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Neue Weichenstellung für Agrarentwicklung und Welternährung. Eine Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. Mai 2015

2.3 Die Klimakrise

Die Zukunft der Welternährung hängt wesentlich davon ab, ob es gelingt, den von Menschen verstärkten Klimawandel einzudämmen. Der Klimawandel entwickelt sich immer mehr zu einer der großen Herausforderungen für die menschliche Zivilisation. Vor allem durch die Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdgas und Erdöl, die Abholzung von Wäldern, die Degradierung von Vegetationsflächen und Böden sowie durch industrielle Abgase steigt die Konzentration von Kohlendioxid (CO2) und anderen Klimagasen in der Atmosphäre kontinuierlich an.

Gegenwärtig befinden wir uns auf einem Pfad, der die Welt bis zum Ende dieses Jahrhunderts vier Grad wärmer machen würde. Die Konsequenzen wären verheerend - vor allem für die Welternährung. Neben einem dramatischen Biodiversitätsverlust und dem Kollabieren maritimer und terrestrischer Ökosysteme drohen bei vielen Kulturpflanzen drastische Ertragseinbrüche durch Hitzestress. Aber nicht nur die Temperatur würde sich verändern - auch Niederschlag und Verdunstung würden sich zeitlich und räumlich stark verändern und Extremwetterereignisse wie Dürren, Überflutungen und Stürme an Häufigkeit und Intensität deutlich zunehmen. Die Bevölkerungstragfähigkeit der Erde, so warnen Fachleute, ginge deutlich zurück. Angesichts einer ansteigenden Weltbevölkerung würde dies auf eine Zunahme von Verteilungskonflikten, gewaltsamen Auseinandersetzungen um knappe Ressourcen und eine vermutlich dramatische Zunahme von Migration und Flucht hinauslaufen. Ein ungebremster Klimawandel bedroht die menschliche Sicherheit und das elementarste Menschenrecht - das Recht auf Leben.

2.3.1 Landwirtschaft und Klimawandel

Klimawandel und Welternährung sind wechselseitig miteinander verknüpft: Zum einen tragen sowohl die Landwirtschaft als auch bestimmte Ernährungsformen als Quelle von klimarelevanten Emissionen erheblich zur globalen Erwärmung bei. Zum anderen wird die Landwirtschaft durch den Klimawandel in vielfältiger Weise beeinträchtigt. Die Veränderung der agrarklimatischen sowie hydrologischen Rahmenbedingungen hat teilweise massive Auswirkungen auf Anbauprodukte, Sortenwahl, Fruchtfolgen, Produktionsmethoden und schließlich die Erträge. Dies zwingt die lokalen Agrarsysteme zur Anpassung an den Klimawandel mit zum Teil weit reichenden Konsequenzen.

Die Landwirtschaft kann einen wesentlichen Beitrag zur Minderung von Treibhausgasemissionen leisten. Voraussetzung dafür ist eine Transformation energieintensiver und monokulturell geprägter Landwirtschaftsmodelle hin zu biodiversitätsbezogenen und ökologischen Produktionsformen. Biologischer Landbau mit reduzierter Bodenbearbeitung und dem weitgehenden Verzicht auf Agrarchemie erhöht die Bodenfruchtbarkeit und die natürliche CO2-Speicherungsfähigkeit der Böden. Auch beim Düngemanagement, Bewässerungssystemen und innerhalb der Tierhaltung (besonders bei Rindern und Schweinen) gibt es weitere wirksame Maßnahmen zur Reduktion von klimarelevanten Emissionen. Vor allem Landnutzungsänderungen wie Grünlandumbruch, Entwässerung von Mooren oder das Abholzen von Wäldern, die meist mit großflächiger industrieller Bewirtschaftung verbunden sind, müssen verhindert werden, da sie lang anhaltende negative Klimawirkungen zur Folge haben.

Die ungleiche geografische Verteilung der agrar- und ernährungsbedingten Mitverantwortung für den Klimawandel und auch die Unterschiede in der Betroffenheit durch dessen Folgewirkungen werfen erhebliche Fragen darüber auf, wie eine gerechte Verteilung der Lasten, Risiken und Chancen bei Klimaschutz und Klimaanpassung aussehen sollte [22].

Klimawandel als Risiko für die Welternährung

Es besteht heute ein breiter wissenschaftlicher Konsens darüber, dass der Klimawandel eine wesentliche Gefährdung der Welternährung darstellt. Waren Wissenschaftler bis vor einigen Jahren noch zuversichtlich, dass Ernteeinbußen in den Tropen durch verbesserte Anbaubedingungen in höheren Breiten kompensiert werden könnten, geht der neueste Weltklimabericht (IPCC 2014) davon aus, dass weltweit mit Ernterückgängen gerechnet werden muss. Schon jetzt sind mehr negative als positive Effekte auf die landwirtschaftliche Produktion zu beobachten [23].

Eindeutige und sofortige Verlierer sind die Gebiete mit größerer Nähe zum Äquator und dort besonders die tropischen Gebiete sowie wechselfeuchte Regionen mit saisonaler Trockenheit. Dies umfasst in etwa das Gebiet zwischen 35 Grad nördlicher und südlicher Breite, was den amerikanischen Kontinent ab dem Süden der USA bis zum Norden Argentiniens einschließt; in Asien ganz Indien und große Teile Chinas sowie weite Teile Australiens und nahezu den gesamten afrikanischen Kontinent. In diesen Gebieten lebt der Großteil der Menschheit und hier liegen die ärmsten Länder der Welt. Besonders betroffen wären die Länder Afrikas südlich der Sahara sowie die dicht besiedelten Gebiete Asiens einschließlich der großen Flussdeltas (z. B. Indus, Mekong und Roter Fluss), in denen zudem ein steigender Meeresspiegel großen Anlass zur Sorge gibt [24]. In diesen Gebieten wird mit einem Ertragsrückgang schon bei einer relativ geringen Erwärmung um ein bis zwei Grad Celsius gerechnet. So könnten die Erträge bei Mais - einem Hauptnahrungsmittel in Afrika und Lateinamerika - um bis zu 40 Prozent zurückgehen. Doch bereits sehr viel geringere Ertragseinbußen sind für Regionen mit niedrigen Gesamterträgen fatal. In den genannten Gebieten kommt es bereits heute zu vermehrter Wasserknappheit für die Bewässerung, einer Zunahme extremer Wettererscheinungen, zu Problemen mit zusätzlichen Pflanzenschädlingen, -krankheiten und Tierseuchen, zu höheren abiotischen Stressfaktoren für Nutztiere und -pflanzen (z. B. Hitzeempfindlichkeit), zu einem Rückgang der Biodiversität, höheren Verdunstungsraten, Versauerung von Böden und dem Zusammenbruch von Fischbeständen in den Ozeanen [25]. Dürreschäden und Hochwasser werden sich in Zukunft noch häufen.

Ab einem globalen Temperaturanstieg von mehr als zwei Grad Celsius - so die Einschätzung des neuesten Klimaberichts der Vereinten Nationen (VN) - ist mit erheblichen negativen Folgen für die weltweite und regionale Ernährungssicherung auszugehen. Ab vier Grad Celsius sind die Schäden irreversibel und können auch mit Anpassungsmaßnahmen kaum noch ausgeglichen werden [26]. So projiziert der IPCC bis 2020, dass sich in einigen afrikanischen Ländern die Erträge aus der vom Regen abhängigen Landwirtschaft halbieren könnten. Die Konkurrenz um zunehmend knappe Naturressourcen lässt das Risiko von regionalen Konflikten ansteigen, die wiederum die Ernährungssicherheit gefährden. Die Anzahl der Umweltflüchtlinge wird außerdem ansteigen.

Besonders arme Menschen und hier explizit Frauen werden unter dem Klimawandel leiden. Sie leben häufig in und von der Natur und haben aufgrund ihrer Armut begrenzte Anpassungspotenziale, was sie besonders anfällig gegenüber Veränderungen macht. Rund 80 Prozent der Hungernden sind Bauern, Hirten, Fischer, Jäger, Sammler und indigene Völker [27].

Landwirtschaft als Quelle von Treibhausgasen

Die genaue Quantifizierung und Abgrenzung der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft ist schwierig. Nach gängiger Definition durch das IPCC wird unterschieden zwischen

  • Emissionen, die auf die eigentlichen Tätigkeiten der landwirtschaftlichen Produktion entfallen wie z. B. die Methan-Emissionen aus Viehwirtschaft und Reisanbau und die Stickoxid-Emissionen aus der Düngung;
  • Emissionen, die auf Landnutzungsänderungen sowie Entwaldung und forstwirtschaftliche Tätigkeiten entfallen; hierbei handelt es sich fast ausschließlich um Kohlendioxid-Emissionen.

Das IPCC schätzt, dass sich die großen CO2-Ströme aus den landwirtschaftlichen Flächen in die Atmosphäre mittels Photosynthese fast komplett wieder in den Nutzpflanzen rückbinden. Da aber Methan (48 Prozent der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen) 56-mal klimawirksamer ist als CO2 und zwanzig Jahre in der Atmosphäre wirksam bleibt, und Distickstoffoxid (52 Prozent) 170-mal wirksamer ist als CO2 und 500 Jahre in der Atmosphäre verbleibt, müssen diese Klimagase ebenfalls berücksichtigt werden. Hierzu werden diese Treibhausgase in sog. CO2-Äquivalente umgerechnet.

Der Anteil der Treibhausgas-Emissionen, der direkt der landwirtschaftlichen Tätigkeit entstammt, variiert regional sehr stark. In Europa sind dies 9 Prozent, was zusammen mit der landwirtschaftlich bedingten Landnutzungsänderung rund 10 - 12 Prozent aller Treibhausgase ausmachen dürfte. In den Tropen stammen die meisten Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft. Im globalen Mittel entfallen 10 - 15 Prozent der Emissionen direkt auf die Landwirtschaft. Rechnet man die Emissionen aus Landnutzungsänderungen und Entwaldung hinzu, steigt der Anteil auf knapp über 30 Prozent.

In Deutschland ist die Landwirtschaft für 7 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich, d. h. für rund 67 Mio. t CO2-Äquivalente im Jahr 2010. 2010 stammten ca. 54 Prozent der gesamten Methan-Emissionen und ca. 75 Prozent der Distickstoffoxid-Emissionen aus dem Landwirtschaftssektor [28].

2.3.4 Klimagerechtigkeit bei der Lasten-, Risiko- und Chancenverteilung

Was ist Klimagerechtigkeit? In der Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) sind das Prinzip der »Angemessenheit (ambitionierten Handelns)« sowie das Prinzip der »gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung bei unterschiedlicher Leistungsfähigkeit« die zentralen Referenzpunkte. Demnach sind insbesondere die Industriestaaten in einer besonderen, historisch nach dem Verursacherprinzip begründbaren Verantwortung, neben der Festsetzung angemessener nationaler Emissionsminderungsziele auch Technologien und Finanzmittel für Klimaschutz und Klimaanpassung in Entwicklungsländern bereitzustellen. Da inzwischen über 50 Prozent der globalen Emissionen auf Nicht-OECD-Länder entfallen, wären auch eine ganze Reihe anderer Staaten - so etwa Brasilien, China, Indonesien, Mexiko, Saudi-Arabien oder Südkorea - in der Pflicht, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. In der Klimarahmenkonvention ist diese Verpflichtung für Schwellen- und Entwicklungsländer jedoch nicht kodifiziert. Die Frage einer gerechten Lasten-, Risiko- und Chancenverteilung bei Klimaschutz und Klimaanpassung ist daher eine wesentliche Schlüsselfrage. Der Abschluss eines angemessen ambitionierten und verbindlichen Klimaabkommens ist kaum vorstellbar, ohne dass zuvor Fortschritte bei der Beantwortung der Gerechtigkeitsfrage gemacht worden wären.

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP hat verschiedene Szenarien zur Halbierung der weltweiten CO2-Emissionen bis 2050 entwickelt. Laut UNEP müssten zwischen 2010 und 2050 jährlich 1,0 - 2,5 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts (BIP) in Klimaschutzmaßnahmen investiert werden, um die Halbierung erreichen zu können [29].

In den Entwicklungsländern würde der Kostenanteil gemessen am BIP jedoch deutlich höher liegen als in den Industrienationen. Jede auch noch so effektive Klimaschutzpolitik zeigt erst langfristig Wirkung, die Kosten fallen aber sofort an. Das macht es für die Politik überall auf der Welt sehr schwer, Wirtschaft und Bevölkerung davon zu überzeugen, dass kostspieliger Klimaschutz dennoch erforderlich ist, auch wenn er sich erst in der Zukunft auszahlt.

Es sind im Wesentlichen die ärmsten Länder und dort vor allem die ärmsten Bevölkerungsgruppen, die mit den größten Klimarisiken konfrontiert werden, die größten Lasten der Anpassung tragen und doch gleichzeitig in ihren Möglichkeiten der Finanzierung und technischen Umsetzung solcher Maßnahmen am stärksten limitiert sind. Das macht sie besonders verwundbar und somit menschenrechtlich zu besonderen Anspruchsträgern mit dem Anrecht auf Unterstützung durch die Staatengemeinschaft.

Kurz gesagt: Eine einfache Unterteilung der Welt in »den Norden« als »Klimasünder« und »den Süden« als »Klimaopfer« wird der komplexen Wirklichkeit nicht gerecht. Als guter Maßstab kann hingegen der Grundsatz herangezogen werden, dass allen Menschen sowie künftigen Generationen das gleiche Anrecht auf Zugang zu nachhaltiger Entwicklung in den planetarischen Grenzen [30] zusteht. Daraus lässt sich ableiten, dass jedem Menschen auf der Erde in etwa die gleichen Nutzungsrechte an der Atmosphäre zustehen und dass es eine gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung zur Vermeidung der globalen Erwärmung gibt [31].

So sind etwa auf einer kleinen Insel mit geringer Bevölkerung und fernab des nächsten Kontinents aufgrund der höheren Transportaufwendungen durchaus höhere Pro-Kopf-Emissionen erforderlich, um die gleichen Wohlfahrtseffekte zu erzielen wie etwa im dicht besiedelten Dänemark.

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