Grußwort anlässlich der Kundgebung des Koordinationsrates der Muslime (KRM), Berlin, Mevlana Moschee

NIkolaus Schneider

Es gilt das gesprochene Wort.

"Muslime stehen auf gegen Hass und Unrecht"

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe muslimische Geschwister,

Musliminnen und Muslime in Deutschland stehen heute auf gegen Hass und Unrecht. Sie sollen wissen: Sie stehen nicht allein. Deshalb bin auch ich heute zu Ihnen gekommen.

Auch ich bin entsetzt über die Angriffe und Attacken auf muslimische Gebetsräume in unserem Land.

Auch ich bin entsetzt über islamfeindliche Vorurteile und Stimmungen mitten in unserer Gesellschaft.

Auch ich bin fassungslos angesichts der kaltblütigen Morde an Menschen muslimischen Glaubens, die es in unserem Land gegeben hat.[1] Und ich bin beschämt darüber, dass diese Morde lange Zeit nicht energisch und zielgerichtet aufgeklärt wurden. Täter wurden bei den Opfern gesucht. 

Wenn die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, die mit uns auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht, zur Ursache für Ausgrenzung und Diskriminierung wird, dann ist es Zeit, dagegen aufzustehen.

Wenn sie zur Bedrohung von Leib und Leben wird, dann ist es höchste Zeit, dagegen aufzustehen.

Diese Entwicklungen widersprechen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die die Religionsfreiheit und die Gleichheit aller unabhängig von Geschlecht, Sprache, Herkunft oder Glauben unmissverständlich festschreibt[2]. Diese Entwicklungen widersprechen auch zutiefst dem christlichen Menschenbild, für das die evangelische Kirche einsteht.
Es reicht allerdings nicht aus, diese Werte und Rechte im Grundgesetz zu verankern und sie in unseren Kirchen zu predigen. Diese Werte und Rechte müssen in den Köpfen und Herzen der Menschen verankert werden. Das bleibt eine immer neue und immer aktuelle Aufgabe.

Das wurde deutlich in der "Beschneidungsdebatte", die uns in den letzten beiden Jahren noch einmal vor Augen geführt hat, wie sich antisemitische und islamophobe Gefühle und Vorurteile mitten aus unserer Gesellschaft heraus Bahn gebrochen haben. Das wird jetzt deutlich angesichts der Kriege in Gaza, in Syrien und im Irak. Sie werden zum Vorwand genommen, in unserem Land judenfeindliche oder muslimfeindliche Parolen zu verbreiten, Menschen anzupöbeln und Gotteshäuser anzugreifen.

Ich bin deshalb den muslimischen Verbänden in diesem Land sehr dankbar für die Klarheit, mit der sie sich von jeder Form des Antisemitismus distanziert haben. Und ich bin Ihnen dankbar für die Klarheit, mit der Sie sich vom Terror des sogenannten "Islamischen Staates" in Syrien und im Irak distanzieren. Sie sagen ohne wenn und aber, dass Islam und Terror nicht zusammen passen.

Gott lästernde Gewalt und Menschen verachtendes Unrecht müssen klar benannt und verurteilt werden. Menschen gleich welcher Religionszugehörigkeit dürfen nicht zulassen, dass Gott und dass ihre religiösen Schätze und Traditionen zur Legitimation von Terror und Gewalt missbraucht werden. Und sie müssen verhindern, dass junge Menschen in ihren Gotteshäusern fanatisiert und zum Terror angeworben werden. 

Auch das Christentum kennt aus seiner eigenen Geschichte "Heilige Kriege" und "Kreuzzüge", in denen Gott zur Begründung und Rechtfertigung von Gewalt missbraucht wurde. Es ist deshalb notwendig, selbstkritisch mit der eigenen Geschichte umzugehen. Wir dürfen Hass und Unrecht nicht nur bei anderen verorten, kritisieren und bekämpfen. Wir müssen auch dagegen aufstehen, wenn sie im eigenen Denken gründen und Nahrung finden; wenn sie im Namen der eigenen Religion oder im Namen des eigenen Volkes geschehen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat schon vor einigen Jahren im Blick auf das oftmals gespannte Verhältnis zwischen Muslimen und Christen formuliert: „Alles Denken und Trachten, welches Gewalt, Feindschaft und Hass zwischen Christentum und Islam schafft, muss endgültig der Vergangenheit angehören. Die evangelische Kirche und die Muslime in Deutschland können dafür der ganzen Welt, in der diese Vergangenheit leider immer wieder hervorbricht, wichtige Signale geben. Sie können gemeinsam einen wesentlichen Beitrag leisten, die Wunden der Vergangenheit zu heilen.“[3] 

Heute stehen Sie hier gegen Hass und Unrecht auf und gegen jeglichen Extremismus. Sie stehen ein für ein friedvolles Miteinander.[4] Seien Sie versichert: viele Ihrer nicht-muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in diesem Land stehen an Ihrer Seite. Vorurteile, Hass, Unrecht und Gewalt dürfen nicht das letzte Wort behalten. Dagegen stehen in Deutschland unsere Gesetze. Dagegen steht aber - Gott sei es gedankt - auch unser Glaube. Durch Jesus Christus haben wir gelernt: Gott ist der Vater aller Menschen, der alle seine Geschöpfe liebt. Er will, dass wir in Frieden und Gerechtigkeit mit einander leben. Lasst uns dafür gemeinsam aufstehen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Fußnoten:

  1. z.B. Marwa El-Sherbini sowie die acht muslimischen Opfer des sog. "NSU".
  2. GG Art. 3 Abs. 3 und Art. 4 Abs. 1 und 2
  3. Klarheit und gute Nachbarschaft, S. 119
  4. So Ali Kizilkaya in einer Pressemitteilung des KRM zur Kundgebung vom 08.09.2014