Woche für das Leben 2004

Einführungstext von Landesbischof Christoph Kähler im Eröffnungsgottesdienst in Aachen

"Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Die folgende Geschichte spielte sich wenige Kilometer hinter der deutsch-belgischen Grenze ab: Der Tod des Fünzigjährigen wurde - auf seinen Wunsch hin - gezielt herbeigeführt, bevor die tödliche Krankheit vollends das Ende verursacht hätte. In seinen letzten fünf Minuten sagte der Patient: “Endlich keine Schmerzen mehr!” Die tödlich wirkenden Barbiturate hatten ihn zunächst von einem Dauerschmerz erlöst, ehe sie endgültig ihre letale Wirkung entfalteten. Erst im Nachhinein stellte einer der verantwortlichen Ärzte fest: Der, der hier um die aktive Sterbehilfe bat, hatte seinen Hausarzt ein halbes Jahr nicht gesehen! Und er hatte wahrscheinlich monatelang keine wirksamen Schmerzmittel erhalten!

Beim Lesen des Berichtes in der Presse frage ich mich entsetzt: War der Wunsch nach der tödlichen Behandlung eigentlich doch nur auf die Schmerzfreiheit gerichtet? Hätte eine aufmerksame und behutsame ärztliche Begleitung noch ganz andere Möglichkeiten der Linderung gehabt und darum zu ganz anderen Mitteln greifen müssen? Und: Wäre dem Patient nicht auch mit einer richtigen Schmerztherapie geholfen und genau dadurch Leben und Sterben in Würde ermöglicht worden?

Damit sind wir bei dem Thema dieser Woche für das Leben 2004 „Die Würde des Menschen am Ende seines Lebens“. Darum geht es und darüber werden wir Kirchen nicht nur reden, sondern darum werden wir streiten - um die Würde des Menschen am Ende des Lebens.

Wir beginnen diese Woche für das Leben 2004  heute aber nicht mit einer Debatte. Die wird ihre Zeit haben und zu ihrem Recht kommen. Wir fangen die Woche für das Leben mit einem Gottesdienst an, weil wir trotz mancher Unsicherheiten, Fragen und Grauzonen eines genau wissen: Wir dienen Menschen dann und nur dann wirklich, wenn wir uns nicht selbst zu Herren über Tod und Leben aufschwingen, sondern dem die Ehre geben, der allein der Herr über Tod und Leben ist, der allein auch die Grenze zwischen Tod und Leben überschritten, ja durchbrochen hat. Darum glauben wir als Christen, dass Menschen sich nicht zu Herren über Leben und Tod anderer Menschen machen sollen.

Natürlich kennen wir die Berichte von einem quälend langen Sterben, die Gesichter, gezeichnet von schwerstem Leiden, von gravierenden Persönlichkeitsveränderungen oder von aufwendigen Behandlungen, die das Leiden nur noch verlängern. Wir hören in der Öffentlichkeit die - oft von den Gesunden geäußerten - Wünsche nach dem schnellen Ende, das hoffentlich kurz und schmerzlos sein möge.

Natürlich kennen wir selbst die Versuchung in uns, kurzen Prozess zu machen, also Leiden abzukürzen. Wir kennen die Angst vor dem Tod und unsere Versuche, den Tod aus dem Leben zu verdrängen. Die Betrachtung des Leidens und Sterbens eines Menschen ist auch für uns nichts Selbstverständliches. Es ist in jedem Jahr wieder neu bedrückend, wenn die Passionszeit kommt und mit ihr der Tod Jesu Christi zum Thema unserer Andachten und Gottesdienste wird.

Wir kennen  das unerträgliche Leiden aus kirchlichen Krankenhäusern und Pflegeheimen, aus der Seelsorge in den Gemeinden und aus der eigenen Erfahrung in den Familien. Die letzten Schritte auf dem Lebensweg können schwer sein. Deshalb brauchen Sterbende Menschen, die sie begleiten, nicht Menschen, die das Leben verkürzen wollen. Auf dieser letzten Station darf die in einem ganzen Leben gewonnene Würde nicht zerrinnen. Die Hospizbewegung stellt sich dieser Aufgabe. Die Hospizarbeit kann helfen, Sterben und Tod als Teil des Lebens wieder bewußt zu machen. Das oft ehrenamtliche Engagement der Menschen, die Sterbende nicht allein lassen, verdient unsere Hochachtung. Dafür sind wir dankbar. Diese oft wenig wahrgenommene Leistung zu würdigen, gehört zum Thema dieser acht Tage.

Denn wir wünschen uns den Mut auf beiden Seiten - bei denen die im Sterben liegen und denen, die die Sterbenden pflegen - warten und auszuhalten zu können, solange der Lebensdocht noch glimmt.

Die Kraft dazu und die begründete Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort behält, gibt uns die Auferstehung Jesu von den Toten. Diese feiern wir in diesem Gottesdienst, so wie wir sie überhaupt in diesen Wochen nach Ostern in besonderer Weise feiern. Denn Ostern ist das Fest des Lebens gegen den Tod, die Feier des Sieges über den Tod. Jesus hat uns vor Augen geführt, dass zum vollen Leben auch das Leiden, der Tod und die Erfahrung der Gottverlassenheit gehört. Wir haben als Christen aber an seiner Geschichte, die weit über den Tod hinaus geführt hat, die Hoffnung gewonnen: Gott wird abwischen alle Tränen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn sie sind alle vergänglich. Bleiben wird der Gott, der selbst durch Schmerz und Tod hindurchgegangen ist.

Lassen Sie uns diese Hoffnung in diesem Gottesdienst aussprechen und in der damit beginnenden Woche für das Leben gemeinsam bedenken."

Hannover/Aachen, 24. April 2004

Pressestelle der EKD