Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive

Eine Denkschrift des Rates der EKD, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, 2008, ISBN 978-3-579-05905-1

Die Leitgedanken in Thesen

Anlass und Zielsetzung der Denkschrift

Unternehmerisches Handeln ist für die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend. Ihm wird zur Bewältigung zunehmender weltweiter sozialer und ökologischer Probleme eine weiter wachsende Bedeutung zukommen. Diese Situation erfordert es, dass auch die evangelische Kirche ihr Verhältnis zum unternehmerischen Handeln präzisiert. Ausgehend vom Leitbild der gerechten Teilhabe aller an den gesellschaftlichen Möglichkeiten ermutigt dieser Text zu einer verantwortlichen Gestaltung der Wirtschaft, die sich an grundlegenden ethischen Maßstäben orientiert.

1. Zur Bedeutung unternehmerischen Handelns

Unternehmerisches Handeln ist von zentraler Bedeutung für Innovation, Wertschöpfung und gesamtgesellschaftlichen Wohlstand. Moderne Gesellschaften brauchen Menschen, die bereit sind, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.

2. Unternehmerisches Handeln in der Perspektive des christlichen Glaubens

Der christliche Glaube befreit zum vernünftigen, sachgemäßen und verantwortlichen Handeln. Er gibt Menschen auch die Kraft, sich unternehmerisch einzusetzen und im Zusammenwirken mit anderen an einer Zukunft zu arbeiten, die Wohlstand für möglichst viele schafft und zugleich die Schöpfung bewahrt. Aus seinem Geist erwächst die Entscheidung für eine Wirtschaftsordnung in der Tradition der Sozialen Marktwirtschaft.

2.1 Biblische Orientierungen

Viele Texte der Bibel greifen auf Erfahrungen der Arbeitswelt und der Ökonomie zurück, um zu einem gelassenen und zugleich verantwortungsvollen Umgang mit anvertrauten Gütern und Gaben zu ermutigen. Aus dem Arbeitsleben entnommene Gleichnisse unterstreichen die große Bedeutung der Arbeit für die Menschen. Sie bieten hilfreiche Grundorientierungen für das unternehmerische Handeln. Direkte Anweisungen für das Arbeitsleben lassen sich daraus allerdings nur bedingt ableiten.

2.2 theologisch-ethische Orientierungen

2.2.1 Freiheit in Verantwortung

Der christliche Glaube befreit zur vertrauensvollen Kooperation mit anderen in wechselseitiger Achtung und gegenseitiger Angewiesenheit. Unternehmerische Freiheit in evangelischer Perspektive ist Freiheit in Verantwortung vor Gott und den Menschen. Menschen, die in einem Unternehmen arbeiten, sind in ihrer eigenen Würde zu respektieren. Sie können deshalb nie nur Mittel zum Zweck sein. Die Zehn Gebote, das Gebot der Nächstenliebe, die Goldene Regel und andere Grundlagen des Glaubens sind ein verlässlicher Kompass auch für Unternehmer, die in schwierigen Konfliktsituationen entscheiden müssen

2.2.2 Berufung zum unternehmerischen Handeln

Aus christlicher Sicht erwächst die Motivation zu unternehmerischem Handeln aus Gottes Berufung. Sie ermutigt den Einzelnen, Verantwortung für sich und andere an seinem konkreten Ort zu übernehmen.

3. Unternehmertum und Soziale Marktwirtschaft

Die in Deutschland entwickelte gesellschaftspolitische Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft als Gegenentwurf sowohl zu planwirtschaftlichen als auch zu rein wirtschaftsliberalen Vorstellungen fordert eine schlüssige Verknüpfung von hoher wirtschaftlicher Dynamik durch die staatliche Sicherung funktionierenden Wettbewerbs mit sozialer Gerechtigkeit als Voraussetzung für breiten Wohlstand. In ihr verwirklichen sich ursprünglich protestantische Werthaltungen.

4. Unternehmer und Arbeitnehmer

Zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern besteht eine ungleichgewichtige Beziehung, aus der Unternehmern eine besondere Verantwortung erwächst.

4.1 Schaffung, Erhalt und Abbau von Arbeitsplätzen

Unternehmen sind dynamisch und mit ihnen auch die Arbeitsplatzentwicklung. Unternehmer müssen diesen Prozess in fairer Partnerschaft mit allen Betroffenen verantwortlich gestalten.

4.2 Mitbestimmung und Mitverantwortung

Die Beteiligung von Arbeitnehmern am Wertschöpfungsprozess berechtigt in der Tradition der Sozialpartnerschaft zur Mitbestimmung und erfordert Mitverantwortung für die Dynamik der Unternehmensexistenz. Mitbestimmung kann das notwendige Vertrauenskapital schaff en.

4.3 Mitarbeiterbeteiligung

Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital und vor allem am Ertrag kann Vorteile auch für die Unternehmen bieten und ist eine Chance, eine gerechtere Vermögensverteilung herbeizuführen. Insbesondere die Kapitalbeteiligung birgt allerdings auch beachtliche Risiken für die Beschäftigten.

5. Unternehmerisches Handeln und Konsumenten

Unternehmen nehmen Verbrauchererwartungen auf und formen sie. Immer mehr Konsumenten erkennen, dass es sich lohnt, ihre Kaufentscheidungen bewusst wertorientiert zu vollziehen, und tragen so dazu bei, dass sich Märkte stärker an ethischen und moralischen Orientierungen ausrichten. Wirtschaft und Politik müssen an dieser Stelle für mehr Transparenz sorgen.

6. Unternehmerisches Handeln und Kapitalmarkt

Die Veränderungen auf den Kapitalmärkten tragen zur berechtigten Beunruhigung bei. Gut regulierte Kapitalmärkte können jedoch zu erheblichen Wohlfahrtsgewinnen durch Transparenz, Effizienz und eine bessere Risikoverteilung beitragen.

6.1 Neue Eigentümer und Finanzinstrumente

Die veränderten Bedingungen der Kapitalbeschaffung beeinflussen die Möglichkeiten unternehmerischen Handels beträchtlich. Der Wettbewerb auf den Finanzmärkten muss transparent gestaltet und durch eine verbesserte Aufsicht und Selbstverpflichtung der Marktteilnehmer flankiert werden. Christliche Werte eines ehrbaren Kaufmanns spielen dabei eine große Rolle.

6.2 Gehälter von Managern

Unverhältnismäßig hohe Gehälter von Managern zerstören das Vertrauen der Menschen in die Wirtschaft. Der Abstand zwischen Gehältern in einem Unternehmen muss vor den Beziehern der geringsten Gehälter gerechtfertigt werden können.

7. Wirtschaftliche und politische Verantwortung in Zeiten der Globalisierung

Der weltweit verschärfte Wettbewerb eröffnet Chancen und Risiken. Die Globalisierung und offene Märkte bieten Unternehmen weltweite Produktions- und Absatzchancen. Dies eröffnet ärmeren Ländern die Möglichkeit, von Investitionen ausländischer Unternehmen zu profitieren, offene Märkte zu nutzen und ihr allgemeines Sozial- und Wohlstandsniveau zu verbessern. In den entwickelten Industriestaaten führen solche Entwicklungen, die häufig mit Produktionsverlagerungen ins Ausland verbunden sind, zu Anpassungsproblemen und einem tiefgreifenden Strukturwandel, der eine entsprechende soziale Gestaltung erfordert. Es kommt darauf an, die Leitlinien der Sozialen Marktwirtschaft Schritt für Schritt weltweit tragfähig zu machen und damit eine gerechte Teilhabe aller zu ermöglichen. Den internationalen Arbeitsstandards kommt dabei wachsende Bedeutung zu.

8. Gesellschaftliche Verantwortung von Wirtschaftsunternehmen - Wirtschaftliches Handeln von Kirche und Diakonie

Neben der zentralen unternehmerischen Aufgabe, Produkte und Dienstleistungen effizient zu erbringen und erfolgreich zu wirtschaften, spielen Sozial- und Umweltstandards eine immer wichtigere Rolle in den Strategien von Wirtschaftsunternehmen. Umgekehrt gewinnt das effiziente Wirtschaften für die sozialen Dienste der Kirche eine wachsende Bedeutung. Damit ergeben sich auch neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Kirche und Unternehmerschaft.

8.1 Soziales Handeln gewerblicher Unternehmen

Unternehmen erfüllen ihre gesellschaftliche Aufgabe vor allem durch nachhaltiges, effizientes und erfolgreiches Wirtschaften. Angesichts eines weltweit zunehmenden Wettbewerbs wachsen ihr Einfluss und ihre Verantwortung. Dazu gehört die Einhaltung von nachhaltigen Sozial- und Umweltstandards, die in Richtung langfristiger Strategien entwickelt werden müssen. Darüber hinaus lohnt es sich für Unternehmen, auch bürgerschaftliche Verantwortung zu übernehmen.

8.2 Unternehmertum, Kirche und Diakonie

Die Kirche ist kein Unternehmen. Gleichwohl muss sie in vielen Arbeitsfeldern unternehmerisch handeln. Im Sozialsektor hat sich durch das Auftreten neuer Anbieter und eine sich ändernde Gesetzgebung eine markt- und wettbewerbsorientierte Sozialwirtschaft herausgebildet, in der sich die Diakonie als soziale Unternehmung der Kirche behaupten muss. Im Bildungssektor wachsen neben den öffentlichen Angeboten die Angebote freier Träger. Unternehmer haben die Aufgaben und Dienste von Kirche und Diakonie von Anfang an mitgestaltet. Ihr Sachverstand wird gebraucht. Durch ihre Beteiligung erfahren sie Ermutigung und können ihre Kompetenz einbringen.

9. Fazit und Empfehlungen

Die Dynamik wirtschaftlicher Prozesse wird nicht abnehmen; ebenso wenig werden die Anforderungen an unternehmerisch Tätige zurückgehen. Um diesen Belastungen Stand zu halten, bedarf es gerade bei Verantwortlichen in der Wirtschaft gesteigerten ethischen Bewusstseins, klarer Orientierungen sowie spiritueller Beheimatung. Alle gesellschaftlichen Institutionen sind gefordert, Menschen, die dazu bereit sind, zu verantwortlichem unternehmerischem Handeln zu befähigen.

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