Was gehet uns das an? - Predigt in der Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin in der "Fastenpredigtreihe" (Matthäus 27, 3 - 10)

10. März 2002

Fastenzeit: Das ist die Zeit der Vorbereitung auf das Kommende, auf das zukünftige Leben – nach dem Tod. Noch bleibt uns Zeit zur Vorbereitung. Doch heute hören wir die Geschichte von einem, der sich nicht mehr vorzubereiten wusste – weil er in den Tod ging, als er sah, dass er tödliche Schuld auf sich geladen hatte. Hören wir also den Predigttext aus dem Matthäus-Evangelium, aus dem Kapitel 27 die Verse 3 – 10:

LUT Matthew 27:3 Als Judas, der ihn verraten hatte, sah, daß er zum Tode verurteilt war, reute es ihn, und er brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und Ältesten zurück 4 und sprach: Ich habe Unrecht getan, daß ich unschuldiges Blut verraten habe. Sie aber sprachen: Was gehet uns das an? Da sieh du zu! 5 Und er warf die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich. 6 Aber die Hohenpriester nahmen die Silberlinge und sprachen: Es ist nicht recht, daß wir sie in den Gotteskasten legen; denn es ist Blutgeld. 7 Sie beschlossen aber, den Töpferacker davon zu kaufen zum Begräbnis für Fremde. 8 Daher heißt dieser Acker Blutacker bis auf den heutigen Tag. 9 Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht: »Sie haben die dreißig Silberlinge genommen, den Preis für den Verkauften, der geschätzt wurde bei den Israeliten, 10 und sie haben das Geld für den Töpferacker gegeben, wie mir der Herr befohlen hat«.

Was wir soeben gehört haben, das ist eine echte Kriminalgeschichte, die Geschichte von einem Verrat – und zwei Toten. Aber dies ist alles andere als eine gewöhnliche Kriminalgeschichte. In einem normalen Krimi, gleich nachher im Fernsehen, erfährt man erst am Ende, wer der Täter ist. Hier aber kennen wir – und kennt selbst das Tat-Opfer – den Täter schon von Anfang an:

LUT Matthew 26:21 Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten…25 Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Bin ich's, Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es.

Allerdings –  eines erfahren wir nicht: Das Motiv des Verrats. Wir kennen nur das Motiv des Selbstmordes, die Reue des Täters.

Aber dies ist nicht nur eine Kriminalgeschichte. Dies ist nicht nur ein Fall für Kriminologen, sondern auch für Theologen. Wir haben nicht nur einen Polizeibericht vor uns, sondern eine Glaubensgeschichte. Im Polizeibericht geht es nur um Tat, Täter und Opfer. Hier geht es außerdem – und vor allem – um uns.

Im Polizeibericht: Da ist dies eine schreckliche Geschichte – und eine schrecklich einfache Geschichte: Da begeht einer eine Untat, erkennt ihre fürchterlichen Wirkungen und bringt sich um. Nichts schrecklicher, nichts – einfacher als das.

Doch im Glaubensbericht des Evangelisten ist dies zudem eine schrecklich komplizierte Geschichte.
Über das, was im Polizeibericht steht, darüber empören wir uns – und schlafen hinterher beruhigt ein. Wie nach einem Fernseh-Krimi. Aber nach der anderen Geschichte, der Glaubensgeschichte, bekommen wir kein Auge mehr zu – weil wir uns selber sehen (und erkennen) lernen.


Nun aber Schritt für Schritt!

Da ist zunächst der Verrat – Judas verrät Jesus!

Wir wissen recht anschaulich, was Verrat sein kann. Als bei uns – und um diese Stadt – die Mauern und Diktatoren fielen, haben wir vieles gesehen, vor allem viel Verrat. Noch heute und noch immer stellen Menschen den Antrag: Sie wollen ihre Stasi-Akte lesen. Sie wollen wissen, was über sie verraten wurde. Viele wollen gewiss wissen, wer sie verraten hat – und manchmal können sie es sich an fünf Fingern abzählen. Aber in den Akten, die sie zu sehen bekommen, sind die Täternamen geschwärzt – damit es nicht Mord und Totschlag gibt. Und auch deshalb, dass nicht noch einmal von einem, der als Verräter beim Namen erkannt würde, gesagt werden muss: er „ging fort und erhängte sich.“
Im übrigen, das Geld, das so mancher IM bekommen hat, würde heute auch keiner mehr zurücknehmen – und zwar nicht nur aus moralischen (und doch im Grunde geheuchelten) Gründen, wie damals bei den Hohen Herren, sondern weil es die Machthaber, in deren Auftrag vor 1989 solches Geld ausgezahlt wurde, seither nicht mehr gibt, und zudem, weil jenes Geld überhaupt nichts mehr wert ist – sodass man noch nicht einmal mehr ein billiges Vorstadtgrundstück dafür bekäme, auf dem man gerade eben noch unreine, gottlose Fremdlinge verscharren könnte. Wie früher bei uns die Selbstmörder…

Solchen Verrat also kennen wir aus nächster Nähe, örtlich, zeitlich, massenhaft – manchmal auch ganz persönlich. Es gibt freilich auch das Gegenteil: Weniges hat mich in den letzten Jahren so mitgerissen, wie eine Mitteilung eines Zeitgenossen, der nach der Lektüre seiner Stasi-Akte aufatmete und aufjubelte: Keiner, dem ich traute, hat mich je verraten!

Übrigens, auch das gibt es: Die Lust, in anderer Leute Opferakte so lange zu lesen, bis ein oberstes Gericht dieser Schau- und Leselust endlich einen Riegel vorschiebt.

Judas also verrät Jesus! Wir möchten das heutzutage nicht mehr  so schroff sagen, weil darin aus unserer eigenen, in viel zu großen Teilen doch ganz unseligen Christen-Geschichte die folgende Aussage mit- und nachschwingt: Die Juden haben unseren Herrn Jesus umgebracht. Wer wüsste nachzuzählen, wie viele „christliche“ Morde und Pogrome an Juden durch diese zusammengeschusterte Anklage vom Mord der Juden am Christengott angestiftet wurden? Und dann hieß dieser Verräter auch noch, wie passend und unpassend zugleich: Judas…

Da kann man es fast schon verstehen, wenn uns viele Ausleger des Predigttextes darauf hinweisen: In der Geschichte von Judas stehe doch gar nicht das Wort „verraten“ – und selbst in der Abendmahlsliturgie heiße es ganz falsch: „in der Nacht, da er verraten war“ – da es doch an allen diesen Stellen heißen müsste: „übergeben“. Der ihn übergab, in der er übergeben wurde…

Ja, liebe Gemeinde, das kommt dabei heraus, wenn man eine Glaubensgeschichte nur als Polizeibericht liest – und darüber ganz vergisst, dass es in dieser Geschichte zuerst um uns, und nur deshalb auch um Judas geht. Johann Sebastian Bach hatte dies ganz deutlich gesehen. In seiner Matthäuspassion lässt er auf das Entsetzen der Jünger, die nach der Verratsankündigung fragen: „Herr, bin ich’s?“ – Bach lässt daraufhin die durch den Chor repräsentierte Gemeinde bekennen: „Ich bin’s, ich sollte büßen, an Händen und an Füßen gebunden in der Höll’“ (Wir bekommen noch heute die Gelegenheit, darin einzustimmen.)

Judas also verrät Jesus! Wir gehen wir mit dieser für uns heute doppelt schwierigen, doppelt skandalösen Aussage um? Indem wir uns zweierlei klar machen: Wer war Judas? Und: Was ist Verrat?

Zum ersten: Wer war Judas? Um es ehrlich zu sagen: Wir wissen es nicht! Und das wenige, was wir erzählt bekommen, ist verwirrend – bis auf eines: Jesus hat ihn zum Jünger erwählt. Der Rest, nimmt man alle Evangelien zusammen, ist widersprüchlich. Das fängt schon beim Nachnamen an: Judas Iskariot. Die einen sagen, das bedeute hebräisch „Mann aus Kariot“, die anderen aramäisch „der Falsche“ oder wieder andere griechisch „Meuchelmörder“. Und wie die Auskünfte über sein Herkommen, so die Informationen über sein Ende – widersprüchlich. Bei Matthäus: Selbstmord! In den anderen drei Evangelien: Nichts! In der Apostelgeschichte: Ein scheußlicher Unfall – „er ist vornüber gestürzt und mitten entzwei geborsten, so dass alle seine Eingeweide hervorquollen.“ – Hätten wir es wirklich nur mit einem Polizeibericht zu tun, wir würden ihn an die beteiligten Reviere zurückgeben: Wiedervorlage nach erneuter Prüfung und übereinstimmender Darstellung!

Halten wir uns also an das, was feststeht: Judas war ein Jünger. Und: Die Berichterstatter verfassen aufgrund des Zeugnisses der ersten Zeugen eine Glaubensakte, nicht bloß eine Kriminalakte. Und nun sehen wir uns näher an, was sie glauben – und als wer oder was sie das glauben.

9 Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht: »Sie haben die dreißig Silberlinge genommen, den Preis für den Verkauften, der geschätzt wurde bei den Israeliten, 10 und sie haben das Geld für den Töpferacker gegeben, wie mir der Herr befohlen hat«.

Wir sehen: Die ersten Zeugen und mit ihnen Matthäus sprechen hier von der Erfüllung der Schrift, also – wie wir heute sagen – der Erfüllung des Alten Testaments. Sie sehen darin den Glaubensweg Israels erfüllt – und sie glauben dies als fromme Juden und fromme Anhänger des Jesus, des Christus, zugleich. Denn eigentlich wollen sie das eine im anderen sein. Wo immer von Judas die Rede ist, innerhalb des Neuen Testamentes und daneben, wird immer wieder und ganz vielfältig die jüdische Bibel zitiert: Die Weisheit Salomos, die Bücher Mose, der Prophet Jeremia, der Prophet Sacharja. In der Figur des Judas verbinden und verdichten sich also alte jüdische Glaubensgeschichte und früheste christliche Glaubenserfahrung aufs engste.

Deshalb, liebe Gemeinde, deshalb, weil alter jüdischer und erster christlicher Glaube hier so eng, ja intim aufeinander verweisen und ineinander übergehen, deshalb ist es ebenso so absurd wie bösartig, an dieser Stelle eine mörderische Konfrontation aufzureißen zwischen den Juden und den Christen – jene mörderische Konfrontation also, die immer nur neuen Mord geboren und nach sich gezogen hat. Die Glaubenserfahrung des Verrates, eine ebenso jüdische wie christliche Glaubenserfahrung, ist eine Erfahrung aus der Mitte des Gottesvolkes, die das Gottesvolk zutiefst miteinander verbindet. Wer daraus ein Gegenüber zwischen dem angeblich treuen Christenvolk und dem angeblich verräterischen Judenvolk macht, der begeht Hochverrat an der gemeinsamen Glaubenserfahrung. Der spaltet, was an dieser Stelle zusammengehört.

Um es einmal ganz zugespitzt zu sagen: Was Juden und Christen trennt, ist ihr Glaube – was sie nur zu oft verbindet, ist der Unglaube. Ist der Verrat.

Liebe Gemeinde,
wenn wir das erkannt haben, erst wenn wir das erkannt haben, können wir dem Abgrund des Verrats vollends ins Auge sehen. Dann aber haben wir es auch nicht mehr nötig, das Wort „Verrat“ zu entschärfen – auch nicht und schon gar nicht aus Gründen der politischen oder religiösen Korrektheit.

Gewiss, unserem Predigttext steht eine Vokabel, die zunächst rein wörtlich mit „übergeben“, „ausliefern“ zu übersetzen wäre. Aber ein Verrat ist es allemal. Das sehen wir schon daran, dass in einigen Sprachen das Wort für „Verrat“ aus dem Wort für „ausliefern“ oder „übergeben“ entwickelt wurde.
Nehmen wir als Beispiel das berühmte Buch des französischen Autor Julien Benda aus dem Jahr 1927 mit dem Titel La trahison des clercs – „Der Verrat der Intellektuellen“. La trahison, dieses französische Wort für Verrat leitet sich ab aus dem lateinischen „tradere“ – aus eben jenem Wort, das in der lateinischen Bibel, der Vulgata, an unserer Stelle des Matthäus-Evangeliums steht: Tunc videns Iudas qui eum tradidit… „Als Judas, der ihn verraten hatte, sah, dass er zum Tode verurteilt war…“

[Übrigens, auch dieses: Das Wort „clercs“ für die Intellektuellen stammt ab von unseren Klerikern. Der Verrat der Kleriker – auch der ist zu beklagen, in unserer Geschichte und in ihrer Nach-Geschichte.]

Also: Lassen wir den Versuch, mit Wortspaltereien an der Tatsache des Verrates herumzudeuteln. Er verrät uns nur selber – selbst in unseren doch so gut gemeinten Absichten. Judas selber wusste es besser –„ging fort und erhängte sich“. Warum denn auch, wenn diese Geschichte nicht so schlimm gewesen wäre.


Was aber ist nun, zum zweiten, der Verrat? Wo findet er statt?

Schauen wir dazu doch in unsere allerjüngste Vergangenheit! Wie viele unserer Zeitgenossen, die als IM, als Informelle Mitarbeiter der Stasi enttarnt wurden, haben sich hinterher herausgeredet, sie hätten doch niemandem geschadet.

Das hätte doch Judas auch sagen können. Oder glaubt jemand, so hätte er doch vorbringen können…

… glaubt jemand, die Jerusalemer Machthaber seien auf einen IM angewiesen gewesen, als sie Jesus von Nazareth festnehmen wollten? Hatte er doch frei, öffentlich gelehrt in der Schule – in der jüdischen Synagoge.

Wir sehen also: Der Verrat fängt nicht erst an bei seiner Folge – sondern eben beim Verrat selber, beim inneren Vertrauensbruch. Es gibt auch den ganz folgenlosen Verrat – aber Verrat bleibt er doch. Verrat – das ist schon das Sich-entfernen von dem, der uns vertraut, ohne Rücksicht auf die Folgen. Da verlässt einer vertrauensselig den Raum – und wir reden im Kreis der Hinterbliebenen schlecht über ihn und sagen Dinge, die wir in seiner Anwesenheit nie sagen würden: Verrat! Da glaubt jemand, wir stünden auf seiner Seite, vertraut uns sein Leben und seine Lebensgeschichte an – aber insgeheim stehen wir schon auf der Seite der anderen. Auch wenn wir ihm damit noch nicht messbar schaden – umso schlimmer: Wozu dann? Ein ehrlich vorgebrachter Einwand, das ist etwas anderes. Aber allein schon der leise, stille, geheime Vorbehalt gegen das geschenkte Vertrauen – schon das ist der Anfang des Verrats.

[So gesehen wäre übrigens der Vorwurf gegen Judas in dem Wort „übergeben“ sogar noch etwas härter als der ursprüngliche Verrat – eine Verschärfung, nicht etwa (wie manche lesen wollen) eine Entschärfung. Ein Verrat mit konkreten Folgen: Auf den inneren Verrat folgt die Auslieferung.]

Warum denn aber immer wieder der Verrat? Weil wir offenbar immer wieder eine andere Rolle spielen wollen, als der, der uns so grenzenlos vertraut, es erwartet – weil wir eine andere Rolle spielen wollen, als jene, die uns anvertraut ist. Weil wir immer wieder eine Rolle spielen möchten, die wir uns selber, uns alleine zuschreiben wollen. Weil uns unsere Selbstherrlichkeit unfähig macht, Vertrauen mit Vertrauen zu erwidern: Treue um Treue – wo bleibt sie? Zum Beispiel im Prozess gegen Jesus von Nazareth?

Es ist ja nicht nur Judas. Auch Petrus verleugnet ihn dreimal, bevor der Hahn kräht – obgleich er doch behauptet hatte, lieber wolle er mit ihm sterben. Schon vorher, im Garten Gethsemane, schlagen sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus in die Büsche und schlafen, anstatt mit ihm zu wachen und zu beten. Und schließlich – man wagt es kaum zu sagen – schreit Jesus laut:

„Eli, Eli, lama asabtani – Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“

Kann sich ein Mensch verlassener, noch mehr verraten fühlen?

Nein, wir können die Last der Verrats nicht auf Judas abschieben – und so tun, als hätte sonst niemand damit zu tun, schon gar nicht wir selber.

Jesus von Nazareth ist der einzige, der in diesem Prozess genau und getreu die Rolle spielt, die ihm zugedacht ist. Und genau darin stehen wir ihm ferner – als wir dem Judas nahe stehen.

Schauen wir doch unsere kleine Lebens- und unsere große Kirchengeschichte einmal kritisch an. Können wir denn im Ernst behaupten, die Christenheit im Ganzen und jeder von uns im Einzelnen sei der Rolle treu geblieben, die ihr (und ihm) anvertraut wurde? Wie oft wollen wir uns eigenes Spiel spielen, der Geschichte unsere eigene, eigensinnige Wendung geben? Wir kennen das Motiv des Judas nicht, nichts wird uns darüber gesagt. Aber offenbar lief die Sache nicht so, wie er sich das dachte. Und so folgte er seinem Plan, versuchte er, der Geschichte seine Wendung zu geben. Wie nur zu oft auch wir.

Merkwürdig: Nun ist aber gerade daraufhin geschehen, was geschehen sollte. Und wir fangen an, darüber zu grübeln, was es zu bedeuten hat, dass Judas mit seinem Verrat eine gewissermaßen notwendige, eine tragende Rolle in diesem Drama von Kreuzigung und Auferstehung übernimmt. Bevor wir uns in diesen rätselhaften Gedanken verlieren, sollten wir aber zunächst einmal wahrnehmen: Judas selber sieht dies anders. Den Tod Jesu hat er gerade nicht gewollt. Was aber hat er eigentlich gewollt? Als er die Konsequenz seines Verrates erkennt, befällt ihn Reue, letztlich tödliche Reue. Nun ist er der Verlassene, denn jene, die ihn zuerst für seinen Verrat honoriert hatten, wollen davon nichts mehr wissen:

„Was geht uns das an? Da sieh du zu!“

Der verratene Verräter – verlassen von aller Welt, auch er. Verlassen von aller Welt Jesus, weil er seiner Rolle treu blieb. Verlassen von aller Welt Judas, weil er Jesus verriet. Und wir?


Judas unterscheidet sich von uns nicht so sehr durch den Verrat – als vielmehr durch die Konsequenz, die er daraus zieht. Er macht Schluss mit sich und der Welt. Darin ist er nun wahrlich konsequent, das wenigstens muss man ihm lassen. Aber was ist das für eine Konsequenz? Welcher Logik folgt diese Konsequenz?

Es ist die Konsequenz des Menschen, der die ihm zugedachte Rolle verrät, der ganz seinem eigenem Plan folgt. Es ist die Folgerichtigkeit des Menschen, der nicht nur sein eigener Gesetzgeber sein will, sondern auch sein eigener Richter – und der, indem er erkennt, wohin dies führt, in letzter Konsequenz auch noch sein eigener Henker werden muss. Eine heroische Konsequenz, eine trostlose Konsequenz – einer armselige Konsequenz.

Ein verfehltes Leben wird nicht dadurch aufgehoben, dass es in aller Verlassenheit bis zu seiner letzten Konsequenz gelebt wird. Das ist es, was wir aus der Geschichte des Judas lernen können. Und das ist der Ur-Grund für die ganze Geschichte des Jesus von Nazareth: Dass unser Leben, worin es verfehlt ist, eine andere Wendung nehmen kann. Wenn wir nur nicht immer wieder darauf bestehen, unserem Leben unsere eigenen Wendungen zu geben, die sich doch immer im Kreise drehen, bis daraus ein Teufelskreis wird.
Amen.