„Schätzchen, ich trink nur Wein“

Gemeinden und Diakonie werben mit kreativen Aktionen für maßvollen Konsum

Mann im grünen Ganzkörperanzug wirbt für die Aktion „100 Prozent Genuss“

Die Aktion „100 Prozent Genuss“ der Diakonie und Verbandsgemeinde zur Suchtprävention will dazu beitragen, dass beim Feiern alles im grünen Bereich bleibt.

Tausende Besucher drängen sich durch die engen Gassen. Auf den langen Biertisch-Bänken wird gelacht und getrunken, und eine Blaskappelle spielt Schunkelmusik. „Einmal am Rhein, Du glaubst, die ganze Welt ist Dein“, singt die Menge mit. So ähnlich geht es jedes Jahr bei den rheinhessischen Weinfesten zu. Ein – auf den ersten Blick verstörendes – Detail allerdings ist dieses Mal neu beim Guntersblumer Kellerwegfest: Eine merkwürdige Gestalt im knallgrünen Ganzkörperanzug läuft wortlos mitten durch das Gewimmel, im Schlepptau eine Gruppe Jugendlicher, die Armbändchen an die Festbesucher verteilen.

Hinter der grünen Gestalt verbirgt sich der Gymnasiast Julian Moghtader und hinter seinem eigenartigen Aufzug eine Aktion von Diakonie und Verbandsgemeinde zur Suchtprävention. Der „grüne Mann“, so die Idee, soll ein wenig dafür sorgen, dass beim Feiern alles im grünen Bereich bleibt. Wer mit dem grünen Armbändchen zu einem Winzerausschank kommt, erhält 50 Cent Rabatt auf jedes nichtalkoholische Getränk. Außerdem haben die Jugendlichen aus einer örtlichen Kirchengruppe noch allerlei Technik mit dabei, einen Alkoholtester zum Beispiel. Der verfehlt allerdings manchmal seine Wirkung, da manche jungen Festgäste mit ihrem hohen Promillewert auch noch angeben.

„Wir sind nicht die Drogenpolizei“, stellt Niko Blug, Sozialpädagoge beim Diakonischen Werk Mainz-Bingen klar. Er ist inzwischen mit vielen ehrenamtlichen Helfern auf allen Festen im Mainzer Umland präsent, teils auch mit eigenen Ständen. Dort, in den „Freerooms“ der Diakonie, gibt es dann ausgefallene alkoholfreie Cocktails. Für die Organisatoren der Aktion „100 Prozent Genuss“ steht außer Zweifel, dass Alkoholkonsum fester Bestandteil der regionalen Kultur ist und auch bleiben soll, gerade am Rhein. Umgekehrt machen die Winzer meist gerne bei den Präventions-Aktionen mit, da niemand sich über Schnapsleichen auf dem eigenen Weinfest freut.

Auch anderenorts gibt es längst Überlegungen, wie Alkoholmissbrauch bei Großveranstaltungen begrenzt werden kann. Immerhin hat eine Studie des Bundes ergeben, dass schon unter den Zwölf- bis 17-Jährigen jeder achte mindestens einmal in der Woche Alkohol konsumiert. Die Zahl der alkoholabhängigen Menschen in der Bundesrepublik wird auf 1,3 Millionen geschätzt.

Suchtprävention bei Volksfesten

Daher verschickt das Münchner Jugendamt jährlich vor dem Oktoberfest Rundbriefe zum Jugendschutz an alle Wirte. Auf dem Festgelände gibt es eine eigene Jugendschutzstelle, die Arbeit von Streetworkern wird von Kampagnen wie den „WiesnGentlemen“ oder einer App mit Notruf- und Bier-Zähl-Funktion flankiert. In Köln informiert die Stadt unter dem Motto „Keine Kurzen für Kurze“ speziell in der Karnevalszeit über Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen.

Allerdings machen sich längst nicht alle Organisatoren großer Volksfeste Gedanken über Suchtprävention. „Bislang war dies für uns noch kein Thema und es ist auch noch niemand mit einer solchen Idee an uns herangetreten“, heißt es etwa in Bad Dürkheim, wo mit dem jährlichen Dürkheimer Wurstmarkt das nach Veranstalterangaben größte Weinfest der Welt stattfindet. „Sollte eine Kampagne oder Aktion seitens kirchlicher oder anderer sozial engagierter Gruppen geplant werden, werden wir diese sicher gerne unterstützen“, teilt das Rathaus auf Nachfrage mit.

Wer das Geschehen allerdings aufmerksam verfolgt, kann interessante gruppendynamische Prozesse beobachten. „Schätzchen, ich trink nur Wein“ wimmelt die Anführerin einer Mädchen-Clique die jungen Leute von der Kirchen-Jugendgruppe ab und marschiert mit ihren sechs Freundinnen weiter. Lediglich die allerletzte in der Reihe dreht sich kurz um und greift doch noch zu den Armbändern, dann plötzlich auch die vorletzte und alle anderen – bis auf die Wortführerin. Die Polizei berichtet später von einem ruhigen Festwochenende. Welchen Beitrag der „grüne Mann“  und seine Begleiter dazu beitrugen, ist im Detail wohl nicht zu ermitteln.

Karsten Packeiser (epd)