Huber: „Die Alternative zur Gewaltfreiheit ist nicht Nichtstun“

Der evangelische Theologe und Ethiker Wolfgang Huber sieht die Kirche durch den Ukraine-Krieg vor einer friedensethischen Zeitenwende.

Wolfgang Huber

Der Berliner Altbischof und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, in seinem Arbeitszimmer in Berlin (Foto vom 18.07.2022).

Berlin (epd). Der evangelische Theologe und Ethiker Wolfgang Huber sieht die Kirche durch den Ukraine-Krieg vor einer friedensethischen Zeitenwende. „Der auf den Verbrechen des 20. Jahrhunderts fußende deutsche Sonderweg steht uns - auch als Christen - nicht mehr zur Verfügung. Das ist die Zeitenwende friedensethischer Art, mit der wir uns auseinandersetzen müssen“, sagte Huber dem Evangelischen Pressedienst (epd).

„Ich glaube, dass man sich außerhalb des geltenden Völkerrechts stellt, wenn man die persönliche Entscheidung zum prinzipiellen Gewaltverzicht zur Verpflichtung eines ganzen Landes erklärt“, sagte der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Berliner Altbischof. Laut der Charta der Vereinten Nationen gelte die Pflicht, auf Gewalt gegen andere Staaten zu verzichten. Wenn jedoch dagegen verstoßen werde, gelte das Selbstverteidigungsrecht.

Er halte es jedoch nicht für die vordringlichste Aufgabe, die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 zu überarbeiten. Sie sei nicht darin überholt, dass sie für alle Situationen von Gewaltanwendung die gleichen Kriterien anwende. Das Ziel sei die Bewahrung und Wiederherstellung des Rechts. „Vorrang haben gewaltfreie Mittel. Aber die Alternative zur Gewaltfreiheit ist nicht Nichtstun. Das Gebot “Du sollst nicht töten„, schließt mit ein, dass man nicht zuschauen soll, wenn getötet wird, ohne etwas dagegen zu tun“, betonte Huber.

In der evangelischen Kirche werden etwa in der Frage der Waffenlieferungen derzeit zwei Positionen vertreten: Der EKD-Friedensbeauftragte, der mitteldeutsche Bischof Friedrich Kramer, lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab und betont die Suche nach friedlichen Konfliktlösungen. Andere, darunter auch die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus, betonen das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung.

„Es ist grotesk, dass die Gewalttaten, die unsere Väter verübt haben, uns daran hindern sollten, Menschen beizustehen, die Opfer vergleichbarer Gewalttaten sind“, sagte Huber. „Bei allem Respekt für den Vorbildcharakter einer persönlichen Entscheidung zur Gewaltlosigkeit, diese Gewaltlosigkeit zur unumstößlichen Maxime eines ganzen Landes zu machen, heißt gegebenenfalls, nicht nur für sich, sondern auch für andere auf das Selbstverteidigungsrecht zu verzichten.“

Huber sagte, in der Kirche müsse über beide Positionen eine Debatte geführt werden, „aber - das muss ich der Klarheit halber sagen - nicht in dem Sinn, dass beide Positionen für alle Zeiten unverbunden nebeneinanderstehen“.

epd-Gespräch: Markus Geiler und Franziska Hein