„Deutsche Lesekultur ist eine Errungenschaft der Reformation“

EKD-Kulturbeauftragter Johann Hinrich Claussen über das Lesen anlässlich der Frankfurter Buchmesse

Lesende Frau auf einem Sofa
Lesende Frau. (Symbolbild)

Die Lesekultur in Deutschland geht nach Auffassung des Theologen und Kulturexperten Johann Hinrich Claussen im Wesentlichen auf die Reformation zurück. „Auch wenn sich konfessionelle Prägungen heute verflüchtigt haben, ist doch eine der großen kulturellen Errungenschaften des Protestantismus und der Reformation, das Lesen zu einer fast religiösen Tätigkeit zu machen“, sagte der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dem Evangelischen Pressedienst (epd) vor Eröffnung der Frankfurter Buchmesse, der weltweit größten Fachmesse für Literatur. 

Das Christenleben erfülle sich seither nicht nur in kirchlichen Ritualen, sondern auch im Häuslichen, Privaten und im gemeinschaftlichen oder individuellen Lesen von Texten, sagte Claussen. Zunächst sei es um Bibel, Gesangbuch und Erbauungsliteratur gegangen, später habe sich das Lesen „säkularisiert“. Im lutherischen Bildungsverständnis erfahre es eine besondere Wertschätzung; das Lesen sei mehr als eine Kulturtechnik, nämlich eine „Erfüllung des Eigenen“. „Lesen ist ja ein hochkreativer Akt“, so Claussen.

„Bücher sind ja Lebensbegleiter, immer noch.“

Johann Hinrich Cluassen, Kulturbeauftragter der EKD
Johann Hinrich Claussen Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

 

Er plädierte zugleich für Entschleunigung und Konzentration beim Lesen. Dass heute weniger Bücher gelesen würden als noch vor einigen Jahren, sei der Beschleunigung des gesamten Lebens und der Dauererreichbarkeit durch Digitalisierung geschuldet, so der Theologe: „Lesen heißt, ich ziehe mich für längere Zeit zurück, ich schalte mich aus dem öffentlichen Dauergequassel aus. Sich diese Auszeit zu nehmen, wird kulturell und gesellschaftlich immer schwieriger, weil man dauernd erreichbar sein muss.“

Besonders wichtig sei es, seinen „eigenen Lesespuren“ zu folgen. „Uns wird ja durch Algorithmen ständig vorempfohlen, was wir zu lesen hätten“, betonte Claussen mit Blick auf Internet-Werbung und Bestseller-Rankings. Das müsse weder etwas Hochwertiges oder intellektuell Anspruchsvolles sein, noch die jeweils neueste Produktion, aber es sollte zu den eigenen Interessen an Autoren oder Themen passen. „Bücher sind ja Lebensbegleiter, immer noch“, unterstrich der lutherische Theologe. Vor allem Gedichte seien geeignet, sich immer wieder erneut darin zu versenken.

„Das Reformationsjahr hat eine reiche Bücherernte gebracht“

Im Blick auf den Büchermarkt zum Reformationsjubiläum 2017 zog Claussen ein positives Fazit: „Das Reformationsjahr hat doch eine reiche Bücherernte gebracht“. Das Beste und Wichtigste sei die „re-revidierte Lutherbibel“, die in vielen Teilen wieder zum alten Luthertext zurückkehre. „Das ist eine große, exegetische und philologische Leistung“, sagte der Kulturbeauftragte. Daneben gebe es schöne und gute Sachbücher, etwa Thomas Kaufmanns „Erlöste und Verdammte“, sowie den interessanten Lyrikband „Psalmen“ von Uwe Kolbe. 

Renate Kortheuer-Schüring (epd)