Predigt zum Frauensonntag

Bischöfin Kirsten Fehrs

Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen. Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben. Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist. Und als sie das gesagt hatte, ging sie hin und rief ihre Schwester Maria.

Liebe Gemeinde und liebe Hörerinnen und Hörer,

Glaubst du das?

Die Frage liegt vielen heutzutage obenauf. Meist mit einem „etwa“ dahinter.

Glaubst du das wirklich, etwa?

Auferstehung der Toten?

Und ich zögere. Nicht, weil ich es nicht glauben würde – sondern weil man die Auferstehung schlicht nicht erklären- und also nur glauben kann. Denn sie sprengt, immer schon, was Vernunft und Wissenschaft zu erfassen vermögen. Wie Leben entsteht und wird und wächst und auch wieder geht – das ist nichts weniger als ein Wunder. Und für manche, mag sein auch unter uns, deshalb immer wieder ein intellektuelles Risiko. Allzumal die Auferstehung der Toten.

Dabei haben wir eben gerade drei Auferstehungsgeschichten gehört. Geschichten voller Gefühle und Farben. Mit Realitäten im Licht, aber auch im Grau der Zeiten. Diese Zeitzeuginnen der Auferstehung rufen in mir eine Fülle eigener Bilder wach. Von einem Dorffriedhof, Station der Osterliturgie – auf dem Hunderte wie jedes Jahr Lichter an die Gräber tragen und hingebungsvoll singen „Christ ist erstanden“. Von der schwangeren Flüchtlingsfrau mit einem so verstörten Blick in einer zentralen Erstaufnahme – woran glaubt sie noch? Dann ihre beiden anderen Kinder, die im Dezember noch in Flip Flops durch die Containerstraße gehen. Die Bilder reißen nicht ab: Ich sehe auch meine Mutter. Sie hat, je älter sie wurde, umso mehr von ihrer Flucht erzählen müssen, damit die inneren Bilder sie endlich losließen. Ich sehe schließlich die Erschöpften unserer Tage, die nicht aufhören dürfen zu funktionieren, damit´s funktioniert… all dies wird wachgerufen.

Denn es geht bei Auferstehungsgeschichten immer ums Wachwerden. Erweckung – könnte man sagen. Es geht um neue Sichten auf das alte Leben. Um innere Bilder, die einen prägen und halten, und die so schön sind, dass ich sie in die Gegenwart „hinein erinnere“. Zugleich – das gehört wie eine Art Negativ zu den Bildern dazu – sieht man auch die Todschatten. Die einen tief traurig machen und den Atem abschnüren. Und die von Schmerz erzählen und von der Frage: Wo bist du gewesen? Kyrie. Gott. Wo bist du gewesen?

So ähnlich sind auch Martas erste Worte. Sie geht Jesus entgegen, heißt es – hinter sich das Trauerhaus. Mit lauter Menschen, die den Tod ihres Bruders beklagen und die von ihrem Schmerz erzählen, Maria, Martas Schwester, unter ihnen. Nein, Marta will da raus. Sie geht ihm entgegen. Denn er liebt sie, das weiß sie. Und so ist es eine Mischung aus Feststellung und Vorwurfsmilde, als sie sagt: „Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“ Und dann folgt ein Satz, der in seiner Zuversicht geradezu herausfordernd ist – allzumal in dieser Grenzsituation! „Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.“ Verrückt vor Hoffnung? Vielleicht. In jedem Fall geht Jesus mit ihr mit. Mit ihren Gedanken. Sie treten in einen Dialog. Und zwar einen anspruchsvollen. Es geht darum klüger zu werden fürs Leben im Angesicht des Todes. Jesus antwortet ihr: „Ich bin die Auferstehung.“ Und sie versteht das, ja mehr noch: sie erkennt es – nicht nur intellektuell, sondern mit Verstand und Herz. Und so sagt sie einen der berühmtesten Sätze einer Frau in der Bibel: „Ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“

Das sagt sonst nur einer: Petrus. Aber Petrus sagt es in einer ganz anderen Situation, nämlich als er gefragt wird, wer Jesus IST. Marta aber bekennt es im Zusammenhang damit, was Jesus TUT. Im Gespräch unter den Männern Petrus und Jesus geht es um den Status. Im Dialog zwischen Marta und Jesus um die Veränderung.

„Ich glaube, dass du der Christus bist“ – Martas Bekenntnis hatte immer eine eigene Kraft. Es ist so direkt. Überraschend auch. Klug dazu. Denn sie weiß, dass sie selbst am Tode ihres Bruders Lazarus nichts ändern kann. Aber sie kann den bitten, der es vermag. Und tut es. Ohne Umschweife.

Und er, der sie liebt? Er tut es auch – ganz am Ende der Geschichte, holt er Lazarus vom Tod ins Leben.

Glaubst du das?

Glaubst du, dass man einfach so sagt: Ich glaube, dass du Christus bist, der in die Welt gekommen bist – und schon ändert sich diese Welt?

Ich glaube das, ja.

Ich glaube, dass Jesus damals viel von den Menschen verstanden hat. Ihre Sehnsüchte. Ihre Nöte. Ihre Angst, herabgewürdigt zu werden – gerade Frauen. Er hat sie angeschaut – Schmerz und Tod gerade nicht tabuisiert. Er geht ins Grab hinein und geht durch Kreuzesnot hindurch. Ja, ich glaube mit der Marta: Kein Leid, kein Kreuz der Welt ist mehr bedeutungslos, seit Gott Mensch geworden ist. Nicht ob eine traurig ist, ist bedeutungslos. Nicht ob einer nur noch sterben will, weil er nicht mehr zu leben weiß. Nicht ob Krieg ist oder Frieden, in der Welt und in uns selbst. Nichts ist bedeutungslos und nichts kann uns scheiden von der Liebe, die mit Christus in diese Welt gekommen ist. Mitten hinein geboren in Gewalt und Hass und Entwürdigung. Das ist so ehrlich, so wahr, weiß Marta. Und deshalb fährt sie fort: Was du bittest von Gott, wird Gott dir geben.

Auch das versöhnende Wort. Dies manchmal so erlösende Wort, wenn frau oder man nicht mehr aus der Frage heraus kommt: Wo bist du gewesen? Warum hast du mich verlassen, verletzt, gekränkt. Oder dies: was hab ich bloß getan? Wie konnte ich dich verlassen und verletzen. Ich schaue auf diesen Christus, der das genau kennt, und vertraue auf die Vergebung. Vergebung, die uns – natürlich ! – ernüchtert sein lässt über uns selbst. Vergebung auch, die um Gottes Willen niemals hinter dem Rücken der Opfer geschieht. Ja, daran glaube ich. Denn nicht der Tod hat das letzte Wort, sondern die Auferstehung. Nicht die Strafe, sondern das Verzeihen. Nicht die Wunde, sondern das Verbinden.

Es ist eben auch das Bekenntnis der pragmatischen Marta, das uns aufwecken will. Christus zu bekennen – das hat Hand und Fuß, von Frau und Mann. Gemeinschaft der Heiligen eben… – Und wir also, so menschlich und verzagt, zugewandt und höchst verschieden wir sind, – haben den Auftrag, geerdet, laut und vernehmlich davon zu reden, was uns heilig ist - das glaube ich. Wie Marta. Dass wir als Kirche nicht schweigen dürfen, auch nicht zu uns selbst, und dass wir dabei eine Sprache finden müssen, die die Herzen erreicht, das glaube ich. Eine Sprache, die die Ehrlichkeit der Tat liebt. „Der Mensch wird zum Mensch, weil er mitfühlt und vergibt, weil er schwärmt und glaubt, sich anlehnt und vertraut, weil er lacht und weil er lebt.“ So besingt der Rockmusiker Herbert Grönemeyer in seinen, in modernen Worten unser Lied. Geht es doch just in allen Auferstehungsgeschichten heute um das, was Jesus der Marta schließlich zuspricht: „Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen!“

Liebe Gemeinde, wir sind am Ziel, für heute zumindest. Und dieses Ziel heißt Herrlichkeit. Nicht etwa im Jenseits erst erreicht sie uns, ist auch nicht halb so erhaben, wie sie sich anhört, sondern meint das, was wir von Ellen, Leila und Corinna in den Geschichten eben lernen durften: wieder erwachte Lebensfreude. Aufrecht, frei, wunderbar genussvoll. Vielleicht sogar vergnügt. Wie Paula zum Beispiel. Sie ist die Tochter meiner Freundin, die mich äußerst kirchenkritisch oft fragt: „Mal ehrlich, was soll ich denn bei euch noch glauben?“ Eines Abends geschieht es ihr, dass Paula vorm Schlafengehen beten will, wie sie es im Kindergarten gelernt hat. Meine Freundin windet sich und erzählt Geschichten und fragt dann irgendwann gerade heraus: „Warum, Paula, warum glaubst du eigentlich an Gott?“ „Ach Mama, sagt sie, es macht einfach so viel Spaß!“

Ich weiß nicht, ob das „Argument“ ihre Mutter überzeugt hat, aber ans Herz ist es ihr gegangen.

Wir haben viel Grund, uns des Lebens zu freuen, das glaube ich. Gewiss. Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, den wahrhaftig Auferstandenen. Amen.