Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive

Eine Denkschrift des Rates der EKD, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, 2008, ISBN 978-3-579-05905-1

8. Gesellschaftliche Verantwortung von Wirtschaftsunternehmen - Wirtschaftliches Handeln von Kirche und Diakonie

Neben der zentralen unternehmerischen Aufgabe, Produkte und Dienstleistungen effizient zu erbringen und erfolgreich zu wirtschaften, spielen Sozial- und Umweltstandards eine immer wichtigere Rolle in den Strategien von Wirtschaftsunternehmen. Umgekehrt gewinnt das effiziente Wirtschaften für die sozialen Dienste der Kirche eine wachsende Bedeutung. Damit ergeben sich auch neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Kirche und Unternehmerschaft.

8.1 Soziales Handeln gewerblicher Unternehmen

Unternehmen erfüllen ihre gesellschaftliche Aufgabe vor allem durch nachhaltiges, effizientes und erfolgreiches Wirtschaften. Angesichts eines weltweit weitgehend ungeregelten Wettbewerbs wachsen ihr Einfluss und ihre Verantwortung. Dazu gehört die Einhaltung von nachhaltigen Sozial- und Umweltstandards, die in Richtung langfristiger Strategien entwickelt werden müssen. Darüber hinaus lohnt es sich für Unternehmen, auch bürgerschaftliche Verantwortung zu übernehmen.

  1. Viele Unternehmen übernehmen weit über ihre traditionellen Handlungsfelder hinaus Verantwortung. Positiv hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang vor allem das überproportionale kulturelle und soziale Engagement von kleinen und mittelständischen Unternehmen im regionalen Kontext. Durch diese nicht auf den Unternehmenszweck bezogene Unterstützung tragen viele Unternehmer und Unternehmen im Sinne einer sozialpolitischen Verantwortung ("Corporate Citizenship") freiwillig und verantwortungsvoll ihren Teil zur Gestaltung unserer Gesellschaft bei. Oft geschieht dies durch persönlichen Einsatz. Indem Unternehmer Mittel und Fähigkeiten über ihr Unternehmen hinaus zur Verfügung stellen, wächst ihr gesellschaftliches Ansehen. Die persönliche ehrenamtliche Mitarbeit von erfolg- reichen Unternehmern sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an gemeinwohlorientierten Aktivitäten in der Gesellschaft dient gleichfalls der positiven öffentlichen Wahrnehmung. Wenn die im Bereich der Ökonomie, des Rechts und der Finanzen im Unternehmen erworbenen Kenntnisse in Initiativen und Vereine eingebracht werden oder wenn Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für soziale Aufgaben freistellen und freiwillige Einsätze fördern, ist dies für die Gesellschaft, die einzelnen Akteure und für das Unternehmen von Nutzen.
  2. Die finanzielle Beteiligung und die persönliche Mitwirkung von Unternehmern in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft wird mit hoher Aufmerksamkeit verfolgt. Gerade wenn sie Teile des erwirtschafteten Gewinns abgeben, wächst ihr An- sehen. Besonderes Augenmerk liegt in den vergangenen Jahren in der Einbringung von zum Teil erheblichen Geldmitteln in gemeinnützige Stiftungen. Diese Form der Förderung gesellschaftlicher Aufgaben hat eine lange Tradition und ist in den letzten Jahren immer beliebter geworden. Die steuerliche Unterstützung von Stiftungen ist ausdrücklich zu begrüßen.
  3. Nachdem soziale Verantwortung in der Tradition der Sozialen Marktwirtschaft gerade von mittelständischen deutschen Unternehmen schon immer praktiziert worden ist, ist sie für international operierende Konzerne, gerade aus dem angloamerikanischen Raum, in den letzten Jahren fast obligatorisch geworden. Aus dieser Situation heraus macht in den letzten Jahren auch in der deutschen Wirtschaftswelt ein Begriff Karriere, der für die soziale und ethische Verantwortung von Unternehmen steht: "Corporate Social Responsibility" (CSR). CSR muss verstanden werden als eine Form des Dialogs, den jedes Unternehmen mit seinem gesellschaftlichen Umfeld führen muss, um dessen Bedürfnisse wahrnehmen und umsetzen zu können. Für die Definition von CSR hat sich in der europäischen Diskussion ein Grundverständnis herausgebildet, das vom Europäischen Multistakeholderforum bestätigt wurde. Danach ist CSR das freiwillige, über das gesetzliche Maß hinausgehende gesellschaftliche Engagement von Unternehmen.
  4. Die inhaltlichen Schwerpunkte des Engagements ­ Mitarbeiter, Gesellschaft und Umwelt ­ stehen in der Regel in engem Zusammenhang mit den Unternehmensspezifika, der Branche und den Märkten, in denen das Unternehmen operiert. So sind Unternehmen aus dem produzierenden und Handel betreibenden Bereich oftmals verstärkt im sozialen und ökologischen Bereich aktiv, um ihr Interesse an der Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insbesondere in Zulieferländer und am Schutz der Umwelt zu signalisieren. CSR ist in solchen Fällen Teil einer an den Anspruchsgruppen des Unternehmens ausgerichteten Gesamtstrategie. Die gezielten Bemühungen sollen verdeutlichen, dass über die Gewinnerzielung hinaus ein nachhaltiges Interesse an dem jeweiligen Tätigkeitsfeld bzw. der konkreten Unternehmensumwelt besteht. Gleichzeitig können die in diesen Bereichen im Unternehmen vorhandenen Schlüsselkompetenzen optimal eingesetzt werden.
  5. Natürlich sollte ein Unternehmen nicht erst dann Anerkennung und Wertschätzung finden, wenn es sich im Sinne von CSR oder Corporate Citizenship für Umwelt und Sozialbedingungen, für Sport, Kultur oder Soziales engagiert. Das wäre eine Verkennung der Situation und könnte in der Konsequenz einer Art Ablasshandel gleichkommen: Egal, was ein Unternehmen tut ­ Hauptsache, es "kauft" sich durch sein Engagement für Mitarbeiterschaft und Standort oder auch durch Sponsoring für soziale Aufgaben frei. Allerdings gibt es in Deutschland das umgekehrte Problem: Unternehmer wagen sich aus Angst vor einer Neiddebatte auch mit ihrer Wohltätigkeit nicht aus der Anonymität; dabei können gerade sie ein Vorbild für andere Spender und Sponsoren sein. Zudem ist in den letzten Jahren in neuer Weise deutlich geworden, dass es sich zur Erfüllung dieser Aufgabe für die Unternehmen selbst, vor allem aber für die Gesellschaft, lohnen kann, wenn sie soziale, ökologische und ethische Verantwortung übernehmen, d. h. auch die Interessen von Mitarbeitern, der Gesellschaft und der Umwelt im Auge behalten. Dadurch können sich Wechselwirkungen zwischen dem Eigeninteresse der Unternehmen und dem Gemeinwohl ergeben, die sowohl dem Unternehmen als auch anderen wieder zugute kommen. Wenn Unternehmen etwa Bildung und Forschung unterstützen, fördern sie nicht nur junge Menschen, sondern sichern sich auch unschätzbares Know-how und personelle Ressourcen. Wenn Unternehmen in Kindergärten, Sozialeinrichtungen, Kirchen und Kulturinstitutionen investieren, verbessern sie die Motivation der Mitarbeiter. Und wenn Unternehmen glaubhaft gegen unnötigen Ressourcenverbrauch, gegen Kinderarbeit oder Korruption eintreten, sichern sie sich gegen negative und damit verkaufsschädigende Schlagzeilen in den Medien und im globalen Internet.
  6. So sehr sich die Unternehmen angesichts einer global vernetzten Welt und erhöhter Ansprüche von Bürgern, Politik, Nicht-Regierungsorganisationen und auch der Kirche dieses Themas annehmen, so darf die Missbrauchsanfälligkeit nicht vernachlässigt werden. Trotz seiner das Image fördernden Funktion für das Unternehmen darf das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen nicht auf strategische Erwägungen reduziert werden. Damit CSR seine Wirkung entfaltet, ist die Glaubwürdigkeit der Aktivitäten das wichtigste Element. Daher sollten Unternehmen nach Möglichkeit in der Lage sein, die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Umwelt, Gesellschaft und Mitarbeiter im Rahmen ihrer Managementverfahren zu berücksichtigen und über diese in einer sachgerechten und transparenten Form zu kommunizieren. Das setzt ein umfassendes, im Unternehmen verankertes CSR-Management voraus. Darüber hinaus erkennen immer mehr Unternehmen, dass aktives Handeln im Bereich CSR Chancen und damit Wettbewerbsvorteile ermöglicht. Zur Dokumentation ihres Verhaltens veröffentlicht eine steigende Zahl von Unternehmen regelmäßig ­ in Nachfolge von seit Mitte der 90er-Jahre etablierten Ökobilanzen für Produkte, Umweltberichten und Nachhaltigkeitsberichten ­ Corporate-Social-Responsibility-Berichte.
  7. Der Wirksamkeit ethischer Leitlinien wie dem der CSR sind stets Grenzen gesetzt. Richtlinien und Verhaltenskodizes können unethisches oder widerrechtliches Verhalten nie völlig verhindern. Unternehmen sind und können nicht besser sein als die Gesellschaft, die sie umgibt und aus der sie ihre Werte und Einstellungen beziehen. Ethische Leitlinien können freilich eine wertvolle Orientierung leisten, sowohl in der Frage, wie mit Verstößen gegen sie umzugehen ist als auch wie sich Mitarbeiter in Konfliktsituationen zu verhalten haben. Führungskräfte erleben immer wieder Interessenkonflikte zwischen dem wirtschaftlich Notwendigen und dem persönlich, sozial oder ethisch Erwünschtem, z.B., wenn es um die Frage geht, ob zur Erhöhung der Produktivität eines Unternehmens Umwelt- oder Sozialstandards zu vernachlässigen sind oder Mitarbeiter entlassen werden müssen. In solchen schwierigen Fällen muss sich beweisen, ob die gelebte Führungskultur ein belastbares Handlungsgerüst ist oder ob das Leitbild nur ein Lippenbekenntnis darstellt. Letztlich aber gilt: Leitbilder werden nie ganz unmittelbar auf konkrete Entscheidungssituationen zugeschnitten sein. Unternehmen können aber durch klare ethische Verhaltensregeln (Codes of Conduct) ihren Mitarbeitern moralisches Handeln erleichtern. Die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter steigt und die Zahl der Krankheitstage geht zurück, wenn Mitarbeiter in möglichen Konfliktsituationen beim Abwägen zwischen moralisch einwandfreiem und rein erfolgsorientiertem Verhalten nicht alleingelassen werden.
  8. In konkreten Problemsituationen ist Flexibilität gefordert. Dann kommt es darauf an, ob die beteiligten Personen in der Lage sind, den "Geist" des Leitbilds zu leben und sich in unerwarteten Wertekonflikten auf ihren persönlichen Glauben, auf ihre innere Haltung und Lebenserfahrung beziehen können, um zu solchen Entscheidungen zu kommen, die sie vor ihrem Gewissen verantworten können. Dazu braucht es mehr als Leitbilder, nämlich eine christliche Erziehung, einen festen Glauben und darüber hinaus Gemeinden und Einzelne, die helfen, die Herausforderungen des Arbeitslebens vor Gott zu bedenken. Einkehrtage und Orte der Besinnung, aber auch geistliche Beratung für Entscheidungsträger in Unternehmen anzubieten, ist eine wichtige Aufgabe der Kirche. Auch Unternehmer und Führungskräfte sind auf Gemeinschaft und geistlichen Beistand angewiesen.

8.2 Unternehmertum, Kirche und Diakonie

Die Kirche ist kein Unternehmen. Gleichwohl muss sie in vielen Arbeitsfeldern unternehmerisch handeln. Im Sozialsektor hat sich durch das Auftreten neuer Anbieter und eine sich ändernde Gesetzgebung eine markt- und wettbewerbsorientierte Sozialwirtschaft herausgebildet, in der sich die Diakonie als soziale Unternehmung der Kirche behaupten muss. Im Bildungssektor wachsen neben den öffentlichen Angeboten die Angebote freier Träger. Unternehmer haben die Aufgaben und Dienste von Kirche und Diakonie von Anfang an mitgestaltet. Ihr Sachverstand wird gebraucht. Durch ihre Beteiligung erfahren sie Ermutigung und können ihre Kompetenz einbringen.

  1. Die Kirche ist kein Unternehmen. Sie hat den Auftrag, die Botschaft von Gottes Liebe zu den Menschen zu bringen und Gottvertrauen, Lebensgewissheit und Nächstenliebe in ihnen zu wecken. Sie gründet in diesem Auftrag Jesu Christi und lebt aus seiner Zusage. Im Hören auf sein Wort und in der Feier von Taufe und Abendmahl vergewissern Christen sich ihrer Aufgabe und finden Orientierung für ihren Alltag. In der Feier des Heiligen Abendmahls zeigt sich augenfällig: Gott hält in Wort und Sakrament aus seiner Fülle anderes und mehr bereit, als Menschen geben und womit Menschen rechnen können: überströmende Liebe bis hin zur Lebenshingabe, das Wunder der Lebenserneuerung, ausgestreckte Hände zu Vergebung und Neuanfang. Wer an diesen Gaben Anteil bekommt, ist aufgefordert, im Maße seiner Möglichkeiten geistliche Gaben, persönliche Begabungen und weltliche Güter mit anderen, vor allem mit Bedürftigen, zu teilen.

  2. Auch wenn die Kirche kein Unternehmen ist, schließt das nicht aus, dass sie in den Arbeitsfeldern, in denen sie Menschen hilft, ihre Gaben zu entfalten oder Lebenserneuerung zu wagen, und in den Einrichtungen, in denen Menschen Linderung ihrer Not oder Heilung ihrer Krankheiten erfahren, unternehmerisch handeln muss. Denn auch die Kirche muss berücksichtigen, dass sie unter den Bedingungen knapper Ressourcen handelt. Kirchliche Bildungsarbeit, Tagungsstätten, Tageseinrichtungen für Kinder, diakonische Krankenhäuser, ambulante Dienste oder Einrichtungen der Altenhilfe stehen heute im Wettbewerb mit freigemeinnützigen und privaten Trägern und sind darauf angewiesen, nicht nur profiliert, sondern auch sparsam und kundenorientiert zu wirtschaften.

  3. Das diakonische Profi l von Diensten und Einrichtungen wurde und wird durch Menschen geprägt, die aus dem christlichen Glauben handeln, der in der Liebe zu den Hilfebedürftigen tätig sein will (Gal 5,6). Aus dieser Motivation ist in Deutschland in den letzten 150 Jahren eine Vielzahl großer Einrichtungen entstanden, die mit ökonomischem, politischem und organisatorischem Geschick gegründet, erhalten und erweitert wurden. Heute gehören zur Diakonie der evangelischen Kirche und zur Caritas der katholischen Kirche beachtliche Unternehmen mit einigen tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich zum Teil zu noch größeren Unternehmensverbünden zusammenschließen. Insgesamt sind in Diakonie und Caritas etwa eine Million Mitarbeitende beschäftigt.

  4. Ähnlich wie in der Wirtschaft hat sich im Laufe der Geschichte das Verständnis von Führung und Leitung in den diakonischen Einrichtungen gewandelt. Die Gründergestalten des 19. Jahrhunderts waren meist Patriarchen oder Hauseltern. Auf ihr Vorbild und Beispiel wurde geachtet. Auf ihr Wort wurde gehört, auch wenn es dafür nicht ausdrückliche schriftliche Festlegungen gab. Allerdings haben die heutigen Leitbilder und Qualitätsbeschreibungen in den Haus- und Schwesternordnungen der damaligen Zeit ihre Vorbilder. Den Gründern folgten "treue Verwalter" und starke Oberinnen mit schriftlich festgelegten Aufgaben, über deren Erfüllung Aufsichtsgremien wachten. Heute sind Manager gefragt, die es verstehen, Mitarbeitende zu motivieren und Impulse für die weitere Entwicklung der Organisationen zu geben. Zunehmend werden Vorstände tätig, die im Rahmen der Beschlüsse ihrer Aufsichtsgremien selbstständig agieren können. Dabei nimmt neben der theologischen, pädagogischen und pflegerischen Kompetenz, die die Anfänge bestimmte, die ökonomische eine unverzichtbare Rolle, immer öfter sogar den ersten Rang ein. Aus den Bruder- und Mütterhäusern der Gründerzeit sind diakonische Unternehmen geworden.

    Auch wenn sich Diakonie und Caritas weiterhin einer breiten Anerkennung erfreuen, sind frühere Bevorzugungen als freigemeinnützige Träger inzwischen abgebaut worden. Auch die Diakonie kann nicht mehr mit dem bedingten Vorrang der Freien Wohlfahrtspflege gegenüber privaten Anbietern sozialer und medizinischer Dienstleistungen rechnen. Die Unterstützung durch Staat und Kirche wird ­ auch da, wo es nach deutschem Verständnis um Daseinsvorsorge geht ­ seitens der Europäischen Union sogar als Wettbewerbsverzerrung verdächtigt.

  5. Aufgrund des steigenden Bedarfs an sozialen Leistungen, der Entwicklung eines differenzierten Angebotsspektrums und einer Vielzahl von Trägern sozialer Arbeit hat sich inzwischen auch in Deutschland eine Sozialwirtschaft entwickelt. Seit Einführung der Pflegeversicherung 1994 führte der extern induzierte Modernisierungsprozess zu einer immer stärkeren Markt- und Wettbewerbsorientierung. Deutlicher als in anderen Wirtschaftsbereichen sind in der Sozialwirtschaft traditionelle Organisations- und Handlungsprinzipien schrittweise in Frage gestellt und neu geordnet worden. Seit Beginn der 90er-Jahre ist der Korporatismus als Ordnungsprinzip des bundesrepublikanischen Sozialstaates durch einen politisch organisierten Wettbewerb ersetzt worden. Damit wurde auch das bis dahin geltende Kostendeckungsprinzip abgelöst. Zugleich versucht die Politik bis hin zur kommunalen Ebene den Sozialbereich ordnungspolitisch zu regulieren und damit auf Art und Qualität der Leistungen, Art der Leistungserbringung und die Preise Einfluss zu nehmen.

  6. Die Regulierung des Sozialen durch die Politik hat zwar den Wettbewerbsdruck erhöht, von einem Sozialmarkt kann jedoch angesichts zum Teil planwirtschaftlicher Züge (wie zum Beispiel im Gesundheitssektor) nur eingeschränkt gesprochen werden. Denn die besonders in Not geratenen Menschen sind nicht in der Lage, für die Hilfen, die sie brauchen, die entsprechenden Entgelte aufzubringen. Ohne staatliche Mitfinanzierung kann sich in sozialen Arbeitsfeldern kein Markt entwickeln. Damit bewegen sich die Träger sozialer Arbeit in Deutschland in einem Dreiecksverhältnis zwischen Leistungserbringung, Markt und Staat. Sie sind einerseits Dienstleister und andererseits Anwalt für die Schwachen. Dabei ist hervorzuheben, dass die Arbeit in den Einrichtungen und Diensten der Freien Wohlfahrtspflege weitgehend auf der Grundlage von Spezialgesetzen, insbesondere der Sozialgesetzbücher erfolgt und diese umfangreiche Regelungen enthalten, die mit den Rahmenbedingungen für das Handeln auf allgemeinen Wirtschaftsmärkten nicht vergleichbar sind. Dies gilt auch für die Diakonie. Über unternehmerisches Handeln im Wettbewerb hinaus müssen Kirche, Diakonie und Träger der Freien Wohlfahrtspflege deshalb in ordnungspolitischer Verantwortung Kriterien für die Qualität sozialer Dienstleistungen sowie für ihre Finanzierbarkeit in die Gestaltung des Wettbewerbs einbringen.

  7. Positiv wird man feststellen dürfen, dass der wachsende Wettbewerb für mehr Beweglichkeit sorgt. Dazu gehört ein transparenter Umgang mit Geld und Ressourcen ebenso wie ein sorgsames Achten auf die Qualität der Arbeit in vielfältigen Qualitätsprozessen. Auch das schnellere Reagieren auf Veränderungen in der Umwelt und eine kreative Angebotsentwicklung in vielen Bereichen gehören zum unternehmerischen "Aufbruch". Dennoch fallen die Umstellungsprozesse schwer. Im kostenorientierten Wettbewerb, der in der jüngsten Zeit zu erheblicher Arbeitsverdichtung und Beschleunigung geführt hat, stehen auch diakonische Unternehmen gelegentlich in der Gefahr, Hilfe- und Pflegebedürftige wie Mitarbeitende in erster Linie als Kostenfaktoren zu sehen. Der Markt ist in diesem Sinne moralisch blind, temporeich und verschleißorientiert und wirkt auch bei Dienstleistungen nach seinen eigenen Gesetzen. Es bedarf deswegen immer wieder der Vergewisserung über die Ziele des kirchlich-diakonischen Dienstes und einer neuen Bestimmung der Aufgaben und Qualitätserwartungen unter veränderten Rahmenbedingungen. Dabei kann die heilende Begegnung von Mensch zu Mensch, die Ermutigung zum Leben, die diakonisches Handeln ausmacht, nur begrenzt geplant und letztlich nicht kalkuliert werden. Politische Rahmenbedingungen und marktgängige Angebote können lediglich einen Rahmen liefern, in dem sich Diakonie in diesem Sinne ereignen kann. Wo dieser Rahmen nicht (mehr) hinreichend Raum, Zeit und Mittel zur Begegnung zur Verfügung stellt, bedarf es verstärkt des zivilgesellschaftlichen Engagements. Dabei kann die Zusammenarbeit diakonischer Einrichtungen und Dienste mit Unternehmen, wie sie im vorangegangenen Kapitel geschildert wird, eine wichtige Rolle spielen.

  8. Diakonische Einrichtungen und Unternehmen auf allen Ebenen konnten schon immer auf den Gründergeist, das soziale Engagement und die Kompetenz von Unternehmerinnen und Unternehmern bauen. In den Aufsichtsräten kirchlicher Krankenhäuser und Altenheime, in Stiftungen und Bildungseinrichtungen bringen sie bis heute ihre Kenntnis des Marktes und ihre Kompetenz in der Unternehmensleitung ein. Allerdings war das Verhältnis zwischen Kirche und Unternehmertum in den letzten Jahrzehnten zum Teil von Spannungen belastet und von Missverständnissen geprägt. Unternehmerinnen und Unternehmer klagten darüber, dass für ihr Handeln in der Wirtschaft und im Dienstleistungsbereich in der Kirche wenig Verständnis aufgebracht wurde und, dass Kirchenleitungen ihre Stellungnahmen zu Wirtschaft und Arbeitswelt zu wenig im Dialog erarbeitet hätten. Pfarrer und Pfarrerinnen andererseits befürchteten bisweilen, durch Unternehmer in den Sog eines einseitigen Effizienzdenkens gezogen zu werden, in dem menschliche Begegnung nicht mehr zählt. In den letzten Jahren ist aber auf verschiedenen Ebenen das Gespräch zwischen Vertretern der Kirche und Unternehmern intensiviert worden. Dazu wird nicht zuletzt die Tatsache beigetragen haben, dass die Kirche in vielen Handlungsfeldern wieder verstärkt unternehmerisch tätig werden musste, weil die Finanzierung durch Kirchensteuern allein nicht mehr trägt. Das Verständnis füreinander, aber auch die Wahrnehmung der Unterschiede wächst. Im Dialog miteinander können sich neue Kompetenzen, aber auch eine neue Orientierung entwickeln.

  9. Auch wenn die Kirche selbst zunehmend flexiblere Beschäftigungsverhältnisse anbietet, um in ihren Einrichtungen oder in diakonischen Unternehmen Entlassungen möglichst zu vermeiden, auch wenn sie wie andere Arbeitgeber mit Mitarbeitervertretungen und Gewerkschaften um tarifliche Eingruppierungen ringen muss, bleibt ihr Auftrag der gleiche: Sie wird sich für die Schwachen einsetzen und in Staat und Wirtschaft für eine gerechte Teilhabe aller eintreten. Sie handelt dann vertrauenswürdig, wenn sie auch in den eigenen Unternehmen darauf achtet, dass die Spreizung zwischen den unterschiedlichen Einkommensgruppen der Mitarbeitenden nicht in unvertretbarem Umfang wächst und, dass die Dienstgemeinschaft zwischen den verschiedenen Beschäftigungsgruppen trotz aller gelegentlichen Zerreißproben für Ausgleich sorgt und den gemeinsamen Dienst an den Hilfebedürftigen in den Mittelpunkt stellt.

  10. Seit es die Kirche gibt, setzt sie sich aus Menschen aus allen Gruppen und Schichten der Bevölkerung zusammen. Immer haben zu ihr Reiche und Arme, Einflussreiche und Randsiedler, Mächtige und Ohnmächtige gehört; immer haben in ihr Menschen mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund zusammen gearbeitet. Die Kirche weckt gerade dann Vertrauen und übt einen guten Einfluss auf die Gesellschaft aus, wenn sie über soziale Unterschiede hinweg Solidarität und Gemeinschaft in einer Weise lebt, die es sonst in der Gesellschaft nicht gibt. Die Ordnungen der Kirche mit ihren Wahlverfahren und ihrer Ämtervielfalt sichern zudem ­ zumindest im Grundsatz ­ eine breite Partizipation von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Gaben. In dieses Gefüge haben unternehmerisch Tätige immer hineingehört, aufgrund ihrer Erfahrungen und Kompetenzen wichtige, oft leitende Aufgaben übernommen und damit Gemeinden, Kirchenkreisen und Landeskirchen, aber auch vielen Diakonie- und Bildungseinrichtungen zukunftsweisende Impulse gegeben. Viele überregionale Organisationen und Netzwerke der Kirche machen besondere Angebote für Unternehmerinnen und Unternehmer oder sind aus deren Initiative entstanden.

    Unternehmerisch Tätige tragen wie alle Christen eine Mitverantwortung für ihre Kirche. Aber dies gilt auch umgekehrt. Die Kirche bemüht sich, auch durch spezielle Angebote und Dienstleistungen Verantwortungsträgern in der Wirtschaft den christlichen Glauben als Hilfe in Beruf und Leben nahezubringen. Derartige Bemühungen gibt es über die Kirchengemeinden hinaus auf verschiedenen Ebenen. So hat der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) seit den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein umfangreiches Netzwerk zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung des Kontaktes zu den Betrieben und Unternehmen unterhalten. Im Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer in Deutschland (AEU) bestehen viele Regionalgruppen, in denen Unternehmer und Unternehmerinnen ihre Erfahrungen als Christen in ihrem Berufsfeld austauschen. Auch die Evangelische Bundesarbeitsgemeinschaft "Handwerk und Kirche" in der Männerarbeit der EKD verfügt über entsprechende Arbeitskreise in den Landeskirchen.

    Das Angebot an Seminaren, Schulungen, Coaching u. a. für die Bedürfnisse der Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren in den Landeskirchen wie in freien Werken und Verbänden erheblich ausgeweitet worden. Es reicht von ethischen Fragen bis zu Einführungen in christliche Spiritualität, z. T. in Klöstern und Kommunitäten. Insbesondere die deutschen evangelischen Akademien verfügen in der Regel über sozial- und wirtschaftspolitisch ausgewiesene Studienleiter. Sie halten den Kontakt zur Wirtschaft und entwickeln gemeinsam interessierende Seminarangebote. Darüber hinaus sind in vielen Landeskirchen in den letzten Jahren die Begegnungen zwischen Mitgliedern der Kirchenleitung und der Wirtschaft intensiviert worden. Das reicht von gut geplanten Unternehmensbesuchen über Gespräche "am Kamin" bis hin zu gemeinsamen Einkehrtagen und längeren Begegnungen zu einem bestimmten Thema. Das Arbeitsplatzsiegel "Arbeit plus", das 1997 beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Leipzig angeregt wurde, wird inzwischen von der EKD verliehen; mit ihm wurden bisher weit mehr als 100 Firmen ausgezeichnet.

    Schließlich dient die sozialethische Arbeit der Kammern der EKD mit Texten wie dem hier vorliegenden der Klärung grundlegender Fragen im Überschneidungsbereich zwischen Kirche und Theologie auf der einen sowie wirtschaftlichem Handeln sowie Wirtschafts- und Sozialpolitik auf der anderen Seite.

    Angesichts dieser Vielfalt überregionaler Angebote sollte allerdings die Bedeutung der Zusammenarbeit auf Gemeinde- und Kirchenkreisebene nicht übersehen werden. Gerade die Kirchengemeinden bieten mit den vielfältigen Erfahrungen ihrer Mitglieder die Chance, Gemeinschaft zu bilden, die nicht von Leistung und Erfolg abhängig ist, sondern Trost und Ermutigung für alle bietet.
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