Diakonie wirbt für ein sozialeres Europa

Journalist Heribert Prantl kritisiert auf dem Europakongress der Diakonie die Privatisierung auf Kosten des Gemeinwohls

Berlin (epd). Die Diakonie Deutschland hat eine Stärkung der Sozialpolitik auf europäischer Ebene gefordert. "Europäische Integration ist ohne soziale Gerechtigkeit nicht zu haben", sagte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, auf der zweiten Europakonferenz des evangelischen Wohlfahrtsverbandes. Das derzeitige „Fremdeln“ mit der europäischen Idee in vielen Staaten sei Folge „der sehr realen Spaltung“ der europäischen Gesellschaften in sogenannte Globalisierungsgewinner und Globalisierungsverlierer.

Im Mittelpunkt der Tagung stand die im vergangenen Jahr veröffentlichte „Diakonie-Charta für ein Soziales Europa“. Sie fordert unter anderem eine Gleichrangigkeit von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung sowie eine „substanzielle Stärkung der sozialen Dimension“ in der EU. Gastredner war der Journalist und Autor Heribert Prantl, der unter anderem das Buch „Trotz alledem! – Europa muss man einfach lieben“ veröffentlicht hat.

Loheide betonte, eine europäische Identität abseits von Ideen der Konkurrenz und des Nationalismus entstehe nur dort, wo Menschen Solidarität und Gerechtigkeit erleben. Das Gefühl von Zugehörigkeit und Identität stelle „sich dort nicht ein, wo dauerhaft Angst um die eigene Zukunft besteht“, wo es Sorgen um den Arbeitsplatz, bezahlbaren Wohnraum, die Bildungschancen der eigenen Kinder oder die Versorgung bei Krankheit oder im Alter gebe. 

Prantl, der der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“ angehört und deren Meinungsressort leitet, warb für einen Aufbruch und eine Reform Europas „an Haupt und Gliedern“. Europa brauche eine „Transnationalisierung der Demokratie“ und sozialstaatlicher Grundgarantien. „Die Menschen in Europa wollen spüren, dass diese EU für sie da ist und nicht zuvorderst für Banken und den internationalen Handel“, sagte Prantl. Erst eine kluge Sozialpolitik mache aus der „etwas sperrigen EU“, die noch zu sehr Wirtschaftsgemeinschaft sei, „eine Heimat für die Menschen, die darin leben“.

Entstaatlichung ist Gefahr für Demokratie

Prantl kritisierte zugleich die Privatisierung sozialer Verantwortung in der EU, soziale Belange und das Gemeinwohl kämen zu kurz. „Diesen Weg sollte die EU so nicht weitergehen, sie sieht noch immer viel zu viel durch die Brille der Wettbewerbsfreiheit“, betonte der Journalist. So seien etwa die Anstöße für eine Privatisierung der Post, der Telekommunikation und der Bahn von Brüssel ausgegangen. „Deshalb ist Brüssel stolz auf diese Privatisierungen, nicht aber der Verbraucher“, betonte Prantl: „Wenn der Staat seine Aufgaben abwirft wie der Baum die Blätter im Herbst, wenn sich der Staat immer kleiner macht, dann wird auch der Bereich, den die Wähler mitbestimmen können, immer kleiner.“ Zu viel Entstaatlichung werde so zur Gefahr für die Demokratie. Dies fange schon bei der Privatisierung kommunaler Versorgungsbetriebe an.

Mit Blick auf die Bankenkrise sagte der gelernte Jurist, es gebe „ein eklatantes Missverhältnis zwischen der Hektik der Spardiktate, die über die Südländer der EU verhängt werden, und der Apathie, wenn es um die Zähmung des Finanzkapitalismus geht“. Für 90 Prozent der ehemals privaten Schuldtitel garantierten oder hafteten direkt oder indirekt die europäischen Steuerzahler, so Prantl: „Europa wurde offensichtlich missbraucht, um die Finanzkapitalisten zu bedienen.“

Vom Europäischen Gerichtshof forderte Prantl, er müsse „seine Wirtschaftsausgerichtetheit ablegen“ und sich als Hüter der europäischen Verfassung mit all ihren Rechten, insbesondere den sozialen Rechten verstehen.