Grußwort der Botschafterin zum Christustag in Stuttgart

Margot Käßmann

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

Christustag – das passt gut zum Reformationsjubiläum 2017. Denn Martin Luther wollte keine Kirchenspaltung, nein, eine Rückbesinnung auf Jesus Christus und auf die Bibel, das war sein Ziel. Schon seine erste von den 95 Thesen hat klargestellt, welche Botschaft das Kriterium für unseren Glauben ist. Sie lautet: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht ‚Tut Buße‘ u.s.w. (Matth. 4,17), hat er gewollt, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“

Das war eine klare Reformansage. Niemand kann Freiheit von Sünde verkaufen, keine guten Taten bringen uns in die Zukunft Gottes, sondern eine Lebenshaltung, die weiß, dass sie sich ganz Gott anvertrauen muss und kann. Nun sagen manche: Was hat das mit uns heute zu tun? Ich denke, eine ganze Menge, wenn wir Luthers Botschaft übersetzen. Die Freiheit eines Christenmenschen besteht darin, dass wir unabhängig sind von dem, was die Welt als Erfolgskriterien ansieht. Auch wenn du deinen Arbeitsplatz verlierst, auch wenn du krank bist, nicht so schön wie die Models auf dem Laufsteg: Dein Leben macht Sinn, weil Gott dir Lebenssinn zusagt. Das ist eine befreiende Botschaft auch für die Menschen heute, die so furchtbar unter Erfolgsdruck stehen.

Luther wollte keinen Glauben, der sich unter Vorgaben duckt, sondern einen persönlichen Glauben, der selbst denkt und fragt. Deshalb hat er die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt und damit weit über den Glauben hinweg eine kulturhistorische Leistung vollbracht. Die deutsche Sprache verdankt sich bis heute dem genialen Sprachgefühl Luthers. Bis dahin konnten sich doch ein Schwabe und ein Ostfriese kaum verständigen. Gut, das ist auch heute manchmal schwierig. Aber im Prinzip wäre es möglich…. Mir ist das bis heute wichtig: Evangelischer Glaube bindet sich nicht an Dogma, Konvention oder spirituelle Erfahrung, sondern an das Lesen der Bibel. Und das dürfen wir auch kritisch tun, wir dürfen fragen, warum es zwei Schöpfungsgeschichten gibt, warum vier Evangelien unterschiedlich erzählen. Solches Fragen ist auch reformatorische Freiheit, davor muss niemand Angst haben.

‚Was gibt es 2017 zu feiern?‘ fragen manche. Die Wiederentdeckung von Christus als der Mitte der Schrift, die Ermutigung zum Bibellesen, das können wir feiern. Sicher, Martin Luther hatte auch Schattenseiten, etwa mit seiner Haltung gegenüber Juden und auch seine Tiraden gegen so genannte „Wiedertäufer“ und „Schwärmer“. Toleranz im heutigen Sinne war den Menschen damals fremd – es ist eine wunderbare Lerngeschichte, dass wir heute Vielfalt positiv begreifen.

Gewiss, viele betonen: Es gab neben Martin Luther auch andere Reformatoren wie Philip Melanchthon, Johannes Calvin und Ulrich Zwingli. Und auch die Reformatorinnen sind nicht gering zu schätzen wie Katharina Zell, Argula von Grumbach oder die Frauen, die ihren Männern den Rücken frei hielten, wie stellvertretend für alle anderen Katharina von Bora. Sie wagten es, einen ehemaligen Mönch zu heiraten, was ihnen Ausgrenzung und Anfeindung einbrachte. Die Sinnlichkeit des Glaubens sollte deutlich werden: Nicht nur das Leben in Zölibat und Kloster, sondern das Leben mitten in der Welt mit Sexualität, mit Kindern, das ist verantwortliches Leben vor Gott. Ohne diese mutigen Frauen keine Reformation, das zeigt dieser Tage eine Ausstellung auf Schloß Rochlitz in Sachsen. Aber Luther bleibt die zentrale Symbolfigur für die Reformation und diese Rückkehr zu den Wurzeln christlichen Glaubens.

Diese Wiederentdeckung von Christus und der Bibel als Zentrum können wir fröhlich feiern. Und das wollen wir 2017 in und um Wittenberg mit einer Weltausstellung der Reformation tun. Was aus Wittenberg hinausging als frohe Botschaft in alle Welt, das soll nach Wittenberg zurückkehren und zeigen, was heute reformatorisch ist in aller Welt. Wir freuen uns auf Gäste aus der Schweiz und aus Indien, aus Frankreich und aus Württemberg! Dabei wollen wir fröhlich und international mit ökumenischem Horizont feiern. Evangelisches Profil hat es nicht nötig, abgrenzend zu wirken. Uns verbindet mehr als uns trennt: Das gilt für die Evangelischen untereinander aber auch mit Blick auf Schwestern und Brüder in anderen Kirchen. Wenn die Evangelischen nicht das Trennende in den Vordergrund stellen, sondern das Gemeinsame, dann erhält 2017 eine ganz besondere, eine einladende Prägung.

Alles Reden über Luthers Gottesbild zeigt sich in der ihm zugeschriebenen Aussage, er würde, wenn Morgen die Welt unterginge, heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen. Das ist Glaubenszuversicht mitten in dieser Welt, die gleichzeitig weit über diese Zeit und Welt auf Gottes Zukunft hin denkt. Und wie Gott ist, drückt ebenfalls eine Geschichte von einem Apfelbäumchen aus: Ein Pfarrer ärgert sich, dass Kinder Äpfel aus seinem Garten klauen. Er rammt ein Schild unter den Baum: "Gott sieht alles". Die Kinder schreiben darunter: "Aber Gott petzt nicht."

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen fröhlichen Christustag voller Gottvertrauen.