Predigt zum Palmsonntag im Berliner Dom (Philipper 2, 5-11)

EKD-Ratsvorsitzender, Manfred Kock, 13. April 2003

Liebe Gemeinde!
Die Epistellesung zum Palmsonntag aus dem Philipperbrief haben wir eben gehört. Es ist die älteste Hymne der Christenheit.

Seid so unter euch gesinnt, wie es auch
der Gemeinschaft in Christus Jesus ent-
spricht:
Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es
nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst und nahm
Knechtsgestalt an, ward den Menschen
gleich und der Erscheinung nach als Mensch
erkannt.
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam
bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht und
hat ihm den Namen gegeben, der über alle
Namen ist,
daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen
aller derer Knie, die im Himmel und auf
Erden und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen, daß
Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre
Gottes, des Vaters.

Hymnen müsste man mitsingen. Darüber zu predigen ist vielleicht nicht angemessen. Aber der Apostel Paulus – mag er die Hymne gesungen haben oder nicht -, er hat sie in seinen Brief an die Gemeinde zu Philippi eingefügt, um eine Botschaft zu vermitteln. Aus dem Ge-fängnis heraus hat er den Brief geschrieben und hat darin das Christenlied zitiert: „Alle Zun-gen sollen bekennen, dass Jesus der Herr sei.“
Ein Gefängnis, besonders zu damaliger Zeit, war kein Erholungsort. Es diente der Unterdrü-ckung jeden Widerstandes gegen die herrschenden Römer. Paulus war ein Verfolgter um seines Glaubens willen. Aber trotz seiner bedrückenden Lage schreibt Paulus einen Brief der Freude und darin diesen Hymnus zum Mitsingen:
Christus kommt in die Welt, erniedrigt sich bis zum Kreuz und erhält den Namen, der über alle Namen ist.
In alle Sprachen der Menschen ist dieses Lied übersetzt. In der Vielfalt der Dialekte sollen alle Zungen bekennen, was sie verbindet: „Jesus ist der Herr.“
Das ist der richtige Text und der richtige Klang, heute in diesem Gottesdienst am Palmsonn-tag.
Der Sonntag erinnert an die Menschenmenge, die damals Jesus zujubelten, als er in Jerusa-lem einzog. Damals riefen sie, „Hosianna dem Sohne Davids.“
Das ist auch ein richtiger Text, aber ein falscher Klang. Denn nach diesem brausenden Emp-fang ist die Stimmung schnell wieder umgeschwenkt. „Lasst ihn kreuzigen“, ist der Gegenruf.

So wie in Jerusalem damals, hat das Singen - auch wenn es einen richtigen Text hat - oft einen falschen Klang. Jubelnde Hymnen verleiten die Menschen zur Verehrung der Macht. Immer wieder sehnen sich viele danach, eine Macht zu haben, die in den Wirren der Zeit endlich klärt, wo es lang geht. Klare Herrschaftsverhältnisse möchten die Menschen.
Nach den Attentaten vom 11. September 2001 herrscht große Angst in den USA. Die Men-schen sehnen sich nach einer Regierung, die etwas Starkes tut, um den Leuten die Angst zu nehmen. Das erklärt die große Zustimmung zum Krieg gegen Saddam Hussein. Ein Diktator war er und ein Übertäter. Aber hinter El Kaida stand er nicht.

Für seine Einteilung der Welt in eine gute und eine böse Hälfte und für Erweise militärischer Macht aber eignet sich dieser Christushymnus nicht.
Er ist ein Lied über den Weg zum Kreuz.
Er ist das Lied von der Selbsterniedrigung Jesu Christi.

Wer auf Macht verzichtet und den Weg menschlicher Niedrigkeit geht, wird der Welt immer fremd bleiben. Wer Knecht wird und selbst dem Tod nicht ausweicht, bleibt den meisten Menschen unverständlich. Denn wir Menschen wollen eher über uns hinauswachsen. Wir wollen das Leid vermeiden. Darum wird der Tod verdrängt. Und zugleich geschieht so viel, ihn herbeizuführen.

Das Lied besingt den Weg des Jesus aus Nazareth. Er bleibt fremd in seiner Haltung. Aber er hat viele dennoch überzeugt. Das Lied mündet in dem einmütigen Bekenntnis: Er ist der Herr, zur Ehre Gottes. Im Namen Jesu werden alle Knie sich beugen.
Es ist der Weg des Kreuzes, der zum Lobpreis führt.
Das ist paradox und nicht zu fassen. Darum lasst uns näher hinschauen, damit wir ahnen, um was es geht. Vielleicht können wir einstimmen in das Bekenntnis zu ihm und seinem Weg.

Jesus „hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein.“ Er verzichtete auf die Position, die ihm zu-steht. Er war jemand, der nicht getrieben war von der Sorge um sich selbst, sondern er erniedrigte sich selbst.

Die stärksten Impulse für menschliches Handeln wachsen aus der Sorge um sich selbst. Es ist der Kampf ums Dasein. In diesem Kampf bleibt oft sogar die Sorge um die Angehörigen auf der Strecke.
In diesem Kampf werden die meisten Wunden gerissen. Menschen kämpfen sich nach oben und erniedrigen dabei andere. Menschen säen zerstörenden Hass, um andere zum Verzicht auf Macht und Recht zu zwingen, statt zu teilen oder gar selber zu verzichten.

Das Lied singt von Jesus, der frei war von der Sorge um sich selbst. Das befremdet und irri-tiert. Ich habe es eben schon gesagt. Aber es hat auch Menschenherzen geöffnet, Brücken gebaut und Türen geöffnet. Brücken zwischen Völkern, die verfeindet waren; Türen zwischen Menschen, die sich nicht mehr gefangen fühlten in der Sorge um sich selbst; die nicht Ge-fangene ihrer Rechtsansprüche sind.
Türen werden geöffnet von denen, die sensibel sind für die Empfindungen, Gefühle und Ver-letzungen der anderen.
Das ist die Gesinnung, die Paulus bei den Philippern anmahnt. Darum leitet er den Hymnus so ein:
„Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“
Und diese Gesinnung entfaltet der Apostel so:
„Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen und achte einer den andern höher, als sich selbst. Ein jeder sehe nicht auf das seine, sondern auf das, was dem anderen dient.“
So überträgt Paulus den Christushymnus auf diejenigen, die im Machtbereich Jesu Christi leben wollen. Und er ist fest davon überzeugt, dass das Miteinander besser gelingt, wenn es diesem Hymnus folgt. Dann entdecken wir Spuren Gottes im Alltag:
die Schönheit des Moments,
die spielenden Kinder,
die Liebe, höher als alle Vernunft,
die Menschen voller Würde im Kampf gegen Sterben und Vergessen.

„Er war gehorsam“, heißt es da von Jesus.
Sein Gehorsam unterscheidet sich fundamental von dem Gehorsam, den Menschen einfor-dern, um sich andere zu unterwerfen.
Dieser Gehorsam ist nicht blind. Er unterscheidet sich grundsätzlich vom Gehorsam soge-nannter Herrenmenschen. Im Gedächtnis der Welt sind sie gespeichert mit ihren schneiden-den Stimmen, mit ihren Stiefeln und Reitpeitschen. Unmenschliche Befehle ließen sie aus-führen und großes Leid brachten sie über die Menschheit.
„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, so hat Paul Celan angedichtet.
Der Gehorsam Jesu Christi ist ein anderer. Jesus war gehorsam bis zum Tod – ja bis zum Tod am Kreuz. Er geht seinen Weg bis zur letzten Konsequenz. Das ist ein Gehorsam, der selber Lasten trägt, anstatt sie anderen aufzubürden.
Über diese Art von Gehorsam ist oft gespottet worden. „Demütiges Gehabe“ sagen manche voller Verachtung. Wie kann man diese Art des Gehorsam bloß zum Vorbild erklären? Chris-tus Vorbild für Duckmäuser?
Gut, dass der Weg Jesu im Hymnus besungen wird. Das provoziert zwar und reizt die Welt zu Spott und Gegenwehr. Aber damit ist der Weg Jesu nicht zu erledigen. Denn Jesu Gehor-sam lässt nicht dem Starken das Feld. Der gehorsame Christus geht nicht vor den Mächtigen in die Knie, sondern er kniet nieder neben denen, die am Boden liegen. Er beugt sich zu Ge-knechteten dieser Erde. Er beendet die Anbetung der Mächtigen und sagt den Elenden Be-freiung an.
Das ist radikaler Herrschaftswechsel. Vielleicht trifft Sören Kierkegaard den Sinn des Liedes am besten, wenn er sagt: „Künftig werden weniger Könige und Kanzler, als vielmehr Märtyrer das Geschick der Menschheit bestimmen.“

Märtyrer – das Wort muss rasch erklärt werden: Die radikalen Terroristen in Palästina und sonst wo drängen junge Menschen zu Selbstmordattentaten und bezeichnen sie als Märty-rer. Märtyrer sind nie Menschen, die andere mit sich in den Tod reißen. Märtyrer sind viel-mehr solche, die um ihrer Überzeugung willen bereit sind, lieber zu sterben, als diese Über-zeugung aufzugeben. Märtyrer bedienen sich gerade nicht der Waffen, nicht des Spreng-stoffs, um die Welt von etwas Neuem zu überzeugen. Märtyrer im Sinne Kierkegaard’s, im Sinne des christlichen Glaubens, haben deshalb eine große Kraft, weil sie hinweisen auf eine Wirklichkeit, die stärker ist als die der Waffen und Bomben.

Das Lied singt: „Darum hat Gott ihn erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.“
Der sich selbst erniedrigt wird erhöht.
Der in die Menschenwelt eintaucht und den ganzen Hass, die ganze Unversöhnlichkeit auf sich lenkt, wird vom ganzen Kosmos, von allem was unter und über der Erde ist, geehrt.
Das Lied überwindet die Grenzen, die in unserem Leben so wichtig sind: Das Land, der Ort, die Familie in die wir hineingeboren sind. Was sind da noch die Unterschiede in der Sprache, wenn wir den einen Herrn bekennen?

Wo wir den einen Namen bekennen, der über alle Namen ist, werden andere Namen unwichtig. Wo wir diesen Namen, der über alle Grenzen steht, jedoch nicht bekennen, da trennen uns die Grenzen. Wir sind dazu verflucht, die Folgen der Trennungen zu tragen. Wenn wir uns von ihm abwenden, werden die Unterschiede der Sprache und Herkunft immer größer.
Auch die Trennung der Kirchen sind die Folge davon, dass wir Menschen den, der uns eint, nicht genug zu Wort und Macht kommen lassen. Wir haben das bis heute nicht überwunden. Dabei ist uns die Einheit doch längst geschenkt in ihm.

Der Knechtsgestalt angenommen hat, wird zum Herrn aller Herren. Herr auch über das, was uns im Gegeneinander dieser Welt große Sorge bereitet.
„Hosianna du Sohn Davids“ singen die Menschen beim Einzug in Jerusalem, das heißt: Hilf doch! Mit dieser Bitte riefen die Menschen Jesus zum Herrn über ihre Ängste und Sorgen aus. „Herr, hilf uns doch.“

Wir stehen in einer Reihe mit ihnen durch die Jahrhunderte und rufen den Namen, der über alle Namen ist:
- Herr hilf doch,
- hilf doch zum Frieden,
- hilf doch zur Versöhnung,
- hilf doch zur Dankbarkeit für alles Gemeinsame, für die letzten Jahre, die uns einander wieder so viel näher brachten.

Wir können dieses Wunder immer wieder neu entdecken: Du, Mensch, bist geliebt ohne ei-gene Vorleistung, das ist deine Würde.
Wir sind Gottes geliebte Kinder. Er hat alles daran gesetzt, uns das zu schenken. Sich selbst hat er gegeben bis zum Tod am Kreuz.

Und dann:
Richtet euer Sinnen und Leben diesem Bild entsprechend neu aus.
Diese Welt macht, was machbar ist. Sie heckt aus, was Geld bringt. Die Welt macht sich daran, Menschen nach menschlichem Bilde zu schaffen. Embryos sollen nur heranreifen, nachdem sie genetisch geprüft sind. Eine Sekte ist dabei, den Menschen zu klonen. Obskure Professoren kündigen das Gleiche an. Der Wahn einer vermeintlichen Unsterblichkeit steckt dahinter.
Gottes Schöpfung muss aber nicht durch Tricks und Manipulation korrigiert werden. Was käme wohl anderes heraus als wieder nur menschliche Hybris und Selbstvergötzung!

In dieser Welt sterben täglich hunderttausende Kinder an Mangelernährung und an Hunger. Wie viele Möglichkeiten gäbe es, hier wissenschaftliches Können und menschliche Zuwen-dung einzusetzen! Aber statt dessen heizen eitle Selbstdarsteller den Wettbewerb um das Superwunschkind an.
Passt euch nicht ein in das Schema dieser Welt, die macht, was machbar ist!

Ich will das jetzt nicht ausweiten, obwohl es zahllose Beispiel gäbe. Ich könnte sprechen von einem Urteil aus Köln, das den Lärm von Behinderten für weniger zumutbar erklärt, als das Geräusch eines Rasenmähers.
Ich könnte sprechen von den Hunderttausenden von Abtreibungen, die ja nicht alle wegen nicht zu bewältigender Konflikte zustande kommen, sondern weil Kinder als Last empfunden werden.
Unser Glaube darf sein Fähnlein nicht nach dem Wind der herrschenden Meinung drehen.

Der Gehorsam Jesu als Vorbild unserer Lebensgestaltung.

Darum lasst uns Gott preisen und singen, dass Jesus der Herr ist, zur Ehre Gottes.