Bibelarbeit über Apostelgeschichte 1, 6-11a auf dem Stadtkirchentag Essen

Margot Käßmann

Teil 1: Der Himmel, den wir ersehnen.

Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen (Acta 1,7)

Schauen Sie doch alle mal zum Himmel! Was sehen Sie? Blauen Himmel, Wolken, Dunkelheit – je nach Tageszeit und Wetter. Letzten Mittwoch war ich abends zum Konzert von Bruce Springsteen im Olympiastadion in Berlin. Mich hat das Himmelsbild über diesem Stadion richtig angerührt. Hier die röhrende Rockmusik. 58.000 Menschen, die begeistert mitsingen, mittanzen. Dort die Wolken, die darüber hinweg ziehen, majestätisch geradezu, erhaben über all das. Bruce Springsteen fragte: „Seid ihr da? Denkt ihr an viele?“ Die Menge ruft: „Ja!“ Und Springsteen antwortet: „Wir sind da und sie auch!“

Das war für mich eine überraschend theologische Sicht der Dinge. Wir erinnern beim Blick in den Himmel andere, die nicht unter uns sind. Und irgendwie sind sie unter uns. Wir wissen weder Zeit noch Stunde der Auferstehung, wie es Lukas in der Apostelgeschichte sagt. Aber wir wissen uns verbunden mit denen, die wir lieben, über ihren Tod hinaus. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Dafür steht der Himmel! Wer hätte gedacht, dass ein Rocksänger ein guter Theologe sein kann…

Haben Sie selbst manchmal Lust auf Himmel? Und was wäre für Sie himmlisch? Heute beim Einkaufen das Richtige finden? Ein schöner Tag mit den Liebsten? Haben Sie manchmal Sehnsucht nach dem Himmel? Und was wäre das dann? Weg von hier? Neu anfangen?

Der Blick zum Himmel: das ist oft auch die Suche nach Gott: Herr im Himmel, wo bist du? Oder: „Himmel hilf!“ Auch Empörung gibt es, die den Himmel anruft angesichts der Zustände auf der Erde: „Du lieber Himmel!“ Auf bayrisch manchmal sehr drastisch: „Himmel, mmmh… und Zwirn!“

Das Bild vom Himmel, die Sehnsucht nach dem Himmel, die Hoffnung auf Himmel ist allgegenwärtig. Wenn wir in unserer Zeit ahnen oder gar wissen wollen, was ein Begriff bedeutet, gilt es zuallererst, in der Werbung nachzuschauen. Wer den Begriff „Himmel“ ins Internet eingibt, findet unter anderem einen Werbespot, in dem der so genannte „Poptitan“ Dieter Bohlen bittet: "Herr, schick Talent vom Himmel“. Er erscheint in weißem Anzug und bittet innigst um gute Kandidatinnen und Kandidaten für seine Dauersendung „Deutschland sucht den Superstar“. Prompt fallen ihm aus den Wolken dutzende junge Leute zu Füßen – nun denn, ob das Himmel oder Hölle ist, vom Himmel direkt in Bohlens Reich erzwungener Selbstdarstellung und gnadenloser Kritik, das mag entscheiden, wer will….

In jedem Fall gilt: Der Himmel ist der Ort unserer Sehnsucht. Zum einen ist es wohl die Sehnsucht nach Erlösung von all den Belastungen des Lebens. Die Sehnsucht nach Freiheit, einer Zukunft in Geborgenheit. Nach einem Vortrag fragte mich eine Frau einmal, was sie ihrer kleinen Tochter sagen solle. Die habe gefragt, ob sie denn die Mama wieder finden würde, wenn die gestorben ist. Ich habe daran erinnert, dass der Apostel Paulus sagt (1. Kor. 13): Es bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei. Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Wenn das so ist, wird die Liebe bleiben und ein Band knüpfen über die Welt hinaus sozusagen in den Himmel als Gottes Zukunft hinein.

Wie im Himmel möge es sein auf Erden! Das beten wir täglich persönlich und sonntäglich miteinander im Gottesdienst im Vaterunser. Gottes Wille möge geschehen hier auf der Erde wie dort im Himmel. Und tief in uns steckt sicher die Verheißung der Bibel, dass im Himmel, in Gottes Zukunft und nach Gottes Willen alle Tränen abgewischt sein werden, Not, Leid, Geschrei und auch der Tod ein Ende haben. Endlich frei sein von Leid, Kummer, Sterben, Verlust - das ist die zentrale Himmelssehnsucht, denke ich.

Den Himmel auf Erden wünschen sich Menschen immer wieder. Das heißt für sie, es möge so sein, dass Gerechtigkeit und Frieden sich küssen, wie es Psalm 85 sagt. Ein Ende all der Kriege und der Gewalt in Syrien und Mali, ein Ende des Hungers in Somalia und der Willkür im Kongo. Gerechtigkeit und Friede küssen sich. Das bedeutet keine Weltflucht, sondern ein Hoffnungsszenario: So könnte es sein!

Und wie ist es so im Himmel? Die Bibel selbst gibt uns über solche Andeutungen hinaus keine allzu großen Anhaltspunkte zum Himmel. Weder von Puttenengeln, die Harfe spielen, noch von fröhlich Reigen tanzenden Jungfrauen ist da die Rede. Was uns die Bibel sagt, ist: Der Himmel ist die unangefochtene Sphäre Gottes. Der Tod hat kein Sagen mehr. Er ist überwunden, das hat Jesus seinen Getreuen als Botschaft weiter gegeben. Und das ist ja eine ungeheure Hoffnungsbotschaft, auch in unserer Zeit! Wir glauben nicht an einen Toten, sondern an den Auferstandenen! Das ist in der Tat eine frohe Botschaft! Sie sollte Christenmenschen auch wahrhaftig froh machen! Der Philosoph Friedrich Nietzsche soll einmal gesagt haben, wenn die Christen etwas erlöster aussehen würden, könnte er sich der Sache vielleicht annehmen. Wir haben ja auch allen Grund dazu: also, sehen sie etwas erlöster aus, bitte!

Aber sind solche Himmelsvorstellungen nicht naiv in einer aufgeklärten Welt, in der die Naturwissenschaften uns erklären, was es mit Himmel und Erde auf sich hat, in der die Raumfahrt den Himmel längst entzauberte? Der Raumfahrer Reinhold Ewald hat gesagt: „An meiner Vorstellung vom Himmel hat sich seit meinem Raumflug im Jahre 1997 nichts geändert. Da ist ein Himmel, in den man mit Getöse und Raketenkraft aufsteigt, und da ist ein anderer Himmel, in den man gläubig und durch die Gnade Gottes gelangt. Ich habe weder als Physiker noch als Christ erwartet, durch das Bereisen des ersteren Himmels Aufschluss über den Zweitgenannten zu bekommen. Aber die Sphären des Wissens und des Glaubens verbinden sich ganz unwillkürlich beim Blick aus dem Weltall auf die Erde. Die Apollo-8-Astronauten lasen Abschnitte der Schöpfungsgeschichte vor, als sie erstmals hinter dem Mond wieder die Erde aufgehen sahen….“ (aus: Reinhold Ewald, Christ und Welt (ZEIT-Beilage) 21/2012, S. 5.)

Das ist für mich ungeheuer wichtig! Glaube und Vernunft sind für uns kein Widerspruch! Martin Luther ging es um gebildeten Glauben, nicht Glauben aus Konvention oder spirituellem Erleben. Selbst nachlesen sollten die Menschen in Bibel, ihr Gewissen schärfen und dann hinaus gehen in die Welt und Verantwortung übernehmen! Deshalb hat er die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt und in seinem Schreiben an den christlichen Adel deutscher Nation Schulen gefordert, in denen jedes Kind, Junge wie Mädchen gleich welcher Herkunft lesen und schreiben lernen sollten.

Ein solcher Kirchentag wie heute hier in Essen kann diesen Glauben stärken. Ja, wir sehen die Welt, wie sie ist, wir sind keine Weltflüchtlinge. Aber wir haben eine andere Perspektive. Vom Himmel aus gesehen, aus Gottes Perspektive macht unser Leben Sinn. Denn wir sind gemeint. Auch wenn wir keine Siegertypen, Models und DSDS-Stars sind, so sind wir doch von Gott gemeint, gewollt, geliebt. Das ist in unserer Leistungsgesellschaft, in der die Schönen, Starken, Leistungsfähigen im Rampenlicht stehen und wertgeschätzt werden, eine völlig andere Blickrichtung. Himmel heißt nicht, Erfolg haben, sondern dich geliebt wissen, als geliebt erfahren. Nicht weil du bist, wie du bist, sondern obwohl du bist, wie du bist, mit all deinen Mängeln und Fehlern. So liebt Gott die Menschen glauben Christinnen und Christen.

Wir wissen aus der Pädagogik, dass Kinder, die solchen Zuspruch, solche Zuwendung und Liebe erfahren, mutig werden, widerstandsfähig, lebensstark. So werden wir als Christinnen und Christen durch die Erfahrung der Liebe Gottes.

„Imagine there´s no heaven“ hat John Lennon einst gesungen. Stell dir vor, es gäbe keinen Himmel. Und ja, das denke wir manches Mal, wenn wir zweifeln, Angst haben. Stell dir vor, den Himmel gibt es nicht, keinen Gott, da ist nichts nach dem Tod. Da kannst du dir ziemlich verloren vorkommen auf der Erde.

Mir ist wichtig: Glaube an den Himmel ist keine Vertröstung. Es geht nicht darum, „Opium des Volkes“ herzustellen, das alle beruhigt, die Angst vor dem Leben haben. Nein, ich bin überzeugt, der Glaube an Gottes zukünftige Welt macht uns gerade mutig, hier mitten in der Welt eine Spur vom Himmel zu legen. Als John Lennons Lied bei der Trauerfeier für Opfer der Zwickauer Terrorzelle gespielt wurde, habe ich genau das gedacht: Der Himmel Gottes, den wir glauben ist eben eine radikale Anfrage an all die Ungerechtigkeit, die Gewalt, die Zerstörung, die wir real auf der Erde erleben. Himmel will auf die Erde kommen, darum geht es. Ein Perspektivenwechsel ist angesagt. Wir wissen nicht „Zeit noch Stunde“, heißt es in der Apostelgeschichte. Wir haben die Welt nämlich gar nicht im Griff, wie wir so gern meinen. Gottes Zukunft hat schon längst begonnen. Alles, was es an Macht und Ruhm und schönem Schein gibt, ist Schall und Rauch. Aus dem Blickwinkel Gottes ist unsere Welt eine andere…

Glaube an den Himmel bedeutet: Wir sehen unser Leben und unsere Welt in einer anderen Perspektive, in einem anderen Licht.

Teil 2: Der Himmel, der ist.

Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen (Acta 2, 8)

Gerade erst liegen Himmelfahrt und Pfingsten hinter uns. Himmelfahrt ist für uns heute gar nicht so einfach zu erklären. Was soll das gewesen sein? Jesus fährt in den Himmel?

„So erhaben, so groß, so weit entlegen der Himmel!“, seufzte einst Friedrich Schiller. Aber ach, was machen wir? Statt in den Seufzer einzustimmen, wollen wir uns den Himmel zu eigen machen. Satelliten bevölkern den Himmel und geben uns Navigationsanweisung für die Erde. Das ist fast schon komisch: wir werden geortet und uns wird eine Route vorgegeben: das Navi spielt ein bisschen Gott, oder? In Flugzeugen durchpflügen wir die Wolken, um schmerzlich zu erfahren: Über den Wolken, wo Reinhard Mey die Freiheit als so grenzenlos erlebte, endet sie schon an der Rückenlehne des Vordersitzes. Auch Ängste und Sorgen bleiben da nicht verborgen. Der Alltag geht weiter und eine Flugerfahrung bedeutet eher Stress als entrückte Lebensbetrachtung. Kaum sind die Anschnallzeichen erschlossen, werden wie in Sucht die Handys aktiviert. Wer das Hin und Her auf einem Flughafen beobachtet, fragt sich manchmal, was wir eigentlich tun, warum dauernd jemand von Hier nach Dort will und keine Ruhe zu finden ist. Der Ort der Himmelfahrt - wenn wir einen Flughafen mal so nennen wollen – wird zum Himmelfahrtskommando. In Berlin hat das derzeit allerdings einen besonderen Klang…

Am Ölberg können wir sehen, welche Lösung die dortigen Christen für ihren Himmelfahrtsort gefunden haben. Auf einem Stein ist angeblich noch die Mulde zu erkennen, von der aus Jesus vor knapp 2000 Jahren in den Himmel gefahren sein soll. Das entkräftet allzu romantische Vorstellungen einer stillen Himmelfahrt, denn um einen steinernen Fußabdruck zu hinterlassen, sind mindestens der Schub und das Getöse eines Airbus nötig. Wichtiger als solche Spekulationen ist jedoch: Die Christen haben eine Kirche über dem Himmelfahrtsstein errichtet. Und auch an vielen Flughäfen gibt es inzwischen Kirchen. In allem Rennen und Suchen, in allem Streben nach dem Himmel auch, brauchen die Menschen offenbar Orte der Ruhe. Orte, an denen sie noch einmal nachdenken über das Woher und Wohin ihres Lebens.

Am Flughafen in Hannover habe ich aus Anlass des Kirchentages 2005 sehr um eine Flughafenkapelle gekämpft. Wir haben es schließlich geschafft. Die letzte Frage war, ob sie direkt neben dem Beate-Uhse-Shop stehen dürfte, aber ich denke, Jesus hatte auch keine Berührungsängste. In dieser Kapelle liegt ein Buch aus, inzwischen das fünfte. Wenn ich lese, was Menschen hineinschreiben, bin ich sehr angerührt. Der Abschied zwischen Himmel und Erde zeigt viel von der Liebe unter Menschen. Da wartet die Frau auf ihren Geliebten. Da wünscht sich der Vater, dass die Tochter mit Gottes Segen auf den Weg gehe. Da macht sich der Freund Sorgen. Auch das bestätigt mir, dass die Liebe die Brücke ist zwischen Himmel und Erde.

Aber was bedeutet die Himmelfahrt Jesu? Ich denke, wir können es so verstehen: Er entschwand vor ihren Augen, wie Lukas es sagt. Eben noch hatten sie das Gefühl, er wäre greifbar, da. Jetzt ist deutlich: sie sind da ganz allein. Ängstlich waren sie, eingeschlossen haben sie sich. Verzagt. Fragend. Erschöpft. Das kennen glaubende Menschen gut. Den einen Moment meinst du, diese Gewissheit in dir zu spüren: Ja, Gott ist da, nahe, ich kann vertrauen. Und dann ist da wieder dieser Zweifel: Kann das denn sein? Zweifel und Glaube, sie gehören zusammen. Martin Luther hat einmal gesagt, wir sollten jeden Tag ein Vaterunser beten, mehr Brimborium sollte ums Gebet nicht gemacht werden. Aber ans Ende gehöre ein kräftig lautes AMEN gegen allen Zweifel…

So, wie die Apostelgeschichte erzählt, gab es für die Jüngerinnen und Jünger aber plötzlich eine große Kraft, eine Energie, die sie in sich gespürt haben. Sie wollten reden von dem, was sie bewegte, was sie glaubten. Ein „Brausen“ war da, das ihnen die Angst nahm, die Lebensangst, die Sterbensangst, die Angst vor dem Urteil anderer.

Wenn wir an Pfingsten vom Heiligen Geist sprechen, fällt es uns manchmal schwer, das zu erklären. 53% der Deutschen (emnid 2004) erklären, sie hätten keine Ahnung, was da gefeiert wird. So wie die Bibel vom Pfingstereignis erzählt, löst Gottes Geist in Menschen die Zunge. Sie wagen, von ihrem Glauben zu sprechen, sie finden Worte, die andere verstehen. Sie können verständlich machen, was Jesus Christus für sie bedeutet. Der Heilige Geist ist die Kraft, die Menschen antreibt, vom Glauben zu reden und im Glauben zu handeln.

Wenn wir vom Geist sprechen, ist das doch gar nicht so unverständlich heute. Wir fragen uns, welcher Geist wirkte beim Eurovision Song Contest in Baku. Der Geist der Völkerverständigung, in dem die Veranstaltung einst ins Leben gerufen wurde. Oder ein schöner Schein, der die Ungeister von Menschenrechtsverletzung und Unterdrückung vernebeln soll? Welcher Geist herrscht in einer Stadt, die ihre Banken und Luxusgeschäfte verrammeln und verriegeln muss aus Angst vor Demonstranten – der Geist von Demokratie und Freiheit oder der Geist von Angst und Unrecht? Es geht darum, die Geister zu unterscheiden, kritisch zu sein – krinein, das griechische Verb meint unterscheiden.

Gottes Geist ist ein Geist der Liebe. Das ist keine romantische Verbrämung, kein hohles Geschwätz, kein oberflächliches vermeintliches Gutmenschentum. Es kommt darauf an, wie ich anderen begegne in meinem Reden und Tun. Sind sie Objekte, die ich mit meiner Ideologie, meinem Machtwillen, meiner Verkaufsstrategie beeinflussen will? Oder sehe ich zuerst den Menschen, wende mich ihm zu, höre, bin bereit, mich einzusetzen. Wes Geistes Kind sind wir? Das ist eine äußerst kritische Frage, eine unterscheidende Frage an uns je persönlich, aber auch an unsere Gesellschaft. Wo ist der Geist der Liebe, wenn eine schwangere Frau abgeschoben wird, Mann und zwei Kinder hier bleiben, sie mit den beiden anderen in der Türkei leben muss? Wo ist der Geist der Liebe, wenn Geld verdient wird an Rüstungsexporten? Wo ist der Geist der Liebe, wenn es Rettungsschirme für Banken gibt, nicht aber für Menschen?

Liebe mag in der Zweierbeziehung manchmal blind machen. Aber Liebe ist nicht grundsätzlich naiv. Liebe ist relevant, sie ist mutig und ja, sie ist politisch. Wo ein Mensch sich vom Geist der Liebe bestimmen lässt, befindet er sich in einem Liebesdreieck: Gott über alle Dinge lieben und den Nächsten wie dich selbst. D.h. ich verantworte mein Tun und Lassen nicht allein vor meiner Familie, dem Arbeitgeber, der Partei, sondern vor Gott als höchster Instanz fühle ich mich rechenschaftspflichtig in meinem Tun und Lassen. Ich liebe meinen Nächsten und zwar nicht nur die Netten und Sympathischen. Das ist leicht! Ich versuche auch die zu lieben, die mir nicht sympathisch sind – und das ist schwer! Aber es kann befreiend sein.

Als ich in mein Amt als Reformationsbotschafterin eingeführt wurde, stand in der Schlange der Gratulanten einer, von dem ich wusste aus vielen Berichten anderer, dass er nach meinem Rücktritt übelst über mich abgelästert hatte – so etwas soll es geben, selbst in der Kirche. Ich gab mir einen Ruck, schaute ihn an und dachte: „Okay, auch du bist ein Kind Gottes!“ Irgendwie ging es mir besser danach. Vielleicht ist das auch der Schlüssel zum dritten Punkt, dich selbst lieben, mit deinen Fehlern und Schwächen. Wenn Gott dich schon liebt, wirst du dich doch wohl auch selbst lieben können…

Wenn wir vom Geist der Liebe sprechen, der den Himmel auf Erden erkennbar und erfahrbar macht, ist das also keineswegs romantisch und naiv. Es ist eine Lebensanweisung, die uns Orientierung gibt für unser persönliches Leben, für unser Leben als Christinnen und Christen in dieser Welt.

Glaube an den Himmel bedeutet: Mitten unter uns kann sich Glaubenskraft entwickeln.

Teil 3: Der Himmel auf Erden

Was steht ihr da und seht zum Himmel? (Acta 2, 11)

Der Evangelist Lukas erzählt in der Apostelgeschichte aber nicht nur von der Unruhe und dem Staunen der Jüngerinnen und Jünger die erleben, wie Jesus nach der Auferstehung endgültig von ihnen weggeht, in den Himmel erhoben wird, entweicht. Sie blicken ihm sprachlos nach. Sie bleiben beim Blick in den Himmel, bei der Sehnsucht nach Gottes Zukunft. Da erscheint ihnen ein Engel und sagt: „Was steht ihr da und seht zum Himmel?“ Er schickt sie zurück nach Jerusalem, zurück in den Alltag der Welt.

Das finde ich sehr eindrücklich. Ja, wir können Himmel auf Erden erfahren, etwa heute hier, wenn wir gemeinsam Gott loben. Eine solche Erfahrung kann uns bestärken in großen und kleineren Kirchentagen, weil wir erfahren: Wir sind nicht allein. Wir sind vielleicht ein kleiner Kirchenkreis, eine kleine Gemeinde, aber wir sind eine große weltweite Gemeinschaft von Christinnen und Christen, die ihren Gott loben, für ihren Glauben einstehen rund um den Globus herum. Und wenn es heißt, in Deutschland werden wir immer weniger, können wir auch einmal die Perspektive wechseln: Rund fünf Millionen Menschen in unserem Land besuchen jedes Wochenende einen Gottesdienst, aber nur rund 700 000 ein Bundesligastadion – die Berichterstattung darüber, die Wahrnehmung, sie ist völlig disproportional.

O ja, es kann eine himmlische Erfahrung sein, miteinander Gottesdienst zu feiern, zu meditieren, zu pilgern, unseren Glauben mit Herzen, Mund und Händen zu erleben, zu erfahren. Wie gut, dass wir nüchternen Protestanten so einige spirituelle Aufbrüche gewagt haben in den letzten Jahren. Himmelwärts schauen, das ist eine gute Orientierung fürs Leben.

Wer aber den Blick nur im Himmel lässt, der bekommt ein steifes Genick. In die Welt sollen wir schauen, auf die Menschen um uns herum. Also runter vom starren Blick nach oben und umhergeblickt! Unser Glaube ist nicht weltabgewandt, gar weltfremd. Nein, Gott hat uns einen Ort gegeben in der Welt, an dem wir, jeder und jede von uns, unseren Glauben bewähren.

Luther sprach davon, dass in diesem Sinne jeder Mensch einen Beruf, eine Berufung hat. Das ist kein Job, sondern eine Aufgabe, die wir in unserem Leben wahrnehmen, in der Familie, in der Gemeinde, am Arbeitsplatz, in der Schule. Unser Ort, ob im Kleinen oder im Großen, an dem wir Verantwortung wahrnehmen, ein Stück Himmel sichtbar werden lassen. An dem wir im besten Sinne fromm sind: mit einer Haltung des Respekts vor den guten Lebensregeln Gottes, der Verantwortung für unser Tun vor Gott, vor uns selbst und den Menschen. Das ist eine Haltung, die ausstrahlt, davon bin ich überzeugt. Menschen mit solcher Haltung werden gebraucht in unserem Land, in unserer Welt, weil sie sich auf Werte berufen, die sich nicht von Stammtischparolen schnell abwerben lassen, weil sie widerstandsfähig sind gegenüber der Ausgrenzung von anderen ob wegen Hautfarbe, Herkunft oder Religion. Weil sie etwas wissen von der Liebe Gottes, die Erfolgskategorien der Welt schlicht ignoriert.

Der Himmel, der kommt wird zum Bauplan der Welt, hat der Theologe Fulbert Steffensky einmal gesagt. Wenn Jesus in den Himmel fährt, wie es die Bibel erzählt, dann ist das für ihn kein so großer Bruch. Er hat den Himmel immer als Bauplan gesehen. Den Himmel als Ort der Gerechtigkeit, des Friedens, der uns zeigt, wie eine Kontrastgesellschaft aussehen könnte. Selig sind nicht, die zum Krieg rufen, sondern die Frieden stiften. Selig sind nicht die Cleveren, sondern die reinen Herzens sind. Selig sind nicht, die Boni heraushandeln, sondern die eine Sehnsucht nach Gerechtigkeit kennen.

Wie viel Not sehen wir hier auf der Erde! Wir sehen all die hungernden, verletzten, missbrauchten Kinder und können nur rufen: Herr erbarme dich. Wir sehen unser Versagen mit Blick auf Leid, wenn Menschen krank sind, behindert, arm in unserem Land und können allzu oft nicht heilen. Nur den Schmerz können wir teilen und rufen: Herr, erbarme dich. Wir sehen das Sterben, den Tod, all den Schrecken, den er verbreitet und können allzu oft nur mitweinen und wenig trösten. Der Tod in der Familie, im Freundeskreis, er verbreitet Trauer und Schrecken. Das Elend im Großen, in der Welt insgesamt, es lähmt uns allzu oft. Uns bleibt nichts, als eine Hand zu halten und zu rufen: Herr, erbarme dich!

Der Glaube an Gottes zukünftige Welt aber macht uns Mut, dem Tod zu begegnen, der Verletzlichkeit des Lebens. So können wir Trauernde trösten, die Endlichkeit unseres eigenen Lebens nicht verdrängen, sondern annehmen, dass es begrenzt ist, vielleicht 70 Jahre währt, wie der Psalmbeter sagt, und wenn es hoch kommt, achtzig Jahre.

Als Christinnen und Christen müssen wir das Leid der Welt nicht als entfernt auf einem Bildschirm virtuell anschauen, sondern es zu unserem werden lassen. Auch unsere evangelische Kirche ist ja Weltkirche. Wir sind verbunden mit Schwestern und Brüdern im Glauben über Kontinente hinweg. Wir sind nicht hier die Europäer im Überfluss und dort die Armen in den Ländern des Südens. Nein, wir sehen uns als Schwestern und Brüder, als Kinder im Volk Gottes, die einander verbunden sind, füreinander Verantwortung tragen. Wir übernehmen Verantwortung für die Welt, in der wir leben, wir verbinden uns global in einer globalisierten Welt. Diese Welt ist für uns der Oikos, das Haus Gottes. Deshalb sind uns Oikumene, Oikonomie und Oikologie ein Anliegen als Christinnen und Christen.

Glaube an den Himmel bedeutet: Wir erden den Himmel heute schon, treten für Gerechtigkeit und Frieden ein, sodass wir ahnen können, was Himmel bedeutet.

Zum Schluss

In meiner Familie gibt es eine vielfach tradierte Geschichte. Meine Großeltern, meine Tante und deren drei kleine Kinder schafften es nicht mehr rechtzeitig, 1945 aus Hinterpommern zu flüchten. Der Großvater wurde nach Sibirien verschleppt, die Frauen erlebten einen entsetzlichen Winter unter russischer Herrschaft und machten sich dann im Frühsommer 1946 auf den Weg gen Westen, wo die Schwester meiner Großmutter mit einem Förster verheiratet war. Als sie endlich nach der langen, strapaziösen Reise im hessischen Forsthaus ankamen, war für sie ein Zimmer mit fünf frisch bezogenen Betten vorbereitet. Als mein Cousin Peter, drei Jahre alt, das sah, rief er: „Mama, sind wir jetzt im Himmel?“ …

Oh doch, liebe Gemeinde, es gibt Himmelserfahrungen auf der Erde, kleine und größere. Erfahrungen von Trost und Befreiung, von Liebe und Glück, von Gerechtigkeit und Frieden. Die Bilder von Gottes Zukunft vertrösten uns gerade nicht auf ein vermeintlich besseres Jenseits, sie sind kein Opium, mit dem wir uns betäuben, betäuben lassen gegenüber Not und Unrecht auf dieser Welt. Die Himmelsleiter, von der Jakob träumt, sie ist fest auf der Erde verankert. So leben wir unseren Glauben an Gottes Zukunft hier auf der Erde und setzen um, was Jesus uns vom Reich Gottes lehrt. Die Visionen von einer Zukunft, in der alle Tränen abgewischt sind, sie lassen uns nicht in den Himmel starren. Nein, wir hören auf die Weisung des Engels und gehen zurück nach Jerusalem, nach Essen, nach Berlin, an unseren Ort, an den Gott uns gestellt hat. Dort wollen wir alles tun, um Gottes Weisungen für eine Welt Wirklichkeit werden zu lassen, in der die Barmherzigen und nicht die Ellbogentypen, die reinen Herzens sind und nicht die Schlagfertigen, die Armen und nicht die Reichen, die mit einer Sehnsucht nach Frieden und nicht die Kriegstreiber, die mit dem Hunger nach Gerechtigkeit und nicht die Devisenbringer glückselig genannt werden.

Der Himmel wird für uns zur Ermutigung auf der Erde. All unsere Angst ist aufgehoben bei Gott. Unsere Lebensangst und unsere Sterbensangst. All unsere Mutlosigkeit ist getröstet von Gott. Und all unsere Hoffnung wird ermutigt durch Gott. Ja, wir trösten und hoffen, wir lieben und handeln, wir beten und mischen uns ein, weil wir etwas vom Himmel wissen, mitten auf der Erde. Was wir vom Himmel ahnen, gibt uns Wegweisung für unser Leben in dieser Welt.

O ja, Himmel und Erde berühren sich, immer wieder: Wo Menschen sich verschenken, vergessen, verbünden – davon können Christinnen und Christen ein Lied singen auf diesem Kirchentag in Essen.