Wandeln und gestalten

Vorwort

Vorwort
Ein großer Teil der evangelischen Christinnen und Christen in Deutschland lebt in ländlichen Räumen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Situation für sie stark verändert. Wie schon in zurückliegenden Entwicklungsphasen hat in manchen Bereichen unseres Landes eine neue Wanderungsbewegung eingesetzt. Demographische Veränderungen ergreifen auch die ländlichen Räume; vom wirtschaftlichen Strukturwandel sind sie in hohem Maß betroffen. Veränderungen im kirchlichen Beteiligungsverhalten wirken sich auch hier aus.

Wie sehen die Perspektiven dafür aus, Kirche der Freiheit im 21. Jahrhundert zu sein? Diese Frage hat der Rat der EKD der Reformdiskussion in unserer Kirche mit auf den Weg gegeben. Im Sommer 2006 hat er dazu ein Impulspapier veröffentlicht, das den Versuch unternimmt, Veränderungsperspektiven für die evangelische Kirche insgesamt zu beschreiben. Doch die Notwendigkeiten wie die Möglichkeiten zur Veränderung sehen unter unterschiedlichen regionalen, sozialen und kirchlichen Bedingungen jeweils höchst unterschiedlich aus. Deshalb wendet sich die vorliegende Studie der Situation in ländlichen Räumen zu.

Bislang gab es in der evangelischen Kirche häufiger Konzepte, in denen die veränderte Situation der kirchlichen Arbeit unter städtischen Bedingungen zur Sprache kam. Ländliche Regionen galten, von dort aus betrachtet, als eher konservativ und traditionell. Das Land sei eben nicht so fortschrittlich wie die Stadt. Diese - in sich höchst traditionelle - Auffassung prägte viele Aussagen über die kirchliche Arbeit auf dem Land. Häufig hielt man sich an das Klischee von der „heilen Welt“.

Diesem Klischee kann freilich nur anhängen, wer selbst nicht auf dem Land lebt. Wer in ländlichen Regionen wohnt und vielleicht auch einen Arbeitsplatz hat, weiß, dass auch dort Veränderungen vor sich gehen. Besonders dramatisch wurden solche Veränderungen in den letzten Jahren in den ländlichen Regionen ostdeutscher Landeskirchen gespürt; zum Teil stark zurückgehende Zahlen und größer werdende kirchliche Verantwortungsräume nötigten hier zu neuen Überlegungen. Doch ebenso wurden neue Überlegungen für kirchliche Arbeit auch in anderen ländlich geprägten Regionen notwendig. Denn auch im ländlichen Bereich sieht sich kirchliche Arbeit heute mit höchst unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert.

Deshalb hat der Rat der EKD im Frühjahr 2005 eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Bischof Dr. Martin Hein, Kassel, beauftragt, nach missionarischen Aspekten der evangelischen Kirche in ländlichen Räumen zu fragen und einen konzeptionellen Rahmenentwurf zu erstellen. Die sich wandelnde Situation ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance für kirchliche Arbeit. Allerdings muss sie wahrgenommen und gestaltet und nicht nur beklagt oder erlitten werden.

Dabei hat die Arbeitsgruppe die unterschiedlichen Situationen in ländlichen Regionen ernst genommen; das zeigt sich schon daran, dass der vorliegende Text nicht vom „ländlichen Raum“, sondern von „ländlichen Räumen“ spricht. Es gibt nicht „das Land“ oder „das Dorf“, sondern verschiedene Situationen, auch für die kirchliche Arbeit. Aber wovon ist sie tatsächlich geprägt und abhängig? Und worin besteht ihr unverwechselbarer Auftrag? Welche Schritte sind deshalb zu gehen?

Mein Wunsch ist, dass Kirchenvorstände, Kreissynoden und Pfarrkonvente sich mit diesem Text beschäftigen und aus ihm Konsequenzen für den eigenen Bereich ziehen. Ich hoffe darauf, dass er in der Fortbildung für ehrenamtlich und hauptamtlich in der Kirche Tätige aufgegriffen wird und dass Landessynoden und Kirchenleitungen danach fragen, wie die Anregungen dieses Textes fruchtbar gemacht werden können. Denn für die Zukunft unserer Kirche hängt viel daran, ob und wie sie „Land gewinnt“.

Der Text macht Lust dazu, genau hinzuschauen, und regt zur Diskussion an. Er ermutigt dazu, den Wandel zu gestalten. Ich danke der Arbeitsgruppe und ihrem Vorsitzenden, Bischof Dr. Martin Hein, sehr herzlich für ihre engagierte und zielstrebige Arbeit und wünsche dieser Veröffentlichung vielfältige Resonanz.

Berlin/Hannover, im Januar 2007


Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

EKD-Text 87 als PDF-Datei

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