Kirchen formulieren Einwände gegen Entwurf zur Patientenverfügung

Berlin (epd). Bei der gesetzlichen Regelung des Umgangs mit Patientenverfügungen sehen die beiden großen Kirchen Klärungsbedarf. Sie haben deutliche Vorbehalte gegen mehrere Punkte des Gesetzentwurfs des Abgeordneten Joachim Stünker (SPD), wie sich aus einem gemeinsamen Schreiben an die Bundestags-Fraktionsvorsitzenden ergibt, das am Donnerstag in Berlin bekannt wurde. Die kirchlichen Bedenken richten sich vor allem gegen die ungenügende Beachtung der Rolle von Patienten-Bevollmächtigten und Betreuern sowie die unbegrenzte Reichweite der Patientenverfügung.

Das gemeinsame Schreiben ist vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, und dem Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, unterzeichnet. In Patientenverfügungen können Menschen festlegen, welche medizinische Behandlungen sie etwa am Lebensende ablehnen.

Im Bundestag ist bisher nur der Gesetzentwurf des SPD-Rechtspolitikers Stünker formell eingebracht, der fraktionsübergreifend von rund 200 Parlamentariern unterstützt wird. Danach soll eine schriftliche Willensäußerung des Patienten unabhängig von Art und Stadium einer Krankheit gelten.

Dieser Entwurf hebe einseitig das Selbstbestimmungsrecht hervor, ohne es auf die Fürsorge für den Patienten zu beziehen, argumentieren EKD und katholische Bischöfe: "Es ist Ausdruck recht verstandener Selbstbestimmung und gebotener Fürsorge, Wünsche und Entscheidungen einer Patientenverfügung nicht einfach als das letzte Wort eines Patienten zu nehmen." Dies werde besonders deutlich, wenn die Willensäußerung von dem Patienten in Unkenntnis der Möglichkeiten medizinischer Behandlung erfolgt sei.

Entgegen dem Gesetzentwurf machen sich die Kirchen für eine Stärkung der Vorsorgevollmacht stark. Deren Rolle bei der Auslegung einer Verfügung sei in dem Entwurf nicht ausreichend gewichtet. Die Kirchen empfehlen, dass ein Betreuer oder Bevollmächtigter des Patienten prüfen sollte, ob sich der vorab schriftlich fixierte Patientenwille von dem aktuellen Wille unterscheide. In Ausnahmefällen müsse der Arzt auf der Basis der Patientenverfügung über die weitere Behandlung entscheiden.

"Besonders heikel" ist nach Darstellung der Kirchen der Aspekt der Reichweite von Patientenverfügungen. So sei es in keinem Fall hinnehmbar, wenn Festlegungen in einer Patientenverfügung "unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung" des Patienten gelten sollten. Dies hätte etwa für Wachkomapatienten und Demenzerkrankte schwerwiegende Konsequenzen, geben die Kirchen zu bedenken.

16. Mai 2008


Ein kompliziertes Thema in dreieinhalb Varianten

Im Bundestag häufen sich Vorschläge zur Regelung von Patientenverfügungen

Von Jutta Wagemann (epd)

Berlin (epd). Vielleicht liegt es am Thema. So wie sich die meisten Menschen ungern Gedanken machen über den eigenen Tod, so schiebt auch der Bundestag Beratungen über ein Gesetz zu Patientenverfügungen seit Jahren vor sich her. Jetzt sieht es allerdings danach aus, dass vor den Sommerferien des Parlaments Bewegung in die Sache kommt. Die Aussage einiger Abgeordneter, man warte noch auf eine Stellungnahme der Kirchen, zieht zumindest nicht mehr: die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland haben einen gemeinsamen Brief an die Fraktionsvorsitzenden verschickt.

Wie sollen Ärzte mit vorab verfassten Willenserklärungen von schwerkranken Patienten umgehen, die sich selbst nicht mehr äußern können? Zu dieser Frage liegen im Bundestag mittlerweile drei Gesetzentwürfe vor. Die Meinungsbildung läuft, wie häufig bei ethischen Themen, quer zu den Fraktionsgrenzen. Die Fraktionsführungen haben bereits beschlossen, die Abstimmung freizugeben.

Uneinig sind sich die Abgeordneten in der Frage, welches Gewicht eine Patientenverfügung bekommen soll. Eine von SPD- und FDP-Abgeordneten dominierte Gruppe um den Rechtspolitiker Joachim Stünker (SPD) betont das Selbstbestimmungsrecht des Kranken und räumt daher Patientenverfügungen einen hohen Stellenwert ein. Sie sollen in jeder Krankheitsphase gelten. Ihr Gesetzentwurf wird von 200 Parlamentariern unterstützt und hat damit bislang die größten Chancen auf eine Mehrheit. Er soll Mitte Juni im Bundestag beraten werden.

Inhaltlich nahe bei diesem Entwurf liegt ein Antrag der beiden Unionsabgeordneten Wolfgang Zöller und Hans Georg Faust. Sie legen jedoch Wert darauf, dass jede Patientenverfügung von Arzt und Betreuer des Kranken geprüft wird und sogar verworfen werden kann, wenn sie auf die akute Situation nicht passt. Bislang ist völlig offen, ob Zöller und Faust zumindest die Mehrheit der eigenen Fraktion hinter sich haben.

Denn schon zuvor hatte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) gemeinsam mit dem SPD-Bioethikexperten René Röspel einen weit detaillierteren Gesetzentwurf vorgelegt. Darin plädieren sie für eine deutliche Beschränkung der Reichweite einer Patientenverfügung. Wird in der Willenserklärung der Abbruch lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen gefordert, so soll dies nur bei Krankheiten möglich sein, die bereits im tödlichen Stadium sind oder bei Bewusstlosen, die sehr wahrscheinlich nie wieder ihr Bewusstsein wiedererlangen werden, etwa Wachkoma-Patienten oder schwerst Demenzkranken.

In allen Gesetzentwürfen wird festgelegt, dass der Arzt vor der Umsetzung einer Patientenverfügung eine Vertrauensperson des Kranken konsultieren muss. Was aber soll ein Arzt machen, wenn die konkrete Situation in der Patientenverfügung gar nicht erfasst ist? Oder der Betroffene die modernen medizinischen Möglichkeiten bei der Abfassung seiner Willenserklärung offenbar gar nicht kannte?

Für diese Fälle sind in den Gesetzentwürfen unterschiedliche Verfahren vorgesehen. Auch in der Frage, wann ein Gericht hinzugezogen werden muss, besteht unter den Abgeordneten keine Einigkeit. Die Grünen-Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt hat in der vergangenen Woche der Bosbach-Röspel-Gruppe Eckpunkte zukommen lassen, in denen sie sich für eine stärkere Stellung von Vertrauenspersonen des Patienten, wie einem Gesundheits-Bevollmächtigten, oder von Betreuern ausspricht. Wird diese Anregung aufgenommen, könnte der Gesetzentwurf von Bosbach/Röspel auch bei vielen Grünen Anerkennung finden.

Abgesehen von der Reichweitenbegrenzung entspräche der Gesetzentwurf dann am ehesten den Forderungen der beiden Kirchen, die sich in ihrem Brief allerdings nicht dezidiert für diesen Antrag aussprechen. Sie kritisieren jedoch massiv den Stünker-Entwurf. Ihre Vorbehalte beziehen sie vor allem auf "die Einseitigkeit, mit der das Selbstbestimmungsrecht zum Ankerpunkt der gesamten Argumentation gemacht wird". Die "gebotene Fürsorge" kommt den Kirchen zu kurz.

Rund neun Millionen Menschen haben bislang in Deutschland eine Patientenverfügung verfasst. Abgeordnete berichten, dass Veranstaltungen zu diesem Thema immer gut besucht seien. Der Druck, sich endlich zu einigen, ist vorhanden.

16. Mai 2008