Unser tägliches Brot gib uns heute

Neue Weichenstellung für Agrarentwicklung und Welternährung. Eine Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. Mai 2015

5.5 Konsumentinnen und Konsumenten

5.5.1 Nachhaltiger Konsum

Es ist umstritten, in welchem Maß Konsumentinnen und Konsumenten mit ihrem Nachfrageverhalten die Produktion und die Politik bestimmen. Für die einen gelten sie als Schlüsselakteure der Marktveränderung. Mittels einer »Politik mit dem Einkaufskorb« könne gezielt Einfluss auf Nahrungsmittel-Angebot und -Produktionsbedingungen genommen werden. Der Markt reagiere sensibel auf Kundenwünsche und werde sich entsprechend anpassen. So gab es z. B. noch vor wenigen Jahren keine Zertifizierungen für artgerechte Tierhaltung, keine faire Milch aus Deutschland und kein Angebot von öko-fairen Produkten im Supermarkt. Die Ablehnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln ist ein weiteres gutes Beispiel. Das Angebot von gentechnikfreien Nahrungsmitteln und eine entsprechende Politik wurden erst durch den Druck der Nachfrageseite in Gang gesetzt. Es ist zu erwarten, dass die Erwartungshaltung von Verbraucherinnen und Verbrauchern an Produktion und Handel steigen wird. Letztlich, so die Vertreter dieser Position, müssten Unternehmen spüren, dass sie nur durch ein sozial und ökologisch verantwortliches unternehmerisches Handeln ihren Absatz sichern können.

Für andere gilt umgekehrt: Erst durch ein entsprechendes »Angebot« entsteht bei vielen Konsumenten und Konsumentinnen das Bewusstsein für alternative Konsummöglichkeiten. Ein Beispiel dafür, wie Angebot und Werbung eine Nachfrage schaffen können, sind die so genannten »funktionellen Nahrungsmittel«, die mit zusätzlichen Inhaltsstoffen wie Vitaminen, Mineralien oder Bakterienkulturen angereichert sind und mit einem positiven Effekt auf die Gesundheit werben. Die Entwicklung und das Angebot dieser funktionellen Lebensmittel weckten erst Konsumentenwünsche. Übertragen auf den Bereich nachhaltiger Nahrungsmittel könnte man sagen, dass das Angebot von öko-fairer Ware im Einzelhandel und die gezielte und groß angelegte Werbung dafür wesentliche Voraussetzungen sind, damit auch dem nachhaltigen Konsum bislang fern stehende Kunden und Kundinnen nach diesen Produkten greifen.

Vermutlich sind Konsum/Nachfrage und Produktion/Angebot zwei Seiten derselben Medaille. Das eine geht nicht ohne das andere. Die Verantwortung tragen Konsumenten, Produzenten und Händler gleichermaßen und beeinflussen sich gegenseitig. Schwieriger wird es, wenn der Konsum generell zurückgefahren werden soll. Denn Konsum-Verzicht wird auf individueller Ebene als Eingriff in die Privatsphäre und Angriff auf die Lebensqualität begriffen, und auf Makro-Ebene kann Nicht-Konsum das Wirtschaftswachstum gefährden.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird deutlich, warum das Ausmaß der Wirkung der »Politik mit dem Einkaufskorb« so uneinheitlich beurteilt wird. Sicher ist aber, dass erst ein breiter gesellschaftlicher Konsens zu nachhaltigem Konsum entsprechende Entscheidungen auf politischer und unternehmerischer Ebene ermöglicht.

Nachhaltiger Konsum ist nicht nur ein Thema der Verbraucherschaft und der Lebensmittelindustrie, sondern auch eine Herausforderung für die Politik. Sie muss Aspekte wie Verbraucher- und Umweltschutz, grenzüberschreitende Verantwortung, Suffizienz, Energieeffizienz, globale Gerechtigkeit und Klimabelastung berücksichtigen und in Regeln und Standards umsetzen. So formulierte es auch der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung von 2004: »Die Verbraucherpolitik der Bundesregierung zielt darauf ab, die Verbraucher zu befähigen, im Rahmen ihrer Konsumentscheidungen auch ökologische, soziale und ethische Aspekte mit zu berücksichtigen. [...] [So] sollen Verbraucherinnen und Verbraucher am Markt Produktalternativen finden, die es ihnen erlauben, ihren Haushalt nach den Kriterien einer nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Dazu müssen Waren und Dienstleistungen, die den Kriterien einer nachhaltigen Wirtschaftsweise entsprechen, angeboten werden und als solche erkennbar sein. Die Anforderungen an eine entsprechende Informationspolitik und auch Informationsgestaltungspolitik sind jedoch keineswegs trivial.« [147] Der Begriff des »nachhaltigen Konsums« impliziert einen Qualitätsbegriff, der auf dem Gebiet der Nahrungsmittel neben den Inhaltsstoffen, dem Aussehen und dem Geschmack weitere Merkmale der vor- und nachgelagerten Prozesse der Rohstoffwahl, der Herstellung und der Entsorgung umfasst. Dabei geht es neben der ökologischen Dimension auch um soziale Fragen, wie z. B. menschenwürdige und gesunde Arbeitsbedingungen sowie eine gerechte Bezahlung. Ein nachhaltiger Konsum sollte demnach umweltverträglich, zukunftsfähig, sozial fair und gesund sein, und er sollte die Ernährung der Armen auf der Welt nicht belasten, sondern gewährleisten.

Dieser neue Ernährungsstil kann mit den Schlagworten »Weniger-anders-besser« zusammengefasst werden: »Weniger« bedeutet eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs. Dies beginnt bereits bei der sorgfältigen Planung des eigenen Bedarfs, damit nicht große Mengen Lebensmittel im Müll landen. Ein wichtiger Hebel, um eine nachhaltige Konsumwende zu erreichen, ist aber auch die Reduzierung des Konsums von Fleisch-, Wurst- und Milchprodukten. Weniger Fleischkonsum ermöglicht eine geringere Klimabelastung und weniger Ressourceneinsatz von Ackerflächen, die für den Futtermittelanbau benötigt werden, von Getreide, das den Tieren zugefüttert wird, und von Wasser und Energie (vgl. Kap. 4). »Weniger« kann sich aber auch auf den Energieaufwand beziehen: Weniger verpackte Ware, weniger lange Einkaufsund Transportwege, weniger Energieaufwand für die Herstellung und Lagerung von Fertigprodukten.

»Anders« bedeutet, Lebensmittel nicht nur aufgrund ihres Preises oder aufgrund von lieb gewonnenen Routinen auszuwählen, sondern auch Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen und bewusst entsprechende Produkte einzukaufen: ökologisch produzierte Lebensmittel sowie Produkte aus der Region entsprechend den Jahreszeiten. »Anders« beinhaltet nicht zuletzt auch den Konsum von Produkten aus dem fairen Handel. Dies dient direkt auch der Ernährungssicherung der Armen: Der faire Handel sichert bessere Handelsbedingungen sowie faire Preise bzw. faire Bezahlung für Produzentinnen und Produzenten, Arbeiterinnen und Arbeiter, Bäuerinnen und Bauern und achtet auf die Einhaltung ihrer sozialen Rechte.

»Besser« bedeutet ein Mehr an Genuss und Gesundheit, zum Beispiel, wenn auf die Qualität des Fleisches und die Herstellungsbedingungen geachtet wird. Es kann aber auch die Wiederentdeckung der regionalen Küche mit vielfältigen heimischen pflanzlichen und tierischen Produkten und deren lokaler Produktion sein, ein Ziel, das auch die Slow Food-Bewegung verfolgt. Mit einer höheren Wertschätzung der Nahrungsmittel kann sich auch eine andere Esskultur etablieren.

Noch sind nachhaltige Nahrungsmittel Nischenprodukte, doch die Zuwächse sind beachtlich. So wuchs der europäische Markt für Bioprodukte in den vergangenen Jahren mehrfach im zweistelligen Bereich. Ähnliches gilt für Produkte aus dem fairen Handel. Viele Studien zeigen, dass unabhängig von Alter, Familienstand und Einkommen dem Thema gesunder und ethischer Ernährung eine hohe Wichtigkeit beigemessen wird. Nach einer repräsentativen Umfrage 2013 liegt der Biokonsum von Deutschen, die häufig bzw. ausschließlich Biolebensmittel kaufen, bei 22 Prozent [148].

Untersuchungen zufolge sind etwa fünfzehn bis zwanzig Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten bereit, mehr Geld für nachhaltige Produkte auszugeben [149]. Doch die Einsicht in die Notwendigkeit, das eigene Konsumverhalten zu verändern, wird nicht unbedingt in ein entsprechendes Kaufverhalten umgesetzt. Die große Mehrheit der Bevölkerung konsumiert noch immer weit entfernt von einem Leitbild, das als nachhaltig gelten kann. Ein wesentlicher Entscheidungsfaktor ist natürlich der Preis. Umfragen zufolge ist die Mehrzahlungsbereitschaft für Lebensmittel in ökologischer Qualität gegenüber solchen in konventioneller Qualität gering und beträgt 10 bis 20 Prozent [150] Allerdings ist es bemerkenswert, dass die Kombination »bio« und »aus der Region« von insgesamt 77 Prozent aller im Rahmen einer Studie Befragten bevorzugt wird [151]. Zu beachten ist aber auch, dass 15 Prozent der Deutschen armutsgefährdet sind und sich ohnehin nur schwer ausreichend und gesund ernähren können. So deckt der nachhaltige Konsum letztlich immer noch nur einen kleinen Marktanteil ab. Ein Indikator dafür ist der Bio-Anteil am gesamten Lebensmittelmarkt: Er betrug im Jahr 2013 nur 3,9 Prozent [152].

Dass die höheren Kosten nicht unbedingt zu einer teureren Ernährung führen, legen verschiedene Berechnungen dar - nicht zuletzt auch die Erfahrungen der Evangelischen Akademie Bad Boll. Sie zeigen auf, dass diese Preisdifferenz durch sparsames Wirtschaften und einen höheren Anteil unverarbeiteter Nahrungsmittel bzw. weniger Fleisch nahezu aufgewogen werden kann. Zudem geben die Deutschen durchschnittlich nur 11,7 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Ernährung aus [153]. Dieser international wie historisch gesehen niedrige Prozentsatz spiegelt die eher niedrige Wertschätzung für Lebensmittel hierzulande wider. Wenn alle Menschen, die es sich leisten könnten, nachhaltige Produkte kaufen würden, wäre schon ein großer Schritt nach vorne getan.

Es ist jedoch keine einfache Aufgabe, sich über ökologische, faire und gesunde Lebensmittel zu informieren [154]. Relativ leicht nachzuvollziehen sind die unmittelbaren Wirkungen des Konsums auf die örtliche Landwirtschaft. Ein regionaler Einkauf stärkt die ländlichen Räume vor Ort und die Vielfalt der Kulturlandschaften, die sonst eventuell aufgrund des internationalen Wettbewerbs gefährdet würden. Allerdings steht das Prädikat »regional« bei unterschiedlichen Unternehmen für unterschiedliche geografische Reichweiten - mitunter bundesweit. Bei weiteren Kriterien wie Umweltschutz und Tierwohl, der Vermeidung von Kinderarbeit, Klimaneutralität und fairen Preisen ist es weitaus komplizierter, sich zu informieren. Kaufentscheidungen setzen glaubwürdige Verbraucherkommunikation und die Vergleichbarkeit von Produkten und Unternehmenskonzepten voraus. Bis dato gibt es kein Label und keine Zertifizierung für nachhaltige Nahrungsmittel, die alle verschiedenen Kriterien berücksichtigen. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher fühlen sich von der Komplexität der Thematik, aber auch von der Vielzahl an Siegeln überfordert.

5.5.2 Empfehlungen zum Konsumverhalten

Es bedarf einer grundlegenden Veränderung unseres Konsumverhaltens. Verbraucherinnen und Verbraucher können entscheidend dazu beitragen, schädliche Auswirkungen ihres Konsums auf Mensch und Umwelt zu verringern. Selbst kleine Schritte zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs sind wertvoll und senden die richtigen Signale an Unternehmen und politische Entscheidungsträger. Damit eine Entwicklung in Richtung nachhaltiger Ernährung gelingen kann, müssen jedoch alle Akteure ihren Beitrag leisten:

  • Verbraucherinnen und Verbraucher können durch verantwortungsvollen Konsum und eine nachhaltige, gesunde Ernährungsweise dazu beitragen. Insbesondere ist ein verringerter Konsum von Fleisch- und Milchprodukten anzustreben. Durch den Kauf von saisonalen Lebensmitteln aus der Region wird ein Beitrag für die heimische Landwirtschaft geleistet und klimaschädlicher Transport verringert. Ebenso kann durch eine sorgfältigere Planung des Bedarfs das Wegwerfen von Lebensmitteln drastisch reduziert werden.
  • Eine nachhaltige Ernährungsweise sollte durch Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit gefördert werden. Dabei ist neben den sozial-, umwelt-, agrar-, handels- und klimapolitischen Zusammenhängen auch auf Gesundheitsaspekte hinzuweisen. Bildungsprojekte und Kampagnen, die von Regierung, Umwelt-, Verbraucher-, Bauern- und Entwicklungsorganisationen gemeinsam durchgeführt werden, können dazu beitragen, einen Entwicklungsprozess hin zu zukunftsfähigem Konsum in Gang zu setzen [155].
  • Im Sinne eines zukunftsfähigen und gesunden Ernährungsmodells gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf, beispielsweise dazu, wie Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Erkenntnisse auch in konkretes Alltagsverhalten umsetzen können.
  • Von der Politik ist zu fordern, dass sie die öffentlichen Beschaffungen der Kommunen, der Gebietskörperschaften und des Staates entsprechend ausrichtet. Diese allein machen 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (für alle Konsumbereiche) aus. Eine Kopplung der Vergabe öffentlicher Aufträge an die Einhaltung höchster ökologischer Standards hätte bereits eine rasche und erhebliche Wirkung.
  • Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher leichter erkennen können, welche Produkte nachhaltiger sind als andere. Hierfür sollten Produkte entsprechend gekennzeichnet sein. Die Bundesregierung sollte eine ordnungspolitische Rahmengesetzgebung für private Standards und Labels verabschieden. Dabei geht es um Mindestanforderungen bei dem grenzüberschreitenden Gebrauch von Standards hinsichtlich Transparenz, Definition von Nachhaltigkeit, Sorgfalt, Klarheit, Mitbestimmung der Erzeuger, Kompetenz, Zugänglichkeit, Glaubwürdigkeit, Monitoring und Good Governance. Dadurch sollen Greenwashing und Irreführung vermieden werden. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass dies auch in eine EU-Verordnung und in ein Codex-Alimentarius-Verfahren eingeht.
  • Die Bundesregierung sollte gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten politische Maßnahmen entwickeln, um sicherzustellen, dass Nahrungsmittelpreise die tatsächlichen Kosten ihrer Produktion widerspiegeln. Dies kann z. B. durch eine Umweltsteuer auf besonders ressourcenintensive Produkte geschehen.
  • Damit Nahrung auch für die Armen erschwinglich bleibt, sollte durch eine entsprechende Sozialpolitik sichergestellt werden, dass auch ärmere Bevölkerungsschichten Zugang zu gesunder und nachhaltiger Nahrung haben.
  • Die Bundesregierung sollte gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union klare Reduktionsziele zum Ressourcenverbrauch vorgeben, die auch den Ernährungsbereich einschließen. Die Bundesregierung sollte verschiedene Optionen prüfen, auch mit steuerlichen Maßnahmen nachhaltigen Konsum zu fördern, zum Beispiel mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz bzw. einer Mehrwertsteuerbefreiung für ökologisch erzeugte Lebensmittel. Der ökologische Landbau ist allgemein anerkanntes Leitbild einer nachhaltigen Landbewirtschaftung, insbesondere im Blick auf den Erhalt von Biodiversität, Wasser-, Boden- und Klimaschutz. Ein solches Signal könnte zu einer erhöhten Nachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln führen und dementsprechend Landwirte und Landwirtinnen zu einer Umstellung auf ökologischen Landbau motivieren.
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