Das rechte Wort zur rechten Zeit

Eine Denkschrift des Rates der EKD zum Öffentlichkeitsauftrag der Kirche, 2008, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978-3-579-05906-8

6. Wie spricht die Kirche?

  1. Wenn sich die evangelische Kirche öffentlich äußert, dann möchte sie gehört und verstanden werden. Aber nur Themen und Meinungsäußerungen, die in die allgemeinen Medien gelangen (Tages- und Wochenzeitungen, Informationsprogramme im Radio, Fernsehen, Internet), werden in der pluralen gesellschaftlichen Öffentlichkeit wahrgenommen. Alles was dort nicht auftaucht, findet in der breiten öffentlichen Debatte nicht statt.
  2. Nur wer mit den Bedingungen und Mechanismen der Mediengesellschaft einigermaßen vertraut ist, vermag ihre Möglichkeiten und Wege zur Vermittlung zu nutzen. Dies gilt auch für kirchliche Stellungnahmen. Gesellschaftliche Breitenwirkung können sie nur mithilfe einer massenmedialen Verbreitung ihrer Botschaft in Printmedien (Zeitungen, Zeitschriften, auch Bücher) und elektronischen Medien (Hörfunk, Fernsehen, Internet) erzielen. Kenntnisse über den ­ sich permanent verändernden ­ Medienmarkt sind eine wichtige Voraussetzung solcher Vermittlung. Hierfür bedarf die Kirche der regelmäßigen, vertieften und unabhängigen Analyse der Medienentwicklung und -situation. Deswegen wird im Folgenden in Form einer knappen Skizze auf einige Strukturmerkmale und Problempunkte unserer Medienlandschaft hingewiesen.
  3. Die Printmedien ­ hier: Zeitungen und Zeitschriften ­sind in den letzten Jahren in besonderer Weise mit gravierenden Herausforderungen konfrontiert worden. Tages- und Wochenzeitungen hatten und haben mit fortschreitender Erosion der Leserschaft zu kämpfen.
  4. Der Hörfunk hat sich in den letzten Jahren zu einem leicht konsumierbaren "Nebenbei-Medium" entwickelt. Gleichzeitig wurden die einzelnen Programme nach dem so genannten Wellenprinzip umgestaltet. D. h., es gibt Programme für einzelne Zielgruppen, für Junge, Alte, für Popmusik- oder Klassikfreunde. Anspruchsvolle Informations- und Kultursendungen werden zunehmend auf abgelegene Sendeplätze verlegt oder in spezielle Programme verschoben. [25]
  5. Auch im Leitmedium Fernsehen lässt sich der Trend zu Unterhaltungs-, bestenfalls "Infotainment"-Angeboten beobachten. Ferner gehört mittlerweise auch auf Grund des Quotendrucks ein Ausmaß an Darstellungen von Gewalt, Brutalität und Menschenverachtung zum täglichen TV-Programm, das noch vor zwei Jahrzehnten für undenkbar gehalten worden wäre. Eine zunehmende Abstumpfung des ­ vor allem jüngeren ­ Publikums ist die Folge. Die Chancen, im Rahmen eines solchen Programms für seriöse, um Nachdenklichkeit bemühte Beiträge Aufmerksamkeit zu finden, haben entsprechend abgenommen.
  6. Als jüngstes Medium, das im Alltag großer Bevölkerungsteile längst integriert ist, verdient das Internet eigene Aufmerksamkeit. Es unterscheidet sich von herkömmlichen Massenmedien durch spezifische Eigenheiten, so durch die individuell definierte Auswahl der ins Netz gestellten Inhalte, durch eine exponentiell steigende Menge an abrufbaren Informationen sowie durch Kommunikationsgeschwindigkeit und Anonymisierung von Absendern und Empfängern. Für zunehmend mehr Menschen stellt das Internet das wichtigste Medium der Informationsbeschaffung und der Kontaktaufnahme mit anderen, etwa in Foren oder Chatrooms, dar.
  7. Die historisch gewachsenen Sparten (Print, Hörfunk, Fernsehen, Internet) befinden sich in einem wirtschaftlichen Umbruch. Außerdem stehen sie vor einer tief greifenden technologischen Veränderung: der durchgehenden Digitalisierung. Diese Digitalisierung wird schon in wenigen Jahren aus den Massenmedien von heute individualisierbare Medien machen. Das bedeutet unter anderem:
    • Das Fernsehen bietet eine unüberschaubare Vielfalt von mehreren hundert Kanälen.
    • Programme oder Sendungen sind jederzeit abrufbar, also nicht nur zu einem festgelegten Sendetermin zu sehen.
    • Printprodukte, Hörfunk, Fernsehen und Internet werden auf einer elektronischen Plattform verknüpft.
    Diese neue Form der Digitalisierung führt zu einer weiteren "Individualisierung" des Medienkonsums. Es wird komplizierter, breite öffentliche Debatten zu wichtigen gesellschaftlichen Themen zu organisieren und zu führen, die von einer Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger zur Kenntnis genommen werden. Einzelne Persönlichkeiten und Organisationen werden es schwerer als bisher haben, gehört und gesehen zu werden.
  8. Bei aller verständlichen Faszination durch solche Möglichkeiten, die auch von kirchlichen Mitarbeitenden längst genutzt werden, sind doch auch deren potentiell problematische Auswirkungen zu bedenken ­ etwa hinsichtlich des Schwundes persönlich erlebter Zwischenmenschlichkeit zu Gunsten der Teilnahme an virtuellen Begegnungsräumen und Inszenierungen von Lebensvollzügen ("second life"). Gerade weil ganzheitlich verstandene und gelebte, den ganzen Menschen ansprechende Kommunikation im besonderen Interesse der Kirche liegt, muss sie das Risiko einer derart grundlegenden Veränderung des Kommunikationsverhaltens ansprechen ­ und mit adäquaten Angeboten attraktive Alternativen bieten.
  9. Generell gilt, dass sich alle Medienanbieter einem verschärften Wettbewerb ausgesetzt sehen. Dies hat erhebliche Folgen sowohl für die Unternehmens-"Philosophie" der Medienverantwortlichen als auch für die geltenden Kriterien zur kommerziellen Vermarktung der "Ware" Information.
  10. Journalistische Praxis ­ und das ihr innewohnende Ethos [26] ­ kann sich unter dem Diktat ökonomischer Zwänge erheblich wandeln und neue Standards entwickeln bzw. als Vorgaben befolgen. Beispiele für solche Standards, die jedenfalls in bestimmten Bereichen von Presse, Hörfunk und Fernsehen Geltung erlangt haben, sind:
    • Personalisierung von Nachrichten: Ein Thema oder Ereignis wird dann (und häufig nur dann) für berichtenswert erachtet, wenn es in Verbindung mit einer Person des öffentlichen Lebens mit möglichst hohem Bekanntheitsgrad vermittelt werden kann ("Promi-Effekt").
    • Emotionalisierung: Themen werden so aufbereitet, dass sie das Publikum emotional anrühren und damit erst für Informationen empfänglich machen.
    • Dramatisierung: Um Neugier zu wecken, werden Informationen zugespitzt, vereinfacht und auch in Details übersteigert, so dass sie drastisch zur Geltung kommen ("Schockierende Szenarien").
  11. Kirchliche Äußerungen können um ihrer selbst und der Wahrhaftigkeit willen nicht an den beschriebenen Trends ausgerichtet sein. Kirchliche Kommunikation konzentriert sich auf die Wahrheit Gottes für den Menschen und die Wahrheit des Menschen vor Gott. Sie will diese aussprechen und öffentlich zur Geltung bringen, was nicht gleichbedeutend ist mit dem Ziel massenwirksamer Inszenierungen. Trotzdem bleibt zu bedenken, wie kirchliche Äußerungen mit ihrer Botschaft möglichst viele Menschen erreichen können. Sinnvollerweise gehört dazu auch die Überlegung, in welcher theologisch verantwortbaren Weise eine Auseinandersetzung mit den genannten Trends erfolgen und darin auch positives Potential entdeckt werden kann oder aber eine strikte Abgrenzung erfolgen muss.
  12. So hat die evangelische Kirche zu Recht aus dem Trend der Personalisierung von Themen die Konsequenz gezogen, durch ihre Repräsentanten vermehrt medial präsent zu sein und damit neue Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten zu nutzen.
  13. Die evangelische Kirche nutzt für ihre Äußerungen unterschiedlichste Gattungen, Formen und Medien. Geprüft werden muss jeweils, ob und inwieweit sie sich bewähren oder durch ein breiter gefächertes bzw. anders geformtes Instrumentarium ausgebaut, eventuell sogar ersetzt werden sollten. Nicht statt, wohl aber neben Denkschriften, die sozusagen "in Stein gemeißelt" sind, braucht es andere, auf hohe Aktualität angelegte Formen: Interviews, Talkshows, Thesenpapiere, schnelle "Zwischenbescheide" als "Blitzlichter", die den aktuellen Stand der kirchlich-ethischen Diskussion erhellen.
  14. Denkschriften sind auch in der Gegenwart das wichtigste und bekannteste schriftliche Instrument der EKD für öffentliche Äußerungen. Daher sollen im Folgenden an ihnen exemplarisch die Erfordernisse und Möglichkeiten kirchlicher Kommunikation in einer neuen Medienlandschaft dargestellt werden. Ziel und Anspruch von Denkschriften ist, gedankenstark, wissenschaftlich informiert, auf der Höhe der gesellschaftlichen Diskussion, umfassend, kompetent in der Analyse und klar argumentierend in den Schlussfolgerungen zu sein. Die EKD hat sich mit ihren Denkschriften einen guten Ruf erarbeitet. Sie werden von der allgemeinen Öffentlichkeit wie von Entscheidern und Handelnden in Politik und Gesellschaft wahrgenommen, beachtet und diskutiert (vgl. die Ost-Denkschrift, die Friedens-Denkschriften und viele andere Texte). Die Denkschriften der EKD haben gesellschaftlich-politische Debatten und Entscheidungen in vielen Fragen mitbestimmt, beeinflusst oder zumindest die Meinung der evangelischen Kirche zum jeweiligen Problemkreis präzise dargestellt.
  15. Die Gattung der Denkschriften entstand jedoch in einer völlig anderen Kommunikationslandschaft. Mit den gleichen Qualitäten, mit denen die Denkschriften seinerzeit der Verfasstheit und Funktion der Medien entsprachen, sperren sie sich heute gegen die inzwischen üblichen Wege moderner medialer Vermarktung. Sie sind ­ als Beiträge für eine aktuelle gesellschaftlich-politische Debatte ­ umfangreich und anspruchsvoll geschrieben. Sie spitzen weniger zu, sondern argumentieren abwägend und differenziert. Sie gleichen eher wissenschaftlichen Texten als Meinungsbeiträgen. Sie sind theoretische Texte und erzählen keine emotionalen Geschichten. Allerdings tragen sie gerade durch diese Form zum differenzierten Diskurs in der Zivilgesellschaft bei.
  16. Seriosität und Anspruch der Denkschriften, ihre Sperrigkeit, ihr Bemühen um Redlichkeit, argumentative Sorgfalt und Überzeugungskraft können selbstbewusst vertreten werden. Der Vorzug der Denkschriften liegt in ihrer Qualität, die nicht durch die Forderung nach "Marktgemäßheit" geschmälert werden darf.
  17. Denkschriften sollten aber niemals isoliert "auf den Markt" kommen, sondern Teil eines kommunikativen Gesamtkonzepts zum jeweiligen Thema sein. Zu berücksichtigen ist dabei der Aspekt der Nachhaltigkeit: Öffentlichkeitsarbeit nur "zum Auftakt" genügt nicht. Ein langfristiger Prozess zur Gewinnung und zum Erhalt öffentlicher Aufmerksamkeit ist notwendig. Zu diesem Konzept sollte gehö ren, Denkschriften interessierten Zeitgenossen möglichst leicht und zeitnah zugänglich zu machen. Das heißt, alle Interessierten sollten sie ­ jedenfalls über das Internet ­ kostenfrei beziehen können.
  18. Die EKD kann sich nur dann zur Erarbeitung und Veröffentlichung einer Denkschrift entschließen, wenn sie sich mit dieser Denkschrift und den damit verbundenen kommunikativen Maßnahmen ernsthaft in eine aktuelle oder sich anbahnende kirchliche bzw. gesellschaftliche Debatte einschalten und diese beeinflussen will.
  19. Parallel zur Erstellung und Anforderung einer Denkschrift muss durch das Kirchenamt der EKD in Verbindung einerseits mit den Kammern und Kommissionen, andererseits mit der Kirchenkonferenz und den Gliedkirchen der EKD auch eine entsprechende Kommunikationsstrategie entwickelt werden. Elemente bzw. leitende Fragen einer solchen Strategie können sein:
    • Wie und zu welchem Anlass soll die Denkschrift veröffentlicht werden?
    • Wie werden ihre Inhalte an wen transportiert?
    • Welche kirchlichen Repräsentanten stehen in der Öffentlichkeit für das Thema?
    • Schließen sich an die Veröffentlichung Aktionen an?
    • Gibt es Bündnispartner für das jeweilige Thema?
    • Wie wird das Thema in die Gemeinden und an die Glaubenden vermittelt (Kurztexte, Materialien für den Religions- und Konfirmandenunterricht, Internetauftritt)?
  20. Es reicht nicht aus, dass (kompetent besetzte) kirchliche Gremien nach ausführlichen Beratungsprozessen Texte verfassen, die für die innerkirchliche und/oder gesamtgesellschaftliche Öffentlichkeit bestimmt sind. Vielmehr sollten die Verfasser in jedem Fall auch bereit sein, das Anliegen der Texte selbst öffentlich zu vertreten. In Zusammenarbeit mit anderen Gremien und Institutionen müssen Überlegungen angestellt, ausgearbeitet und formuliert werden, wie die Vermittlung dieses Textes in die Wege geleitet werden und gelingen kann. Eine solche Anleitung (im Sinne einer kommunikativen >Gebrauchsanweisung< beschlossenen Text beigegeben werden.
  21. Es ist sinnvoll,
    • die bisherige Form der klassischen EKD-Denkschriften zu ergänzen durch kurze und einprägsame, wenn möglich auch bebilderte Texte, die als Anreiz zu vertieftem Interesse dienen können und sie zusätzlich beispielsweise auch in Blindenschrift übertragen zu lassen. Die sprachliche Form kann sich durchaus auch der "einfachen" Form der Erzählung bedienen als hoher Kunst und Weisheit theologischer Rede.
    • die "Übersetzung" und Vermittlung solcher Texte in Landeskirchen und Gemeinden, in Gottesdienst und Religionsunterricht, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung zu verbessern und ­ auch mediale ­ Hilfsmittel dafür zu empfehlen. Zentrale Themen der Denkschriften ­ beispielsweise der Schutz von Leben und Menschenwürde von Anfang an oder die Verpflichtung zu sozialer Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ­ sind nicht nur als Beiträge zum intellektuellen Disput oder als Impulse für den Dialog mit politisch Verantwortlichen anzulegen, son dern auch in ihrer Bedeutung für Menschen eindrücklich zu machen, die der fachlichen Details nicht kundig sind.
    • verstärkt die Möglichkeiten zu nutzen, die das Internet bietet. Geduldige Reflexion mit langem Atem, die nach Monaten oder gar Jahren interner Beratung zu Stellungnahmen führt, steht in Spannung zu der durch das Internet bestimmten Kommunikationsstruktur. Insofern ist zu prüfen, ob und wie die in den Denkschriften bearbeiteten Themen und Anliegen zusätzlich in einer Form anzubieten sind, die im Internet bestehen kann, ohne sich aber an das dort übliche kurze Verfallsdatum der "news" anzupassen.
  22. Zu einem sorgsamen Umgang mit der Gattung Denkschrift gehört nicht zuletzt die Einsicht, dass bereits Gesagtes nicht immer wieder neu formuliert werden muss, sondern in Erinnerung gerufen werden sollte. Dem dient es, wenn vor bzw. am Beginn der Erarbeitung einer Thematik zunächst sorgfältig geprüft und rezipiert wird, was hierzu bereits seitens der EKD oder eines ihrer Gremien gesagt wurde. [27] Indem die evangelische Kirche diesen Stil pflegt, leistet sie nicht nur einen Beitrag zur Achtung und Ehrung der >Eltern< sie bringt damit auch ­ zumindest indirekt ­ zum Ausdruck, dass sie eine Botschaft zu verkündigen und zu vertreten hat, die von weit her kommt, sich nicht durch Kurzlebigkeit, sondern durch Verlässlichkeit und eine lange Überlieferungsgeschichte auszeichnet, die vertrauenswürdig ist. Dass wir Altes und Vertrautes zu sagen (und zu singen) haben, das immer noch gültig ist, ist nichts, dessen sich eine Kirche schämen, sondern das sie rühmen sollte.
  23. Aufgabe der Denkschriften ist es auch, eine Sprachkultur zu pflegen, die von gegenseitigem Respekt und Achtung vor anderen (Welt-) Anschauungen geprägt ist. Dazu gehört, auf polemische Rhetorik zu verzichten, die andere und ihre Überzeugungen in einem ungünstigen Licht erscheinen lässt und die Schwächen der eigenen Position kaschiert. Stattdessen ist es geist-voll, im Sinne der Auslegung des achten Gebots durch Martin Luther "alles zum Besten (zu) kehren". Dazu gehört, die Auffassungen anderer fair darzustellen, sie angemessen zur Geltung zu bringen, korrekt darauf einzugehen, sie mit der eigenen Erkenntnis und Gewissheit zu vergleichen, um zum Wohl der Allgemeinheit kreativ voranzukommen.
  24. Sodann: Als Modus christlicher und kirchlicher Teilnahme am öffentlichen Diskurs kann "gehaltvolles Schweigen" geboten sein ­ aufgrund der bewussten Entscheidung, sich nicht zu allem und jedem zu äußern oder in einer strittigen Frage grundsätzlich oder vorläufig auf eine Stellungnahme zu verzichten. Gehaltvolles Schweigen, sei es als Signal des Innehaltens und des Mutes zu vertiefter Reflexion jenseits kurzatmiger Positionierungen, sei es als Ausdruck von Nicht-Eingreifen in ein fremdes Amt, von Ratlosigkeit, Erschütterung oder Scham, kann der alltäglichen medialen Geschwätzigkeit kraftvolle Stille entgegensetzen. Gehaltvolles Schweigen zielt auf heilsame Unterbrechungen im "Kommentierungsbetrieb". Solches Schweigen muss allerdings so präsentiert werden, dass es unüberhörbar und aussagekräftig wird, dass es wirken kann. Solches "beredtes Schweigen" kann und sollte es in Erinnerung an biblische Vorbilder wie einige der Propheten und Jesus [28] in der Kirche bei geeigneten Gelegenheiten geben.
  25. In der medialen Diskussion kehrt, wenn die Kirche schweigt, nicht automatisch Ruhe ein. Der vielstimmige Chor der verschiedensten Interessengruppen tönt in der Regel weiter. Es fehlt lediglich eine Stimme. Falls dies bemerkt wird, wird das vermutlich weniger als "Nichteingreifen in ein fremdes Amt, Ratlosigkeit, Erschütterung oder Scham" interpretiert werden, sondern eher als Entscheidungsunfähigkeit oder gar Mutlosigkeit. Wenn die evangelische Kirche zu der Überzeugung kommt, zu öffentlichen Anlässen bestimmt schweigen zu sollen, dann muss sie dies paradoxerweise klar und vernehmlich öffentlich kommunizieren.
  26. Weil der Gott, an den Christenmenschen glauben, sich von der Welt nicht ab-, sondern ihr zuwendet, hat das Evangelium stets politische Bedeutung. Daraus erklären sich sowohl der Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums als auch der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche. Neben diesen beiden Polen gibt es aber auch den Anspruch der Öffentlichkeit auf kirchliche Äußerungen ­ sie hat ein Recht darauf, zu erfahren, was eine Kirche zu entscheidenden gesellschaftlichen und politischen Fragen aktuell und auf Dauer geistlich beizutragen hat. Denn Gott hat sich dieser Welt zugewandt im Geist des Dienens, der liebevollen Zuwendung. Christenmenschen sollen ihm darin mit Hirn und Herz nachfolgen ­ gleichermaßen wachsam, nüchtern und leidenschaftlich, passioniert, und manchmal auch mit Schweigen.
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