Das Reformationsjubiläum 2017 - Herausforderung für Kirche und Gesellschaft, Gedächtniskirche Speyer

Vortrags- und Gesprächsabend mit Margot Käßmann, Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017

Es gilt das gesprochene Wort.

Reformationsjubiläen waren stets von ihrer Zeit geprägt(1). 1617 diente der konfessionellen Selbstvergewisserung. 1717 wurde Luther einerseits zum frommen Mann der Pietisten, andererseits als Frühaufklärers gegen mittelalterlichen Aberglauben stilisiert. 1817 wurde als religiös-nationale Feier inszeniert in Erinnerung der Völkerschlacht bei Leipzig 1813, Luther wurde zum deutschen Nationalhelden. Der 400. Geburtstag 1883 ließ Luther zum Gründungsvater des Deutschen Reiches avancieren und 1917 wurde er schließlich mit Hindenburg gemeinsam zum Retter der Deutschen in Zeiten großer Not. 1933 umgab Luther mit der Aura des gottgesandten Führers bzw. dessen Vorboten. Und als Tröster der Deutschen wurde er an seinem 400. Todestag gesehen – 1946 als Trost bitter notwendig war. 1983 gab es eine Art Wettbewerb um das Luthererbe in Ost und West. In der DDR war Luther nun nicht mehr Fürstenknecht sondern Vertreter der frühbürgerlichen Revolution.

1. Kritischer Rückblick

Ein solcher Rückblick muss sensibel dafür machen, dass Reformationsjubiläen heikle Zeitpunkte sind. Wie werden die Generationen nach uns urteilen über 2017? Werden sie sagen, die Protestanten wollten Profil gewinnen auf Kosten anderer? Wird es heißen, es wurde versucht, Öffentlichkeit für den christlichen Glauben zu gewinnen? Oder wird deutlich: Hier wurde sich kritisch und gestaltend, gut protestantisch also, mit dem eigenen Erbe auseinandergesetzt?
Zuallererst bin ich überzeugt: es wird keinen „Kult um Luther“ geben, wie manche befürchten. Der Protestantismus in Deutschland, das Luthertum weltweit sind souverän genug, die Schattenseiten ihres großen Vorbildes nicht auszublenden. Das zeigt schon das Themenheft zur Vorbereitung des Schwerpunktes 2013 unter dem Titel: „Die Schatten der Reformation“.

Zudem ist heute offensichtlich: Die Reformation war eine Bewegung, die viele Jahrzehnte umfasste, 1517 ist ein Symboldatum. Und die Reformation wurde von vielen Menschen betrieben, Martin Luther ist die Symbolfigur. Sehr schön zeigt das ein Altarbild des italienischen Künstlers Gabriele Mucchi, das in der kleinen Kirche von Alt-Staaken am Rande Berlins zu sehen ist. In diesem Wandgemälde sind unter dem gekreuzigten Christus 12 historische Persönlichkeiten versammelt, die im 16. Jahrhundert bei der Erneuerung der Kirche und des Weltbildes eine wichtige Rolle gespielt haben: Nikolaus Kopernikus, Ulrich Zwingli, Johannes Calvin, Ignatius von Loyola, Thomas Morus, Katharina von Bora, Martin Luther, Thomas Müntzer, Johannes Bugenhagen, Philipp Melanchthon, Lucas Cranach, Erasmus von Rotterdam. Das ist ein großartiges Zeichen dafür, dass es um eine breite Bewegung ging, einen enormen Aufbruch. Anrührend finde ich, dass sie alle versöhnt sind unter dem Kreuz auf diesem Bild. Mir war daher auch wichtig: nicht Lutherbotschafterin, sondern Botschafterin für das Reformationsjubiläum zu sein! Wir müssen deutlich machen, dass es hier um eine vielfältige

Bewegung geht, die Staat und Kirche verändert hat, ja wirksam ist bis heute.

►Es wird wichtig sein, den kritischen Rückblick zu wagen und Reformation als Gesamtgeschehen wahrzunehmen.

2. Ökumene

Es ist das erste Jubiläum nach 100 Jahren ökumenischer Bewegung. Das betrifft einerseits den römischen Katholizismus. Wenn wir sagen, wir sind Erbin der Alten Kirche (Luther, Wider Hans Worst 1541), dann geht es ja auch um eine gemeinsame Geschichte. Ich jedenfalls möchte die Lutherdekade nicht als eine Initiative der Abgrenzung sehen. Martin Luther wollte seine eigene Kirche reformieren und nicht spalten. Ein rein abgrenzendes Reformationsjubiläum jedenfalls wäre nicht sinnvoll. Weihbischof Jaschke aus Hamburg hat kürzlich erklärt, Luthers 95 Thesen würden heute auch von römisch-katholischer Seite akzeptiert und gesagt, er teile Luthers Kritik am damaligen Ablasshandel.(2) Das ist doch ein spannender Ausgangspunkt für neue Gespräche.

1999 wurde in Augsburg die Gemeinsame Erklärung der Römisch-katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes zur Rechtfertigung unterzeichnet. Es wurde festgehalten: So wie die beiden Kirchen ihre Lehre heute formulieren, werden sie von den Verwerfungen des 16. Jahrhunderts nicht getroffen. Die Unterzeichnung der Gemeinsamen Offiziellen Feststellung zur Gemeinsamen Erklärung in Augsburg am 31. Oktober war ein feierliches Ereignis. Es bedeutet nicht – und das war allen Beteiligten klar -, dass nunmehr die Lehrbegriffe der unterschiedlichen Traditionen auf einem gleichen Verständnis beruhen. Aber die Unterzeichnung wurde begrüßt als ein Schritt auf einem notwendigen Weg der Annäherung. Ein Durchbruch schien nahe nach dem Motto: Diese Erklärung wird die Unterschiede nicht beseitigen, hoffentlich aber zur Möglichkeit führen, einander gastweise zum Abendmahl einzuladen. Dass es gelungen ist, zumindest gemeinsame Formulierungen zu finden zu einer theologischen Frage, an der einst die Einheit zerbrochen ist, dafür können wir dankbar sein. 

Insofern plädiere ich dafür, dem Reformationsjubiläum auch eine deutlich ökumenische Dimension zu geben. Gerade der jüngste Aufruf prominenter römisch-katholischer Laien ermutigt dazu. Denn das ist doch glasklar: Bei aller Differenz und dem je eigenen Profil verbindet uns mehr als uns trennt. Und: In einer säkularisierten Gesellschaft ist ein gemeinsames Zeugnis der Christinnen und Christen von großem Gewicht. Meine Erfahrung ist: Je stärker wir gemeinsam auftreten, desto eher werden wir gehört.
Aber es geht auch um die weltweite Ökumene, die als Bewegung seit 1910 existiert und seit 1948 mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen institutionalisiert ist, auch im Lutherischen und Reformierten Weltbund eine Stimme hat. Wie ist die Verbindung zu den Kirchen in aller Welt? Welchen Beitrag leisten die Evangelischen. Was bedeutet das Jubiläum in Brasilien, in Südafrika, in Tansania? Im November werden Auslandsbischof Schindehütte und ich den Ökumenischen Rat der Kirchen und den Lutherischen
Weltbund in Genf besuchen, um das zu beraten.

►2017 wird ein Reformationsjubiläum mit ökumenischer Dimension sein.

3. Dialog der Religionen

2017 ist das erste Gedenkjubiläum des Thesenanschlags nach dem Holocaust. Wie gehen wir mit dem Erbe Luthers in dieser Beziehung um? Was bedeutet es, seine Abgrenzungen gegenüber anderen zu lesen in einer Zeit, in der wir um den Dialog der Religionen ringen? Das bereits genannte Heft zum nächsten Themenjahr „Schatten der Reformation“ gibt dazu viele Anregungen. Etwa auch mit Blick auf die sozialen Bewegungen der Bauern und Thomas Müntzer, mit Blick auf die Täufer und die Versöhnung des LWB mit den Mennoniten.

Mir scheint wichtig, hier einen neuen Akzent zu setzen. Nach sechzig Jahren jüdisch-christlichem Dialog, für den ein schönes Zeichen die Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille an den Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider war, können wir sehen, dass die Kirche der Reformation dialogfähig ist. Die Reformatoren selbst haben gesagt, die Kirche müsse sich immer weiter reformieren, dies ist ein entscheidender Punkt. Das gilt auch mit Blick auf Muslime. Wetterte Luther wider die Türken, so leben wir heute gemeinsam in einem Land. Gleichzeitig sind Christen in aller Welt die am meisten verfolgte Religionsgemeinschaft. Wir brauchen einen Dialog und er muss theologisch gegründet sein.

►Zum Reformationsjubiläum 2017 muss der Dialog der Religionen sich als Anliegen des Protestantismus erweisen.

4. Frauen

Es ist das erste Jubiläum, bei dem die große Mehrheit der evangelischen Kirchen in aller Welt Frauen im ordinierten Amt und auch als Bischöfinnen akzeptiert.
Die Reformation und die Frauen, das ist ein besonderes Thema, das wir in unserem Jahrhundert bewusst aufgreifen können. Hebammenordnungen der Reformationszeit sind ein Zeichen dafür.(3)

Für Martin Luther wurde immer klarer: die Taufe ist das zentrale Ereignis und Sakrament. Hier sagt Gott einem Menschen Gnade, Liebe, Zuwendung, Lebenssinn zu. Und alles Scheitern, alle Irrwege des Lebens können das nicht rückgängig machen. Gehen wir zur Taufe zurück, brauchen wir keine Buße, kein Bußsakrament: wir sind erlöst, wir sind längst Kinder Gottes. „Baptizatus sum“ – ich bin getauft. In den schwersten Stunden seines Lebens hat Martin Luther sich das gesagt und daran Halt gefunden.

Jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, ist Priester, Bischof, Papst, hat Luther erklärt. Deshalb hatte die BILD Zeitung auch sehr recht, als sie titelte: „Wir sind Papst!“ Von da her hat Luther auch den Respekt gegenüber Frauen entwickelt. Sie sind getauft und damit stehen sie auf gleicher Stufe. Das war in seiner Zeit eine ungeheuerliche Position! Frauen galten als unrein, wenn sie nicht Jungfrau waren, Hexenwahn grassierte – von dem sich Luther leider allerdings nicht entschieden distanzierte. Erst nach langen Debatten wurde Frauen überhaupt eine unsterbliche Seele zugestanden. In solcher Zeit zu sagen: Wir sind getauft und damit vor Gott gleich, war ein theologischer Durchbruch und zugleich eine gesellschaftliche Revolution. Aus diesem Taufverständnis entwickelte sich die Überzeugung, dass Frauen in der Tat jedes kirchliche Amt wahrnehmen können. Mir ist wichtig, die theologischen Hintergründe deutlich zu machen, gerade da, wo von anderen Kirchen die Ordination von Frauen in Pfarr- und Bischofsamt angefragt wird.

Zölibatäres Leben galt als vor Gott angesehener, der gerade Weg zum Himmel sozusagen. Für viele Reformatoren war der Schritt zur Ehe ein Signal, dass auch Leben in einer Familie, mit Sexualität und Kindern von Gott gesegnetes Leben ist. Die öffentliche Heirat von bisher zölibatär lebenden Priestern und Mönchen und Nonnen, war ein theologisches Signal. Die Theologin Ute Gause erklärt, sie sei eine Zeichenhandlung, die „etwas für die Reformation Elementares deutlich machen wollte: die Weltzuwendung und demonstrative Sinnlichkeit des neuen Glaubens“(4) Nun wird ja den Evangelischen im Land eher unterstellt, dass sie weniger sinnlich seien als die römischen Katholiken oder die Orthodoxie. Die Reformatoren aber wollten gerade deutlich machen: weltliches Leben ist nicht weniger wert als priesterliches oder klösterliches. Es geht darum, im Glauben zu leben im Alltag der Welt.

Das hat viele Konsequenzen. Eine ist beispielsweise, dass in den ersten Kirchenordnungen der Reformatoren Hebammen aufgewertet werden als Kirchendienerinnen. Eine Frau, die geboren hat, wird nicht mehr als unrein angesehen, sondern sie soll umsorgt und betreut werden.

Luther konnte dabei übrigens ungeheuer modern sein. Es geht darum, ob gestandene Mannsbilder sich lächerlich machen, wenn sie Windeln waschen. Hören wir also mal kurz original Martin Luther:

„Wenn ein Mann herginge und wüsche die Windeln oder täte sonst an Kindern ein verachtet Werk, und jedermann spottete seiner und hielte ihn für einen Maulaffen und Frauenmann, obwohl ers doch in …. Christlichem(n) Glauben täte; Lieber, sage, wer spottet hier des anderen am feinsten? Gott lacht mit allen Engeln und Kreaturen, nicht, weil er die Windeln wäscht, sondern weil ers im Glauben tut. Jener Spötter aber, die nur das Werk sehen und den Glauben nicht sehen, spottet Gott mit aller Kreatur als der größten Narren auf Erden; ja sie spotten nur ihrer selbst und sind des Teufels Maulaffen mit ihrer Klugheit.“(5)

Das heißt: Es kommt nicht auf das Geschwätz der Leute an. Es kommt darauf an, dass ich weiß, wer ich bin, dass ich mein Leben vor Gott und in Gottvertrauen lebe und damit Rechenschaft gebe von der Hoffnung, die in mir ist. Und: es ist Teil der Schöpfung Gottes, Kinder großzuziehen, es ist Teil der Existenz von Mann und Frau. Oder: „An der Art, wie beide im Vollzug täglicher Aufgaben miteinander umgehen, zeigt sich, ob sie glauben, was sie bekennen.“(6)

►Beim Jubiläum 2017 ist deutlich: Kennzeichen der evangelischen Kirche ist, dass aus theologischer Überzeugung Frauen Pfarrerin sein können und auch Bischöfin.

5. Spaltung

Das Reformationsjubiläum 2017 ist das erste nach der Leuenberger Konkordie von 1973.

Die reformatorische Bewegung selbst hat sich gespalten und immer wieder gab es im Protestantismus Abspaltungen wie etwa jüngst in den Lutherischen Kirchen in den USA über die Frage der Homosexualität.

In Europa gab es mit der Leuenberger Konkordie 1973 ein starkes Signal, wie solche Spaltung überwunden werden kann. Trotz aller Differenzen können sich Reformierte, Lutheraner und Unierte gegenseitig als Kirchen anerkennen, die Ämter anerkennen und miteinander Abendmahl feiern. Auch wenn diese Gemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen manches Mal als „Minimalökumene“ diskreditiert wurde und Kardinal Kasper erklärt hat, die römisch-katholische und die orthodoxe Kirche könnten dieses Modell nicht mitvollziehen: es ist ein gelebtes Modell, Spaltung zu überwinden. Das Verschiedene muss nicht trennend sein.

►Das Reformationsjubiläum 2017 kann die Leuenberger Konkordie als gelebtes Modell, Spaltung zu überwinden hervorheben.

6. Bildung

Das Reformationsjubiläum 2017 ist das erste, das in einer Zeit gefeiert wird, in der die historisch-kritische Methode der Bibelexegese weitgehend anerkannt ist.
Die Vorstellungen des Mittelalters hinter sich lassend ging es Luther in der Wahrnehmung der „Freiheit eines Christenmenschen“ darum, dass jede Frau und jeder Mann eigenständig den Glauben an den dreieinigen Gott bekennen kann und verstehend das Bekenntnis zu Jesus Christus bejaht. Die Voraussetzung für einen mündigen Glauben war für Luther, dass jede und jeder selbst die Bibel lesen konnte und so gebildet war, dass er den Kleinen Katechismus, das Bekenntnis für den alltäglichen Gebrauch, nicht nur auswendig kannte, sondern auch weitergeben konnte und damit sprachfähig im Glauben war. Grundlage dafür war eine Bildung für alle und nicht nur für wenige, die es sich leisten konnten oder durch den Eintritt in einen Orden die Chance zur Bildung erhielten.

Bildungsgerechtigkeit und Bildungsteilhabe - Martin Luther war der erste, der diese Themen öffentlich machte und sich vehement dafür einsetzte. Er hatte dafür theologische Gründe: Glaube war für ihn gebildeter Glaube, also ein Glaube nicht aus Konvention und nicht aus spiritueller Erfahrung allein, sondern durch die Bejahung der befreienden Botschaft des Evangeliums. Dass Glauben immer gebildeter Glauben ist, ist in seiner eigenen Biographie tief begründet. Nur durch das intensive theologische Studium der Bibel, aber auch von Augustinus-Schriften ist er zur befreienden Rechtfertigungseinsicht gelangt. Glaube ist für Luther immer eigenverantwortlicher Glauben: der einzelne Christ muss sich vor Gott verantworten und ist als einzelner von Gott geliebt. Die Kirche ist die Gemeinschaft der Getauften, aber nicht mehr die Heilsmittlerin für den Einzelnen. Glauben als gebildeter und eigenverantwortlicher Glaube sind die wesentliche theologische Beweggründe dafür, dass Luther sich vehement für eine öffentliche Bildung einsetzte, damit alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit zur Bildung erhielten. Luther verdanken wir in Deutschland die Volksschulen als „Schulen für alle“ – es ist interessant, aber von seinem theologischen Ansatz her nur konsequent, dass er sich selbstverständlich auch für die Bildung von Mädchen einsetzte.

Heute können wir sagen, dass dieses Bibellesen auch beinhaltet, die Entstehung der biblischen Bücher wahrzunehmen, historisch-kritische Exegese zu betreiben. Kürzlich schrieb mir ein Student, nachdem ich in Wittenberg in einer Fernsehpredigt gesagt hatte, wir wüssten nicht genau, wer den Epheserbrief geschrieben habe, er könne mir da helfen, es sei ganz einfach, am Ende stehe doch: Paulus.

►Beim Reformationsjubiläum 2017 muss deutlich sein: Den Kirchen der Reformation geht es um gebildeten Glauben und der schließt auch den historisch-kritischen Blick
auf den biblischen Text ein.

7. Freiheit

2017 wird das erste Reformationsjubiläum sein, bei dem es in Deutschland eine klare Trennung von Kirche und Staat gibt und ein klares Bekenntnis zu Verfassung und Menschenrechten.

Luthers Freiheitsbegriff hat in der Weiterentwicklung zu mancher Freiheit heute geführt. „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ als Schlagwort der französischen Revolution haben im Gedanken der Freiheit eines Christenmenschen durchaus Wurzeln. Die Frage wird sein, ob Christinnen und Christen sich ihres Erbes bewusst genug sind, um energisch für die Freiheit einzutreten – für die eigene, aber vor allem auch für die Freiheit des und der Anderen. Es geht zuallererst um die Freiheit, die uns Christus schenkt. In der Konsequenz geht es immer auch um Freiheit des Gewissens, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit.

Ich denke, wir können eher als zentrale Leistung der Reformation sehen, dass Glaube und Vernunft beieinander bleiben und auch den Weg zur Aufklärung vorbereitet zu haben, so sehr sich die Kirchen lange gegen sie gesträubt haben. Wir sagen heute: Es ist gut, dass Staat und Religion getrennt sind – für beide Seiten! Eine Art „Gottesstaat“ oder auch „Diktat der Religion“ fördert die Freiheit nicht. Gott sei Dank leben wir in einer freien Gesellschaft, in der Menschen Mitglied einer Religionsgemeinschaft sein können oder nicht. Das entspricht der „Freiheit eines Christenmenschen“.

Das hat auch politische Konsequenzen. Nach der Erfahrung des Versagens unserer Kirche und auch ihrer Verführbarkeit in der Zeit des Nationalsozialismus haben wir gelernt, dass Kirche Widerstand leisten muss, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Das sind Erfahrungen der Kirche in der DDR. Das sind auch Erfahrungen in aller Welt, die Sie ja mitbringen: in Südafrika, in Argentinien, im Iran etwa. Deshalb ist gut, dass es mit Blick auf die Reformationsfeier 2017 zu einer bisher einmaligen Zusammenarbeit von DEKT und EKD kommt. Die Kirchentagsbewegung war ja entstanden, weil Laien nun dafür Sorge tragen wollten, dass die Evangelischen nie wieder in die Irre gehen wie nach 1933. Die Kirchenleitungen standen der Kirchentagsgründung skeptisch gegenüber. Sicher ist gut, wenn institutionelle Kirche und Laienbewegung ihre je eigene Verantwortung wahrnehmen. Aber dass sie zum Reformationsjubiläum zusammenarbeiten, ist ein gutes Signal.

►Das Reformationsjubiläum 2017 muss auch die politische Dimension des reformatorischen Freiheitsbegriffes aufzeigen.

Das sind sieben Hinweise, welche Akzente das Reformationsjubiläum 2017 für Kirche und Staat setzen kann, wir zum Reformationsjubiläum setzen können: Vielfalt, Ökumene, Dialog der Religionen, die Rolle der Frauen, Spaltung, Bildung und Freiheit. Die Lutherdekade als Weg dorthin kann dazu beitragen, das zu entfalten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Fußnoten:

1  Vgl. Hartmut Lehmann, Die Deutschen und ihr Luther, FAZ 26.08.08, Nr. 199, S.7.
2  Vgl.: Weihbischof kritisiert Ablasshandel zu Luthers Zeiten – Jaschke: Katholiken akzeptieren Luthers Thesen, in: epd Zentralausgabe 212/31.10.2008, S.11f.
3 Vgl. dazu: Ute Gause, Kirchengeschichte und Genderforschung, Tübingen 2006, S. 122f.
4 Ute Gause, Antrittsvorlesung, unveröffentlichtes Manuskript, S. 2.
5  EL WA 10, 296f. (Scharffenorth. S. 219)
6  Gerta Scharffenorth, Freunde in Christus, in: „Freunde in Christus werden…“, hg.v. Gerta Scharffenorth und Klaus Thraede, Gelnhausen 1977, S. 183ff.; S. 220.