Unser tägliches Brot gib uns heute

Neue Weichenstellung für Agrarentwicklung und Welternährung. Eine Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. Mai 2015

4.3 Umweltpolitik

4.3.1 Erhaltung der Ökosysteme

Obwohl die moderne Landwirtschaft die Erträge gesteigert hat, ist der Hunger nicht besiegt. Die fortschreitende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet die Ernährungssicherung zukünftiger Generationen. Die Menschheit steht heute vor einer doppelten Herausforderung: Neben der Verbesserung der Agrarerträge und ihrer gerechteren Verteilung muss es auch gleichrangig und gleichzeitig um die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit gehen.

Die fortschreitende Degradation und Erosion von Böden auf der ganzen Welt, der Verlust an Biodiversität, die Verschwendung von Süßwasserreserven, die Klimaveränderung und der verschwenderische Verbrauch begrenzter Ressourcen wie z. B. Phosphor zeigen deutlich Grenzen für das bisherige Wachstumsparadigma der industriellen Landwirtschaft auf. Agrarumweltpolitik beinhaltet aber auch die Suche nach ökologischeren Wegen der Bewirtschaftung der Naturressourcen. Überkommene traditionelle Methoden der Landwirtschaft haben durchaus ihren Anteil an dem Raubbau und der Aufrechterhaltung der Armut auf dem Lande; insofern sind auch sie für eine ökologische Agrarwende ins Visier zu nehmen.

Soll vom Raubbau auf Nachhaltigkeit umgeschaltet werden, stellt sich die Frage nach den steuernden Instrumenten einer Agro-Umweltpolitik. Dabei ist die Kontroverse weniger auf der Zielebene zu finden. Alle ernsthaften Agrarexperten sprechen von der Notwendigkeit der Koexistenz einer Vielzahl von umweltgerechten Landbaumethoden, von einer Art Mosaik einer vielseitigen Landwirtschaft. Das schließt die konsequente Minimierung von energieintensiven und extern zugekauften Inputs durch ihren sparsamen selektiven Gebrauch mit Hilfe intelligenter Steuerungsmechanismen ein. Agrarexperten plädieren dafür, in widerstandsfähige lokale und kleinbäuerliche Systeme zu investieren, damit traditionelles und wissenschaftliches Wissen miteinander in einen fruchtbaren Dialog treten und die Emission von Klimagasen in die Luft und der Eintrag schädlicher Stoffe in die Böden und in das Grund- und Oberflächenwasser verhindert wird.

Umweltpolitik ist ein Querschnittsthema. Deswegen wäre es wichtig, dass Länder eine Umweltstrategie für ihre Landwirtschaft entwerfen, die Orientierung auch für alle anderen Politikbereiche, wie z. B. die Handels-, Finanz-, Forst-, Forschungs-, Verkehrs-, Gesundheits- und Regionalpolitik, gibt. Umgekehrt müssen die Agrarumweltanliegen, die Anliegen der Erhaltung der natürlichen Ressourcen, der Biodiversität in die Prozesse aller Politiken auf höchster Ebene einfließen.

Es herrscht weitgehender Konsens darüber, dass eine breite Mischung an politischen Steuerungsinstrumenten zum Einsatz kommen muss. Grundprinzip ist die Internalisierung der externen Kosten und Ersparnisse, d. h. Umweltsteuern als Bestrafung umweltschädlicher Maßnahmen, Subventionen für spezielle Umweltleistungen, reguliertes Fachrecht als Vorgabe für eine »gute fachliche Praxis« und Umweltzertifikate für Emissionshandel bei Luft- und Wasserverunreinigung. Aber alle Bemühungen machen nur Sinn, wenn die privaten und öffentlichen Investitionen in eine global umweltgerechte Landwirtschaft massiv erhöht werden. Sowohl die Agraretats der Entwicklungsländer, die bilaterale und multilaterale Entwicklungshilfe für ländliche Entwicklung als auch die Direktinvestitionen der Privatwirtschaft müssen aufgestockt werden.

Für die Ernährungssicherung ist eine breite biologische Vielfalt an Nutzpflanzensorten und Nutztierrassen für die Zucht von großer Bedeutung. Seit Jahren wird diese Vielfalt jedoch immer stärker eingeschränkt. Hierzu haben verschiedene Regime zum Schutz geistigen Eigentums maßgeblich beigetragen. Dies gilt insbesondere für das Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) und verschiedene Regularien für die Anwendung des Patentregimes auf Pflanzen und Tiere. Ziel dieser internationalen Abkommen ist es zum einen, die Züchter für ihre Leistung angemessen zu honorieren, zum anderen aber auch eine definierte Qualität des Züchtungsprodukts sicherzustellen. So wird bei Pflanzen auf Homogenität großer Wert gelegt. Für eine stark industrialisierte Landwirtschaft mag dies Vorteile mit sich bringen. Diskriminiert werden jedoch die informellen Systeme der traditionellen Saatzüchtung und des Saatgutverkehrs, die für die Masse der Bauern und Bäuerinnen insbesondere in Entwicklungsländern überlebensnotwendig sind. Es ist dieser Saatgutbereich, der bisher die Grundlage der Ernährungssicherung vieler Länder gewährleistet. Das zertifizierte und patentierte Saatgut verdrängt das traditionelle Saatgut von den Märkten, sodass wichtige Bestandteile des globalen Genpools für immer verschwinden. Das geschieht, obwohl die FAO das Konzept von »Farmers' Rights« und der WTO-TRIPS-Vertrag unter der Ausnahme »sui generis« explizit anerkennen, dass das Saatgutrecht der Industriestaaten eine Anpassung an semi-subsistenzähnliche Agrarsysteme des Südens notwendig machen könnte [105].

4.3.2 Empfehlungen zu den umweltpolitischen Rahmenbedingungen der Agrarpolitik

  • Um die Ernährung der Menschen auch in Zukunft zu sichern, ist ein Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und einer umweltverträglichen Ernährungsweise erforderlich. Der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen muss Einhalt geboten werden. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Erhalt der Bodenfruchtbarkeit zu. Der Degradation und Erosion von Böden weltweit muss entgegengewirkt werden. Der Klimawandel muss aufgehalten werden.
  • Einem agrar-ökologischen Systemansatz kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Zentrale Bereiche sind nachhaltige Bodenbewirtschaftungsformen, biologischer und systemischer Pflanzenschutz, Integration der Tierhaltung in den Ackerbau, Fruchtwechsel und Zwischenfrüchte, Verbesserung des traditionellen Saatguts und effizienterer und sparsamerer Umgang mit der kostbaren Ressource Wasser.
  • Die Umweltfreundlichkeit der Agrarproduktion muss mit einer Ertragssteigerung zusammengehen. Die Bedürfnisse von Kleinbäuerinnen und -bauern sind zu berücksichtigen, vor allem durch gesicherte Landrechte für die Erzeuger, Mikrokredite und staatliche Vorgaben für Konzepte der kollektiven und betriebsindividuellen Verbesserung der Landnutzung.
  • Die Investitionen in die landwirtschaftliche Forschung und Entwicklung müssen erheblich gesteigert werden. Ein wesentlicher Aspekt ist auch die Beratung von Bäuerinnen und Bauern zu angepassten Landbewirtschaftungsmethoden, die das traditionelle Wissen einbezieht und eine starke Partizipation der Landbevölkerung ermöglicht.
  • Die internationale Gemeinschaft muss darauf achten, dass von ihren Standards und gesetzlichen Rahmenbedingungen keine hemmenden Wirkungen für die Agrarwende des Südens ausgehen.
  • Die natürliche biologische Vielfalt sowie die Agrobiodiversität müssen erhalten bleiben, damit für die zukünftige Züchtung ein vielfältiger Genpool zur Verfügung steht. Monopolisierungstendenzen auf dem Saatgut- und Tierzuchtmarkt gefährden die Biodiversität und sollten reguliert werden.
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