Predigt im Open-Air-Gottesdienst auf der Wartburg Eisenach

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD

Es gilt das gesprochene Wort 

Mt 28,18-20

Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

„...und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Liebe Gemeinde hier auf der Wartburg, es ist eine ungeheure Zusage, die in diesem Satz aus dem Ende des Matthäusevangeliums steckt. Diese Zusage zu hören, das ist vielleicht das Wichtigste überhaupt, wenn wir in diesem Jahr in Deutschland und auf der ganzen Welt an die Impulse der Reformation vor 500 Jahren denken. Es ist das Wichtigste, wenn wir in diesen Tagen hier in Eisenach an Martin Luther denken, für den diese Stadt und die Wartburg, auf der wir heute Gottesdienst feiern, von so zentraler Bedeutung war. Ich kann mir vorstellen, dass es genau diese Zusage war, die ihn auf dem Reichstag zu Worms überhaupt innerlich am Leben gehalten hat. Dass es diese Zusage war, die ihm den Mut gegeben hat, vor dem Kaiser und den höchsten Autoritäten des Reiches seinen Überzeugungen treu zu bleiben und damit Kopf und Kragen zu riskieren. Aber ich kann mir auch vorstellen, wie er das als Bewahrheitung dieser Zusage empfunden hat, was dann passiert ist: die vorgetäuschte Entführung auf dem Weg zurück von Worms und die sichere Zuflucht, die er hier auf der Wartburg gefunden hat.

Bis heute gibt dieser Satz vielen Menschen Kraft und Zuversicht – gerade auch in schweren Zeiten. Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende – das sagt einer, von dem wir sagen, dass er Gottes Sohn ist. Das sagt derjenige, in dem Gott selbst auf Erden sichtbar geworden ist. Das sagt einer, der den Foltertod am Kreuz gestorben und dann auferstanden ist, der den Tod besiegt hat.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass dieser Satz so etwas ist wie das Vermächtnis Jesu. Es ist der letzte Satz im Matthäusevangelium, das von Jesu Leben, Sterben und Auferstehen berichtet. Nach all dem, was in Jerusalem passiert ist, sind die Jünger noch immer voll von einer Mischung aus Erschrecken, aus Hoffnung, aus ungläubigem Staunen. Sie können das kaum glauben, was die Frauen ihnen berichtet haben, dass Jesus auferstanden sei und dass sie nach Galiläa gehen sollten, um ihn zu sehen. In all ihrer Verunsicherung machen sie sich auf und gehen hin nach Galiläa. Und sie sehen Jesus. Er steht auf einem Berg und sagt nun nur noch jene Worte: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Mit diesem Satz endet das Matthäusevangelium und dieser Satz ist wahrscheinlich einer der berühmtesten und folgenreichsten Sätze der ganzen Bibel. Die beiden Namen, die diesem Satz im Laufe der Geschichte gegeben wurden, drücken aus, warum dieser Satz so folgenreich gewesen ist: wir nennen ihn den „Taufbefehl“. Und wir nennen ihn den „Missionsbefehl“ Jesu. Und diese beiden Worte umreißen auch schon die ganze Fülle menschlicher Versuche, auf diesen Satz zu antworten, die wir in der Geschichte der letzten beiden Jahrtausende erlebt haben. Versuche, die das wirklich haben spürbar werden lassen und in alle Welt ausgerichtet haben, dass Christus bei uns ist alle Tage. Und Versuche, die sich am Ende als schreckliche Irrtümer herausgestellt haben.

„Mission“ – das ist nach 2000 Jahren Christentum für viele Menschen kein positiv besetzter Begriff mehr. Mit dem Begriff „Mission“ verbinden viele zuallererst Intoleranz, Absolutheitsanspruch, Zwangsbekehrung und eben auch blutige Gewalt. Es ist inzwischen so oft in Büchern und Filmen über das Christentum dargestellt worden, dass man es nicht im Einzelnen schildern muss. Aber in Zeiten, in denen im Namen der Religion des Islam überall auf der Welt brutale Morde verübt werden und manche deswegen das sogenannte „christliche Abendland“ islamfrei machen wollen, muss es vielleicht doch immer wieder in Erinnerung gerufen werden: Im Namen der Kirche, im Namen des Christentums ist bitteres Unrecht geschehen. Allein 20 Millionen amerikanische Ureinwohner sind seit dem 16. Jahrhundert von Menschen ermordet worden, die das Zeichen des Kreuzes trugen und allzu oft sogar wirklich der Meinung waren, sie dienten mit ihrer gewaltsamen Bekämpfung anderer religiöser Traditionen der Sache Jesu. Fürchterlicher konnten sie nicht irren.

Denn Jesus war wirklich da, als sie wehrlose Menschen im Zeichen der Mission umbrachten. Aber er war da auf Seiten der Opfer. Er ist selbst von denen, die in seinem Namen zu handeln meinten, einmal mehr umgebracht worden. Mission – das haben wir heute glücklicherweise gelernt – Mission ist etwas völlig anderes. Und wir müssen nur noch einmal auf die Worte Jesu schauen, um das zu verstehen. „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Gehet hin und lehret alle Völker... lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe...“

Was ist es denn, was Jesus uns geboten hat und was wir lehren sollen? Jesus hat uns ganz bestimmt nicht Gewalt geboten, sondern im Gegenteil, die Liebe gegenüber den Feinden, den Segen gegenüber denen, die uns fluchen! Jesus hat uns ganz bestimmt nicht die religiöse Selbstgerechtigkeit geboten, die sich selbst immer auf der Seite der Guten und Erleuchteten und die anderen immer auf der Seite der Bösen, vom Satan Besessenen sieht. Sondern den nüchternen Blick auf die eigenen Defizite und die Bereitschaft, zuerst auf den Balken im eigenen Auge zu schauen, bevor wir auf den Splitter im Auge des anderen sehen. Jesus hat uns ganz bestimmt nicht die Verabsolutierung des eigenen Denkens geboten, sondern von Gott erzählt, der viel größer ist, als alle unsere begrenzten menschlichen Kategorien erfassen können.

Weil das so ist, deswegen heißt Mission heute, von einem Gott zu erzählen, der die Gewalt verabscheut und das Leben liebt, der die Schwachen schützt, der Schuld vergeben kann, der auch in den schwersten Stunden die Tür in die Zukunft öffnen kann, dessen Liebe stärker ist als alle Grenzen, die Menschen aufrichten und auch stärker als die letzte Grenze, die der Tod aufrichten will. Von diesem Gott zu erzählen, in der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen zu leben, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein, das ist Mission. Und deswegen ist Mission eine völlig unverzichtbare Dimension der Kirche und des Christseins. Ob andere Menschen die Botschaft von diesem menschenfreundlichen Gott hören, dürfen wir getrost in Gottes Hand legen. Von dieser Menschenfreundlichkeit aber gar nicht zu reden, wäre unverantwortlich.

„Lehret alle Völker“ - Wir haben es bei diesen Worten mit der wohl umstrittensten Neuerung in der gerade erschienenen Revision der Lutherbibel zu tun. Vorher stand da: „machet zu Jüngern alle Völker“. Jetzt sind wir wieder zurückgekehrt zur Originalübersetzung Martin Luthers, die hier auf der Wartburg entstanden ist und die auch dem griechischen Urtext am besten gerecht wird: „Lehret alle Völker“. Manche machen sich jetzt Sorgen, dass durch diese neue Übersetzung, die ja eigentlich die alte ist, die Bedeutung der Mission geschmälert wird.

Das Gegenteil ist der Fall. Jedenfalls wer der Ausstrahlungskraft der Botschaft Jesu etwas zutraut, wird sich keine Sorgen machen müssen, dass das „Lehren“ dieser Botschaft verpufft. Diese Botschaft ist so stark, dass es nur an uns manchmal recht schwachen Botschaftern liegen kann, wenn sie kein Echo findet. Deswegen ist es so wichtig, dass es auch den anderen Teil des Satzes Jesu aus dem Matthäusevangelium gibt, der der Zugehörigkeit zu Christus auch ein äußeres Zeichen gibt: „Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes... Und siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Dass diese Zusage in der Taufe gleichsam in die Biographie eines Menschen hineingeschrieben ist, das ist etwas sehr Schönes. Denn wir, die wir getauft sind, haben damit einen Anker im Leben, den uns niemand mehr nehmen kann. Gerade weil niemand von uns gegen Zweifel gefeit ist. Gerade weil unser Leben bedroht ist. Gerade weil wir am Ende eben nicht auf uns selbst vertrauen können, gerade deswegen tut es so gut, zu wissen: Ich bin getauft. Und in der Taufe sagt Gott ein Ja zu mir, das niemand mehr aufheben kann und an dem ich mich einfach festhalten kann.

Von alledem wüssten wir hier auf der Wartburg im Jahr 2017 überhaupt nichts, wenn nicht damals die Menschen, die Jesu Worte hörten, sie sich zu Herzen genommen hätten: „Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehrte sie halten alles, was ich euch geboten habe...“ Weil wir ohne diese Worte überhaupt nichts von Gott wüssten und der Kraft, die unser Leben hält, deswegen sind diese Sätze für uns zu Heilssätzen geworden. Getauft sein, auf Gottes Gebote hören und in guten wie in schweren Stunden wissen, dass Christus bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende, das ist die Aussicht, die die Worte Jesu am Ende des Matthäusevangeliums eröffnen.

Im Deutschland des Jahres 2017, 500 Jahre nach der Reformation, diese Worte zu hören, heißt – so wie Martin Luther - neu auf Christus zu schauen. Es heißt sich zu freuen an der evangelischen Tradition mit ihrem Priestertum aller Getauften und der mühsam genug errungenen Frauenordination. Und es heißt, durch diese Tradition hindurch in einer Suchbewegung zusammen mit den anderen christlichen Konfessionen Christus selbst neu zu entdecken. Es heißt, die radikale Liebe zu den Menschen, die in Christus sichtbar geworden ist, in unser Herz zu lassen. Und diese Liebe im Verhältnis zu den Mitmenschen selbst auszustrahlen. Es heißt den Armen, den Ausgegrenzten, den Verfolgten zur Seite zu stehen und sich nie und nimmer mit einer Welt abzufinden, in der Gewalt gegen Mensch und außermenschliche Natur an der Tagesordnung ist. Es heißt sich einzumischen, wo die Mission Gottes, wo das Sichtbarwerden des Reiches Gottes, mit Füßen getreten wird.

Und es heißt, wie Martin Luther hier auf der Wartburg, radikal aus der Hoffnung zu leben. Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Eine schönere Aussicht für unser Leben, liebe Gemeinde, kann es nicht geben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN