Reformationsjubiläum 2017 – Was bedeutet das für die Frauenarbeit?

Margot Käßmann

2017 jährt sich zum 500. Mal der sogenannte Thesenanschlag in Wittenberg. Kann das ein Grund zum Feiern sein? Historisch ist inzwischen höchst zweifelhaft, ob Luther seine 95 Thesen tatsächlich an die Tür der Schlosskirche nagelte, ob es ein anderer war oder sie lediglich vervielfältigt wurden. Zudem wird der Beginn der Reformation eher auf die Verbrennung der Bannbulle 1520 festgelegt, 1517 war Luther – wie wir heute sagen würden – ein „Reformkatholik“. Seine Thesen zum Ablasshandel könnten die meisten römischen Katholiken im 21. Jahrhundert abzeichnen.

Und: Ist die Feier eines Reformationsjubiläums überhaupt angemessen? Kann denn eine Spaltung gefeiert werden? Müssen wir uns nicht die Schattenseiten der Reformation bewusst machen, etwa Luthers Antijudaismus? Sollte eine Kirche, die mit zurückgehenden Mitgliedszahlen, Spar- und Strukturdebatten zu kämpfen hat, überhaupt feiern? Darf es einen „Event“ geben, wo eher wissenschaftliche Debatten angesagt sind?

Das sind vier von vielen Anfragen an das Reformationsjubiläum, die mich immer wieder erreichen. Lassen Sie mich versuchen, einige Antworten zu skizzieren, die stets auch die Frage nach unserer reformatorischen Existenz heute stellen. Meine These lautet, um das schon vorwegzunehmen: Wir können sehr wohl feiern im Jahr 2017.
Bevor ich das mit Blick auf die Frauenarbeit näher erläutere, will ich einen kleinen Überblick über den Stand der ganz konkreten Planungen geben. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich entschlossen, in Kooperation mit staatlichen Stellen und Tourismusverbänden eine Lutherdekade ins Leben zu rufen, die in den Jahren 2008 bis 2016 auf das Reformationsjubiläum hinführt und es vorbereitet. So gab es bereits folgende Jubiläumsjahre:

2008 wurde die Dekade eröffnet. Bischof Huber sagte in seiner Festrede zur Eröffnung der Lutherdekade am 21. September: „So sehr wir Luthers Beitrag zur deutschen Kultur, insbesondere die Prägekraft, mit der er die deutsche Sprache gestaltet, würdigen, so wenig Anlass haben wir, die Überlegenheitsgesten zu wiederholen, mit denen Martin Luther und ein vermeintliches „deutsches Wesen“ zusammengebracht wurden. Deutsche im Inland wie auch im Ausland wurden unter Berufung auf Luther lange Zeit dazu verführt, Patriotismus und Nationalismus miteinander zu verwechseln.“

2009 hatte „Reformation und Bekenntnis“ als Schwerpunktthema mit besonderem Akzent auf dem Reformator Johannes Calvin.

2010 widmete sich dem Thema „Reformation und Bildung“ mit besonderem Akzent auf dem Reformator Philipp Melanchthon.

2011 fragte das Themenjahr „Reformation und Freiheit“ nach den Wurzeln der Freiheit. Was bedeutet die Freiheit eines Christenmenschen im 21. Jahrhundert?

2012 „Reformation und Musik“. In diesem Jahr wurde in der Thomaskirche in Leipzig das 800-jährige Jubiläum von Kirche, Chor und Schule gefeiert – an dem Ort, an dem Johann Sebastian Bach von 1723 bis 1750 als Kantor wirkte. Die Reformation wurde als Singebewegung wiederentdeckt und viele Gemeinden landauf, landab sahen sich als Teil des Jahres.

Auch andere Veranstaltungen wie etwa die Händelfestspiele in Halle haben sich in das Jubiläumsjahr eingereiht.

2013 lautete das Schwerpunktthema: „Reformation und Toleranz“. Damit wird der Blick auch auf die Schattenseiten des Reformationszeitalters mit seinen zum Teil irritierend scharfen Abgrenzungen gelenkt – und auf die Lerngeschichte, die daraus folgte.

2014 wird sich auf das Verhältnis von „Reformation und Politik“ konzentrieren. 2015 widmet sich anlässlich des 500. Geburtstags von Lucas Cranach dem Jüngeren dem Thema „Reformation – Bild und Bibel“. Die Bilder aus der Cranachschen Werkstatt hatten für viele Menschen eine große Wirkung – gerade in einer Zeit, in der viele nicht lesen konnten.

2016 wird die „Reformation und die Eine Welt“ zum Thema haben, also die Frage danach, was Reformation bedeutet in einer globalisierten Welt und in einem Zeitalter der weltweiten Ökumene.

Münden soll die Dekade in die zentralen Feierlichkeiten im Jubiläumsjahr, die mit dem Reformationstag 2016 ihren Auftakt nehmen werden.

Für dieses Jubiläumsjahr sind bisher fünf Säulen erkennbar:

  • Als erstes die Eröffnung am 31.10.2016, für den eine feierliche Eröffnung des Festjahres in Berlin angedacht ist.
  • Dieser Reformationstag wird auch der Startpunkt für einen zweiten, stark partizipativen und internationalen Pfeiler des Jubiläums sein, den sog. Stationenweg. In vielen Reformationsstädten Deutschlands und Europas werden die Erinnerungen an die je lokale Reformationsgeschichte verbunden mit einer Aktualisierung, die die gegenwärtige Bedeutung des reformatorischen Themas andeutet.
  • Zum Dritten mündet der der Stationenweg in einen großen Festgottesdienst, der vor den Toren Wittenbergs am 28. Mai 2017 gefeiert wird als Abschluss des Berliner Kirchentages sowie der regionalen Kirchentage, die als „Kirchentag auf dem Wege“ in einigen Städten Mitteldeutschlands vorbereitet werden. Die Zusammenarbeit der EKD mit dem Deutschen Evangelischen Kirchentag ist in dieser Weise ein Novum.
  • Noch vor diesem Gottesdienst beginnt am 20. Mai 2017 die „Weltausstellung der Reformation“ in und um Wittenberg, wobei die Lutherstadt Wittenberg selbst das „Ausstellungsgelände“ werden wird. Was auf dem internationalen Stationenweg wahrgenommen und eingesammelt, gelernt und erkannt wurde, kann ebenso ausgestellt werden wie andere Beiträge aus anderen Kirchen, aus dem Bereich der Kultur und der Zivilgesellschaft. Im Sommer 2017 sollen in und um Wittenberg die Vielfalt, aber auch die innere Einheit und die perspektivische Bedeutung der reformatorischen Bewegung erlebbar werden, die vor 500 Jahren die Welt bewegte und für das 21. Jahrhundert kraftvolle und heilsame, orientierende und tröstende Wirksamkeit entfalten will.
  • Zu dieser Weltausstellung gehört ein Jugendcamp, denn am Ende geht es darum, dass die junge Generation die Reformation und auch die Städte der Reformation entdeckt. Dort wird es Konzerte und Filmfestivals geben, auch Gottesdienste und Gebete und natürlich Diskussionen über Gott und die Welt. Ein Sommerlager mit Tanzen und Beten, Singen und Reden, Lachen und Lieben wird für Jugendliche aus vielen Ländern ein unvergessliches Reformationserlebnis werden.

Am 31. Oktober 2017 werden national und international an vielen reformatorisch gewichtigen Orten offizielle und öffentliche Festakte begangen werden, die dem Symboldatum angemessene Aufmerksamkeit geben. In Deutschland hat sich schon (fast) die Meinung durchgesetzt, dass dieser Tag einmalig ein gesetzlicher Feiertag werden sollte, sodass auch auf diese Weise die besondere Bedeutung unterstrichen wird.

Soweit ein Einblick in die bisherigen Vorbereitungen und Planungen. Aber nun zu den inhaltlichen Punkten: Was gibt es da zu feiern und was bedeutet das für die Frauenarbeit?

Die Reformationsjubiläen und das Luthergedenken in Deutschland waren stets von ihrer Zeit geprägt 1. 1617 diente der konfessionellen Selbstvergewisserung. 1717 wurde Luther einerseits zum frommen Mann der Pietisten, andererseits zum Frühaufklärer gegen mittelalterlichen Aberglauben stilisiert. 1817 wurde als religiös-nationale Feier inszeniert – in Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig 1813; Luther wurde zum deutschen Nationalhelden erklärt. Der 400. Geburtstag 1883 ließ Luther zum Gründungsvater des Deutschen Reiches avancieren und 1917 wurde er schließlich mit Hindenburg gemeinsam zum Retter der Deutschen in Zeiten großer Not. Das Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 umgab Luther zu seinem 450. Geburtstag mit der Aura eines gottgesandten Führers bzw. der des Vorboten eines noch größeren Führers. Und als Tröster der Deutschen wurde er an seinem 400. Todestag gesehen – 1946, als Trost bitter notwendig war. 1983 zu seinem 500. Geburtstag gab es eine Art Wettbewerb um das Luthererbe in Ost und West. In der DDR war Luther nun nicht mehr Fürstenknecht, sondern Vertreter der frühbürgerlichen Revolution.

Ein solcher Rückblick muss sensibel dafür machen, dass Reformationsjubiläen heikle Zeitpunkte sind. Wie werden die Generationen nach uns urteilen über 2017? Werden sie sagen: Die Protestanten wollten Profil gewinnen auf Kosten anderer? Wird es heißen: Es wurde versucht, Öffentlichkeit für den christlichen Glauben zu gewinnen? Oder wird deutlich: Hier wurde sich kritisch und gestaltend, gut protestantisch also, mit dem eigenen Erbe auseinandergesetzt?

Ich bin überzeugt: Es wird keinen „Kult um Luther“ geben, wie manche befürchten. Der Protestantismus in Deutschland und das Luthertum weltweit sind souverän genug, die Schattenseiten ihres großen Vorbildes nicht auszublenden und vor allem, die Reformation nicht auf Luther und seine Person zu beschränken. Denn offensichtlich ist: Die Reformation war eine Bewegung, die viele Jahrzehnte umfasste, 1517 ist ein Symboldatum. Und die Reformation wurde von vielen Menschen betrieben, Martin Luther ist die Symbolfigur. Sehr schön zeigt das ein Altarbild des italienischen Künstlers Gabriele Mucchi, das in der kleinen Kirche von Alt-Staaken am Rande Berlins zu sehen ist. In diesem Wandgemälde sind unter dem gekreuzigten Christus 12 historische Persönlichkeiten versammelt, die im 16. Jahrhundert bei der Erneuerung der Kirche und des Weltbildes eine wichtige Rolle gespielt haben: Nikolaus Kopernikus, Ulrich Zwingli, Johannes Calvin, Ignatius von Loyola, Thomas Morus, Katharina von Bora, Martin Luther, Thomas Müntzer, Johannes Bugenhagen, Philipp Melanchthon, Lucas Cranach, Erasmus von Rotterdam. Das ist ein großartiges Zeichen dafür, dass es um eine breite Bewegung ging, einen enormen Aufbruch. Anrührend finde ich, dass sie alle versöhnt sind unter dem Kreuz auf diesem Bild. Mir war daher auch wichtig, nicht Lutherbotschafterin, sondern Botschafterin für das Reformationsjubiläum zu sein! Wir müssen deutlich machen, dass es hier um eine vielfältige Bewegung geht, die Staat und Kirche verändert hat, ja, wirksam ist bis heute.

Es wird wichtig sein, den kritischen Rückblick zu wagen und Reformation als Gesamtgeschehen wahrzunehmen. Die Rolle der Frauen gilt dabei als Randthema der Reformation. Im Mittelpunkt der Debatten stehen die Theologie Martin Luthers oder Ulrich Zwinglis, die geschichtliche Bedeutung von Friedrich dem Weisen oder Philip von Marburg. Martin Bucer, Philip Melanchthon, Thomas Müntzer, Johannes Calvin - sie sind hinlänglich bekannt. Aber wer verbindet mit der Reformation Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer, Katharina Jonas oder Caritas Pirckheimer? Allenfalls Katharina von Bora, Luthers Ehefrau, ist einem breiteren Publikum ein Begriff.

In der Lutherdekade, die seit 2008 in Deutschland zum Reformationsjubiläum 2017 hinführt, ist keines der Themenjahre den Frauen gewidmet. Umso erfreulicher, dass 2014 auf Schloss Rochlitz eine staatliche Ausstellung mit dem Titel „Frauen und Weiblichkeit in der Reformation“ ihre Rolle thematisiert. Sie erinnert an eine Frau, die sich klar zum reformatorischen Aufbruch bekannte, auch wenn ihr Schwiegervater Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen, ein erbitterter Gegner der Reformation war. Im Schmalkaldischen Bund spielte sie eine entscheidende Rolle. Aus ihrer Korrespondenz sind rund 2000 (!) Briefe erhalten, eine Korrespondenz, die sie unter anderem mit ihrem Bruder, Philipp von Hessen, führte. Ein Glücksfall für die Forschung, die nur selten schriftliche Quellen von Frauen aus der Reformationszeit zur Verfügung hat.

Innerkirchlich setzen die „Frauenmahle“, die sich in den letzten Jahren vielerorts entwickelt haben, einen besonderen Akzent. Am Vorabend des Reformationstages kommen Frauen zu einem gemeinsamen Essen in einer Kirche oder einem Gemeinderaum zusammen und bereichern sich gegenseitig durch kurze Tischreden. Von Berlin bis Marburg, von Hannover bis Osnabrück hat sich damit auf dem Weg zum Reformationsjubiläum eine interessante neue Form der Begegnung etabliert, zu der auch Frauen aus dem nichtkirchlichen Umfeld eingeladen sind und gern teilnehmen.

Meine These lautet: Die Beteiligung der Frauen ist nicht ein Seitenthema der Reformation, sondern sie steht exemplarisch für ihre Inhalte.

Das hat zunächst vier Gründe:
Erstens die Tauftheologie Martin
Luthers. Wenn jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, Priester, Bischof und Papst ist, dann kann das auch jede getaufte Frau sein. Hier liegt der Schlüssel zum Respekt vor Frauen und in der Konsequenz die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern der Kirche. Auch wenn die Reformatoren sich diesen Schritt gewiss nicht denken konnten, ist er in ihrer Theologie angelegt. Das Priestertum aller Getauften schließt das Priestertum der Frauen mit ein.

Zweitens wird mit dem Schritt zur Ehe das „Leben in der Welt“ aufgewertet. Die Eheschließung vormals zölibatär lebender Priester und Nonnen übersetzt die Grundüberzeugung, dass Leben in Kloster und Zölibat kein vor Gott in irgendeiner Weise „besseres“ Leben ist. Christsein bewährt sich mitten im Alltag der Welt, im Beruf, in der Familie, beim Regieren wie beim Erziehen der Kinder. Und das gilt für Männer wie für Frauen. Für Frauen aber war die Befreiung, die sich durch die Aufwertung von Ehe, Sexualität und Kindererziehung ergab, umso größer, als vielerorts die Überzeugung bestand, „daß Frauen eines besonderen Zuganges zur Gnade bedürfen, den mit Gewißheit nur die reine Jungfräulichkeit eröffnen konnte.“ Aber auch für Männer war die Aufwertung der Sexualität ein Gewinn an Freiheit. Ute Gause schreibt: „Entgegen bisheriger Auffassung bedeutet die Haltung der Reformation zur Ehe nicht nur ihre Aufwertung, sondern eine Aufwertung männlicher Sexualität als solcher, da sie dem Beruf des Priesters/Pfarrers nicht mehr entgegensteht.“3

Zölibatäres Leben galt als vor Gott angesehener, gerader Weg zum Himmel sozusagen. Viele Reformatoren gaben mit ihrem Schritt hin zur Ehe ein Beispiel dafür, dass auch Leben in einer Familie, mit Sexualität und Kindern von Gott gesegnetes Leben ist. Die öffentliche Heirat von bisher zölibatär lebenden Priestern, Mönchen und Nonnen war ein theologisches Signal. Die Theologin Ute Gause erklärt, dies sei eine Zeichenhandlung gewesen, die „etwas für die Reformation Elementares deutlich machen wollte: die Weltzuwendung und demonstrative Sinnlichkeit des neuen Glaubens.“4  Nun wird ja den Evangelischen im Land eher unterstellt, dass sie weniger sinnlich seien als die römischen Katholiken oder die Orthodoxie. Die Reformatoren aber wollten gerade deutlich machen: Weltliches Leben ist nicht weniger wert als priesterliches oder klösterliches. Es geht darum, im Glauben zu leben im Alltag der Welt.
Das hat viele Konsequenzen. Eine ist beispielsweise, dass in den ersten Kirchenordnungen der Reformatoren Hebammen aufgewertet werden als Kirchendienerinnen. Eine Frau, die geboren hat, wird nicht mehr als unrein angesehen, sondern sie soll umsorgt und betreut werden.

Luther konnte dabei übrigens ungeheuer modern sein. Es geht darum, ob gestandene Mannsbilder sich lächerlich machen, wenn sie Windeln waschen. Hören wir also mal kurz original Martin Luther:

„Wenn ein Mann herginge und wüsche die Windeln oder täte sonst an Kindern ein verachtet Werk, und jedermann spottete seiner und hielte ihn für einen Maulaffen und Frauenmann, obwohl ers doch in …. Christliche[m] Glauben täte; Lieber, sage, wer spottet hier des anderen am feinsten? Gott lacht mit allen Engeln und Kreaturen, nicht, weil er die Windeln wäscht, sondern weil ers im Glauben tut. Jener Spötter aber, die nur das Werk sehen und den Glauben nicht sehen, spottet Gott mit aller Kreatur als der größten Narren auf Erden; ja sie spotten nur ihrer selbst und sind des Teufels Maulaffen mit ihrer Klugheit.“5

Das heißt: Es kommt nicht auf das Geschwätz der Leute an. Es kommt darauf an, dass ich weiß, wer ich bin, dass ich mein Leben vor Gott und in Gottvertrauen lebe und damit Rechenschaft gebe von der Hoffnung, die in mir ist. Und: Die Aufgabe, Kinder großzuziehen, ist Teil der Schöpfung Gottes, sie ist Teil der Existenz von Mann und Frau. Oder: „An der Art, wie beide im Vollzug täglicher Aufgaben miteinander umgehen, zeigt sich, ob sie glauben, was sie bekennen.“6

Drittens beschränkt sich der reformatorische Bildungsimpetus nicht auf Jungen und Männer, sondern schließt Mädchen und Frauen ein. Die Volksschule soll in der Tat Schule für alle sein, alle sollen lesen lernen, damit sie je einzeln ihr Gewissen an der Schrift schärfen können. All das bedeutet eine ungeheure Aufwertung von Frauen und Frauenleben. Bildungsteilhabe und Bildungsgerechtigkeit waren reformatorische Themen und schlossen explizit Frauen mit ein.

Viertens hat all dies zur aktuellen Konsequenz, dass die Beteiligung von Frauen geradezu zum Kennzeichen der reformatorischen Kirche geworden ist. Die jüngst veröffentlichte fünfte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigt: „Mit der ‚evangelischen Kirche‘ verbinden nicht wenige Befragte, dass diese Kirche nicht katholisch ist (7%) – etwa, weil hier auch Frauen Pfarrerinnen sein können…“7 .

Luthers Wertschätzung von Frauen hat sich bereits früh entwickelt, lange etwa vor der Heirat mit Katharina von Bora oder der Begegnung mit Argula von Grumbach. 1520/21 schreibt er in seiner Auslegung des Magnifikat (Lukas 1, 46ff.) voller Hochachtung über Maria: „Oh das ist eine große Kühnheit und ein großer Raub von solchem jungen, kleinen Mägdlein. Getraut sich, mit einem Wort alle Mächtigen schwach, alle Großtuenden kraftlos, alle Weisen zu Narren, alle Berühmten zuschanden zu machen und allein dem einzigen Gott alle Macht, Tat, Weisheit und Ruhm zuzueignen.“ 8

Damit, so Gerta Scharffenorth, zeigt sich „die Einheit in der Vielfalt schöpferischer Wirkungen. Da Gott sich den Menschen zuwandte, indem eine Frau schwanger wurde und Gottes Sohn gebar, ist durch die Menschwerdung Christi die Frage nach Wert und Würde, Gleichheit oder Ungleichheit von Mann und Frau endgültig beantwortet.“9

Dagegen höre ich bereits drei Einwände:

Zum einen jene Invokavitpredigt von 1526, in der Luther Exodus 22,17 auslegt und zu dem Schluss kommt: „Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen.“ Hier lässt sich Luther hinreißen vom Hexenwahn und der Hexenverfolgung seiner Zeit. Gewiss, der Zeitgeist kann nicht im Nachhinein kleinreden, was er sagte.

Zum anderen werden einige fragen: Ist das nicht Schönfärberei? Stammt nicht mancher abfällige Satz über Frauen von Luther? Gewiss, aber gerade in den Tischreden findet sich Vielfältiges, wie denn die Reden bei Tische so sind. Da sagt Luther ebenso: „Es ist kein Rock, der einer Frau oder Jungfrau so übel ansteht, als wenn sie klug sein will“10 wie: „Wenn das weibliche Geschlecht anfängt, die christliche Lehre aufzunehmen, dann ist es viel eifriger in Glaubensdingen als Männer. Das erweist sich bei der Auferstehung (Joh 20,1ff.), Magdalena war viel beherzter als Petrus.“11 

Und schließlich: Haben die Reformatoren nicht insgesamt an einer Unterordnung der Frau unter den Mann festgehalten? Oja, kontextuell waren Rollenfestlegungen vorgegeben. Und dennoch übt Luther Kritik daran, dass die Alltagspflichten schlicht den Frauen überlassen werden: „Da Mann und Frau an dem Wirken des Schöpfers beteiligt sind, muß sich ihr mitmenschliches Verhalten an der hingebenden Liebe Gottes ausrichten. Mit anderen Worten: An der Art, wie beide im Vollzug täglicher Aufgaben miteinander umgehen, zeigt sich, ob sie glauben, was sie bekennen.“12

Kommen wir damit zu den Frauen der Reformationszeit selbst. Viele Namen sind bekannt, auch wenn es insgesamt nur wenige authentische Zeugnisse gibt und recht begrenzt Literatur zum Thema13. Exemplarisch möchte ich sieben nennen in drei Kategorien.

Zum einen sind da die Pfarrfrauen. Für sie war die Heirat mit einem Pfarrer, in der Regel also mit einem ehemaligen Mönch, kein leichter Schritt. Sie wurden von den Altgläubigen verachtet. Es hieß, Kinder, die von einem ehemaligen Mönch und einer ehemaligen Nonne gezeugt wurden, werden mit Fehlbildungen zur Welt kommen. Mutige Frauen waren es also, die inhaltlich hinter ihren Männern stehen mussten, um den Anfeindungen ihrer Umwelt gegenüber Haltung zu bewahren.

Das gilt zuallererst für Katharina von Bora (1599-1552). Sie war gebildet, hat Luther Briefe geschrieben, die leider nicht erhalten sind. Aus seinen Briefen, in denen er auf sie eingeht, lassen sich allerdings Rückschlüsse ziehen. Selbst ehemalige Nonne, war sie gebildet in Lesen und Schreiben, wertgeschätzt als Gesprächspartnerin, Mutter, Geschäftsfrau, ja, unentbehrlich, um das Leben im Schwarzen Kloster in Gang zu halten.

Ebenfalls in Wittenberg spielt Katharina Melanchthon (1497-1557) eine große Rolle. Sie kam nicht aus dem Kloster, sondern war Tochter des Wittenberger Bürgermeisters. Luther selbst hatte 1520 die Trauung mit Philipp Melanchthon vollzogen.

Auch die beiden großen oberdeutschen Reformatoren waren verheiratet. Anna Zwingli (um 1484-1538) war eine adlige Witwe mit drei Kindern, als sie Ulrich Zwingli 1522 heiratete.
Idelette Calvin (1509-1549) stammte aus dem Kreis der französischen Flüchtlinge in Genf.

Zu dieser Gruppe der Pfarrfrauen gehören auch die oben genannten: Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer, Katharina Jonas. Vieles ist nicht bekannt über diese Frauen, keine Details, keine großen Biografien. Meist lassen sich lediglich über das Leben ihrer Ehemänner und deren Äußerungen Rückschlüsse auf ihr Leben ziehen.

Eine andere Kategorie sind die wenigen Frauen, die wie Elisabeth von Rochlitz eigene schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben. Herausragend unter ihnen ist zum einen Argula von Grumbach (1492-1568). Sie wandte sich an den Rektor der Ingolstädter Fakultät, als dieser reformatorisches Schrifttum verbieten wollte, schrieb Flugschriften und diskutierte mit Luther selbst, als er anlässlich des Reichstages zu Worms Zeit auf der Feste Coburg verbrachte. Neben den Briefen von Elisabeth von Rochlitz sind von ihr die meisten Schriften von Frauen der Reformationszeit erhalten und bearbeitet.14 

Auch Katharina Zell (um 1497 – 1562) hat Schriftliches hinterlassen. Aus einem Straßburger Patrizierhaus stammend wurde sie von Martin Bucer 1523 mit dem Priester Matthäus Zell vermählt. Nach Kritik an der Eheschließung schrieb sie einen Verteidigungsbrief an den Bischof ebenso wie ein Flugblatt an die Bürger von Straßburg. Auch ein kleines Liederbuch gab sie heraus.

Elisabeth Cruciger (um 1504-1535), in Wittenberg mit dem Theologen Caspar Cruciger verheiratet, dichtete Kirchenlieder, eines ist bis heute im Evangelischen Gesangbuch erhalten: „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“ (EG 67).

Nicht zuletzt sind die Fürstinnen zu nennen, die die Reformation entscheidend, auch politisch unterstützten. Zu ihnen gehört die oben genannte Caritas Pirckheimer (1467-1532), die,  obwohl dem reformatorischen Glauben zugewandt, alles tat, um als Äbtissin die Rechte von Konvent und Kloster einzufordern.

Besonders nennen möchte ich an dieser Stelle Elisabeth von Calenberg. Durch ihre Mutter war sie mit dem reformatorischen Glauben in Berührung gekommen und führte nach dem Tod ihres Mannes die Reformation in Südniedersachsen ein. Dabei hielt sie eine schützende Hand über die Frauenklöster und Damenstifte und ließ ihr Vermögen sichern. Das hat Auswirkungen bis heute, denn in der Hannoverschen Landeskirche gibt es auch aktuell 13 Frauenklöster und Damenstifte, deren Vermögen in der staatlich geführten Klosterkammer unabhängig gesichert ist.

Dies alles kann nur anreißen, wie weit das Thema ist, wie viele Frauen die Reformation geprägt haben. Nur wenige sind namentlich bekannt. Von noch weniger wissen wir viel und von ganz wenigen sind schriftliche Zeugnisse überliefert. Unübersehbar aber ist ihre Bedeutung für die Reformation als Personen und als inhaltliches, theologische Signal: Das Priestertum aller Getauften zeigt sich gerade auch in der Beteiligung von Frauen – das ist zum Kennzeichen reformatorischer Kirchen geworden.

Was nun heißt das für die Frauenarbeit?

Noch einmal vier Punkte:

1.Keine Kirche ohne Frauen
2.Sich selbstbewusst einmischen, auch ökumenisch
3. Selbst denken
4. Die Reformation voran treiben: Dialog der Religionen. Frauenthemen wir Armut von Alleinerziehenden und Altersarmut benennen!

Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat von Argula von Grumbach: „Und sogar wenn es dazu käme – was Gott verhindern möge – dass Luther widerrufet, würde das nichts an meiner Meinung ändern. Ich beu nicht auf seinen, meinen oder irgendeines Menschen Verstand, sondern auf den wahren Felsen, auf Christum selbst.“ (Birnstein S. 33.) Das nenne ich evangelisches Selbstbewusstsein einer Frau! Eine gute Ahnin ist sie.

Fußnoten:

  1. Vgl. Hartmut Lehmann, Die Deutschen und ihr Luther, FAZ 26.08.08, Nr. 199, S.7 
  2. Schaffenorth, Freunde in Christus. Die Beziehung von Mann und Frau bei Luther im Rahmen seines Kirchenverständnisses, in: „Freunde in Christus werden…“, hg.v. Gerta Schaffenorth und Klaus Thraede, Gelnhausen 1977, S. 183ff.; S. 198.
  3. Ute Gause, Durchsetzung neuer Männlichkeit? Ehe und Reformation, in: EvTheol 5-2013, S. 326ff.; S. 337.
  4. Ute Gause, Antrittsvorlesung, unveröffentlichtes Manuskript, S. 2.
  5. EL WA 10, 296f. (Scharffenorth. S. 219)
  6. Gerta Scharffenorth, Freunde in Christus, in: „Freunde in Christus werden…“, hg.v. Gerta Scharffenorth und Klaus Thraede, Gelnhausen 1977, S. 183ff.; S. 220.
  7. Engagement und Differenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis, EKD Hannover, 2014, S. 34.
  8. Martin Luther, Das Magnifikat , verdeutscht und ausgelegt, in: Maria.Evangelisch, hg.v. Thoas. A. Seidel und Ulrich Schacht, Leipzig 2011, S. 185ff.;. S. 216.
  9. Gerta Scharffenorth, aaO., S. 203.
  10. TR 786 (Aland IX, S. 279).
  11. TR 791 (Aland IX, S. 280).
  12. Scharffenorth, aaO.,S. 220.
  13. Z.B. Sonja Domröse, Frauen der Reformationszeit, Göttingen 2010; Lisbeth Haase, Mutig und Glaubensstarb. Frauen und die Reformation, Leipzig 2011 zudem kleinere Beiträge zu den einzelnen Biografien.
  14. Vgl. Argula von Grumbach, Schriften, bearbeitet und herausgegeben von Peter Matheson, Göttingen 2010.