Damit die Familie zusammenbleiben kann

Der 3. Dezember ist „Tag der Menschen mit Behinderung“

Wenn Menschen mit geistiger Behinderung Eltern werden, brauchen sie Unterstützung im Alltag. Die Nachfrage nach Wohnkonzepten, die ihnen ein gemeinsames Familienleben ermöglichen, ist groß.

Hände in einem Kreis

Hände in einem Kreis

Heilbronn, Mosbach (epd). Die vierjährige Sophia mag Eis, Nudeln mit Käse und die Geschichte vom Schweinchen „Peppa Wutz“. Die Gute-Nacht-Geschichte gehöre zum allabendlichen Ritual vor dem Einschlafen, erzählen Mutter Cornelia und Vater Roman Kraft. Beide haben eine geistige Behinderung. Sophia ist ihr Wunschkind.

Familie Kraft lebt im betreuten Wohnen. Mutter und Vater kümmern sich selbst um das Kind. Damit die Elternschaft gelingt, erhalten Roman und Cornelia Kraft Unterstützung: Bei der Organisation und Bewältigung des Alltags, bei der Erziehung des Kindes, bei behördlichen Angelegenheiten. Die Offenen Hilfen Heilbronn und die Caritas Heilbronn-Hohenlohe teilen sich die Aufgaben.

Eltern wie die Krafts gibt es immer häufiger, beobachtet Hartmut Seitz-Bay von den Offenen Hilfen Heilbronn. Die diakonische Einrichtung unterstützt seit zehn Jahren Menschen mit geistiger Behinderung und deren Familien. Der Kinderwunsch bei Paaren mit Lern- oder geistiger Behinderung sei eine „logische Entwicklung der Behindertenhilfe“, sagte der Geschäftsführer dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Denn jeder Mensch hat das Recht, eine Familie zu gründen. Die Sehnsucht nach Nähe, Liebe und Sexualität, nach Ehe und Kindern gehört auch bei Menschen mit Behinderung dazu. Dass eine Familie zusammenbleibt, in der beide Eltern eine geistige Behinderung haben, ist allerdings die Ausnahme. Das Kind wächst auf Anordnung der Jugendämter meist in einer Pflegefamilie auf.

Kinder brauchen Anregungen, die ihre emotionale und intellektuelle Entwicklung fördern. Sie brauchen Grenzen, also Eltern, die auch nervlich in der Lage sind, Konflikte auszuhalten. Dessen sind sich Roman und Cornelia Kraft bewusst.

Der Umgang mit dem Kind war vor allem für Roman anfangs nicht leicht. Der 47-Jährige hatte große Angst, längere Zeit mit Sophia allein zu bleiben, zog sich zurück. „Er hatte Widerstände“, erklärt die Familienhelferin der Krafts, Antje Schüssler-Münzing von der Caritas. Das sei inzwischen schon viel besser geworden.

Der Fokus der Sozialpädagogin liegt auf der bestmöglichen Förderung des Kindes. Dazu zählen regelmäßige Spielplatzbesuche, altersgerechte Spiele, Erziehung - bis Sophia 18 Jahre alt ist. Das Kind kennt es nicht anders, die Betreuerin - man könnte auch sagen „die Zweitmutter“ - gehört dazu.

Parallel zur Hilfe bei der Erziehung leistet Michaela Sigloch von den Offenen Hilfen Heilbronn der Familie einmal in der Woche Assistenz beim Wohnen. Hier geht es ums Putzen, Einkaufen, die Organisation des Alltags oder das Schreiben von Bewerbungen. „Herr Kraft ist sehr selbstständig“, sagt die Heilerziehungspflegerin und hebt die Kochkünste von Roman Kraft hervor.

Mit Stärken kann auch Cornelia Kraft aufwarten. „Sie vergisst nichts“, für ihre Aufmerksamkeit genieße sie die Wertschätzung der Erzieherinnen in der Kita, sagt Michaela Sigloch. Seit Sophia ein Jahr alt ist, besucht das Mädchen die Betreuungseinrichtung. Dort verbringt es einen Großteil des Tages. „Wenn wir sie dort gemeinsam abholen, strahlt sie“, bemerkt Vater Roman - und man sieht ihm an, wie stolz er ist.

Hartmut Seitz-Bay weiß auch um die Überforderung von Müttern und Vätern mit geistiger Behinderung nach gewollten oder ungewollten Schwangerschaften. Zehn Kinder hat der Geschäftsführer erlebt, die in Pflegefamilien kamen. Das soll anders künftig anders werden.

Im neuen Heilbronner Quartier „Nonnenbuckel“ sollen Eltern mit geistiger Behinderung mit ihren Kindern eine Bleibe finden. Vorgesehen sind eine Kinderwohngruppe, Assistenz beim Wohnen sowie die bevorzugte Vergabe des geförderten Wohnraumanteils an alleinerziehende und behinderte Menschen. Die ersten Anmeldungen liegen bereits vor - eine ist die des Ehepaars Kraft.

Wegen der hohen Nachfrage bereitet in Baden die Johannes-Diakonie in Mosbach ein ähnliches „dauerhaftes Angebot“ vor, sagt der Projektleiter für „Begleitete Elternschaft“, Ralf Geyer. Bis Jahresende hofft er die Leistungsvereinbarung für zwei Wohngemeinschaften mit je vier Bewohnern für Menschen mit geistiger Behinderung und deren Kindern in trockenen Tüchern zu haben. Mit ihrem wohnortnahen, einheitlichen Konzept betreten die zwei Einrichtungen Neuland in Baden-Württemberg. „Vorbilder gibt es keine“, sagte Ralf Geyer. Es gebe viele auch überregionale Anfragen.

Statistische Daten zur begleiteten Elternschaft sind nur schwer zu erheben. „Wer ist damit gemeint, wenn wir von geistiger Behinderung reden?“, fragt Referatsleiter Kai Pakleppa von der Bundesvereinigung Lebenshilfe, die in ganz Deutschland Angebote auf begleitete Elternschaft macht. Laut internationalen Studien liege der Anteil der Eltern unter Menschen mit geistiger Behinderung bei zwei bis drei Prozent.

Nicht immer gelingt die Begleitung so gut wie bei Roman und Cornelia Kraft. Sie hüten Sophia wie ihren Augapfel und wünschen sich ein zweites Kind. Sophia ist „Papas Engelchen“. Zuwendung schenken dem „Bilderbuchkind“, wie Michaela Sigloch Sophia sagt, außerdem der Opa und die Tante.

Dennoch: Das „Damoklesschwert Jugendamt“ sei stets präsent, sagt Antje Schüssler-Münzing. Alle sechs Monate gibt es ein sogenanntes Hilfeplangespräch mit dem Amt. Sollte die Entwicklung von Sophia in Gefahr sein, ist sie dazu verpflichtet, das Jugendamt zu informieren.

Von Susanne Lohse (epd)

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