Württembergischer Kirchengemeinderatstag: Ehrenamt als Reformatorisches Erbe

Margot Käßmann

Vielleicht fragen Sie sich: Soll ich mich noch einmal zur Wahl stellen am ersten Advent? Warum sollte ich meine freie Zeit, die neben Familie und Beruf bleibt, für ehrenamtliches Engagement einsetzen? Ich könnte auch in die Sauna gehen, ein Buch lesen, Freunde treffen, ins Kino gehen, schön kochen, fernsehen. Oder mich ehrenamtlich für Flüchtlinge einsetzen, das ist oft viel konkreter als so ein Kirchenvorstand. Da gibt es viel Amt im Sinne von "Mein Lohn ist, dass ich Dienen darf" und wenig Ehre. ABER: Dass unsere Kirche auf allen Ebenen von Haupt- und Ehrenamtlichen geleitet wird, ist Kennzeichen unserer Kirche der Reformation. Deshalb möchte ich Sie heute Morgen ein wenig hineinnehmen in die Vorbereitung des Jubiläums 2017 und das mit Ihrer Tätigkeit verbinden. Dazu habe ich Ihnen einige Thesen mitgebracht - nicht 95, keine Angst, sondern zehn.

Meine erste These ist ein Plagiat und lautet: Wir sind Papst

Als die BILD 2005 anlässlich der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst so titelte, dachte ich: das ist gut evangelische Theologie. Denn wie sagte Luther: Jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, ist Priester, Bischof, Papst. Es gibt in der Evangelischen Kirche keine Hierarchie zwischen ordiniert und nicht ordiniert. Als ich das letztes Jahr in einer Predigt sagte, kam in der Gemeinde allerdings Heiterkeit auf. Ein Zeichen, dass Nicht-Ordinierte und Ehrenamtliche das oft sehr anders erleben.

Aber: es sollte anders sein! Luthers Einsicht kam aus seiner Tauftheologie. Die Taufe ist für ihn der entscheidende Punkt. Wir brauchen keine Buße als Sakrament, erkennt er, weil uns mit der Taufe schon alles zugesagt ist. Für Martin Luther wurde immer klarer: die Taufe ist das zentrale Ereignis und Sakrament. Hier sagt Gott einem Menschen Gnade, Liebe, Zuwendung, Lebenssinn zu. Und alles Scheitern, alle Irrwege des Lebens können das nicht rückgängig machen. Gehen wir zur Taufe zurück, brauchen wir keine Buße, kein Bußsakrament: wir sind erlöst, wir sind längst Kinder Gottes. "Baptizatus sum" - ich bin getauft. In den schwersten Stunden seines Lebens hat Martin Luther sich das gesagt und daran Halt gefunden.

Das Priestertum aller Getauften oder auch aller Gläubigen meint, jeder und jede kann den anderen Priester sein, zuhören, Beichte abnehmen, ja auch - je nach Kirchenordnung - die Sakramente Taufe und Abendmahl verwalten, wenn beauftragt oder kein Pfarrer oder keine Pfarrerin anwesend ist.

Diese theologische Erkenntnis bildet sich darin ab, dass Kirchengemeinderäte und Synoden die Kirche mit den Ordinierten gemeinsam leiten. Das zeigt sich darin, dass es Meinungsvielfalt gibt in unserer Kirche. Manchmal seufzen wir darunter, weil wir medial etwa in dieser Vielstimmigkeit so schwer vermittelbar sind. Aber andererseits ist das eine große Stärke. Wie viel Last liegt jetzt auf Papst Franziskus. Bei allem Respekt vor allem für seine Signale mit Blick auf Armut und die Länder des Südens: was für ein Druck, alles von einem zu erwarten!

Meine zweite These lautet: Weltliches Handeln ist Leben vor Gott

Zölibatäres Leben galt vor Gott im Mittelalter als angesehener, ja der gerade Weg zum Himmel sozusagen. Für viele Reformatoren war der Schritt zur Ehe ein Signal, dass auch Leben in einer Familie mit Sexualität und Kindern von Gott gesegnetes Leben ist. Die öffentliche Heirat von bisher zölibatär lebenden Priestern und Mönchen und Nonnen, war ein theologisches Signal. Die Theologin Ute Gause erklärt, sie sei eine Zeichenhandlung, die "etwas für die Reformation Elementares deutlich machen wollte: die Weltzuwendung und demonstrative Sinnlichkeit des neuen Glaubens" [1]. Nun wird ja den Evangelischen im Land eher unterstellt, dass sie weniger sinnlich seien als die römischen Katholiken oder die Orthodoxie. Die Reformatoren aber wollten gerade deutlich machen: weltliches Leben ist nicht weniger wert als priesterliches oder klösterliches. Es geht darum, im Glauben zu leben im Alltag der Welt.

Das hat viele Konsequenzen. Eine ist beispielsweise, dass in den ersten Kirchenordnungen der Reformatoren Hebammen aufgewertet werden als Kirchendienerinnen. Eine Frau, die geboren hat, wird nicht mehr als unrein angesehen, sondern sie soll umsorgt und betreut werden.

Luther konnte dabei übrigens ungeheuer modern sein. Es geht darum, ob gestandene Mannsbilder sich lächerlich machen, wenn sie Windeln waschen. Hören wir also mal kurz original Martin Luther:

"Wenn ein Mann herginge und wüsche die Windeln oder täte sonst an Kindern ein verachtet Werk, und jedermann spottete seiner und hielte ihn für einen Maulaffen und Frauenmann, obwohl ers doch in .... Christlichem(n) Glauben täte; Lieber, sage, wer spottet hier des anderen am feinsten? Gott lacht mit allen Engeln und Kreaturen, nicht, weil er die Windeln wäscht, sondern weil ers im Glauben tut. Jener Spötter aber, die nur das Werk sehen und den Glauben nicht sehen, spottet Gott mit aller Kreatur als der größten Narren auf Erden; ja sie spotten nur ihrer selbst und sind des Teufels Maulaffen mit ihrer Klugheit." [2]

Das heißt: Es kommt nicht auf das Geschwätz der Leute an. Es kommt darauf an, dass ich weiß, wer ich bin, dass ich mein Leben vor Gott und in Gottvertrauen lebe und damit Rechenschaft gebe von der Hoffnung, die in mir ist. Und: es ist Teil der Schöpfung Gottes, Kinder großzuziehen, es ist Teil der Existenz von Mann und Frau. Oder: "An der Art, wie beide im Vollzug täglicher Aufgaben miteinander umgehen, zeigt sich, ob sie glauben, was sie bekennen." [3]

Für Martin Luther war das Leben eines, das in Freiheit und Verantwortung aus Gottvertrauen heraus zu gestalten ist. Und der Beruf war für ihn kein Job zum Geld verdienen, sondern eine Berufung, die mich als - wie er sagte - den Besen schwingende Magd ebenso wichtig macht wie den regierenden Fürsten, wir könnten vielleicht übersetzen, die ambulante Pflegerin ebenso wichtig wie den Bankier. Gemeinsam gestalten, wozu wir berufen sind, gute Haushalterinnen und Haushalter Gottes sein, unsere Gaben einbringen für eine Ökonomie mit allen, das ist eine wunderbare Herausforderung, finde ich.

Meine dritte These lautet: Reformatorisches Erbe muss aktuell reformatorisch werde

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2017 werden wir ein Reformationsjubiläum in einer Zeit der Säkularisierung feiern. Die Säkularisierung macht es schwerer, zu erklären, was Glauben bedeutet. Viele Menschen haben sich abgewandt, ein immenser Glaubens- und auch Traditionsverlust ist im Land der Reformation zu verzeichnen. Viele Menschen haben keinerlei Bezug mehr zu Religion. In Luthers Geburtsort Eisleben gehören noch sieben Prozent der Bevölkerung einer Kirche an!

Diese Herausforderung sollten die Kirchen der Reformation offensiv annehmen. Sie haben sich ja aus dem geistlichen Leben und biblischen Nachdenken entwickelt. Luthers Klostererfahrung war für ihn ebenso wichtig wie sein Bibelstudium, Zwingli begann 1518 nach einer Zeit im Kloster in Zürich zu predigen. Dabei ist entscheidend, eine Sprache zu finden, die den Glauben in die heutige Zeit vermittelt, so wie es Luther und auch Zwingli auf je eigene Weise vermochten. Die Übersetzung der Bibel als Gesamtwerk in die deutsche Sprache, die Messe in der Sprache des Volkes, Schriften in deutscher Sprache waren Luther ein zentrales Anliegen, damit Menschen selbst von ihrem Glauben sprechen konnten. Dem "Volk aufs Maul schauen" bedeutete dabei nicht, ihm nach dem Mund zu reden.

Wie sollen wir denn heute erklären, was Rechtfertigung allein aus Glauben bedeutet? Den "gnädigen Gott" suchen die wenigsten Menschen, aber Anerkennung suchen sie, Würdigung, Achtung. Die einen durch Geld, die anderen durch schönen TV-Schein und lassen sich in Dschungelcamps verfrachten. Nicht nach Descartes: ich denke, also bin ich. Sondern: ich bin im Fernsehen, also bin ich...

Wir müssen immer neu übersetzen - üb ersetzen! Ich persönlich finde immer wieder, dass die Art und Weise, wie Jesus die Gebote zusammengefasst hat, einleuchtend ist. "Du sollst Gott über alle Dinge lieben und deinen Nächsten wie dich selbst". Das ist ein Verantwortungsdreieck der Liebe, in dem ich mich bewegen, in dem ich leben kann. Gott über alle Dinge lieben, bedeutet, ich verantworte mein Leben, alles, was ich denke und tue vor Gott. Das muss aber kein beängstigendes Gottesbild sein. Sehr schön bringt das eine kleine Geschichte auf den Punkt: Ein Pfarrer ärgert sich, dass Kinder ständig die Äpfel von seinem schönsten Baum klauen. Er stellt ein Schild darunter: "Gott sieht alles!" Das ist der drohende, strafende Gott, der viele Generationen belastet hat. Die Kinder aber schreiben darunter: "Aber Gott petzt nicht!" Das finde ich wunderbar und theologisch klug zusammengefasst. Unser Gott weiß alles, aber petzt nicht. Ich kann mich Gott anvertrauen mit allen Ängsten und Schwächen, auch im Scheitern und da, wo ich an den eigenen Ansprüchen versage.

Und der Nächste? Es ist leicht, die zu lieben, die uns nahe sind. Aber die anderen, die anders denken, einer anderen Partei angehören, die anders leben? Und schließlich dürfen wir uns selbst lieben - auch wenn Protestanten das schwer fällt. Doch, wir dürfen das Schöne schätzen, ein Leben in Fülle auch. Ja, wir scheitern oft an unseren eigenen Ansprüchen, machen Fehler. Aber wenn Gott uns schon liebt, warum sollten wir uns selbst nicht lieben?

Um den reformatorischen Glauben zu erläutern können die vier "Soli" hilfreich sein zur Konzentration und Vermittlung des Glaubens. Und auch wenn umstritten ist, wie viele "soli" es waren und wann sie in dieser Kombination entstanden sind: die Konzentration auf diese vier Punkte wurde hilfreich, um die zentralen Glaubensanliegen zu vermitteln.

Solus Christus - allein Jesus Christus ist entscheidend, er nicht die Kirche hat Autorität für Gläubige.

Sola gratia - allein die Gnade Gottes rechtfertigt dein Leben, nichts, was du tust oder leistest.

Solo verbo oder auch: Sola scriptura - allein das Wort bzw. die Schrift, die Bibel ist Grundlage des Glaubens, nicht Dogmen oder Lehren der Kirche.

Sola fide - allein der Glaube ist entscheidend, wiederum nichts was du tust, schaffst und auch nicht, woran du scheitern magst im Leben.

In säkularer Zeit ist für die Kirchen wichtig, an die Sprachkraft als reformatorisches Erbe anzuknüpfen, um Glauben zu vermitteln. Deshalb kann ich Kirchengemeinderäte nur ermutigen: Beginnen Sie jede Sitzung mit einem Bibeltext und sprechen Sie darüber. Was glaube ich, was glaubst Du? Wo haben wir Schwierigkeiten? Wenn wir zu wenig über unseren Glauben sprechen, verlieren wir die Sprache dafür.

Meine vierte These lautet: Keine Zivilgesellschaft ohne Ehrenamt

Schon in den Stadtgesellschaften des alten Griechenland galt es für jeden Bürger, sich für das Gemeinwesen zu interessieren, sich für das Gemeinwohl zu engagieren. Das war auch gut möglich, denn Frauen und Sklaven erledigten die notwendigen Arbeiten, Bürger hatten genügend freie Zeit dafür. Wer sich dem Engagement für das Gemeinwesen verweigerte, galt als idiotes, als schlechter Bürger. Heute sind in unserem Land etwa 23 Millionen Menschen ehrenamtlich tätig. Ohne Ehrenamtliche oder sind viele Bereiche der Gesellschaft etwa in der Begleitung alter Menschen, beim Tierschutz, der Hausaufgabenhilfe oder Obdachlosenbetreuung schlicht nicht denkbar. Was oft fehlt, ist die bewusste Wahrnehmung. In den USA beispielsweise wird in Schulzeugnissen und bei Bewerbungen ehrenamtlicher Tätigkeit besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Das heißt, es ist deutlich: Ehrenamt ist nicht nur irgendwie nebenbei, sondern du qualifizierst dich und leistest einen wichtigen zivilgesellschaftlichen Beitrag. Wir können nicht alle Erziehungs- und Pflegeleistungen an Institutionen oder gar den Staat delegieren. Dies ist unser Land, wir müssen uns beteiligen, wenn wir es gestalten wollen. Aus christlicher Sicht ist das Engagement in Kirche und Gesellschaft schlicht eine Selbstverständlichkeit, denke ich. Gott hat uns die Erde anvertraut, wir sind Haushalterinnen und Haushalter, die rechenschaftspflichtig sind, sie zu erhalten. Und unsere Kirche wollen wir miteinander gestalten. Wann immer sich Menschen bei mir über "die Kirche" beschweren, sage ich, die Kirche sind wir, ändern sie was! In einem Zeitalter der Individualisierung - auch in Glaubensfragen - fällt es vielen schwer, sich in eine Gemeinschaft zu begeben. In einer Gemeinschaft braucht es Regeln und Abstimmungen, da gibt es auch mal Streit und Auseinandersetzung. Und es muss Einigung und Kompromiss geben, auch in Glaubensfragen. Ich nehme als Beispiel das apostolische Glaubensbekenntnis. Mehrfach habe ich Vorschläge erhalten, wie es zu modernisieren oder zu ändern wäre. Aber ist nicht auch faszinierend, dass in nur 103 Worten seit Jahrhunderten und bis auf ein Wort auch ökumenisch gemeinsam unser Glaube ausgedrückt werden kann? Wie viele Kommissionen würden wir brauchen, um das heute zu schaffen? Und wie lang würde es wohl werden? Letzten Samstag war ich in Berlin im Deutschen Theater in der Aufführung von "Joseph und seine Brüder" nach dem Roman von Thomas Mann in einer Bearbeitung von John von Düffel. Besonders beeindruckt hat mich ein kurzer Dialog zwischen Kedma, nach Thomas Mann einer der beiden Söhne des Mannes, der Joseph seinen Brüdern abkauft, und Joseph selbst:
Joseph: Wohin führt ihr mich?
Kedma: Wir führen Dich nicht. Wir haben Dich aus dem Brunnen gezogen. Du ziehst mit uns, wohin wir ziehen.
Joseph: Wohin führt mich Gott, indem ich mit Dir ziehe?
Kedma: Du hast eine Art dich in die Mitte der Dinge zu stellen ... Meinst du wir reisen, damit du dahin kommst, wo Dein Gott Dich haben will?

Ist das nicht faszinierend und auch ein energischer Hinweis auf unsere Selbstsicht, je allein, aber auch als Gemeinschaft? Es geht auch um Gottvertrauen und:

Meine fünfte These lautet: Gottvertrauen macht Spaß

Ich weiß, in der evangelischen Kirche dürfen wir eher nicht von Spaß sprechen, da ist FREUDE das angemessene Wort. Aber drücken wir das denn irgendwie aus. Wir sind ständig alle belastet, überbelastet, jeder muss ununterbrochen erzählen, WIE VIEL er zu tun hat, manchmal habe ich den Eindruck, wir sind eine müde und erschöpfte Kirche.

Der Philosoph Friedrich Nietzsche soll einmal gesagt haben, wenn die Christen ein wenig erlöster aussehen würden, könnte er sich der Sache annähern. Also lasst und etwas erlöster aussehen! Wir glauben an den Auferstandenen und nicht an einen Toten.

In unserer säkularen Welt werden religiöse Menschen manchmal belächelt nach dem Motto: Glaubst du noch oder bist du schon modern? In Europa hat doch eine deutliche Distanzierung vieler Menschen von den christlichen Kirchen stattgefunden. Die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen dazu gehörten, im christlichen Glauben erzogen wurden, christliche Rituale praktizierten, scheint verloren gegangen. Damit unterscheidet sich Europa übrigens deutlich von Afrika, Asien und Lateinamerika, wo die christlichen Gemeinden deutlich wachsen und auch von den USA, wo Religiosität zur Normalität gehört. In Deutschland gab es schon heftige Diskussionen, als Altbundespräsident Köhler einmal sagte: "Gott segne unser Land."

Dabei will ich keinesfalls in einen Lamentogesang einstimmen. Zum einen sind die Kirchen inzwischen dabei, die Situation konstruktiv und offensiv aufzunehmen, eine neue Balance zwischen Innovation und Tradition zu finden, deutlicher und klarer von dem zu reden, was sie glauben. Und ich bin auch überzeugt, eine Kirche muss sich nicht zuallererst an Mitgliedszahlen und Finanzen, sondern an Glaubwürdigkeit, Verkündigung und Seelsorge messen lassen.

Zum

anderen suchen viele Menschen in unserem Land nach Orientierung, und so manche fragen neu und ernsthaft nach Glauben. Und gegen das sich so verfestigende Bild, die Kirchen seien leer, trete ich gern an mit der Zahl von fünf Millionen Gottesdienstbesuchern pro Wochenende gegen 700 000 Menschen in den Fußballstadien! Allein die Berichterstattung ist disproportional, denn in der Medienwelt zählt das Große, das Megaereignis, nicht das Kleine, Beständige.

Allerdings verfalle ich nicht der Illusion, diese "Rückkehr des Glaubens" sei immer gleich christlich oder gar kirchlich. Zwar erklärt die Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland, sie glaube an Gott, aber sie will mehrheitlich nichts mit der Institution Kirche zu tun haben. Im Zeitalter der Individualität der Konsumgesellschaft aber basteln sich viele Menschen lieber ihre eigene Religion zusammen, als sich auf Gemeinschaft und Konsenssuche einzulassen. Ein bisschen Buddhismus ist dann schick - bei meiner Friseurin habe ich kürzlich lauter Buddhastatuen entdeckt und gesagt: "O, sind Sie zum Buddhismus übergetreten?" "Nein, nein, sagte sie, ich finde nur, die wirken so beruhigend!" Ein bisschen Islam wirkt streng - da liegt manchmal auch Bewunderung in der Luft, wenn Menschen klar ihren Glauben leben, Gebets- und Fastenzeiten einhalten. Ein bisschen jüdische Mystik, Kabalah - Madonna zeigt, wie man das macht! Oder erinnern Sie sich an Sinead O'Connor - einst hat sie den Papst beleidigt, heute versteht sie sich als katholische Priesterin (ich weiß allerdings nicht, was der Papst dazu sagt!). Religion ist in, alle basteln sich ihr Teil.

Vermarktung von Religion, Patchwork-Religion, das ist respektabel in der Welt, in der die, die sich alles kaufen und selbst zusammenstellen, die wahren Helden sind. Hier muss das Christentum in der Zukunft widerständig bleiben, Mut zeigen, eine Orientierungsleistung erbringen. Jesus Christus ist keine Naturgottheit, die mir auf einem Waldweg erscheint. Christlicher Glaube bindet sich an die Bibel. Martin Luther hat immer wieder darauf beharrt, dass die Bibel der Maßstab für unsere Religion ist. Wie viele Menschen aber kennen die Bibel gar nicht mehr! Und das im Land der Reformation, wo sie zum ersten Mal insgesamt in die Volkssprache übersetzt wurde. Wie mächtig sind die Geschichten und Bilder dieses Buches. Für Christen ist es ein Glaubensbuch, aber es gehört doch auch zur Bildung, dieses Buch zu kennen. Architektur, Literatur und Geschichte unseres Landes lassen sich doch gar nicht begreifen ohne Bibelkenntnis.

Es ist ja das Faszinierende am Christentum, dass diese Texte seit 2000 Jahren in den unterschiedlichsten Kontexten Relevanz bewiesen haben. Und: in den unterschiedlichsten Kulturen dieser Erde, von Indonesien bis Brasilien, vom Sudan bis nach Malta hat sich gezeigt, dass Menschen sich hierauf verlassen können. Die ????????? - der ganze bewohnte Erdkreis - sollte erreicht werden. So ist das Christentum im Grunde die erste Globalisierungsbewegung der Welt.

Freuen wir uns am Glauben und auch im Glauben! Luther hat einmal an einen Mann, der -wir würden heute sagen - unter Depressionen litt, geschrieben: "Kommt der Teufel und gibt Euch Eure Sorgen oder Gedanken ein, so wehrt Euch frisch und sprecht: Aus, Teufel; Ich muss jetzt meinem Herrn Christus singen und spielen." Das ist doch mal eine hilfreiche Dienstanweisung...

Meine sechste These lautet: Die Bibel bleibt im Zentrum der Kirche der Reformation

Die Vorstellungen des Mittelalters hinter sich lassend ging es Luther in der Wahrnehmung der "Freiheit eines Christenmenschen" darum, dass jede Frau und jeder Mann eigenständig den Glauben an den dreieinigen Gott bekennen kann und verstehend das Bekenntnis zu Jesus Christus bejaht. Die Voraussetzung für einen mündigen Glauben war für Luther, dass jede und jeder selbst die Bibel lesen konnte und so gebildet war, dass er den Kleinen Katechismus, das Bekenntnis für den alltäglichen Gebrauch, nicht nur auswendig kannte, sondern auch weitergeben konnte und damit sprachfähig im Glauben war. Grundlage dafür war eine Bildung für alle und nicht nur für wenige, die es sich leisten konnten oder durch den Eintritt in einen Orden die Chance zur Bildung erhielten.

Bildungsgerechtigkeit und Bildungsteilhabe - Martin Luther war der erste, der diese Themen öffentlich machte und sich vehement dafür einsetzte. Er hatte dafür theologische Gründe: Glaube war für ihn gebildeter Glaube, also ein Glaube nicht aus Konvention und nicht aus spiritueller Erfahrung allein, sondern durch die Bejahung der befreienden Botschaft des Evangeliums. Dass Glauben immer gebildeter Glauben ist, ist in seiner eigenen Biographie tief begründet. Nur durch das intensive theologische Studium der Bibel, aber auch von Augustinus-Schriften ist er zur befreienden Rechtfertigungseinsicht gelangt. Glaube ist für Luther immer eigenverantwortlicher Glauben: der einzelne Christ muss sich vor Gott verantworten und ist als einzelner von Gott geliebt. Die Kirche ist die Gemeinschaft der Getauften, aber nicht mehr die Heilsmittlerin für den Einzelnen. Glauben als gebildeter und eigenverantwortlicher Glaube sind die wesentlichen theologischen Beweggründe dafür, dass Luther sich vehement für eine öffentliche Bildung einsetzte, damit alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit zur Bildung erhielten. Luther verdanken wir in Deutschland die Volksschulen als "Schulen für alle" - es ist interessant, aber von seinem theologischen Ansatz her nur konsequent, dass er sich selbstverständlich auch für die Bildung von Mädchen einsetzte.

Der Schwerpunkt Bildung gilt für alle Reformatoren: Melanchthon war Lehrer aus Leidenschaft, ja, wird auch aufgrund seiner Bemühungen um eine Universitätsreform als "Lehrer der Deutschen" bezeichnet. Martin Bucer wird von Lutheranern wie von Reformierten als Kirchenlehrer angesehen. Ulrich Zwingli lernte Griechisch, um das Neue Testament im von Erasmus von Rotterdam editierten Urtext lesen zu können. Er selbst besaß die für damals sehr große Zahl von 100 Büchern und gründete in seiner Glarner Pfarrei 1510 eine Lateinschule. Und dann das Genfer Kolleg, von Johannes Calvin gegründet, das die reformierte Bildungsbewegung in viele Regionen Europas brachte! Das war und bleibt reformatorisches Anliegen: Denken, Reflektieren, Nachdenken, Verstehen können, Fragen dürfen. Stattdessen wird der Religion bis heute die Haltung unterstellt: nicht fragen, schlicht glauben! Fundamentalismus - ob jüdischer, christlicher, islamischer oder hinduistischer Prägung - mag Bildung und Aufklärung nicht. Jedwede Ausprägung von Fundamentalismus stellt sich eine Kernbotschaft der Reformation entgegen: selbst denken! Frei bist du schon durch die Lebenszusage Gottes. Im Gewissen bist du niemandem untertan und unabhängig von Dogmatik, religiösen Vorgaben, Glaubensinstanzen.

Vielleicht ist einer der wichtigsten Beiträge der Reformation, dass es ihr um gebildeten Glauben geht, einen Glauben, der verstehen will, nachfragen darf, auch was das Buch des christlichen Glaubens betrifft, der Bibel. Es geht nicht um Glauben allein aus Gehorsam, aus Konvention oder aus spirituellem Erleben. Sondern es geht um das persönliche Ringen um einen eigenen Glauben.

Heute können wir sagen, dass dieses Bibellesen auch beinhaltet, die Entstehung der biblischen Bücher wahrzunehmen, historisch-kritische Exegese zu betreiben. Kürzlich schrieb mir ein Student, nachdem ich in Wittenberg in einer Fernsehpredigt gesagt hatte, wir wüssten nicht genau, wer den Epheserbrief geschrieben habe, er könne mir da helfen, es sei ganz einfach, am Ende stehe doch: Paulus.

Meine siebte These lautet: Das Reformationsjubiläum 2017 braucht einen weiten Horizont!

Die Reformationsjubiläen und das Luthergedenken in Deutschland waren stets von ihrer Zeit geprägt [4]. 1617 diente der konfessionellen Selbstvergewisserung. 1717 wurde Luther einerseits zum frommen Mann der Pietisten, andererseits als Frühaufklärers gegen mittelalterlichen Aberglauben stilisiert. 1817 wurde als religiös-nationale Feier inszeniert in Erinnerung der Völkerschlacht bei Leipzig 1813, Luther wurde zum deutschen Nationalhelden. Der 400. Geburtstag 1883 ließ Luther zum Gründungsvater des Deutschen Reiches avancieren und 1917 wurde er schließlich mit Hindenburg gemeinsam zum Retter der Deutschen in Zeiten großer Not. Das Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 umgab Luther zu seinem 450. Geburtstag mit der Aura des gottgesandten Führers bzw. dessen Vorboten. Und als Tröster der Deutschen wurde er an seinem 400. Todestag gesehen - 1946 als Trost bitter notwendig war. 1983 zu seinem 500. Geburtstag gab es eine Art Wettbewerb um das Luthererbe in Ost und West. In der DDR war Luther nun nicht mehr Fürstenknecht sondern Vertreter der frühbürgerlichen Revolution.

Ein solcher Rückblick muss sensibel dafür machen, dass Reformationsjubiläen heikle Zeitpunkte sind. Wie werden die Generationen nach uns urteilen über 2017? Werden sie sagen, die Protestanten wollten Profil gewinnen auf Kosten anderer? Wird es heißen, es wurde versucht, Öffentlichkeit für den christlichen Glauben zu gewinnen? Oder wird deutlich: Hier wurde sich kritisch und gestaltend, gut protestantisch also, mit dem eigenen Erbe auseinander gesetzt?

Ich bin überzeugt: es wird keinen "Kult um Luther" geben, wie manche befürchten. Der Protestantismus in Deutschland, das Luthertum weltweit sind souverän genug, die Schattenseiten ihres großen Vorbildes nicht auszublenden und vor allem, die Reformation nicht auf ihn und seine Person zu beschränken. Denn offensichtlich ist: Die Reformation war eine Bewegung, die viele Jahrzehnte umfasste, 1517 ist ein Symboldatum. Und die Reformation wurde von vielen Menschen betrieben, Martin Luther ist die Symbolfigur. Sehr schön zeigt das ein Altarbild des italienischen Künstlers Gabriele Mucchi, das in der kleinen Kirche von Alt-Staaken am Rande Berlins zu sehen ist. In diesem Wandgemälde sind unter dem gekreuzigten Christus 12 historische Persönlichkeiten versammelt, die im 16. Jahrhundert bei der Erneuerung der Kirche und des Weltbildes eine wichtige Rolle gespielt haben: Nikolaus Kopernikus, Ulrich Zwingli, Johannes Calvin, Ignatius von Loyola, Thomas Morus, Katharina von Bora, Martin Luther, Thomas Müntzer, Johannes Bugenhagen, Philipp Melanchthon, Lucas Cranach, Erasmus von Rotterdam. Das ist ein großartiges Zeichen dafür, dass es um eine breite Bewegung ging, einen enormen Aufbruch. Anrührend finde ich, dass sie alle versöhnt sind unter dem Kreuz auf diesem Bild.

Mir war daher auch wichtig: nicht Lutherbotschafterin, sondern Botschafterin für das Reformationsjubiläums zu sein! Wir müssen deutlich machen, dass es hier um eine vielfältige Bewegung geht, die Staat und Kirche verändert hat, ja wirksam ist bis heute. Es wird wichtig sein, den kritischen Rückblick zu wagen und Reformation als Gesamtgeschehen wahrzunehmen. Und auch zu fragen: wer sind wir heute als Evangelische im Land? Was bedeutet uns die Freiheit eines Christenmenschen?

Meine achte These lautet: Evangelischsein heißt auch ökumenisch denken

2017 ist das erste Jubiläum nach 100 Jahren ökumenischer Bewegung. Das betrifft einerseits den römischen Katholizismus. Die Kirchen der Reformation verstehen sich ebenso wie die römisch-katholische Kirche als Erbin der Alten Kirche (Luther, Wider Hans Worst 1541), und so geht es um eine gemeinsame Geschichte. Die Reformationsepoche hat alle verändert. Die römisch-katholische Kirche heute ist nicht dieselbe, mit der der Luther und die anderen Reformatoren im 16. Jahrhundert in eine so tiefen Konflikt gerieten. Schon das Konzil zu Trient etwa verabschiedete sich von einem Ablass gegen Zahlung von Geld und das Zweite Vatikanische Konzil im letzten Jahrhundert führte die Messe in der Volkssprache ein. Natürlich, viele der reformatorischen Anfragen etwa an Papsttum, Heiligenverehrung und Amtsverständnis bleiben bestehen. Martin Luther aber wollte seine eigene Kirche reformieren und nicht spalten. Ein rein abgrenzendes Reformationsjubiläum wäre daher nicht sinnvoll.

Weihbischof Jaschke aus Hamburg hat erklärt, Luthers 95 Thesen würden heute auch von römisch-katholischer Seite akzeptiert und gesagt, er teile Luthers Kritik am damaligen Ablasshandel [5]. Und 1999 wurde in Augsburg die Gemeinsame Erklärung der Römisch-katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes zur Rechtfertigung unterzeichnet. Es wurde festgehalten: So wie die beiden Kirchen ihre Lehre heute formulieren, werden sie von den Verwerfungen des 16. Jahrhunderts nicht getroffen. Die Unterzeichnung der Gemeinsamen Offiziellen Feststellung zur Gemeinsamen Erklärung in Augsburg am 31. Oktober war ein feierliches Ereignis. Es bedeutet nicht - und das war allen Beteiligten klar -, dass nunmehr die Lehrbegriffe der unterschiedlichen Traditionen auf einem gleichen Verständnis beruhen. Aber die Unterzeichnung wurde begrüßt als ein Schritt auf einem notwendigen Weg der Annäherung. Dass es gelungen ist, zumindest gemeinsame Formulierungen zu finden zu einer theologischen Frage, an der einst die Einheit zerbrochen ist, dafür können wir dankbar sein.

Insofern besteht die Chance, dem Reformationsjubiläum auch eine deutlich ökumenische Dimension zu geben. Gerade der jüngste Aufruf prominenter römisch-katholischer Laien ermutigt dazu. Denn das ist doch glasklar: Bei aller Differenz und dem je eigenen Profil verbindet uns mehr als uns trennt. Und: In einer säkularisierten Gesellschaft ist ein gemeinsames Zeugnis der Christinnen und Christen von großem Gewicht: Je stärker wir gemeinsam auftreten, desto eher werden wir gehört. Feiern können wir, dass Spaltung überwunden wurde innerhalb der reformatorischen Kirchen. Vor 40 Jahren wurde mit der Leuenberger Konkordie vereinbart, dass reformierte, lutherische und unierte Kirchen sich gegenseitig anerkennen, die Ämter wechselseitig anerkennen und zusammen Abendmahl feiern können.

Feiern können wir, dass es Versöhnung gab mit Blick auf die als Täufer und Schwärmer Verfolgten der Reformationszeit. 2010 hat es in Stuttgart einen Bußakt und eine Bitte um Versöhnung durch den Lutherischen Weltbund gegenüber den Mennoniten als ihren geistlichen Erben gegeben.

Und wir können feiern, dass die Reformation nicht deutsch oder europäisch blieb, sondern auch im Ökumenischen Rat der Kirchen, im Lutherischen und Reformierten Weltbund eine Stimme hat. Wie ist die Verbindung zu den Kirchen in aller Welt? Welchen Beitrag leisten die Evangelischen. Was bedeutet das Jubiläum in Brasilien, in Südafrika, in Tansania? Daher gibt es gute Kontakte mit den großen Kirchenbünden, dem Lutherischen und Reformierten Weltbund sowie dem Ökumenischen Rat der Kirchen. 2017 wird ein Reformationsjubiläum mit ökumenischer Dimension sein.

Meine neunte These lautet: kein evangelisches Profil ohne Dialog der Religionen

2017 ist das erste Gedenkjubiläum des Thesenanschlags nach dem Holocaust.

Leider ist der späte Martin Luther ein erschreckendes Beispiel christlicher Judenfeindschaft. Dabei finden sich in seiner 1523 veröffentlichten Schrift "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei" für die damalige Zeit bemerkenswerte Ansichten: Stereotype Vorwürfe gegen die Juden, darunter den des Wucherzinses, weist der Reformator entschieden zurück. Dies seien alles "Lügendinge". Es sei vielmehr das lieblose Verhalten der Christen gewesen, dass die Juden bisher abgehalten habe, sich zu bekehren.

Doch zwanzig Jahre später, 1543, erscheint ein im Duktus völlig anderer Text Luthers unter dem Titel "Von den Juden und ihren Lügen". Luther schlägt darin der Obrigkeit vor, dass sie jüdische Synagogen und Schulen "mit Feuer anstecken", ihre Häuser "zerbrechen" und die Juden "wie die Zigeuner in einen Stall tun" soll. Diese so unfassbaren Äußerungen können auch nicht mit seiner Verbitterung, dass Juden - anders als von ihm erwartet - nicht zur Kirche der Reformation konvertierten, erklärt, oder durch den "Zeitgeist" gerechtfertigt werden. Sie werfen auf ihn und seine Reformation einen Schatten und sollten die Kirche, die sich nach ihm benannte, auf einen entsetzlichen Irrweg führen.

In diesem Jahr unter dem Thema "Reformation und Toleranz" geht es darum, auch diese Schatten der Reformation zu benennen. Die Reformatoren selbst haben gesagt, die Kirche müsse sich immer weiter reformieren. Der Dialog der Religionen ist ein entscheidender Punkt, der sich in der Lerngeschichte bewahrheitet hat. Das gilt auch mit Blick auf Muslime. Wetterte Luther wider die Türken, so leben wir heute gemeinsam in einem Land. Wir brauchen Dialog und Begegnung, damit Religion nicht zum Konfliktfaktor wird.

Ich denke, dafür gibt es Ansätze bei Luther und den anderen Reformatoren. Heinz Schilling hält in seiner letztes Jahr erschienenen Lutherbiografie fest, dass der Reformator "weder in den frühen Sturmjahren der Reformation noch je später (wollte), dass mit Gewalt und Töten für das Evangelium gestritten wird.'" [6] Und er macht deutlich, dass Luther zwar "Toleranz im modernen Sinne fremd" war, er aber immer dafür eingetreten sei, "dass der Glaube eine innere, geistige Sache und dem Zugriff irdischer Mächte entzogen sei." [7]

Meine zehnte und letzte These lautet: 2017 wird ein Fest des Glaubens werden.

Die Lutherdekade soll in zentralen Feierlichkeiten münden, die mit dem Reformationstag 2016 ihren Auftakt nehmen werden im Jubiläumsjahr. Hierfür sind bisher fünf Säulen erkennbar:

  • Als erstes die Eröffnung am 31.10.2016. Ich hoffe, dass es hier möglich ist, eine Versöhnungsgeste zu integrieren, die römische Katholiken und andere mit hineinnimmt in ökumenischer Verbundenheit.
  • Der Reformationstag 2016 wird auch der Start für einen Stationenweg sein. 95 VW-Busse starten vor dem Berliner Dom zu 95 Reformationsstädten in Deutschland und Europa und sammeln in jeder Stadt eine These zur Reformation der Gegenwart ein.
  • Auf diese Weise am Ende des Stationenweges im Mai eine "Weltausstellung der Reformation" in und um Wittenberg. Was auf dem Stationenweg eingesammelt, gelernt, erkannt wurde, wird nach Wittenberg gebracht. Dazu kommen Beiträge aus der Kultur und Zivilgesellschaft, aber auch aus Kirchen in anderen Ländern und Kontinenten. Die Stadt selbst wird so für 95 Tage im Sommer 2017 zum Ausstellungsgelände werden, um im Mutterland der Reformation zu erleben, wie vielfältig die Kirche ist in aller Welt und mit ihren kulturellen Folgen.
  • Von zentraler Bedeutung wird ein Großgottesdienst sein, der als Abschluss des Berliner Kirchentag vor den Toren Wittenbergs am 28. Mai 2017 geplant ist.
  • Schließlich gibt es ein Jugendcamp, damit die junge Generation die Reformation und auch die Städte der Reformation entdeckt. Es wird Konzerte und Filmfestivals geben, Gottesdienste und Gebete, Diskussionen über Gott und die Welt. Luther wird eine Twittersprechstunde abhalten. Ein Sommerlager, das hoffentlich für Jugendliche aus vielen Ländern ein unvergessliches Reformationserlebnis wird und zeigt, dass es Glaubensheiterkeit in unserer Kirche gibt, die zugleich die Tiefe der Seele berührt.

Insofern: Wir können auch diesen Kirchengemeinderatstag in die Lutherdekade hineinstellen, indem wir uns auf unsere Wurzeln besinnen, die Herausforderungen der Reformation heute sehen, die Schatten der Reformation nicht leugnen und doch fröhlich unseren Glauben in unserer Zeit leben und feiern. Und so ende ich mit noch einem Lutherzitat: "Gott hat unser Herz und Gemüt durch seinen lieben Sohn fröhlich gemacht, welchen er für uns hingegeben hat zur Erlösung von Sünden, Tod und Teufel. Wer dies mit Ernst glaubt, der kann es nicht lassen: Er muss fröhlich und mit Lust davon singen und sagen, damit andere es auch hören und herzukommen." Darum geht es, in der Tat.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.



Fußnoten

  1. Ute Gause, Antrittsvorlesung, unveröffentlichtes Manuskript, S. 2.
  2. EL WA 10, 296f. (Scharffenorth. S. 219)
  3. Gerta Scharffenorth, Freunde in Christus, in: "Freunde in Christus werden…", hg.v. Gerta Scharffenorth und Klaus Thraede, Gelnhausen 1977, S. 183ff.; S. 220.
  4. Vgl. Hartmut Lehmann, Die Deutschen und ihr Luther, FAZ 26.08.08, Nr. 199, S.7.
  5. Vgl.: Weihbischof kritisiert Ablasshandel zu Luthers Zeiten - Jaschke: Katholiken akzeptieren Luthers Thesen, in: epd Zentralausgabe 212/31.10.2008, S.11f.
  6. Ebd., S. 209.
  7. Ebd. S. 627.