Dankesrede zur Verleihung der Martin Luther-Medaille der EKD am Reformationstag 2009, Emden

Richard von Weizsäcker

Martin Luther sei Dank. Unterwegs zum 500. Reformationsjubiläum treffen wir heute hier zusammen.

Und groß ist meine Freude, dass ich diesen Dank an die Herren Präsidenten und zumal an Sie, liebe und verehrte Frau Bischöfin und Ratsvorsitzende aussprechen darf, zusammen mit meinen herzlichen Wünschen für Sie persönlich, für den Rat und damit für uns alle. Ich habe Grund, mich darauf zu freuen, zumal ich ja auch ein dankbarer alter Schüler von Ihnen bin.

Hier sind wir also in der Johannes a Lasco-Bibliothek, benannt nach einem polnischen Reformator. Mit der Martin Luther-Medaille soll verwiesen werden auf Zeit und Leidenschaft für Aufgaben im Dienste der Kirche, auch in einer glaubwürdigen Einheit von kirchlichem und politischem Handeln.

Es ist nicht meine Fähigkeit und nicht meines Amtes, über die kommende zeit bis zum Reformationsjubiläum zu sprechen. Im neunzigsten Lebensjahr habe ich nur von Herzen Grund zu danken.

Und, nur als ein Beispiel, zu schildern, den Ausgangspunkt meiner, der alten Generation, am Ende einer schweren, schrecklichen Vergangenheit, mit der Aufgabe, einen Stein auf den anderen zu setzen, materiell und geistig, unter Mitmenschen und in der Gesellschaft, historisch und politisch, nach innen und außen.

Es gab die eigene Kirchengemeinde zu Hause, zugleich über sie hinaus die Suche nach Austausch über Grenzen hinweg, über Gemeinde- und Konfessionsgrenzen, über Orts- und Landesgrenzen hinweg, unter Landsleuten in Ost und West.

Der DEKT rief auf zur aktiven Beteiligung, zum Austausch von Erfahrungen und Aufgaben im täglichen Leben. Es war kein Laienunterricht über die Religion. Man traf sich ohne Bindung an einzelne Landeskirchen und konfessionelle Schwerpunkte.

Das haben wir wohl auch gelegentlich auf die zu leichte Schulter genommen. Einmal sagte ich am Abschlusstag vor einer großen Kirchentagsteilnehmerzahl, die Bischöfe und Synodalpräsides in der ersten Reihe: „Ich bin lutherisch getauft, reformiert konfirmiert und nun Mitglied einer unierten Kirche. Weiß ich denn genau genug, auf welchem Weg ich also bin?“ Hätte ich das so sagen dürfen? Jenun: hier gab es großen Beifall. Aber einer der wichtigen Bischöfe, ich will nicht gestehen, aber auch nicht ausschließen, dass es ein Lutheraner gewesen sein könnte, er war ein Jahr lang im Umgang mit mir etwas verstört. Auch wurden wir Kirchentagsleute zweimal vor den Rat der EKD geladen und gemahnt. Gewiss mit großem Recht.

Gleichviel: unvergesslich waren für uns Teilnehmer, unterwegs in der Nachkriegszeit zusammengehörig zwischen Ost und West trotz der politischen Teilung schon 1950 der Essener Kirchentag, im nächsten Jahr 300.000 Teilnehmern im geteilten Berlin, und dann 1954 die Schlusskundgebung unter 600.000 Teilnehmern aus Ost und West in Leipzig.

Aber es ging auch über andere Grenzen weiter. 1965 waren wir zu Gast in Köln. Im ganz kleinen Kreis zum Empfang im Dommuseum sprach, anstelle eines der konventionellen Grußworte, der Kardinal Frings eine Bibelarbeit zur Auslegung der Losung unseres Kirchentages (aus dem Galaterbrief). Er sagte Amen. Neben mir standen Adenauer und Niemöller, und sie umarmten sich wahrhaft freudig.

Zu den Aufgaben meiner Generation gehörten die schweren Themen der Vergangenheit. Da gab es zum Beispiel vor allem eine besonders lebhafte Beteiligung an der Kirchentagsarbeitsgruppe „Juden und Christen“. Dort lernten wir bis in die Bibelauslegungen hinein immer wieder neu und nach, unter lebhafter Beteiligung von Rabbiner Geiss.

Über die Kirchentagsarbeit hinaus ging es vor allem um den schweren Weg einer Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern im Osten, zumal mit Polen. Hier lag für mich der Schwerpunkt meines weiteren Weges in die Politik. Die Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD wies den Weg, unter der Leitung von Ludwig Raiser, dem Vater von Konrad Raiser. Wieder waren wir in Kontakt über kirchliche Grenzen hinweg (die polnischen Bischöfe am Ende des II. Vatikanums: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“).

Es blieb bei der Friedensarbeit über Mauern und Grenzen hinaus bei mir in politischen Aufgaben, aber mit ständig fortdauernder Verbindung zum Kirchentag.

Die Denkschrift zusammen mit Erhard Eppler: Friedensaufgaben der Deutschen (Zusammenarbeit von Autoren in Ost und West; auch gemeinsame Wahl in Ost und West): Thema: Es erfüllt die Nachbarn mit Sorge, wenn zwei deutsche Regierungen sich befehden. Daher die Suche nach politischen Lösungen, die uns Deutsche in größere, in gesamteuropäische Zusammenhänge einbinden.

Erlauben Sie mir noch ein letztes Beispiel, mit dem wir zum Beginn, zu Martin Luther zurückkehren. 1983 wurde ich als Bürgermeister von Westberlin zum Landeskirchentag nach Wittenberg eingeladen, zum Lutherjahr, zu Friedrich Schorlemmer. „Schwerter zu Pflugscharen“ war das Motto der Friedensdekade. Es kam zur öffentlichen Aussprache auf dem vollen Marktplatz, zum neuen öffentlichen Friedensdialog in der Stadtkirche über die Folgen der Abschreckungsstrategie, über den unausweichlichen Zwang zur Abrüstung in Ost und West zugleich. Wir waren geschart um Luther in Wittenberg.

Am Ende des Kalten Krieges, unmittelbar nach der deutschen Vereinigung, kam der französische Staatspräsident François Mitterrand, selber einst Kriegsgefangener in Thüringen, und freute sich über die Einladung auf die Wartburg und nach Wittenberg. „Endlich zu Luther“, sagte er, „zum Vater der deutschen Sprache, zur Quelle der deutschen Kultur!“

Hier lasst uns weiterarbeiten zur friedlichen Nachbarschaft in allen Altersstufen!