Verheugen und Huber verlangen mehr unternehmerische Verantwortung

Brüssel (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, und EU-Industriekommissar Günter Verheugen rufen die Wirtschaft zu mehr sozialer Verantwortung auf. Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise müssten die Unternehmer umdenken, erklärten beide am Montagabend in Brüssel. Huber und Verheugen nahmen an einer Podiumsdiskussion der EKD zur "Zukunft Europas" teil. Es liege in der Macht der Verbraucher, ein solches Umdenken zu erzwingen, betonte Verheugen. "Die Gesellschaft muss es verlangen", sagte der Politiker, der auch Vizepräsident der EU-Kommission ist.

Gleichzeitig seien regulatorische Ansätze nötig, sagte Verheugen. Huber wandte sich gegen den von Verheugen verwendeten Begriff der "neuen kapitalistischen Ethik". Er spreche von "unternehmerischer Ethik", weil die Marktwirtschaft, für die er sich einsetze, kein Kapitalismus sei, sagte der Berliner Bischof. In letzterem Fall beherrschten die Kapitalinteressen sowohl die Wirtschaft als auch die Gesellschaft. Huber unterstrich, dass die Entscheidungen eines Unternehmers sich persönlich zurechnen lassen müssten.

Ein zukunftsträchtiger Weg sei der Fokus auf Innovationen, erklärte Verheugen. Die "große soziale Frage des 21. Jahrhunderts" sei, wie sich genügend gute Arbeitsplätze bereitstellen ließen. Er forderte mehr Investitionen in Bildung und Forschung. "Das Problem ist, dass die europäischen Gesellschaften nicht innovationsfreudig sind", bemängelte Verheugen. Huber sagte, es reiche nicht aus, eine technische Frage nach Innovationsbereitschaft zu stellen: Gefragt werden müsse, womit sich Zusammenhalt und ein Miteinander der Generationen schaffen ließen. "Es geht um die Frage: Welches Bild einer europäischen Gesellschaft von morgen haben wir?"

Mit Blick auf künftige EU-Erweiterungen warnte Huber vor einer "Überforderung" der Bürger. Die EU solle mehr Wert auf eine Vertiefung legen, erklärte der oberste Vertreter der Protestanten in Deutschland. Die Frage eines Beitritts der Türkei sei offen und müsse auch nicht rasch beantwortet werden, unterstrich Verheugen. Die Diskussionspartner stimmten darin überein, dass die Religionsfreiheit für Christen und andere Gemeinschaften in der Türkei derzeit nicht ausreichend gesichert sei. Die Langsamkeit der Reformen habe aber auch damit zu tun, dass das Bosporus-Land von der EU keine klaren Signale erhalte, sagte Verheugen, der bis 2004 EU-Erweiterungskommissar war.

Bischof Huber hatte Brüssel unter anderem anlässlich eines Treffens zwischen EU-Spitzenpolitikern und Vertretern verschiedener Religionen besucht. Diese Begegnung findet traditionell einmal jährlich statt. Es war Hubers letzter Besuch dieser Art: Der 66-jährige Berliner Bischof geht in Kürze in den Ruhestand. Auch Verheugen, der kürzlich 65 Jahre alt wurde, wird sich in einigen Monaten aus der EU-Politik in den Ruhestand verabschieden.

12. Mai 2009