Theologieprofessor: Kirche ist auch im Tattoostudio und mit Heavy-Metal-Musik denkbar

Hannover (epd). Eine Kirchengemeinde mit einer Kletteranlage, Gottesdienste im Tattoo-Studio oder mit Heavy-Metal-Musik: Der evangelische Theologieprofessor Michael Herbst sieht in solchen Neuerungen durchaus Chancen für die Kirchen. "Wer so etwas anbietet, muss sich aber wirklich einlassen auf eine soziale Gruppe, einen Ort oder ein Lebensgefühl", sagte Herbst dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Der Greifswalder Professor für Praktische Theologie war in Hannover als Redner bei einem Seminartag der Bewegung "Fresh X" vorgesehen, bei dem ungewöhnliche Kirchen-Konzepte vorgestellt werden sollten. Die ökumenische Initiative "Fresh X" will nach neuen Wegen suchen, um Menschen ohne Bezug zur Kirche anzusprechen und ihnen den christlichen Glauben nahe zu bringen.

Mit Neuerungen nicht den Trends hinterherrennen

Vorbild ist ein Projekt der anglikanischen Kirche aus England. "Die Grundidee ist dabei, dass die Kirche zu den Menschen kommt und dort auch bleibt", erläuterte Herbst. Oft gehe die Initiative von Ehrenamtlichen aus. In Greifswald seien zum Beispiel 13 Wohngemeinschaften von jungen Menschen entstanden, die in einem sozialen Brennpunkt diakonisch-missionarische Sozialarbeit leisteten. "Sie haben gesagt, das geht nur, wenn wir auch dort in die Plattenbauten ziehen."

Wichtig sei es, mit den Neuerungen nicht Trends hinterherzurennen, sondern glaubhaft zu bleiben, betonte der Theologe. So sei ein Pastor, der in der Schweiz auch als "Metalpfarrer" unterwegs sei, selbstverständlich eingefleischter Heavy-Metal-Liebhaber. Aus den Initiativen sollten sich nach Möglichkeit eigene Formen von Gemeinden entwickeln. "Eine Kirchengemeinde, die eine Kletterhalle baut, darf nicht meinen, in zwei Jahren sitzen alle Kletterer bei ihr in den Gottesdiensten", sagte Herbst. "Es wird sich eine eigene Form ergeben, und keiner weiß vorher, wie die aussieht."

Kirchengemeinde im Bezirk für viele kein Bezugspunkt mehr

Nötig seien die neuen Formen, weil vor allem in den Städten die Lebenswelten der Menschen stark auseinanderdrifteten. Die Kirchengemeinde in einem Bezirk sei für viele kein Bezugspunkt mehr. "Die Lebenswelt der Menschen ist stattdessen zum Beispiel von der Schule geprägt, auf die ihre Kinder gehen, oder von dem kulturellen Angebot, für das sie sich engagieren."

Herbst zählt auch zu den Rednern eines am 11. Februar in Hannover beginnenden Kongresses der christlichen Initiative "Willow Creek". Auch dieser Zusammenschluss hat sich vorgenommen, in Zeiten leerer werdender Kirchen die Menschen auf neue Weise für den christlichen Glauben zu gewinnen. Zu dem Kongress werden bis zum 13. Februar rund 9.500 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter aus Kirchen im deutschsprachigen Raum erwartet.

10. Februar 2016