod und dass Gott auch gegen manchen Augenschein das letzte Wort behält über alle irdischen Mächte und Gewalten.

Im Vertrauen auf Gott widerstehen Menschen fatalistischer Verantwortungslosigkeit, menschenfeindlichem Zynismus und lähmender Resignation. Gerade auch angesichts von Vertrauenskrisen im persönlichen und im öffentlichen Leben. Denn: Gottvertrauen stärkt menschliches Selbstvertrauen. Es trägt, befreit und ermutigt zu einer nachhaltigen Weltverantwortung!

Gott hat uns Menschen nicht als Marionetten geschaffen, die wie an unsichtbaren Fäden nach Gottes Willen tanzen und allen himmlischen oder dämonischen Mächten willenlos und entscheidungsunfähig ausgeliefert sind. Dem Menschen ist in den biblischen Schöpfungsberichten Gott-Ebenbildlichkeit zugesagt. Das deute ich so: Wir Menschen haben von Gott die Fähigkeit und den Auftrag erhalten, uns in Freiheit und Verantwortung für unser Leben, für andere Menschen und für Gottes Schöpfung einzusetzen.

Martin Luther erklärte in seiner berühmten Gottesdefinition: „Woran du […] dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist […] dein Gott.“[1] 

Es lohnt, dieser Definition auch für den Zusammenhang von Vertrauen und Verantwortung nach-zu-denken und uns kritisch und selbstkritisch zu fragen: Woran hängen wir unser Herz?
Worauf vertrauen und verlassen wir uns? Wem wissen wir uns letztendlich verantwortlich?

Der Autor David Foster Wallace hat diese Fragen in einer Rede an College-Absolventinnen und -Absolventen in eindrücklicher Weise aufgenommen. Er sagte:

"Es gibt keinen Nichtglauben. Jeder betet etwas an. […] Wenn Sie Geld oder Güter anbeten – wenn hierin für Sie der wahre Sinn des Lebens liegt -, dann können Sie davon nie genug kriegen. Nie das Gefühl haben, Sie hätten genug. […] Wenn Sie die Macht anbeten, werden Sie sich schwach und ängstlich fühlen und immer mehr Macht über andere brauchen, um die Angst im Schach zu halten. […] das Heimtückische an diesen Formen der Anbetung ist nicht, dass sie böse oder sündhaft wären, sondern dass sie so unbewusst sind. […] Sie sind Glaubensformen, in die man nach und nach einfach so hineinschlittert, […].

Unsere heutige Kultur hat der spezifischen Nutzung dieser Kräfte außerordentlichen Reichtum, Komfort und individuelle Freiheit zu verdanken. Nämlich die Freiheit für jeden von uns, Herrscher seines winzigen schädelgroßen Königreichs zu sein, allein im Mittelpunkt der Schöpfung. Diese Art Freiheit hat vieles, was für sie spricht. Aber es gibt […] verschiedene Formen der Freiheit und die kostbarste wird in der großen, weiten Welt des Siegens, Leistens und Blendens selten erwähnt. Die wirklich wichtige Freiheit erfordert Aufmerksamkeit und Disziplin und Mühe und die Empathie, andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer für sie zu bringen […] Das ist wahre Freiheit." [2]

Christinnen und Christen erkennen die wahre Freiheit als eine Freiheit zum Dienen. Sie verstehen sich als von Gott mit Freiheit und weiten  Freiräumen Beschenkte. Und gleichzeitig als von Gott Beauftragte, ihre Gaben und Begabungen in den Dienst zu stellen. In den Dienst für andere Menschen, in den Dienst für Frieden und Gerechtigkeit, in den Dienst für ein Wirtschaften und für eine Unternehmenskultur, die der Welt gut tun, weil sie lebensdienlich sind.

Martin Luther wies auf diese doppelte Ausrichtung christlicher Existenz hin: Christenmenschen leben vertrauensvoll und verantwortlich als "freie Herren" und als "dienstbare Knechte" zugleich. Die Freiheit zum Dienen ist es, die in christlicher Perspektive
 Vertrauen und Verantwortung aneinander bindet.
 
Zum Zweiten:
Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive

In der Denkschrift der EKD „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ aus dem Jahr 2008 – also kurz vor der großen Wirtschaftskrise – heißt es: „Unternehmerisches Handeln ist von zentraler Bedeutung für Innovation, Wertschöpfung und gesamtgesellschaftlichen Wohlstand. Moderne Gesellschaften brauchen Menschen, die bereit sind, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.“[3]

Und weiter: Dem unternehmerischen Handeln „wird zur Bewältigung zunehmender weltweiter sozialer und ökologischer Probleme eine weiter wachsende Bedeutung zukommen“.[4]  Denn: „Den Kern unternehmerischer Tätigkeit bildet die unablässige Aufgabe, im Markt Entscheidungen unter komplexen und zum Teil unsicheren Bedingungen zu fällen und für die eingegangenen Risiken Verantwortung zu übernehmen. Damit erfüllen unternehmerisch Tätige die wichtige gesellschaftliche Funktion, zumindest für eine begrenzte Zeit Planungs- und Handlungssicherheiten zu erzeugen. Auf dieser Grundlage können dann andere sicherer planen und gegebenenfalls etwas ergänzend Neues beginnen.“ [5]  

Die evangelische Unternehmer-Denkschrift basiert also auf der Überzeugung: Staat oder Zivilgesellschaft allein können wesentliche soziale, ökologische und gesellschaftliche Probleme dieser Welt nicht lösen. Unternehmen leisten dazu einen entscheidenden Beitrag. Sie sind weltweit vernetzt, sie können flexibel und schnell reagieren. In Unternehmen finden sich engagierte und professionell hochspezialisierte Menschen, die motiviert und in der Lage sind, zielgerichtete Problemanalysen und Lösungsstrategien zu entwickeln und zu verfolgen.

In evangelischer Perspektive sollen Unternehmer und Unternehmerinnen ihren gesellschaftlichen Beitrag auch im Blick auf Schöpfungsverantwortung und mit nachhaltiger Wertschöpfung gestalten. In der Denkschrift der EKD heißt es dazu: „Richtig verstanden – und durch einen klugen staatlichen Rahmen unterstützt – ist unternehmerisches Handel auf nachhaltige Wertschöpfung ausgerichtet. Es ist keine konsumierende, sondern eine erhaltende Tätigkeit: Der wirksame Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel führt zur langfristigen Schonung von natürlichen wie auch sozialen Ressourcen. Auf dieses Grundverständnis gilt es sich heute wieder zu besinnen. Unternehmerisch Tätige sind Teil der Gesellschaft und stehen wie jeder in der Verantwortung, ihren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.“[6]

Mit diesen Sätzen wird ein in Deutschland – und insbesondere im Mittelstand – weit verbreitetes „klassisches“ Bild eines verantwortlich auf Vertrauensbildung zielenden Unternehmerhandelns beschrieben. Gegen den Eindruck, dass es eine solche Unternehmenstradition kaum noch gäbe, verwies die evangelische Denkschrift auf folgende Zahlen:
 
„Die Tatsache, dass von den etwa 3,4 Mil. Unternehmen in Deutschland 2,8 Mil. Personenunternehmen sind (2004) zeigt deutlich, dass der klassische Unternehmer in Deutschland nach wie vor eine große Rolle spielt. Die in der Hand von Eigentümern agierenden Unternehmen haben eine enorme Bedeutung. Sie tragen mit einen Anteil von 53 Prozent zur Bruttowertschöpfung der Wirtschaft bei, stellen 68 Prozent der Arbeitsplätze und bilden vier von fünf Auszubildenden aus. Der Vergleich des Börsenerfolgs von 106 Unternehmen, die ganz oder teilweise in Familienhand sind, mit dem der DAX-30-Unternehmen beruhigt darüber hinaus, dass langfristige Gewinnmaximierungsstrategien erfolgreicher sind als kurzfristiges Quartalsdenken. Von 2005 bis 2007 erhöhte sich der Wert der DAX-30-Unternehmen um 62 Prozent, während die längerfristig orientierten Unternehmen ihren Wert mehr als verdoppelten (plus 104 Prozent).“[7] 

Diese im Jahr 2008 beschriebene Situation hat sich meines Wissens nach der Wirtschaftskrise nicht wesentlich verändert. Ich führe das auch auf ein stabiles Vertrauensumfeld zurück, in dem solche „klassische“ und verantwortungsbewusste Unternehmenskultur existiert und sich auch bei verändernden Märkten regeneriert. Denn jedes Unternehmen muss sich immer wieder neu auf veränderte Märkte ausrichten.

Im Blick auf die mit jeder Umgestaltung und Neuausrichtung von Unternehmen einhergehende Gefährdung von Arbeitsplätzen hält die evangelische Unternehmer-Denkschrift fest: „Dennoch haben Unternehmer und Führungskräfte die Verantwortung, alles in ihrer Macht Stehende für den Erhalt von Arbeitsplätzen zu tun. Dem kommt ein besonders hoher ethischer Wert zu, denn anders als beim Umgang mit anderen Ressourcen handelt es sich bei den Mitarbeitenden um dem Unternehmer anvertraute Menschen. Über sie kann nicht wie über Sachen verfügt werden – sie sind keine Mittel zum Zweck, sondern bringen in das Unternehmen ihre eigene unverrechenbare Würde ein.“[8]
 
Wie die Würde von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gewahrt und auch in unsicheren Zeiten ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis aufgebaut werden kann, beschreibt die Schrift der EKD folgendermaßen: "Den Arbeitnehmern muss ein möglichst großes Maß an Handlungs- und Entscheidungsspielraum eingeräumt werden, damit sie den Sinn der Arbeit erkennen und deswegen in fairer Weise mit anderen kooperieren können. Das Ziel ist erreicht, wenn sie ein Gefühl von Verantwortung für ihr Tun entwickeln können und in dieser Hinsicht Eigentümern und Managern begegnen.“ [9]

Das Gewinn-Streben von Unternehmerinnen und Unternehmern wird übrigens in evangelischer Perspektive nicht grundsätzlich „verteufelt“. So heißt es in der Unternehmer-Denkschrift der EKD: "Das Streben nach einem angemessen Wohlstand, um ihn für sich selbst und für die Gemeinschaft zu nutzen, ist in sich nicht verwerflich – auf ihm kann durchaus der Segen Gottes ruhen.“ [10]

Denn Reichtum wird in der Bibel immer dann scharf kritisiert, wenn er durch Unrecht und Ausbeutung erworben wurde. Wenn er sich mit Geiz und Gier paart. Wenn er den Blick auf die Lebenslagen, Nöte und Bedürfnisse der Mitmenschen verstellt. Wenn er also unser Vertrauen auf Gott und unser Handeln in der Nachfolge Christi verhindert.

Darum gilt in theologischer Perspektive für unternehmerisches Handeln: Lassen Sie sich durch Christus „von den gottlosen Bindungen dieser Welt befreien“. Machen Sie sich frei davon, Ihr Leben allein auf das Erstreben von materiellen Gewinnen zu konzentrieren.
Sorgen Sie durch gerechte Löhne, ein faires Teilen von Gewinnen und großherzige Spenden für sozialen Frieden in unserem Land und weltweit. Denn so wandeln Sie Ihren irdischen Besitz zu einem Schatz im Himmel. 

Und zum Dritten:
Vertrauen bindet Unternehmen an Verantwortung

Vertrauen ist ein Beziehungswort. Es verbindet Menschen mit Gott und mit ihren Mitmenschen. Es bindet Menschen an Gottes Wort und damit zugleich an die Verantwortung für das Wohl ihrer Mitmenschen. Vertrauen bindet Menschen an den unauflöslichen Zusammenhang von persönlicher Freiheit und sozialem Dienst am Nächsten.

Im Kontext des Vortragsthemas gilt im Besonderen: Das Vertrauen auf Gott und das Vertrauen auf die Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen bindet Unternehmen an die Verantwortung für Frieden und sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, in Europa und weltweit. Exemplarisch will ich drei Konkretionen dieser Bindung jeweils in einer These mit erläuterndem Text beschreiben:

These 1
Vertrauen bindet an die Einsicht: Verantwortung für Frieden und sozialen Zusammenhalt verlangt keine lückenlose und umfassende Kontrolle.

Vertrauen ist kein romantisches und blindes Bauchgefühl. Nachhaltiges Vertrauen will und wird den Verstand nicht ausschließen oder ausschalten. Nachhaltiges Vertrauen umfasst das Fühlen und Denken.

„Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“, diese Alternative ist als Maxime Lenins überliefert. Sie leistet meines Erachtens einem falschen Vertrauensverständnis Vorschub. Vertrauen wird hier zu einem „blinden“ Gefühl verkürzt, das letztendlich untauglich ist, um wichtige politische und unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Für mich bedeutet Vertrauen nicht den Verzicht auf Verstand und deshalb auch nicht den Verzicht auf eine vernünftige und sachlich angemessene Kontrolle. Es geht um ein durch Erfahrung und Denken „gelehrtes Vertrauen“. Wer behauptet, jedwede Kontrolle und jedes Prüfverfahren töteten das Vertrauen, der vertritt eine Vertrauensseligkeit, die nicht alltagstauglich und vor allem nicht unternehmenstauglich ist.

Allerdings gilt diese Untauglichkeit auch für den Versuch, die Handlungen und Interaktionen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Unternehmen lückenlos und umfassend zu kontrollieren. Permanente Kontrolle tötet  Eigenverantwortlichkeit und Selbstwertgefühl. Sie zerstört den vertrauensvollen Zusammenhalt der Unternehmensangehörigen.

Es gab und gibt immer wieder den Versuch – in Firmen wie in Staaten –, Vertrauen durch möglichst lückenlose und umfassende Kontrolle zu ersetzen. Ronald Reagan hat in der Rüstungsdebatte der 80er Jahre den berühmten Satz geprägt, die USA müssten das "Fenster der Verwundbarkeit schließen". Die Theologin Dorothee Sölle hielt dagegen: „Dass das Fenster der Verwundbarkeit offen bleiben muss, wenn wir Menschen bleiben oder es werden wollen, scheint unbekannt zu sein. Das Fenster der Verwundbarkeit ist ein Fenster zum Himmel. (…) Transzendenz ist deswegen gefährlich, weil sie verwundbar macht. Darum muss der Staat, der die Unverwundbarkeit als Sicherheit zum Idol erhebt, alle wahre Transzendenz zu verhindern suchen." [11]

Frieden und sozialen Zusammenhalt in unseren Unternehmen und in unserer Gesellschaft brauchen die Einsicht und die Demut, dass Verwundbarkeit zum Maß des Menschlichen gehört und dass Transzendenz uns vertrauensvoll und verantwortlich mit der Verwundbarkeit leben lässt.

These 2
Vertrauen bindet an die Einsicht: Verantwortung für Frieden und sozialen Zusammenhalt verlangt nicht nach Perfektion und Unfehlbarkeit. 

Unternehmen und die sie führenden Menschen müssen sich das Vertrauen der Mitarbeitenden und der Gesellschaft nicht dadurch verdienen, dass sie keine Fehler und Schwächen zeigen und zugeben. Entscheidend ist vielmehr, wie Unternehmen mit Fehlern, Fehlentscheidungen und Schwächen umgehen. Vermutlich kennen viele von Ihnen das vermeintliche Paradox aus der Marktforschung, das besagt, dass ein gutes Fehlermanagement in Unternehmen die Kundenbindung noch erhöht. Ich finde, das ist eine ermutigende und sehr menschenfreundliche Beobachtung. Bedeutet sie doch, dass auch Kunden keine perfektionssuchenden Konsumenten sind. Sie wissen das menschliche Auftreten eines Unternehmers sowie den offenen und transparenten Umgang eines Unternehmens mit Fehlern zu schätzen. Wenn beide Seiten – Unternehmen und ihre Kunden oder, weiter gefasst: Unternehmen und die Gesellschaft/Öffentlichkeit – auch im Fall von Fehlern und misslungener Interaktion in vertrauensvoller Weise miteinander im Gespräch bleiben, lässt sich nicht nur Vertrauensverlust vermeiden, sondern auch ein vertieftes Vertrauen gewinnen.

These 3
Vertrauen bindet an die Einsicht: Verantwortung für Frieden und sozialen Zusammenhalt sucht Wege, Vertrauenskrisen zu überwinden und neues Vertrauen zu wagen. 

Wie fatal es sein kann, wenn Unternehmen das Vertrauen der Menschen und der Gesellschaft verlieren, hat sich in Deutschland und weltweit in den letzten Jahren infolge der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 gezeigt. Das Ansehen von Bankern und insbesondere von Investmentbankern ist seit dieser Zeit auf einen absoluten Tiefpunkt gestürzt. Die Menschen haben erlebt, wie eine ganze Reihe von Akteuren in diesem Bereich offensichtlich ihre Verantwortung nicht mehr wahrgenommen haben und Risiken eingegangen sind, die sie beim besten Willen nicht mehr tragen konnten. Vielfach ist mit Produkten gehandelt worden, die selbst Profis nicht mehr verstanden und überblicken konnten – geschweige denn die Menschen, an die sie verkauft wurden. Es wurden „toxische Pakete“ geschnürt, aber so intransparent, dass andere darauf kaum aufmerksam wurden. Das geschah in der Absicht, mit großen Renditen zu locken und Vergiftung oder den sozialen Tod der Geschäftspartner in Kauf zu nehmen.

Das hat dem Ruf und Ansehen einer gesamten Branche geschadet, die damit – durch das Fehlverhalten Einzelner – Vertrauen im großen Stil im wahrsten Sinne des Wortes "verspielt" hat. Es wird nicht leicht sein, dieses Vertrauen wieder aufzubauen. Unternehmen aber leben davon, dass die eigenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Gesellschaft ihnen vertrauen. Das vertrauensvolle Miteinander von Arbeitgebern/Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen ist eine unverzichtbare Lebensader für eine menschenfreundliche Gesellschaft.

Damit Frieden und sozialer Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gelingen, müssen Unternehmen immer neue Wege suchen, um Vertrauenskrisen zu überwinden und neues Vertrauen zu wagen. Unabhängig davon, ob sie die Vertrauenskrisen durch eigenes Verhalten verschuldet haben oder ob sie für das Verhalten anderer Unternehmen in Mithaftung genommen wurden.

Phantasie und Kraft für vertrauensbildende Maßnahmen und Wege gründen in der Einsicht, dass sich trotz mancher Enttäuschungen das Wagnis von Vertrauen lohnt und Segen bringt – für uns persönlich, für unsere Gottesbeziehung und unsere Menschenbeziehungen, und auch für unsere Unternehmen und unsere Gesellschaft.

Sehr geehrte Damen und Herren, ein tief gegründetes und nachhaltiges Grundvertrauen ist die entscheidende Kraftquelle, um Verantwortung in guten und schweren Zeiten wahrzunehmen. Die Schriftstellerin Hilde Domin hat für ein solches Grundvertrauen den Begriff „Dennoch-Vertrauen“ geprägt. Dennoch-Vertrauen ist von aktuellem Tagesgeschehen unabhängig. Es ist ein belastbares Fundament für unsere Beziehungen, für unseren Glauben und für unser Arbeiten. Es hält Vertrauenskrisen stand. Menschen mit Dennoch-Vertrauen lassen nicht ab, nach Frieden, Gerechtigkeit und sozialem Zusammenhalt in allen Lebensbezügen zu suchen. Unsere Gesellschaft, unsere Politik und unsere Unternehmen wie auch unsere Kirche brauchen Menschen, die getragen sind von einem solchen Vertrauen, das an Verantwortung bindet.

Gottes Geist stärke Sie mit Dennoch-Vertrauen und in Ihrem verantwortlichen Handeln!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Fußnoten:

1 Martin Luther, Der große Katechismus (1529), WA 30 II, 133.3 
2 David Foster Wallace, Das hier ist Wasser/This is Water, Köln 20125, S. 30 ff. 
3 Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive. Eine Denkschrift des Rates der EKD, Gütersloh 2008, S. 12.
4  Ebd.
5  A.a.O., S. 25.
6  A.a.O., S. 26.
7  A.a.O., S. 27.
8  A.a.O., S. 60.
9  A.a.O., S. 62.
10  A.a.O., S. 20.
11  Dorothee Sölle, Vorwort, in: Das Fenster der Verwundbarkeit. Politische Texte, Freiburg 1987, S. 7ff.