„Wir sollten dem Volk wieder aufs Maul schauen!“

Auch eine bewusste Sprache trägt zur Akzeptanz von Kirche bei – meint Pfarrerin Johanna Klee.

Als Studienleiterin arbeitet sie im Braunschweiger „Atelier Sprache“ mit anderen an einer angemessenen Sprache für verschiedene kirchliche Verkündigungsangebote. Ein Gespräch über die identitätsstiftende Kraft von Gottesdiensten, über liebgewordene Traditionen und die Rolle von Ehrenamtlichen.

Einzelne Buchstaben durcheinander

Einzelne Buchstabenstempel auf einem Haufen

Frau Klee, viele reden von Kirchenentwicklung. Wie kann die aus Ihrer Sicht geschehen? 

Klee: Das ist ein sehr komplexes Thema. Es geht darum, ob wir unter den gegebenen Umständen noch das Modell Volkskirche umsetzen können. Die Braunschweiger Landeskirche ist ländlich geprägt. Hier wäre die Bildung von Teams wichtig und gut: Pfarrerinnen und Pfarrer, Ehrenamtliche, Architektinnen und Architekten, Diakoninnen und Diakone, die in einer Region wirken und sich vernetzen.

Strukturell würde ich sagen: Die sogenannte „mittlere Ebene“ müsste verschlankt werden. Ehrenamtliche werden künftig einen größeren Anteil haben. Mehr als bisher werden sie in verantwortlichen Rollen wirken, auch in der Leitung von Gemeinden.

In Städten ist die Situation etwas anders. Hier differenzieren sich Gemeinden stärker als auf dem Land; es muss nicht mehr das klassische Sonntagmorgen-Programm geben, sondern es entstehen viele verschiedene Formen diakonischer, gemeindlicher und gottesdienstlicher Tätigkeiten.

Bewirken die notwendigen Einsparungen den Abbruch von liebgewordenen Traditionen?

Klee: Tradition ist in der Kirche beharrlich. Der gesellschaftliche Wandel vollzieht sich schneller als früher. Wenn Sie überlegen, dass Frauen erst in den 70er Jahren in der evangelischen Kirche fürs Pfarramt zugelassen wurden, wird die Dimension deutlich. In der Kirche dauern Erneuerungsprozesse etwas länger. Es gibt ein starkes Bedürfnis nach Tradition, die Sehnsucht nach Kirche in jedem Dorf, die Sehnsucht nach Volkskirche. Wir müssen uns aber wohl oder übel von einem bestimmten Bild von Kirche verabschieden. Die Kirchenmitgliedschaft wird abnehmen so wie die Vereins- und die Parteimitgliedschaft abnehmen.

Welche Vision haben Sie denn von der künftigen Kirche?

Klee: Ich wünsche mir eine Kirche, in der große Freiheit herrscht. In der sich Menschen trauen, das Christentum zu leben, unabhängig davon, ob sie eine theologische Ausbildung gemacht haben oder nicht. Ich wünsche mir, dass wir mutig werden, Dinge neu zu denken, ganz anders als bisher. Da hat dann das christliche Café die gleiche Bedeutung wie der sonntägliche Gottesdienst.

Manchmal scheint es, als seien Ehrenamtliche eine Lösung für alles.

Klee: Die Arbeitsbelastung wächst, infolge der Strukturwandelprozesse fehlen viele Hauptamtliche, Vakanzen müssen Kolleginnen und Kollegen abfangen. Die Ehrenamtlichen haben große Motivation, sie spüren die Lücke, die entsteht, und springen hinein. Dazu brauchen sie Begleitung, Befähigung und Ermutigung. Aber: Auch die Ehrenamtlichen bringen verschiedene Vorstellungen mit, die teilweise sehr klassisch traditionell sind. Da entstehen mitunter Spannungen zu den Pfarrerinnen und Pfarrern. Haupt- und Ehrenamtliche sollten gemeinsam auf den Weg gehen und zeigen, was Kirche ist: Gemeinschaft aller Gläubigen. Und: In Zukunft werden wir noch stärker darauf achten müssen, Ehrenamtliche gut zu fördern und nicht zu überfordern.

Sie wirken im „Atelier Sprache“ mit, einem Arbeitszweig des Theologischen Zentrums Braunschweig Was machen Sie da?

Kee: Schon seit fast 20 Jahren gehen wir gemeinsam auf die Suche nach einer angemessenen Predigtsprache. Die theologische Ausbildung und das Studium sind ja eher wissenschaftlich. Das ist auch gut, denn eine fundierte Auseinandersetzung mit der Bibel ist wichtig. Aber: Das führt eher zu einer wissenschaftlich orientierten Sprache. Die Herausforderung besteht darin, wieder mehr auf Mündlichkeit zu setzen, also die Sprache in mündliches Geschehen zu übersetzen. Das fängt bei ganz einfachen Tipps aus dem Bereich der Leichten Sprache an, zum Beispiel in kurzen Hauptsätzen zu sprechen oder Verben statt Substantiven zu verwenden. Damit Predigtsprache wieder zugänglicher wird und einfacher zu verstehen ist. Sie muss glaubwürdig sein und zu der Person, die predigt, passen. Wir müssen den Leuten „aufs Maul schauen“ - dieser Ratschlag Martin Luthers gilt immer noch. Die Sprachkultur verändert sich fortlaufend. Deshalb hat sich die Arbeit im Atelier über die Jahre immer weiterentwickelt. Die Dozentinnen und Dozenten verwenden verschiedene Methoden, verbinden homiletische Wissenschaft und künstlerisches Schaffen. Im Kreuzgang des Theologischen Zentrums werden die eigenen Predigten nicht nur mit dem Modell der dramaturgischen Homiletik reflektiert, es werden auch Buchstabensuppenwörter gelegt oder Zeitungen zu Wortcollagen umgestaltet. Wir kommen mit Kirchenfernen ins Gespräch, befragen Gegenstände, besuchen Kunstausstellungen. Zudem beschäftigt uns mehr und mehr die Frage nach einer digitalen kirchlichen Sprache.

Unabhängig von der derzeitigen Corona-Situation lässt der Gottesdienstbesuch nach. Was kann Kirche hier besser machen?

Klee: Dafür sind viele Faktoren verantwortlich. Der Gottesdienstbesuch hängt ja nicht nur mit den Predigten zusammen. Menschen besuchen Gottesdienste, wenn sie merken: Die Atmosphäre und die Gemeinschaft stimmen. Wir sollten generell darüber nachdenken, wie Gottesdienste in unserer Zeit gestaltet werden können. Gottesdienste sind ja Zielgruppenveranstaltungen: Hier kommt eine bestimmte Gruppe mit ihren Erwartungshaltungen. Man sollte das weder über- noch unterschätzen. Wichtig ist, dass es überhaupt Gottesdienste gibt, auch wenn niemand kommt. Denn sie sind auch für die Identität einer Stadt oder eines Dorfes wichtig. Kirche ist aber mehr als Sonntags-Gottesdienst: Kirche ist auch Diakonie, Arbeitskreise, Konfirmandenunterricht, Kasualien. Darüber hinaus wird auch die digitale Verkündigung zunehmend wichtiger und eigenständiger.

Was wäre Ihr Rat für die Kirche angesichts der anstehenden Veränderungen?

Klee: Es braucht beides: Ortsgemeinden mit einem verlässlichen Dorfpfarramt, einer verlässlichen Diakonie, und darüber hinaus Pionierinnen und Pioniere, also Leute, die zielgerichtet Innovation betreiben. Wir brauchen also Tradition und Innovation. Auch befristete Projektstellen können sinnvoll sein. Dann kann man sehen, welche Projekte im Nahbereich erfolgreich sind.

Das Gespräch führte Uwe Birnstein

Drei Beispiele


Pfarrerin Johanna Klee (34) studierte in Berlin und Bern Theologie. Sie legte im „Atelier Sprache“ die Meisterklasse ab und absolvierte Kurse im Wittenberger „Zentrum für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur“. Derzeit arbeitet sie als Studienleiterin am Theologischen Zentrum Braunschweig. Sie wirkt mit in der Liturgischen Kammer der Braunschweigischen Landeskirche und in der Liturgischen Konferenz der EKD. Sie bezeichnet sich als „Wortkünstlerin“, tritt auch als Poetry-Slammerin auf und betreibt die Website www.stadtpoetin.com.

Johanna Klee

Kontakt:

Pfarrerin Johanna Klee

Theologisches Zentrum Braunschweig
Alter Zeughof 1
38100 Braunschweig
Tel. 0531/120 540

www.thzbs.de
E-Mail: johanna.klee@lk-bs.de