"Die Reformation und die gesellschaftlichen Auswirkungen auf die heutigen Rollenbilder von Frauen und Männern - Impulse für die Zukunft".

Margot Käßmann

Die Rolle der Frauen gilt als Randthema der Reformation. Im Mittelpunkt der Debatten stehen die Theologie Martin Luthers oder Ulrich Zwinglis, die geschichtliche Bedeutung von Friedrich dem Weisen oder Philip von Marburg. Martin Bucer, Philip Melanchthon, Thomas Müntzer, Johannes Calvin - sie sind hinlänglich bekannt. Aber wer verbindet mit der Reformation Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer, Katharina Jonas oder Elisabeth von Calenberg? Allenfalls Katharina von Bora, Luthers Ehefrau, ist einem breiteren Publikum ein Begriff.

In der Lutherdekade, die seit 2008 in Deutschland zum Reformationsjubiläum 2017 hinführt, ist keines der Themenjahre den Frauen gewidmet. Umso erfreulicher, dass 2014 auf Schloss Rochlitz eine staatliche Ausstellung mit dem Titel „Frauen der Reformation“ ihre Rolle thematisiert. Sie erinnert an eine Frau, die sich klar zum reformatorischen Aufbruch bekannte, auch wenn ihr Schwiegervater Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen, ein erbitterter Gegner der Reformation war. Im Schmalkaldischen Bund spielte sie eine entscheidende Rolle. Aus ihrer Korrespondenz sind rund 2000 (!) Briefe erhalten, eine Korrespondenz, die sie unter anderem mit ihrem Bruder, Philipp von Hessen führte. Ein Glücksfall für die Forschung, die nur selten schriftliche Quellen von Frauen aus der Reformationszeit zur Verfügung hat.

Innerkirchlich setzen die „Frauenmahle“, die sich in den letzten Jahren vielerorts entwickelt haben, einen besonderen Akzent. Am Vorabend des Reformationstages kommen Frauen zu einem gemeinsamen Essen in einer Kirche oder einem Gemeinderaum zusammen und bereichern sich gegenseitig durch kurze Tischreden. Von Berlin bis Marburg, von Hannover bis Osnabrück hat sich damit auf dem Weg zum Reformationsjubiläum eine interessante neue Form der Begegnung etabliert, zu der auch Frauen aus dem nichtkirchlichen Umfeld eingeladen sind und gern teilnehmen.

Meine These lautet: Die Beteiligung der Frauen ist nicht ein Seitenthema der Reformation, sondern sie steht exemplarisch für Ihre Inhalte.

Das hat vier Gründe:

Erstens die Tauftheologie Martin Luthers. Wenn jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, Priester, Bischof und Papst ist, dann kann das auch jede getaufte Frau sein. Hier liegt der Schlüssel zum Respekt vor Frauen und in der Konsequenz die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern der Kirche. Auch wenn die Reformatoren sich diesen Schritt gewiss nicht denken konnten, ist er in ihrer Theologie angelegt. Das Priestertum aller Getauften schließt das Priestertum der Frauen mit ein.

Zweitens wird mit dem Schritt zur Ehe das „Leben in der Welt“ aufgewertet. Die Eheschließung vormals zölibatär lebender Priester und Nonnen übersetzt die Grundüberzeugung, dass Leben in Kloster und Zölibat kein vor Gott in irgendeiner Weise „besseres“ Leben ist. Christsein bewährt sich mitten im Alltag der Welt, im Beruf, in der Familie, beim Regieren wie beim Erziehen der Kinder. Und das gilt für Männer wie für Frauen. Für Frauen aber war die Befreiung, die sich durch die Aufwertung von Ehe, Sexualität und Kindererziehung ergab umso größer, als vielerorts die Überzeugung bestand, „daß Frauen eines besonderen Zuganges zur Gnade bedürfen, den mit Gewißheit nur die reine Jungfäulichkeit eröffnen konnte.“1  Aber auch für Männer war die Aufwertung der Sexualität ein Gewinn an Freiheit. Ute Gause schreibt: „Entgegen bisheriger Auffassung bedeutet die Haltung der Reformation zur Ehe nicht nur ihre Aufwertung, sondern eine Aufwertung männlicher Sexualität als solcher, da sie dem Beruf des Priesters/Pfarrers nicht mehr entgegensteht.“2

Zölibatäres Leben galt als vor Gott angesehener, gerader Weg zum Himmel sozusagen. Viele Reformatoren gaben mit ihrem Schritt hin zur Ehe ein Beispiel dafür, dass auch Leben in einer Familie, mit Sexualität und Kindern von Gott gesegnetes Leben ist. Die öffentliche Heirat von bisher zölibatär lebenden Priestern, Mönchen und Nonnen, war ein theologisches Signal. Die Theologin Ute Gause erklärt, dies sei eine Zeichenhandlung gewesen, die „etwas für die Reformation Elementares deutlich machen wollte: die Weltzuwendung und demonstrative Sinnlichkeit des neuen Glaubens.“3 Nun wird ja den Evangelischen im Land eher unterstellt, dass sie weniger sinnlich seien als die römischen Katholiken oder die Orthodoxie. Die Reformatoren aber wollten gerade deutlich machen: Weltliches Leben ist nicht weniger wert als priesterliches oder klösterliches. Es geht darum, im Glauben zu leben im Alltag der Welt.
Das hat viele Konsequenzen. Eine ist beispielsweise, dass in den ersten Kirchenordnungen der Reformatoren Hebammen aufgewertet werden als Kirchendienerinnen. Eine Frau, die geboren hat, wird nicht mehr als unrein angesehen, sondern sie soll umsorgt und betreut werden.

Luther konnte dabei übrigens ungeheuer modern sein. Es geht darum, ob gestandene Mannsbilder sich lächerlich machen, wenn sie Windeln waschen. Hören wir also mal kurz original Martin Luther:

„Wenn ein Mann herginge und wüsche die Windeln oder täte sonst an Kindern ein verachtet Werk, und jedermann spottete seiner und hielte ihn für einen Maulaffen und Frauenmann, obwohl ers doch in …. Christliche[m] Glauben täte; Lieber, sage, wer spottet hier des anderen am feinsten? Gott lacht mit allen Engeln und Kreaturen, nicht, weil er die Windeln wäscht, sondern weil ers im Glauben tut. Jener Spötter aber, die nur das Werk sehen und den Glauben nicht sehen, spottet Gott mit aller Kreatur als der größten Narren auf Erden; ja sie spotten nur ihrer selbst und sind des Teufels Maulaffen mit ihrer Klugheit.“4

Das heißt: Es kommt nicht auf das Geschwätz der Leute an. Es kommt darauf an, dass ich weiß, wer ich bin, dass ich mein Leben vor Gott und in Gottvertrauen lebe und damit Rechenschaft gebe von der Hoffnung, die in mir ist. Und: Die Aufgabe, Kinder groß zu ziehen, ist Teil der Schöpfung Gottes, sie ist Teil der Existenz von Mann und Frau. Oder: „An der Art, wie beide im Vollzug täglicher Aufgaben miteinander umgehen, zeigt sich, ob sie glauben, was sie bekennen.“5

Drittens beschränkt sich der reformatorische Bildungsimpetus nicht auf Jungen und Männer, sondern schließt Mädchen und Frauen ein. Die Volksschule soll in der Tat Schule für alle sein, alle sollen lesen lernen, damit sie je einzeln ihr Gewissen an der Schrift schärfen können. All das bedeutet eine ungeheure Aufwertung von Frauen und Frauenleben. Bildungsteilhabe und Bildungsgerechtigkeit waren reformatorische Themen und schlossen explizit Frauen mit ein.

Viertens hat all dies zur aktuellen Konsequenz, dass die Beteiligung von Frauen geradezu zum Kennzeichen der reformatorischen Kirche geworden ist. Die jüngst veröffentlichte fünfte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigt: „Mit der ‚evangelischen Kirche‘ verbinden nicht wenige Befragte, dass diese Kirche nicht katholisch ist (7%) – etwa weil hier auch Frauen Pfarrerinnen sein können…“6 .

Luthers Wertschätzung von Frauen hat sich bereits früh entwickelt, lange etwa vor der Heirat mit Katharina von Bora oder der Begegnung mit Argula von Grumbach. 1520/21 schreibt er in seiner Auslegung des Magnifikat (Lukas 1, 46ff.) voller Hochachtung über Maria: „Oh das ist eine große Kühnheit und ein großer Raub von solchem jungen, kleinen Mägdlein. Getraut sich, mit einem Wort alle Mächtigen schwach, alle Großtuenden kraftlos, alle Weisen zu Narren, alle Berühmten zuschanden zu machen und allein dem einzigen Gott alle Macht, Tat, Weisheit und Ruhm zuzueignen.“7

Damit, so Gerta Scharffenorth, zeigt sich „die Einheit in der Vielfalt schöpferischer Wirkungen. Da Gott sich den Menschen zuwandte, indem eine Frau schwanger wurde und Gottes Sohn gebar, ist durch die Menschwerdung Christi die Frage nach Wert und Würde, Gleichheit oder Ungleichheit von Mann und Frau endgültig beantwortet.“
Dagegen höre ich bereits drei Einwände:

Zum einen jene Invokavitpredigt von 1526, in der Luther Exodus 22,17 auslegt und zu dem Schluss kommt: „Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen.“ Hier lässt sich Luther hinreißen vom Hexenwahn und der Hexenverfolgung seiner Zeit. Gewiss, der Zeitgeist kann nicht im Nachhinein kleinreden, was er sagte.
Zum anderen werden einige fragen: Ist das nicht Schönfärberei? Stammt nicht mancher abfällige Satz über Frauen von Luther? Gewiss, aber gerade in den Tischreden findet sich Vielfältiges, wie denn die Reden bei Tische so sind. Da sagt Luther ebenso: „Es ist kein Rock, der einer Frau oder Jungfrau so übel ansteht, als wenn sie klug sein will“  wie: „Wenn das weibliche Geschlecht anfängt, die christliche Lehre aufzunehmen, dann ist es viel eifriger in Glaubensdingen als Männer. Das erweist sich bei der Auferstehung (Joh 20,1ff.), Magdalena war viel beherzter als Petrus.“10 

Und schließlich: Haben die Reformatoren nicht insgesamt an einer Unterordnung der Frau unter den Mann festgehalten? Oh ja, kontextuell waren Rollenfestlegungen vorgegeben. Und dennoch übt Luther Kritik daran, dass die Alltagspflichten schlicht den Frauen überlassen werden: „Da Mann und Frau an dem Wirken des Schöpfers beteiligt sind, muß sich ihr mitmenschliches Verhalten an der hingebenden Liebe Gottes ausrichten. Mit anderen Worten: An der Art, wie beide im Vollzug täglicher Aufgaben miteinander umgehen, zeigt sich, ob sie glauben, was sie bekennen.“11

Heute können die evangelischen Kirchen sagen, dass es geradezu ein Kennzeichen für sie geworden ist, dass Frauen alle Ämter übernehmen können. Dazu müssen die reformatorischen Kirchen nun auch offensiv stehen. Es ist nicht Anpassung an den Zeitgeist, sondern theologische Überzeugung. Und wenn sie dazu stehen, ist es eminent politisch….


Fußnoten:

  1. Schaffenorth, Freunde in Christus. Die Beziehung von Mann und Frau bei Luther im Rahmen seines Kirchenverständnisses, in: „Freunde in Christus werden…“, hg.v. Gerta Schaffenorth und Klaus Thraede, Gelnhausen 1977, S. 183ff.; S. 198.
  2. Ute Gause, Durchsetzung neuer Männlichkeit? Ehe und Reformation, in: EvTheol 5-2013, S. 326ff.; S. 337.
  3. Ute Gause, Antrittsvorlesung, unveröffentlichtes Manuskript, S. 2.
  4. EL WA 10, 296f. (Scharffenorth. S. 219)
  5. Gerta Scharffenorth, Freunde in Christus, in: „Freunde in Christus werden…“, hg.v. Gerta Scharffenorth und Klaus Thraede, Gelnhausen 1977, S. 183ff.; S. 220.
  6. Engagement und Differenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis, EKD Hannover, 2014, S. 34.
  7. Martin Luther, Das Magnifikat , verdeutscht und ausgelegt, in: Maria.Evangelisch, hg.v. Thoas. A. Seidel und Ulrich Schacht, Leipzig 2011, S. 185ff.;. S. 216.
  8. Gerta Scharffenorth, aaO., S. 203.
  9. TR 786 (Aland IX, S. 279).
  10. TR 791 (Aland IX, S. 280).
  11. Scharffenorth, aaO.,S. 220.