Rede vor Papst Franziskus

Heinrich Bedford-Strohm

Es gilt das gesprochene Wort.

„Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“

Mit diesen Worten aus dem Ezechiel-Buch – es ist die ökumenische Jahreslosung 2017 in Deutschland - grüßen wir Sie sehr herzlich, hochverehrter Papst Franziskus und Bruder in Christus. Wir sind dankbar für die Möglichkeit, nach unserem ersten Treffen im April letzten Jahres und der Begegnung mit meiner Stellvertreterin Annette Kurschus vor wenigen Wochen nun mit einer Delegation der EKD Ihnen persönlich begegnen zu können.

Eine besondere Freude ist es für uns alle, dass uns Kardinal Marx begleitet, ist dies doch Ausdruck einer tiefen ökumenische Verbundenheit unserer beiden Kirchen in Deutschland. Und diese Verbundenheit gründet nicht zuletzt in der Sehnsucht nach „einem neuen Herz und einem neuen Geist“, der nicht nur uns verbinden kann, sondern auch die Welt um uns herum verbinden kann in der Barmherzigkeit Gottes.

I.

Barmherzigkeit - dieses Leitmotiv ihres Pontifikats ist für uns eng mit dem Geschenk der Gnade (sola gratia) verbunden. Es treibt auch uns an, der Vergebung und der Güte weiten Raum zu geben.

Die Welt im Jahre 2017 braucht das gemeinsame Zeugnis der christlichen Kirchen. Wo Barmherzigkeit und Mitgefühl verweigert werden, bedroht die „soziale Sünde“ das Zusammenleben der Menschen. Unsere Mitmenschlichkeit soll eingemauert werden. Ein neuer Populismus in verschiedenen Ländern überhöht die eigene Nation und grenzt große Gruppen von Menschen aus. Flüchtlinge sind keine „Flut“ und kein „Strom“. Sondern Menschen mit Würde, geschaffen zum Ebenbild Gottes. Verantwortlich handeln im christlichen Sinne heißt, mitzuhelfen, dass Menschen, die vor Terror und Gewalt fliehen, einen Ort finden, an dem sie sicher leben können. Im Namen Jesu Christi sind wir gemeinsam Botschafter der Barmherzigkeit gegen Angst, gegen Hass, Gewalt und Ausgrenzung. Die christlichen Kirchen sollten 2017 weltweit gemeinsam ihre Stimme erheben, um in unseren Ländern Mut zu machen, auch in Zukunft solidarisch mit Menschen auf der Flucht vor Terror und Krieg zu sein und die Lasten dabei so breit wie möglich zu verteilen. Die Länder in den Krisenregionen dieser Welt, die vielen Millionen Menschen Zuflucht geboten haben, gilt es zu stärken; und die Fluchtursachen gilt es in den Ländern, aus denen sie fliehen, zu bekämpfen. Mit Mauern, Zäunen oder Gleichgültigkeit kommt die internationale Staatengemeinschaft ihren humanitären Verpflichtungen nicht nach.

Unsere Welt muss sich auf den Weg machen - hin zu einem neuen Herz und zu einem neuen Geist der Buße und Umkehr. So wie es Martin Luther in seiner ersten These vor 500 Jahren auf den Punkt gebracht hat: „Unser ganzes Leben sei Buße“.

II.

Die Erinnerung an die Ereignisse vor 500 Jahren beschäftigt unsere beiden Kirchen in Deutschland seit vielen Jahren; es ist ein „Wunder vor unseren Augen“ (Psalm 118, 23), dass wir nach so langer Zeit der Feindschaft und des gegenseitigen Verurteilens nun dieses Datum gemeinsam als Christusfest bedenken und feierlich gestalten können. Der Verweis auf Jesus Christus und der von ihm erwirkten Rechtfertigung des Sünders war vor 500 Jahren die entscheidende Intention der Reformatoren (solus Christus), sie ist auch heute das vornehmste Ziel aller Jubiläumsgestaltung. Denn in ihr gründen die kritischen Kräfte des reformatorischen Glaubens, der uns befreit, in die Verantwortung ruft, uns Gewissheit schenkt und unsere Liebe zur Bibel bis heute motiviert. Es ist uns darum ein großes Anliegen, ein Gastgeschenk mitzubringen, das die theologische Basis dieser Überzeugung spiegelt: Die Hochschätzung der Heiligen Schrift (sola scriptura). Es ist mir eine Ehre, Ihnen heute eine besondere Ausgabe der jüngst revidierten Heiligen Schrift in der Übersetzung von Martin Luther zu überreichen. Die Lutherbibel prägt nicht nur Sprachempfinden und Bildreichtum, sondern trägt bis heute den neuen Geist der Barmherzigkeit und das lebendige Herz der Empathie in viele Herzen und Häuser.

III.

Hochgeschätzter Papst Franzskus, nicht zuletzt auf der gemeinsamen Pilgerreise zu den Quellen unseres Glaubens in Israel und Palästina haben wir wieder erfahren, wie gut und auch belastbar unsere Gemeinschaft ist. Und doch mussten wir auch erfahren, wie schmerzhaft es ist, dass manche Differenzen zwischen unseren Kirchen uns und viele Menschen beschweren. In Familien ist das mitunter schmerzhafte Realität: Wer Kinder, Enkel und Freunde teilt, wird am Tisch des Herrn getrennt. Und so hat auch unsere gemeinsame Israel-Reise den Schatten bleibender Trennung am Tisch des Herren erfahrbar gemacht. Im Geist der Versöhnung haben wir bereits viele ökumenische Fortschritte erzielt, die unsere Ausstrahlungskraft und Glaubwürdigkeit vor der Welt (Joh 17,20) stärken.  Deswegen freuen wir uns sehr, wenn wir miteinander den Weg zu noch größerer eucharistischer Gemeinschaft suchen. Es gibt ein tiefes Bedürfnis so vieler Menschen, die Gemeinsamkeiten unserer Kirchen trotz bleibender Unterschiedenheit gestärkt zu sehen.

IV.

Unsere Kirchen empfinden dabei eine besondere Verantwortung für die Weiterentwicklung der Ökumene, denn bei uns in Deutschland brachen die Trennungen auf. Und wir sind davon überzeugt, dass wir ein neues Kapitel aufzuschlagen gerufen sind, um neue Wege zur Verständigung zu finden. Dabei wollen wir anknüpfen bei einer besonderen Versöhnungsgeschichte in unserem Land: Im Jahr 2007 konnte die sogenannte Magdeburger Tauferklärung in großer ökumenischer Gemeinschaft beschlossen werden, gemäß der alle Kirchen die auf den Namen Jesu Christi vollzogene Taufe gegenseitig anerkennen. Dies war ein bedeutsamer Schritt, ist doch die Taufe „das sakramentale Band der Einheit aller Christen“ (Unitatis redintegratio, 22). Die Taufe gliedert uns ein in den einen Leib Christi. Wir sind in ihm immer schon gemeinsam berufen, Zeugen*innen Jesu Christi und seiner Barmherzigkeit zu sein. Diesen Gedanken haben auch Sie, lieber Papst Franziskus, vor einem Jahr in besonderer Weise unterstrichen: Die Teilhabe am Taufsakrament bildet für alle Christen ein unlösbares Band. Wir sind ein „heiliges Volk“, auch wenn wir aufgrund unserer Sünden noch nicht völlig geeint sind: „Gottes Barmherzigkeit ist stärker als unsere Spaltungen“. Darum suchen wir einen vertieften Dialog mit Ihrer Kirche über die Taufe und ihre Bedeutung für weiterführende Wege der Ökumene. Wie damals mit Ihrem verehrten Vorgänger Johannes Paul II neue Gespräche im Blick auf die Frage der Lehrverurteilungen angeregt wurden, wollen wir heute gemeinsam einen neuen Ansatz suchen, um keine Stagnation in der Ökumene aufkommen zu lassen. Dafür wünschen wir uns Ihre Unterstützung. Denn unsere Situation in Deutschland ist eine durch die Leuenberger Konkordie von 1973 sehr besondere, sind doch in der EKD lutherische, reformierte und unierte Kirchen zusammengeschlossen, die in ein Gespräch mit den katholischen Geschwistern eintreten. So kann in der Konzentration auf Jesus Christus die Vielfalt theologischer Perspektiven und der Reichtum reformatorischer Einsichten einfließen in die Suche nach neuen gemeinsamen Wegen zur Versöhnung unserer Kirchen.

V.

Hochverehrter Papst Franziskus, Sie haben den Ton der Güte und Barmherzigkeit für jeden Menschen neu und stark erklingen lassen. Die Freude des Evangeliums, so haben Sie zu Beginn Ihres Pontifikates geschrieben, erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Wir sind als Geschwister in Christo dankbar für die klaren Orientierungen, die von Ihnen ausgehen. Denn die Konzentration auf den Kummer eines jeden Einzelnen und auf seine je konkrete Situation als gefallener, zerrissener, `lazarettbedürftiger´ Mensch ist auch unser zentrales Anliegen. Unsere Kirchen sind kein Selbstzweck, sondern gemeinsam die eine Kirche für andere. Wir rufen in versöhnter Verschiedenheit der geistlichen Gaben unserer Kirchen zusammen den Gott an, der uns allen ein neues Herz und einen neuen Geist geben will. Im Gebet und in dieser festen Hoffnung sind wir schon heute vereint.