Religion und Rechtspopulismus/ -extremismus

Analysen semantischer und diskursiver Verflechtung. Ein Projektbericht.

In welcher Weise werden christliche Topoi und Praktiken im Zusammenhang vorurteilsbezogener Kommunikation verwendet? Dieser Frage ist das Hamburger Institut für Praktische Theologie im Zusammenhang des Integrierten
Forschungsverbunds „Kirchenmitgliedschaft und politische Kultur“ der EKD 2019–2021 nachgegangen. Ausgewertet worden sind fast 30.000 Online-Kommunikate auf Facebook und über Twitter, journalistische Beiträge auf Onlineseiten von Zeitschriften einschließlich der sich angliedernden Kommentare, Blogeinträge mit Kommentaren sowie E-Mail-Zuschriften an die EKD.

Blau lackierter Tannenzapfen mit goldenem Drahtgeflecht

Die Texte bezogen sich allesamt auf das Thema ‚Seenotrettung‘, d.h. auf den Themenzusammenhang der Gründung des EKD-(mit)initiierten Bündnisses united4rescue, des Erwerbs eines ersten Schiffes zur Seenotrettung (der jetzigen Sea-Watch 4) durch dieses Bündnis sowie auf die erste Fahrt der Sea-Watch 4. Die Untersuchung machte es möglich, die Verflechtung rechtspopulistischer bzw. rechtsextremistischer Muster mit christlicher Semantik zu eruieren und so sich als christlich verstehende rechtspopulistische bzw. -extreme 
Narrative herauszupräparieren. In diesem Zusammenhang zeigte sich zum Beispiel, wie in den Texten über bestimmte narrative Elemente die Kontrastierung ‚Fremdes/Eigenes‘ umso stärker konstruiert wurde, je weiter ‚rechts‘ die Kommunikate zu verorten waren. Identifiziert werden konnten ebenfalls verschiedene Stufen und Formen gewaltsamer Sprache: gegenüber der konstruierten ‚Gruppe‘ der Geflüchteten, gegenüber kirchenleitenden Vertreter:innen, dann aber auch in Form von allg. islamfeindlichen, antisemitischen und antifeministischen Äußerungen. Zentral wurde in vielen Texten auch die Frage nach der Aufgabe von Kirche in der Gesellschaft verhandelt. Zeigt sich ‚Religion‘ – in verschiedener Hinsicht – als Faktor in vorurteilsbezogener Kommunikation, wurde darüber hinaus bedeutsam, verschiedene Akteur:innen und Rollen in jeweils unterschiedlichen Kontexten zu differenzieren: politische Akteur:innen der rechten Szene, die strategisch agieren und auf kulturelle Hegemonie abzielen, und Personen, die aufgrund persönlicher Dispositionen und Erfahrungen alltäglicher Mängel rechtspopulistische Deutungsmuster dankbar aufgreifen, weil sie eine Versicherung der eigenen Person versprechen. Die Ergebnisse des des Forschungsverbunds werden 2022 publiziert unter dem Titel Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung. Eine interdisziplinäre Studie zu Kirche und politischer Kultur.

Kristin Merle