Ehrlich zueinander sein

Geistlicher Impuls zur Fastenzeit von Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

Kolosser 3,8–11
Nun aber legt auch ihr das alles ab: Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte aus eurem Munde; belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Werken ausgezogen und den neuen angezogen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat. Da ist nicht mehr Grieche oder Jude, Beschnittener oder Unbeschnittener, Nichtgrieche, Skythe, Sklave, Freier, sondern alles und in allen Christus.

Fußballrasen Nahauaufnahme mit weißer Markierungslinie

Nicht nur beim Sport wird im Alltag häufig gelogen, um dem eigenen Team einen Vorteil zu verschaffen oder um dem anderen vermeintlich unangenehme Wahrheiten zu ersparen. Doch wann wird dabei eine Linie überschritten, hinter der Beziehungen Schaden nehmen?

Einander nicht belügen. Geht das wirklich? Ich bin vor einiger Zeit auf eine interessante Unterscheidung gestoßen. Da sagt jemand: Es gibt schwarze, blaue und weiße Lügen. Schwarze Lügen sollen anderen schaden. Beispiel: Im Internet wird geschrieben: Diese Firma arbeitet nicht seriös. Die Aussage ist völlig aus der Luft gegriffen, Rufmord. Blaue Lügen sind Lügen, um der eigenen Gruppe einen Vorteil zu verschaffen. Etwa beim Sport. Der Schiedsrichter fragt: War es Handspiel? Der Spieler weiß: Ich habe den Ball mit der Hand gespielt, sagt aber: Nein. Weiße Lügen sind Lügen aus Höflichkeit. Hat Ihnen mein Kuchen geschmeckt? Der Kuchen hat mir nicht geschmeckt. Weil ich aber höflich sein will, sage ich: ja, danke, sehr gut.

Beim Lügen geht es um mehr als Fakten

Die Bewertung der Lügen fällt unterschiedlich aus. Sie macht aber auch vor allem klar: Es geht bei Lügen um mehr als Fakten.

Schwarze Lügen gehen gar nicht. Sie können Menschen sogar vernichten. Blaue Lügen gehen eigentlich auch nicht. Das Ziel ist zwar der eigene Vorteil. Aber damit auch der Nachteil der anderen. Und vielleicht gibt es da auch Grenzfälle. Und weiße Lügen? Die haben sogar ein gutes Ziel. Einen anderen Menschen nicht kränken. Einen unnötigen Konflikt vermeiden. Ja – vielleicht sogar einen Menschen zu schützen. Da werden Menschen verfolgt und bedroht. Andere schützen sie. Sie geben nicht preis, was sie wissen oder sagen etwas Falsches.

Belügt einander nicht! Das ist natürlich grundsätzlich richtig. Aber, das machen die Beispiele klar, Menschen würden nicht miteinander klarkommen, wenn das als eisernes Prinzip verstanden wird. Es geht auch immer um menschliche Beziehungen und darum, welche Absicht wir mit dem verfolgen, was wir sagen.

Wahrheit kann nicht ohne Liebe sein

Was im Kolosserbrief (Kolosser 3,8–11) steht, macht deutlich: Geht so miteinander um, redet so miteinander, dass ihr Menschen nicht Unrecht tut. Redet so miteinander, dass ihr Beziehungen nicht zerstört. Und der Kern der Begründung lautet: Weil alle Menschen es verdient haben, als Menschen behandelt zu werden, die von Gott geschaffen sind, als seine Ebenbilder. Das gilt umso mehr, wenn ihr an Christus glaubt. Dann, so kann man den Gedanken übertragen, glaubt ihr nämlich, dass ihr in ihm erneuerte Menschen seid. Im Glauben an Christus könnt ihr abschütteln, was diese Welt oft bestimmt: Du musst dich gegen andere durchsetzen. Du musst andere auf die Seite schieben. Du musst zusehen, dass du immer auf der Gewinnerseite stehst. Bezogen auf die Farben der Lüge heißt das: auf gar keinen Fall schwarze Lügen, die andere kaputt machen sollen. Lass auch die blauen Lügen, die nur den eigenen Vorteil suchen. Weiße Lügen kann, ja muss es manchmal sogar geben, weil die Wahrheit nicht ohne Liebe sein kann.

Der Apostel Paulus sagt das an einer anderen Stelle mit dem schönen Satz: „Die Liebe freut sich nicht an der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit.“ (1 Kor 13,6) Das heißt: Die Liebe will anderen keinen Schaden zufügen. Sie sucht nach Gerechtigkeit. Sie sucht danach, dass alle Menschen zu ihrem Recht kommen.

Aber was heißt das praktisch? Muss ich anderen nicht doch immer die Wahrheit sagen – auch wenn es für sie schwierig ist? Ist es nicht besser, auch mal zu sagen, dass der Kuchen nicht schmeckt? Es mag sein.Trotzdem ist es dann immer noch eine Frage, wie ich diese Wahrheit sage. Hilfreich finde ich den Ratschlag von Max Frisch: Schlag die Wahrheit jemandem nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren. Halte sie hin wie einen Mantel, in den jemand schlüpfen kann! Das wünsche ich mir auch von anderen, wenn sie mir eine unangenehme Wahrheit sagen.

Impuls-Fragen:

1. Schwarze, blaue, weiße Lügen – sagt Ihnen die Unterscheidung zu?
2. Wann fiel es Ihnen einmal schwer, jemand die Wahrheit zu sagen?
3. Wann hat Ihnen jemand eine unangenehme Wahrheit so gesagt, dass sie diese gut annehmen
konnten?

Volker Jung


Der Text stammt aus dem Magazin „ZUTATEN. Themenheft zur Fastenaktion der evangelischen Kirche 2019“, edition chrismon.