Eine Verpflichtung, für die Menschenwürde einzutreten

Friedrich Weißler, Jurist der Bekennenden Kirche, starb vor 80 Jahren im KZ

Sein Leben endete in Gewalt, unter den Stiefeln von SS-Männern. Friedrich Weißler war Jurist der Bekennenden Kirche und gab Informationen ans Ausland weiter – unter anderem auch zur Hitler-Denkschrift 1936. Nach seiner Verhaftung ließ ihn die Führung der Bekennenden Kirche fallen.

Friedrich Weißer mit Familie im Jahr 1932
Friedrich Weißler mit seiner Familie, Bild aus dem Jahr 1932.

„Er war der Mann Gottes – hinter den Kulissen!“ Das sagte Werner Koch über Friedrich Weißler – Jahre nach dessen gewaltsamem Tod am 19. Februar 1937 im KZ Sachsenhausen. In den 1930er Jahren standen beide in enger, konspirativer Verbindung. Der Vikar Koch, Absolvent des illegalen Predigerseminars der Bekennenden Kirche, versorgte die Presse im Ausland mit Berichten über den Kirchenkampf, der in Deutschland damals heftig tobte. Weißler, juristischer Berater bei der Bekennenden Kirche, fütterte ihn mit Informationen aus dem innersten Kreis.

Friedrich Weißler war Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts aus Königshütte in Schlesien, wurde aber bereits als Kind evangelisch getauft. Nach Studium und Kriegseinsatz brachte er es bis zum Landgerichtsdirektor in Magdeburg. Als er im Februar 1933 einen SA-Mann verurteilte, setzte es Verleumdungen und Drohungen. Weißler wurde im Gerichtsgebäude zusammengeschlagen, vom Dienst suspendiert und schließlich aufgrund des „Arierparagraphen“ ganz aus dem Staatsdienst entlassen.

Wirbel um Denkschrift

1934 stieß der gläubige Christ zur Bekennenden Kirche – zunächst als ehrenamtlicher Berater der vorläufigen Kirchenleitung in Berlin, zwei Jahre später wurde er Bürochef der Kanzlei. Hier wirkte Weißler auch an der Vorbereitung der Denkschrift an Adolf Hitler mit, in der die Führung der Bekennenden Kirche ihre Sorge über eine Entkirchlichung und „Missdeutungen des christlichen Glaubens“ durch führende Vertreter des NS-Regimes zum Ausdruck brachte. Die Verfasser kritisierten Eingriffe des Staates in das kirchliche Leben, insbesondere das Bestreben des Kirchenministers, durch Einsetzung von Ausschüssen den innerkirchlichen Konflikt zwischen Bekennender Kirche und den Deutschen Christen zu lösen. Dies halte die Kirche in Abhängigkeit von der Staatsmacht und zwinge sie zur Duldung von Irrlehre, heißt es. Die NS-Weltanschauung werde zunehmend zum Ersatz für das zu überwindende Christentum, eine dem Christentum „wesensfremde Sittlichkeit“ dringe in das Volk ein. Kritisiert werden auch die Willkür der Gestapo und die Existenz der Konzentrationslager.

Die Schrift wurde Anfang Juni 1936 vertraulich in der Reichskanzlei übergeben. Zunächst sollte nichts nach außen dringen, man wollte die Antwort Hitlers abwarten. Doch bereits Mitte Juli erschien in der New York Herald Tribune ein Artikel über die Denkschrift, die Basler Nachrichten publizierten das Dokument schließlich im Wortlaut. Das sorgte für Wirbel und Empörung nicht nur beim NS-Regime. Auch innerhalb der Bekennenden Kirche war von „Vertrauensbruch“ und „Verrat“ die Rede.

„Gezwungen, zum eigenen Wort zu stehen“

Es begann eine fieberhafte Suche nach der undichten Stelle, und so geriet auch Friedrich Weißler unter Verdacht. Anfang Oktober wurde der Jurist zusammen mit Ernst Tillich von der Gestapo verhaftet. Im Verhör gab Weißler zu, einen Entwurf der Denkschrift an Tillich weitergegeben zu haben – unter der Vorgabe, das Dokument niemandem anderen zu zeigen. Tillich sagte aus, er habe dem Nachrichtenbüro Reuter eine Abschrift überlassen. Wie und durch wen die Hitler-Denkschrift letztlich an die Öffentlichkeit gelangte, ist bis heute ungeklärt. Weißler sagte, er habe bei der Weitergabe von Informationen im Interesse der Ökumene gehandelt. Die mache es „den einzelnen christlichen Kirchen zur Pflicht, ihre Nöte und Erfahrungen miteinander auszutauschen“.

Der Aufruhr, den die Veröffentlichungen zur Denkschrift bewirkten, „übertraf alle ,Sensationen‘, die der deutsche Kirchenkampf bislang hervorgerufen hatte“, erinnerte sich Werner Koch. „Die Kirche war dadurch gezwungen, zu ihrem eigenen Wort zu stehen und in Form einer Kanzelabkündigung ihr Bekenntnis vor dem ganzen Volk zu wiederholen.“

Spätes Schuldbekenntnis

Da sie die Indiskretion selbst nicht aufklären konnte und um ihren „Ruf nationaler Zuverlässigkeit“ fürchtete, habe die Bekennende Kirche selbst die Gestapo und andere staatliche Stellen gebeten, Ermittlungen aufzunehmen, wie der Historiker Manfred Gailus schreibt. Nach seiner Verhaftung habe sich der Bruderrat von Weißler distanziert – ohne dass ein Beweis gegen ihn vorgelegen hätte. Als Beispiel zitiert Gailus Martin Niemöller: "Gegen Weißler muß sofort ein klarer Strich gezogen werden. Wir müssen sauber und klar handeln, das sind wir der BK schuldig.“

Im Februar 1937 wurde Friedrich Weißler zusammen mit Koch und Tillich ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht und dort in einer Einzelzelle interniert. Am Morgen des 19. fand die Wache ihn dort leblos auf dem Boden liegend. Lagerarzt und Kommandant sprachen zunächst von Suizid. Genauere Untersuchungen des Leichnams zeigten jedoch schwerste innere Verletzungen als Todesursache. Der „Jude“ Weißler sei vermutlich Opfer eines Totschlägerkommandos von SS-Männern geworden, schreibt Manfred Gailus.

„Er war einer von denen, auf die es in Wahrheit ankam“, sagte Werner Koch im Rückblick über seinen Mitstreiter und die Wirkung seines Handelns. Die Art und Weise, wie die Führung der Bekennenden Kirche von ihrem „nicht arischen“ Mitarbeiter Weißler abrückte, müsse beschämend wirken, so Historiker Gailus. Man habe ihn als „ersten Märtyrer der Bekennenden Kirche“ gerühmt, über die Hintergründe aber kaum gesprochen. Bis zu einer Aufarbeitung sollte es noch Jahrzehnte dauern. Anlässlich des 80. Todestages von Friedrich Weißler im Jahr 2017 betont der Vorsitzende des Rates der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, dass die Kirche aus der Geschichte lernen müsse: "Friedrich Weißler ist in einer Zeit himmelschreienden Unrechts für eine klare Positionierung der Kirche gegen Antisemitismus und die Konzentrationslager eingetreten. Er hat dafür mit seinem Leben bezahlt. Die Erinnerung an diesen ersten Märtyrer der Bekennenden Kirche ist für uns als Kirche Verpflichtung, aus der Geschichte zu lernen und heute in aller Klarheit für die Menschenwürde einzutreten.“

Im Jahr des Reformationsjubiläums erneuert die EKD also das Gedenken an Friedrich Weißler, und mit ihm an die vielen Männer und Frauen, die als Zeuginnen und Zeugen der Wahrheit des Evangeliums ermordet wurden. Die Geschichte dieser evangelischen Märtyrer ist ein Teil der Kirche Jesu Christi und der Kirchen der Reformation.

Jörg Echtler