„Hightech des Mittelalters“

Astronomische Uhr der Rostocker Marienkirche erhält zum Jahreswechsel ein neues Ziffernblatt

Detail vom Kalender der astronomischen Uhr in der Rostocker Marienkirche
Detail vom Kalender der Astronomischen Uhr in der Rostocker Marienkirche. Der hölzerne „Kalendermann“ zeigt das aktuelle Datum und Feiertage an.

Rostock (epd). Die Astronomische Uhr in der Rostocker Marienkirche ist ein einzigartiges Meisterwerk mittelalterlicher Technik. Seit mehr als 500 Jahren tickt sie ohne Motor und ohne Strom, rein mechanisch. Jeden Morgen um 6 Uhr werden die fünf mechanischen Uhrwerke per Hand aufgezogen. Bis heute läuft das Uhrwerk aus dem Jahr 1472 so präzise wie damals. Allerdings muss zum Jahresanfang das Kalendarium gewechselt werden. Das neue reicht dann bis zum Jahre 2150.

Mondphasen, Tierkreiszeichen und Monate

„Heute würde man so ein Kunstwerk wohl als Hightech des Mittelalters bezeichnen“, sagt Manfred Schukowski. Kaum jemand kennt sich mit dem imposanten, rund elf Meter hohen Kunstwerk so gut aus wie der 89-jährige Rostocker Astronomie-Professor. Mit großer Lust, sein Wissen weiterzugeben, führt er Besucher in der Marienkirche zur Astronomischen Uhr direkt hinter dem Hochaltar und erklärt dem Betrachter, was er sieht.

Ganz oben befindet sich die reich verzierte Hauptuhr. Sie zeigt die Stunden an. Allerdings benötigt sie für einen Zeigerumlauf 24 Stunden, statt 12 wie bei modernen Uhren. Daneben zeigt die Astronomische Uhr auch Mondphasen, Tierkreiszeichen und Monate an.

Im 17. Jahrhundert wurde sie überarbeitet und erhielt mit dem Apostelumgang über der Uhrscheibe eine weitere Besonderheit: Jeden Tag um 12 Uhr und um Mitternacht öffnen sich die Türen. Sechs Apostel treten heraus, umrunden die Christusfigur, die segnend die Hand hebt, und gehen zur anderen Tür wieder hinein. Nur dem letzten Apostel - es ist Judas mit dem Geldbeutel - wird Segen und Zutritt verweigert. Er muss bis zum nächsten Umgang vor der Tür bleiben.

Den Zweiten Weltkrieg überstand die Uhr eingemauert

Das mittelalterliche Uhrwerk arbeitet bis heute zuverlässig. Allerdings war es im 19. Jahrhundert über längere Zeit außer Betrieb. Im Jahr 1835 gelangten bei Renovierungs- und Umbauarbeiten in der Kirche Schutt und Staub in das Innere der Uhr. Mehr als ein halbes Jahrhundert stand sie daraufhin still. Erst 1885 ließ man die Uhr restaurieren und die Uhrwerke überholen.

Den Zweiten Weltkrieg überstand die Uhr unbeschadet. „Um sie vor Bombenangriffen zu schützen, ließ man sie 1943 einmauern und einbetonieren“, sagt Schukowski und zeigt an der Wand die sichtbaren Spuren des einstigen Mauerwerks. 1951 wurde sie wieder freigelegt und in Betrieb genommen.

Technik, Astronomie, Kunst, Religion: Die harmonische Verbundenheit so unterschiedlicher Wissenschaften hat den ehemaligen Physik- und Astronomie-Lehrer motiviert, sich für die Uhr zu interessieren. „Der Versuch, symbolhaft die christliche Weltsicht darzustellen – das fasziniert mich immer noch“, sagt Schukowski. Mittlerweile ist er einer der profundesten Kenner der Uhr.

Unter der Hauptuhr befindet sich eine große Kalenderscheibe. Dort zeigt der hölzerne „Kalendermann“ das aktuelle Datum und Feiertage an. Die vielen Daten auf der Scheibe erlauben beispielsweise auszurechnen, auf welchen Wochentag der eigene Geburtstag im Jahr 2030 fällt. Vor allem aber hilft die Scheibe bei der Berechnung der kirchlichen Feiertage.

Die neue Kalenderscheibe gilt bis 2050

In großen Zeitabständen muss die Kalenderscheibe durch eine mit neueren Daten ersetzt werden. Das letzte Mal war dies 1885 der Fall. Die aktuelle Scheibe reicht noch bis zum Ende dieses Jahres. Doch die neue Kalenderscheibe ist schon seit einer ganzen Weile fertiggestellt. „Vor ein paar Jahren hatte die Gemeinde das Geld dafür, da haben wir schon einmal vorproduziert.“

Die Daten für die neue Scheibe, die bis 2150 gültig sein wird, hat Schukowski selbst errechnet - mit der Gaußschen Osterformel. Sie erlaubt die Berechnung des Osterdatums für ein vorgegebenes Jahr. „Darin ist der komplette Algorithmus der Osterrechnung formuliert“, sagt er – und es klingt wie ein einfacher mathematischer Dreisatz. Zu Anfang, räumt er ein, habe er sich „einfuchsen“ müssen. Doch nach einem Vierteljahr war die Arbeit getan, die Daten waren komplett und wurden auf die neue Schiebe übertragen.

So kann die Astronomische Uhr pünktlich am 1. Januar das neue Jahr einläuten, in dem Rostock sein 800. Stadtjubiläum feiert. Das Aufziehen der Uhr übernimmt dann Manfred Schukowski, der im Januar 90 Jahre alt wird, gemeinsam mit seinem Enkel. Es sei eine große Freude für ihn, dass er das erleben darf. „Ich hatte es mir zwar vorgenommen, aber es liegt ja nicht in meiner Hand.“

Nicole Kiesewetter (epd)