Ökumenischer Festgottesdienst am Hohen Friedensfest, Augsburg

Margot Käßmann

Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Gemeinde,

sind Sie glücklich? So richtig rundherum? Oder: Wann waren Sie das letzte Mal glücklich? Nicht verhalten, besorgt, nachdenklich, sondern glücklich. Ganz und gar.

Der Predigttext für den Gottesdienst zum Friedensfest in Augsburg in diesem Jahr ist eine Art Anleitung für ein glückliches Leben. Der Evangelist Matthäus überliefert Worte Jesu, die seit 2000 Jahren Menschen bewegen. Die Worte der Bergpredigt rühren immer wieder an, sie ermutigen Mutlose und bestärken die Unglücklichen. Sie sind wie ein Schub, anders zu leben. Zufrieden. In Balance. Befriedet mit dem eigenen Leben. Und dem Leben der anderen. Glücklich.

Es geht nicht um unablässiges Lächeln, sondern um ein Leben in Fülle. Ein Leben, in dem ich auch meine Schwächen, meine Ängste, mein Versagen integrieren kann und trotzdem nicht meine, ich sei gescheitert. Es gilt, sich auch angesichts von Problemen im Einklang zu finden mit dem eigenen Leben. Und ja, es gibt Tage, da entsteht das tiefe innere Gefühl einer solchen Balance. Zumindest für den Moment ist alles gut und im Einklang. Solche Situationen sind rar im Leben. Allzu oft rennen wir an diesem Gefühl vorbei, uns fehlt die Zeit, sie wahrzunehmen. Aber wenn sie dann da ist, die Geburt eines Kindes oder sich der Erfolg zeigt, auf den wir gehofft haben, wenn unser Engagement Früchte bringt, dann scheint es, als stehe die Welt einen Augenblick lang still. Und dann sind wir glücklich. Tiefe Momente im Leben sind das, die wir selten vergessen.

Und gleichzeitig geht es darum, sich nicht einschläfern zu lassen, sondern aufzubegehren gegen Unrecht und Gewalt. Oja, immer wieder wird gesagt, die Kirchen dürften nicht politisch sein. Die Seligpreisungen aber zwingen unseren Blick auf die Missstände von Unbarmherzigkeit, Unrecht und Gewalt. Schauen wir uns das in einer Art Schnelldurchlauf an:

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.

Armut ist seit biblischen Zeiten eine Geißel der Menschheit. Nie aber waren so viele Menschen arm wie heute!

Die Statisktik der Welthungerhilfe(1) sagt:

  • Weltweit hungern etwa 925 Millionen Menschen
  • In 29 Ländern ist die Hungersituation für die Menschen sehr ernst oder gravierend - also in beinahe jedem 6. Land der Welt
  • Jährlich sterben etwa 2,2 Mio. Kinder weltweit an den Folgen von Mangel- und Unterernährung - das sind 6.027 Kinder täglich.

Diese Zahlen tun weh, erschüttern, verstören. Weil hinter jeder Zahl ein Schicksal steckt, ein Leben, Hoffnung, Elend, Zerstörung.

Den bis ins Innerste Armen gehört die gerechte Welt Gottes – so wurde dieser Vers übersetzt. Aber können Arme glücklich sein? Wenn ihnen doch Unrecht geschieht? Weil sie wissen, dass sie ganz und gar auf Gott angewiesen sind? Die zukünftige gerechte Welt Gottes - wir alle könnten glücklich leben, wenn wir sie schon jetzt als „Bauplan der Welt“(2) verstehen.

Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

Wer trostlos ist, befindet sich im Abseits des pulsierenden Lebens. Ohne Trost sein, das ist fast nicht ganz bei Trost sein. Es macht zum Außenseiter. Du wirst zur „schwierigen“ Person. Leid ist Teil des Lebens. Aber es ist schwer zu tragen. Glücklich kann nur werden, wer im Leid Trost findet. „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, heißt es beim Propheten Jesaja (66,13). Was für ein bewegendes Gottesbild! Gott als tröstende Mutter. Gott nimmt mich in die Arme mit all meinem Kummer, meiner Einsamkeit, mit all meiner Verzweiflung und mit all meinen Fragen. Ich darf weinen um meine Verluste, kann schluchzen, erzählen, meinem Jammer freien Lauf lassen. Und werde nicht verurteilt, nicht beurteilt, muss keine Angst haben, mich nicht zusammenreißen, sondern darf einfach jetzt so sein. Auf diese Weise  getröstet zu werden, das bleibt wohl eine lebenslange Sehnsucht. So wie die Mutter, die das Kind in den Arm nimmt und auf das aufgeschlagene Knie pustet. Wie der Vater, der beim ersten Liebeskummer sagt: „Es kommt ein anderer!“ Da muss ich nicht gleich Lösungen finden, es ist jetzt nur Zeit für Trost. Du bist angenommen, gehalten, mit allen Fehlern und aller Verletzung.

Wer des Trostes bedürftig ist, befindet sich immer in einer ungeschützten Lebenslage. Es sind die großen Verletzungen der enttäuschten Liebe, der verlorenen Lebenschance, der ungetrockneten Tränen, der Krankheit, die uns einsam machen. Es gibt die gebrochenen Herzen, die zerbrochenen Träume, die verlorenen Hoffnungen, die unerfüllten Pläne in jedem Leben. Gebrochen. Zerbrochen. Glücklich ist, wer getröstet wird. Und wer trösten kann.

Auch Glaube kann trösten. Nein, nicht vertrösten auf ein vermeintlich besseres Jenseits. So wird Glaube oft dargestellt. Als ein Notnagel für Menschen mit Furcht vor dem Tod. Ein „Opium des Volkes“ sozusagen, mit dem Menschen sich selbst betäuben, um die Welt besser ertragen zu können. Getrost sein. Das hört sich nach einer wunderbaren Lebenshaltung an. Einer Glaubenshaltung. Getrost. Ich bin ganz bei Trost. Getrost trotz Leid und Angst. Getröstet, ermutigt und glücklich.

Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.

Vor zwei Jahren nahm ich an einer Friedenskonferenz von Frauen in den USA teil. Zu Beginn wurde ein Film gezeigt: „Pray the devil back to hell“ – Betet den Teufel in die Hölle zurück. Der Film erzählt vom Bürgerkrieg in Liberia. Die Brutalität der marodierenden Banden, bewaffnet mit Gewehren und Macheten wird auf bedrückende Weise deutlich. Sie lachen laut, diese Jungen, während sie einen Mann hinknien lassen und ihm den Kopf abhauen. Ich hatte das Gefühl, der Teufel war sichtbar in diesen Bildern. Angst und Schrecken auf der einen Seite und die Lust geradezu an Gewalt, Erniedrigung und Zerstörung auf der anderen. Da ist das, was die Bibel als das Böse oder den Teufel bezeichnet sehr anschaulich.

Aber da waren auch mutige Frauen, Christinnen, Musliminnen, die aus Liebe zum Leben der Gewalt ein Ende bereiten wollten. Sie haben einfach die religiösen Grenzen auch gegen die Skepsis ihrer geistlichen Leitenden überwunden und mutig, kreativ und gewaltfrei den Friedensprozess schließlich in Gang gesetzt. Als die Friedensverhandlungen in Accra (Ghana) nach sechs Wochen stagnierten, blockierten sie die Tür bis endlich etwas in Gang kam. Es ist eine lange, tragische Geschichte, die gut endet, weil Sanftmütige Kraft hatten.

Wir alle wissen, dass wer Gewaltlosigkeit vertritt, als naiv angesehen wird. Es wird ihnen unterstellt, die Realität von Macht und Politik nicht zu begreifen. Das sollten wir akzeptieren! Jesus selbst war naiv, wenn wir sein Leben mit den Maßstäben des Erfolgs messen. In den Augen der Welt scheiterte er, wurde verurteilt, litt und starb. Aber dieser sterbende Mann am Kreuz hat von dem Moment an alles Machtstreben und all jene herausgefordert, die ans Siegen glauben. Die Macht der Sanftmut ist größer als die Macht der Waffen und der Gewalt. Welch eine Botschaft! Gewalt führt in Zerstörung. Sanftmut macht glücklich.

Selig sind die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Was ist gerecht – was ist ungerecht? Wir sind wahrhaftig nicht die ersten Menschen in der Geschichte, die diese Frage bewegt. Weltweit ist Gerechtigkeit ein Thema, das uns schnell an den Rand der Verzweiflung bringen kann. Ein Fünftel der Weltbevölkerung verbraucht 80% des Welteinkommens. Ein Teufelskreis von Ungerechtigkeit ist das.

Gerechtigkeit ist in der Bibel nicht zuerst eine Frage der Verteilung von Gütern, die Menschen unter sich aushandeln, sondern ein Verhalten, wie Gott es von uns Menschen erwartet. Es geht um Beziehung, um Gemeinschaftstreue. Wer sich gerecht verhält, der lebt treu zu Gott und der Gemeinschaft. Die Einzelnen tragen etwas zu dieser Gemeinschaft bei und die Gemeinschaft verhält sich mit ihnen solidarisch, wenn es notwendig ist. Die Beziehung ist wechselseitig: Nie kann es gerecht sein, dass der Einzelne sich auf Kosten der Gemeinschaft bereichert, noch kann es gerecht sein, dass die Gemeinschaft den Einzelnen bevormundet oder unterdrückt. Diese Beziehung ist dynamisch, sie muss immer wieder ins Lot gebracht werden, damit alle glücklich leben können.

Maßstab ist, wie es den Schwächsten im Lande geht, bei uns den Arbeitslosen, den Alleinerziehenden, den Asylsuchenden, den Obdachlosen, den Menschen mit Behinderungen und weltweit denen, die hungern, denen, die ohne Nahrung, Obdach, Bildung, Einkommen sind. Glücklich leben wir, wenn alle Lebensgrundlage haben.

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Barmherzigkeit scheint ein so altmodisches Wort. Aber was meint es anderes, als hinzuschauen auf den einzelnen Menschen. Sich nicht abzuwenden von denen, die Hilfe brauchen. Die Fehler der anderen zu sehen und sie nicht zu verurteilen. Die eigenen Schwächen zu erkennen und damit umzugehen.

Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.

Das „Herz“ als Ort für unser Empfinden, Wahrnehmen, Entscheiden ist in der Mediengesellschaft eher in Verruf geraten. „Herz-Schmerz“ sind abfällige Geschichten über Stars und Sternchen. „Herzensbildung“ aber meint den ganzen Menschen und nicht nur seine Pisaqualitäten.
Im biblischen Kontext ist das Herz sowohl Ort der sinnlichen Wahrnehmung als auch Orientierungspunkt für den Verstand. Jesus Sirach schreibt: „Bleibe bei dem, was dein Herz dir rät, denn du wirst keinen treueren Ratgeber finden.“ Da geht es weniger um „Bauchgefühl“ als um eine Balance von Wahrnehmungen, die sich in Entscheidungsprozessen des Menschen wahrhaftig nicht nur im Verstand abspielen.
Feste wie dieses heute in Augsburg sind Orte, an denen Menschen sich fröhlich ans Herz fassen und für eine Sache eintreten, auch wenn sie ausweglos scheint in der Welt der Realpolitik. Sie sind sozusagen Biotope für Träumende, für Menschen, die noch Visionen haben. Die Bibel ist voll davon. Und unsere Zeit auch. Überall gibt es Menschen, die es wagen, von einer anderen Welt zu träumen. Die Mächtigen der Welt belächeln es. Die ach so objektiven Medine Tageszeitungen finden nur Häme und Spott: Naiv. Weltverbesserer. Gutmenschen. Das sind offensichtlich Schimpfworte geworden. Traurig, wenn eine Gesellschaft nicht mehr über das Vorfindliche hinaus denken kann. Armselig geradezu. Und auch nicht glücklich, wenn wir genau hinsehen.

Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Was sind kreative Wege? Wenn wir die Lage in Syrien anschauen, können wir nur verzweifeln. Wie soll Frieden werden in so einer Situation? Noch mehr Waffen? Wer übrigens hat bewaffnet die da kämpfen?

Die Stadt Augsburg mit ihrem Friedensfest weiß etwas davon. Hier stand Luther 1518 vor Cajetan und verteidigte seine Thesen. Er floh mit Hilfe einiger Bürger, weil er ahnte, was folgen könnte. Aber Augsburg wollte Friedensstadt sein, das Augsburger Bekenntnis 1530 und der Religionsfriede 1555 sind Belege dafür. Doch es gab Rückschläge: Am 8. August 1629 wurden alle evangelischen Prediger entlassen, bald darauf wurden die evangelischen Kirchen geschlossen oder abgerissen. Es dauerte bis zum Westfälischen Frieden 1648, dass die Evangelischen in Augsburg in ihre Kirchen zurück durften. Dass dieses Friedensfest am 8. August heute offiziell Feiertag in der Stadt ist, wir es ökumenisch in einer katholischen Kirche mit einer evangelischen Predigerin feiern können, zeigt, dass Friede wachsen kann, auch zwischen Konfessionen. Und die Friedenstafel, die sich gleich anschließen wird, ist ein Zeichen dafür, dass wir uns weiter entwickeln, diesen Frieden auch suchen zwischen den Religionen, die heute in dieser Stadt, in Deutschland, in der Welt miteinander in Frieden leben wollen, ja sollen, damit Friede möglich wird. Die Geschichte Ihrer Stadt zeigt, wie schnell zerstört ist, aber wie lange es dauert, Frieden zu stiften.

Nur wo Friede herrscht, wo Friede gelebt wird, da ist Gestaltung von Zukunft möglich. Im Krieg können Kinder nicht zur Schule gehen, Stromnetze nicht gebaut und Krankenhäuser nicht geschützt werden. Deshalb gibt es in unseren Kirchen eine Kampagne gegen Rüstungsexporte. Der deutsche Anteil am internationalen Waffenhandel ist inzwischen auf 11 % gestiegen und wird nur noch von Russland mit 23 % und den USA mit 30 % überrundet(3). Das bedeutet: Unsere Volkswirtschaften profitieren von der Gewalt und dem Krieg, den wir beklagen. Das kann nicht glücklich leben lassen.

Selig sind die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich.

Was für ein Widerspruch zur Realität der Welt. Wir kennen ja gar nicht mit Namen all diejenigen, die verfolgt werden, weil sie es wagen, aufzubegehren. Wir denken an Christinnen und Christen in aller Welt, sie sind die am meisten verfolgte Religionsgemeinschaft. Aber auch Künstler werden verfolgt, der chinesische Künstler WeiWei, er ist derzeit eine Symbolfigur dafür! Die Verfolgten sind auch die Flüchtlinge dieser Welt. Die auf Booten im Mittelmeer ihre Reise antreten. Wenigen Geschichten in Asylverfahren finden heute einen guten Ausgang, enden glücklich….

Als ich in den USA eine Veranstaltung mit dem Dalai Lama besuchte, wurde er angekündigt, er sei der „happiest religious leader in the world“. Natürlich ist es toll, wenn jemand ständig fröhlich guckt, lächelt und sagt, das Ziel des Lebens sei, glücklich zu sein. Das ist mir auch lieber als manche griesgrämigen Protestanten. Christen dürften durchaus erlöster ausschauen! Am christlichen Glauben aber ist überzeugend, dass es Leid und Not, Schuld und Verletzung als Teil des lebenslangen Ringens versteht. Mit Jesus leidet Gott selbst am Kreuz. Da zeigt sich kein Triumph, sondern die ganze Ohnmacht gegenüber Gewalt, Unrecht und Leid.

Die Bergpredigt spricht nicht von einem banalen Glücklichsein: alles supi! Es geht um die Beziehungen in denen wir leben, persönlich, in unserem Land, auf dieser Welt. Glücklich, selig sind wir, wo immer wir Demut kennen und um Ohnmacht wissen. Sooft wir Schwache schützen, ein reines Herz bewahren, andere trösten. Wann immer wir für Gerechtigkeit und Frieden eintreten. Doch, das erleben wir auch heute. Lassen Sie uns die Seligpreisungen, Jesu Anleitung zum Glücklichsein als Bauplan für die gerechte Welt Gottes immer wieder neu als Herausforderung, annehmen. Auch wenn es Zeit, Kraft und Durchhaltevermögen braucht: Es wird sich etwas verändern. Davon bin ich überzeugt.

Amen.


Fußnoten:

1.  Welthunger-Index (WHI) 2010

2. Fulbert STeffensky

3.  Stockholm International Peace Research Institute (SPRI).