Das Konzept der EKD für die künftige Arbeit der Studierendenpfarrer/innen

Wolfgang Huber

Bundes-Studierendenpfarrkonferenz 7.-11. März 2005 in Hofgeismar
„Wenn die Hähne krähen ... – kirchliche Arbeit im studentischen Kontext“



I. Wissenschaft und Hochschule als Arbeitsschwerpunkt des Rates der EKD

Unsere Gesellschaft befindet sich im Umbruch. Sie ist in hohem Maß eine Wissensgesellschaft. Wissenschaft und Technik sind die Schlüsselressourcen gerade für ein Land wie Deutschland. Die gesellschaftliche Atmosphäre wird in hohem Umfang durch den wissenschaftlich-technischen Wandel geprägt. Neue Entwicklungen im Bereich der Wissenschaften – die Lebenswissenschaften und die Informationstechnologien sind dafür herausragende Beispiele – werfen neue ethische Fragen auf. Die Kompetenz der Kirche ist herausgefordert wie lange nicht mehr. All diese Fragen stellen sich heute in internationaler, ja weltweiter Vernetzung. Das ist ein Aspekt der Globalisierung, der im allgemeinen Bewusstsein noch gar nicht in zureichendem Maß angekommen ist. Christen dabei zu unterstützen, der damit verbundenen Verantwortung gerecht zu werden, ist eine kirchliche Schlüsselaufgabe. Die Hochschulen sind deshalb zu herausragenden Orten kirchlicher Verantwortung geworden. Studierende in ihrer christlichen Identität zu stärken und zur Auseinandersetzung mit den Herausforderungen unserer Gegenwart zu befähigen, ist eine kirchliche Aufgabe von kaum zu überschätzendem Gewicht.

Der Rat der EKD hat deshalb das Verhältnis der Evangelischen Kirche zu Wissenschaft und Hochschule zu einem seiner Arbeitsschwerpunkte für diese Ratsperiode erklärt. Damit zeigt der Rat sein hohes Interesse an diesem für Kirche und Gesellschaft zukunftsweisenden Bereich. Zugleich muss aber auch selbstkritisch eingeräumt werden, dass die Evangelischen Kirchen in den zurückliegenden Jahren Wissenschaft und Forschung und somit unseren Hochschulen insgesamt zu wenig Beachtung geschenkt haben. Wir stehen vor großen Herausforderungen, die dringend der Klärung bedürfen. Nicht alles, was machbar ist, ist auch ethisch verantwortbar. Unsere Gesellschaft sucht und braucht Orientierung. Die christlichen Kirchen haben den Auftrag, hierzu ihren Beitrag zu leisten, indem sie ihr Gottes- und Menschenbild in den gesellschaftspolitischen Diskurs einbringen. Wir müssen dialogfähig bleiben bzw. wieder werden für den Bereich von Wissenschaft und Hochschule. Das uns aus der kirchlichen Arbeit bislang vertraute Muster von Kommstrukturen greift hier kaum: Wir müssen auf die Menschen zugehen. Das gilt insbesondere für Wissenschaft und Hochschule. Dort im Bereich von Medizin, Biologie und anderer moderner Grundlagenforschung liegen Potentiale, die einerseits Chancen, aber eben auch mögliche Gefahren für das zukünftige persönliche und gesellschaftliche Miteinander beinhalten. Darum muss unser Augenmerk verstärkt auf dieses Feld gelenkt werden.


II. Der missionarische Auftrag der ESG

In diesen Horizont ist auch die Arbeit der ESG einzuzeichnen, der Evangelischen Studierendengemeinde. Zwar verweist der Name ‚Studierendengemeinde’ auf ihr primäres Bezugsfeld, nämlich die Studierenden, aber darin einen Gegensatz zum Begriff der Hochschulgemeinde zu sehen, geht an der Sache vorbei, um die es uns kirchlicherseits im Kontext von Hochschule und Wissenschaft gehen muss. Das eine darf das andere nicht ausschließen. Wer einen gemeindlichen Ort für Studierende bereit hält, sollte die Lehrenden und die anderen, im Bereich der Hochschule tätige Menschen, angefangen vom Mensapersonal über die Sekretärinnen bis hin zu den Bibliothekaren, nicht ausblenden, geschweige denn ausschließen. Wir machen eine solche Unterscheidung doch auch nicht in der Ortsgemeinde. Warum sollte sie ausgerechnet für den Bereich der Hochschule zutreffend sein?

Manche mögen einwenden, das hänge mit der besonderen Geschichte der ESG und ihrer Vorgängerverbände zusammen. Das ist sicherlich richtig, wenngleich doch diese Geschichte weniger als eine Art von Dekadenzmodell gelesen werden sollte, sondern als eine zwar nicht spannungsfreie, aber letztlich doch sinnvolle und organische Weiterentwicklung einer guten Idee. Sie wurde einst aus einer Not geboren, weil die Kirche die Studierenden um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert zu sehr vernachlässigte. Dieses Defizitempfinden stand am Anfang der Vorgängerorganisation der heutigen ESG, der Deutschen Christlichen Studenten-Vereinigung (DCSV) und der Deutschen Christlichen Vereinigung Studierender Frauen (DCVSF) vor nunmehr über 100 Jahren. In den Anfangsjahren waren es zumeist Laienprediger und Reisesekretäre, die an den Hochschulen Studenten zu Bibelarbeit, Gebet und Einkehr sammelten. Manches, was damals programmatisch zu Papier gebracht wurde, mag sich aus heutiger Sicht sprachlich vielleicht etwas antiquiert anhören. Jedoch hat es inhaltlich nichts von seiner Aktualität verloren: Die DCSV formuliert als Ziel ihrer Arbeit, „nicht nur ihre Mitglieder, sondern auch so viele Studenten wie möglich in persönliche Berührung mit dem Heiland zu bringen, sie in seiner Nachfolge zu stärken und zur Mitarbeit für ihn und sein Reich zu bewegen.“ Was anderes kann ESG-Arbeit denn sein, als Studierende und andere an der Hochschule Tätige für den christlichen Glauben zu interessieren und zu gewinnen?!

Diese Form von Nachhaltigkeit ist die erste Erwartung, die ich an Sie und Ihre Arbeit in den einzelnen Studierendengemeinden richten möchte. Es muss uns in der Kirche darum gehen, Menschen in ihren jeweiligen Lebensbezügen auf das Evangelium hin anzusprechen und deutlich zu machen, was uns trägt und was sie tragen kann. Die Hochschule ist auch ein Ort missionarischer Begegnung. Da gibt es sicherlich verschiedene Sprachformen und Kommunikationsweisen, die zu beachten sind. Wir müssen unser Gegenüber in seinem akademischen Kontext wahrnehmen. Das beeinflusst auch die Art und Weise, wie wir über den christlichen Glauben reden. Aber gilt dies im Grunde nicht für jede Gemeindearbeit? Die missionarische Dimension des Alltäglichen, unseres Alltags, ist in die Alltagswelt von Wissenschaft und Hochschule zu übertragen. Das ist eine der primären Aufgaben von Studierenden- und Hochschulpfarrer/innen. Ich möchte Sie in besonderer Weise an diese wichtige Verantwortung und Aufgabe erinnern und Ihnen dazu ausdrücklich Mut machen.


III. Das akademische Profil der Studierendenpfarrer/innen

Als Ordinierte haben wir alle eine akademische Ausbildung durchlaufen. Aus der Studierendenzeit ist uns das Leben an einer Hochschule geläufig. Es ist also ein Wiederentdecken vertrauter Lebens- und Denkbezüge, wenn Sie an die Hochschule zurückkehren. Gleichwohl nehmen Studierendenpfarrer/innen nunmehr eine andere Rolle ein. Das ist ein Rollenwechsel. Aufgrund der akademischen Vorbildung sind alle Pfarrer/innen hinreichend qualifiziert, den christlichen Glauben auch in einem akademischen Kontext zu vertreten. Darin liegt eine wichtige Herausforderung und ein lohnendes Unterfangen.

Ein wichtiger Ort des Verkündigungsauftrags an den Hochschulen sind die Universitätsgottesdienste, sofern es solche in Verbindung mit Theologischen Fakultäten gibt. Aber auch dort, wo es solche Gottesdienste nicht gibt, sind Studierendenpfarrer/innen dazu beauftragt und befähigt, in einem akademischen Umfeld den christlichen Glauben zu verkündigen. Mir würde es jedenfalls nicht einleuchten, weshalb ein Studierendengottesdienst nicht zugleich auch ein Hochschulgottesdienst sein kann, wie auch umgekehrt ein Universitäts- und Hochschulgottesdienst gleichermaßen Lehrende wie Studierende ansprechen sollte. In einem Gottesdienst an der Hochschule geht es schließlich nicht um die Vermittlung von christlicher Lehre, sondern um deren Verkündigung.

Die Tatsache, dass schon knapp zwanzig Jahre nach der Gründung der christlichen Studentenvereinigungen der erste Studentenpfarrer im Rheinland zum Dienst der Verkündigung und Seelsorge an der Hochschule berufen wurde, kann doch auch als ein Beleg dafür gelesen werden, dass gerade eine Studierendengemeinde in besonderer Weise akademisch ausgebildete Pfarrer und Pfarrerinnen braucht. Darum sollten wir unsere akademisch-theologische Kompetenz nicht kleinreden.


IV. Das Verhältnis der ESG zur verfassten Kirche

Die Verbindung der Studierendengemeinde zur verfassten Kirche war gewiss nicht immer spannungsfrei. Aber ohne die Anbindung an die Gemeinden der Bekennenden Kirche in den dreißiger Jahren, als die christlichen Studentenvereinigungen offiziell von den Nazis verboten wurden, hätten sich die neu formierenden Studentengemeinden vielerorts nicht halten können. Viele Gemeinden der Bekennenden Kirche gaben ihnen Schutz und Beheimatung, zumal sich beide Seiten eins wussten in ihrer Ausrichtung auf die Barmer Theologische Erklärung.

Die Neugründung der ESG nach dem Zweiten Weltkrieg wurde maßgeblich von den Personen vorangetrieben, die auch die Initiative zur Gründung des Deutschen Evangelischen Kirchentags ergriffen haben. Ich nenne hier stellvertretend nur den Namen von Reinhold von Thadden-Trieglaff. Ähnlich wie sich der Kirchentag im partnerschaftlichen Gegenüber und Miteinander zur verfassten Evangelischen Kirche begreift, sollte sich auch die ESG verstehen.

Wie Sie am besten wissen, ist die ESG schon wegen der hohen Fluktuation der Mitgliedschaft kirchenrechtlich nicht in Analogie zu landeskirchlichen Gemeinden verfasst. Deshalb handelt es sich bei den Studierendenpfarrstellen in der Regel um landeskirchliche Pfarrstellen, nicht um Gemeindepfarrstellen. Trotzdem ist die Mitwirkung der Studierendengemeinden bei der Besetzung dieser Pfarrstellen wichtig. Freilich ist nach meiner Auffassung verstärkt dafür zu sorgen, dass bei der Arbeit der Studierendengemeinden auch andere an der Hochschule tätige Menschen im Blick sind.


V.  Die ESG als Ort ökumenischer und interreligiöser Begegnung

Aus der kirchenrechtlichen Sonderlage erwachsen der ESG besondere Freiräume. Der vormalige Beauftragte für die Studierenden- und Hochschularbeit, Bischof Axel Noack, hat einmal an die schon weit ältere Aussage angeknüpft, Studierendengemeinden seien Gemeinden „bestenfalls im Sinn des Neuen Testaments“. Diese ironische Bemerkung enthält, wie wir alle wissen, eine heilsame Relativierung unserer kirchenrechtlichen Kategorien. Jeder Gemeinde täte es ja gut, wenn sich dies von ihr sagen ließe. Auch Studierendengemeinden steht das gut zu Gesicht. „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“ (Apg. 2,42). Diese Beschreibung der ältesten Gemeinden muss ja wohl gemeint sein, wenn von Gemeinde  im neutestamentlichen Sinn die Rede ist. In einer solchen Bemerkung kommt aber zugleich zum Ausdruck, dass eine ESG über größere Spielräume verfügt als eine Ortsgemeinde. Denn hier versammeln sich nicht nur junge Christen und Christinnen, sondern für manche ist die ESG der erste Ort einer Begegnung mit dem gelebten Christentum. Die ESG ist zudem auch ein Ort ökumenischer Kontakte, wo sich katholische, orthodoxe oder freikirchliche Studierende einfinden. Und nicht zuletzt fühlen sich viele ausländische Studierende der ESG zugehörig. Sie suchen und finden hier in einer für sie fremden Kultur Halt und Orientierung; die ESG bietet ihnen ein wichtiges Stück Beheimatung. Viele ausländische Studierende gehören keiner christlichen Konfession an, sondern haben beispielsweise einen muslimischen Hintergrund. Die Tatsache, dass viele Studierendengemeinden Orte der Begegnung zwischen unterschiedlichen Religionen geworden sind, kann aber ihren missionarischen Auftrag nicht in den Hintergrund treten lassen. Und auch für Studierendengemeinden gilt, dass sich ein naives Konzept der multireligiösen Begegnung, das die Frage nach Differenzen zwischen den Religionen ausklammert, sich als unzureichend erwiesen hat. Die Arbeit an neuen, tragfähigen Modellen des interreligiösen Gesprächs hat nach meiner Auffassung gerade in den Studierendengemeinden einen wichtigen Ort. 

In vielen Orts-ESGn hat darum die Arbeit mit ausländischen Studierenden einen hohen Stellenwert. Das darf und soll nicht unterschätzt werden. Die ESGn leisten hier einen wichtigen Beitrag zur Integration der Studierenden an der Hochschule. Viele ausländische Studierende könnten ohne die finanzielle Hilfe und Unterstützung, die ihnen durch die Studierendengemeinden vermittelt wird, in Deutschland nicht ihr Leben fristen, zumal wenn sie nicht oder nur sehr eingeschränkt nebenher arbeiten dürfen. Aber zugleich zeigt sich deutlich, dass sich auch diese Arbeit mit Ausländerinnen und Ausländern in einem Umbruch befindet.

In einer solchen Situation müssen wir uns auch selbstkritisch fragen, welche Erwartungen wir an diese ausländischen Studierenden stellen. Gelingt die Integration in das Gemeindeleben der ESG, oder verlieren wir nicht zu viele, nachdem sie von uns Geld bekommen haben, wieder aus dem Blick, so dass der Antrag auf finanzielle Unterstützung oftmals der erste und einzige Kontakt mit der ESG bleibt? Das aber wäre zweifellos zu wenig! Auch hier liegt eine missionarische Aufgabe; bei punktuellem diakonischem Handeln kann es nicht sein Bewenden haben.

Zugleich sollten wir stets behutsam mit dem Begriff der Ökumene umgehen. Der Kontakt etwa zu einem muslimischen Studierenden ist nicht auf der Ebene der Ökumene anzusiedeln, sondern gehört in das Feld der interreligiösen Begegnung. Eine solche Begegnung gibt es nicht, ohne dass wir uns als Christen und Christinnen zu erkennen geben. Zu dieser Begegnung gehört eine erkennbare eigene Identität ebenso wie die Bereitschaft zum Verstehen des Andern. Eine Begegnung zwischen den Religionen gibt es gar nicht ohne ein wie auch immer geartetes Zeugnis des eigenen Glaubens. 


VI. Die Geschäftstelle der ESG in Berlin und ihre zukünftige Finanzierung

Wie Sie wissen, liegt die kirchliche Zuständigkeit für die Geschäftsstelle der ESG in Berlin bei der EKD. Sie finanziert derzeit etwa zur Hälfte deren Haushalt (ca. 300.000 € bei insgesamt ca. 600.000 €). Wir verstehen die Arbeit der Geschäftsstelle ausdrücklich nicht als eine übergeordnete ‚Bundesgemeinde’ bei insgesamt ca. 145 Orts-ESGn, sondern sie hat primär eine dienende Funktion im Sinne der Koordinierung und der Vernetzung mit der Arbeit in den jeweiligen Orts-ESGn. Zugleich nimmt die Geschäftsstelle die Außenvertretung, z.B. gegenüber staatlichen Stellen und Zuschussgebern, wahr. Insofern bleibt ihre Arbeit unverzichtbar. Zugleich muss jedoch daran erinnert werden, dass die Arbeit der Geschäftsstelle nur so gut und nur so effizient sein kann, wie sie von den einzelnen Orts-ESGn auch genutzt wird. Die Geschäftsstelle führt kein Eigenleben, sondern sie soll Ihr hochschulpolitischer Interessenvertreter auf Bundesebene sein. Die Geschäftsstelle ist eine Dienstleisterin. Sie ist darauf angewiesen, genutzt und in Anspruch genommen zu werden. Und die Studierendengemeinden sind darauf angewiesen, die für ihre eigene Arbeit notwendige Unterstützung auch tatsächlich zu erhalten. Die EKD hat ein großes Interesse daran, dass dieses wechselseitige Verhältnis gut gelingt. Auch unter sich wandelnden Bedingungen möchte sie gern ihren Beitrag dazu leisten.

In diesen Zusammenhang gehört allerdings auch die Frage der mittelfristigen Finanzplanung der EKD und ihrer Gliedkirchen. Sie wird derzeit auf sämtlichen Ebenen kirchlicher Arbeit diskutiert; auf all diesen Ebenen zeichnen sich teilweise dramatische Entscheidungen ab. Der Rat der EKD hat hierzu im vergangenen Jahr Eckpunkte formuliert. Ein entscheidendes Kriterium zur Frage, was in welchem Umfang zukünftig finanziell gefördert werden soll, ist nicht der bisherige Stellenwert der zu fördernden Einrichtung, sondern ihre Bedeutung für die Zukunft des Protestantismus in Deutschland. Sie betrifft somit auch die zukünftige Finanzierung der Arbeit der Geschäftsstelle in Berlin. Der bisherige finanzielle Umfang angesichts der deutlich sinkenden Einnahmen auch hier nicht zu halten sein. Also muss auch in diesem Bereich nach Synergien und neuen Organisationsstrukturen Ausschau gehalten werden. Gibt es andere, vielleicht sogar bessere Organisationsstrukturen als bisher für die Arbeit der ESG auf EKD-Ebene? Diese Frage muss in den kommenden Monaten von allen Beteiligten aufgeggriffen und nach Möglichkeit in einem überschaubaren Zeitraum beantwortet werden. Der Rat der EKD hat hierzu einen Prüfauftrag formuliert, der nicht allein die Arbeit der ESG, sondern alle von der EKD und ihren Gliedkirchen geförderten Einrichtungen betrifft Dieser Auftrag wurde so früh wie möglich formuliert, damit alle betroffenen Institutionen selber Subjekte dieses Klärungsprozesses sein und miteinander nach den besten Lösungen suchen können. Aber wir befinden uns in einem Umbruchprozess, der zu der Einsicht nötigt: Nur was sich ändert, bleibt. Wer den eigenen Arbeitsbereich zukunftsfähig erhalten will, muss heute zu seiner Veränderung bereit sein.


VII. Zur Präsenz der Evangelischen Kirche an der Hochschule

Die Zukunft der Arbeit der ESG wird nicht allein und ausschließlich auf der Studierendenarbeit liegen können. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass sich die ESG sowohl auf EKD- wie auf Ortsebene für den Bereich der Hochschule insgesamt öffnen muss. Ob die ESG eine Zukunft hat, hängt mit entscheidend von einer positiven Beantwortung dieser Frage ab.

Der Rat der EKD hat darum im vergangenen Herbst eine Arbeitsgruppe einberufen, die sich eingehend mit den Fragen einer verbesserten Präsenz der Evangelischen Kirche an der Hochschule beschäftigen soll. Sie wird ihre Ergebnisse dem Rat im kommenden Herbst vorlegen. Dieser AG gehören je ein Vertreter aus dem Bereich der Theologischen Fakultäten, des Evangelischen Studienwerks Villigst, der Evangelischen Akademikerschaft, weiter ein Vertreter aus den Gliedkirchen und je eine studentische Vertretung aus dem Bereich der ESG und der SMD an. Auch Ihre Fachkonferenz, die Studierendenpfarrkonferenz, ist in dieser Arbeitsgruppe vertreten, so dass Sie an diesem Prozess beteiligt sind.

Es geht uns mit dieser Arbeitsgruppe darum, alle Akteure evangelischer Hochschularbeit an einen Tisch zu bekommen. Sie sollen eine gemeinsame, zukunftsweisende Handlungsstrategie für eine bessere und stärkere Präsenz der Evangelischen Kirche an der Hochschule entwickeln. Ohne den Ergebnissen im Einzelnen jetzt schon vorgreifen zu wollen, ist u.a. an die Einrichtung eines Hochschulbeirates auf EKD-Ebene gedacht. Dieses Gremium soll - analog zum katholischen Pendant „Forum Kirche & Hochschule“ - Veranstaltungen zu hochschulpolitischen und wissenschaftlichen Themen anbieten.

Ein erster Anfang ist bereits mit den Evangelischen Hochschuldialogen gemacht, die von der Evangelischen Akademikerschaft initiiert worden sind und von der EKD maßgeblich mit gefördert werden. Die bisherigen Ergebnisse sind - cum grano salis - im Wesentlichen positiv, so dass wir auch für dieses und für das kommende Jahr eine finanzielle Förderung in Aussicht stellen. Ich möchte Sie und Ihre ESGn ausdrücklich ermutigen, sich hier aktiv zu beteiligen und Ihre Ideen einzubringen. Die Hochschuldialoge dürfen kein einmaliges Veranstaltungsangebot bleiben. Vielmehr sollen sie Nachhaltigkeit erzeugen – und das heißt: Menschen aus dem akademischen Raum auf die Sache des Glaubens ansprechen. Vor allem diejenigen, die bislang kaum in Berührung mit der Kirche gewesen sind, gilt es verstärkt in den Blick zu nehmen.

Es muss uns auch um die Stärkung evangelischer Verantwortungsbereitschaft gehen. Wenn manche in diesem Zusammenhang sogar wieder an den Begriff der „Elite“ anknüpfen, dann will ich keinen Zweifel daran lassen, in welchem Sinn ich allein diesen begriff der Elite aufzunehmen bereit bin: nämlich im Sinn einer Verantwortungselite. Dazu haben Studierendengemeinden und Akademikerschaft immer wieder beigetragen; darin liegt auch heute eine Schlüsselaufgabe. Wir brauchen in der evangelischen Kirche Menschen, die bereit sind, Leitungsaufgaben zu übernehmen und sich auch in öffentlicher Verantwortung als evangelische Christen erkennbar zu machen. Wir brauchen mehr Verantwortungsbereitschaft in der Zivilgesellschaft wie in demokratischen Parteien und Institutionen; wir brauchen Verantwortungsbereitschaft in der evangelischen Kirche, wenn sie ihrem partizipatorischen Selbstverständnis auch weiter gerecht werden will. Wir brauchen Menschen, die sich über den Zeitraum ihrer akademischen Ausbildung hinaus über das unmittelbare berufliche oder familiäre Umfeld hinaus engagieren und sich dabei als Christen und Christinnen zu erkennen geben. Daran hängt die künftige Präsenz von Protestantismus und Kirche in unserer Gesellschaft in einem erheblichen Maß. Ob es gelingt, künftigen Meinungsführern diese Aufgabe bewusst zu machen, ist ein wichtiger Prüfstein für die Arbeit in evangelischen Studierendengemeinden. Es geht um den Personenkreis, derden gesellschaftlichen Diskurs der Zukunft prägen wird. Ich weiß nicht, ob diese Aufgabe in der Arbeit der Studierendengemeinden schon in ihrer vollen Dringlichkeit im Blick ist; gerade deshalb wollte ich dieses Thema ansprechen.


VIII. Das zukünftige Profil der ESG

Bei der Frage der Stärkung der Präsenz der Evangelischen Kirche an der Hochschule kann der ESG eine zentrale Rolle zukommen, wenn sie dies als Chance zur eigenen Profilierung begreift und annimmt. Allein schon numerisch - und hoffentlich auch qualitativ - ist die ESG doch ein weithin sichtbares Markenzeichen kirchlicher Präsenz an der Hochschule. Aber ihr wächst diese Rolle zukünftig nicht mehr von selbst zu, vielmehr muss sie sich um die Weiterentwicklung ihres Profils bemühen. Sie braucht ein neues, ein erweitertes Selbstverständnis. Ansonsten fürchte ich um die Zukunft der ESG.

Es gilt nicht, das eine, nämlich die Arbeit mit Studierenden, aufzugeben zugunsten eines neuen, nämlich den Dialog mit Forschung und Wissenschaft, sondern beides ist sinnvoll zu verbinden. Mir ist klar, dass Sie in Ihren Studierendenpfarrämtern nicht die ganze Verantwortung für die Wahrnehmung kirchlicher Präsenz an der Hochschule tragen können. Mir geht es hier weniger um ein Zusätzliches, das zu Ihrer bisherigen Arbeit auch noch hinzukommen soll, sondern um einen Perspektivwechsel.

Mein Appell richtet sich im Übrigen auch an die Theologischen Fakultäten. Auch sie sind ein wichtiges Standbein evangelischer und kirchlicher Präsenz an der Hochschule. Wie könnten gemeinsame Konzepte und Handlungsstrategien von ESG und Fakultät aussehen? Es ist jedenfalls nicht einzusehen, dass dort, wo z.B. eine ESG und eine Theologische Fakultät, ein religionspädagogischer Fachbereich oder ein theologisches Institut vorhanden sind, diese nicht eng zusammenarbeiten und ihre Programme und Veranstaltungen aufeinander abstimmen und gemeinsam an die Öffentlichkeit treten.


IX. Der Auftrag der Studierendenpfarrer/innen

Die ESGn sind in hohem Maß Personalgemeinden. Das heißt, dass Sie, die hauptamtlichen Pfarrer/innen, die Arbeit ganz entscheidend durch Ihre Person mitprägen. Nicht zuletzt von Ihnen und Ihrem Geschick hängt es ab, ob und wie erfolgreich junge (und auch ältere) Menschen für die Sache des Glaubens angesprochen und gewonnen werden. Das setzt ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und theologischer wie seelsorgerlicher Kompetenz und Verantwortung voraus.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass derzeit die deutsche Hochschullandschaft einen gravierenden Strukturwandel durchmacht. Der Bologna-Prozess wird einen tiefgreifenden Einschnitt in das Selbstverständnis der Hochschule markieren. Die angestrebte Verkürzung der Studienzeiten wird die ehrenamtliche Betätigung erschweren und somit unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit der ESG haben. Die Einführung von Studiengebühren wird den wirtschaftlichen Druck auf die Studierenden erhöhen, so dass auch dies negative Folgen für das Ausüben eines Ehrenamtes haben wird.

Zugleich kann der ESG aber auch ein neues Interesse zuwachsen. Denn wir werden, wie schon lange in Nordamerika üblich, verstärkt Studierende aus verschiedenen Generationen an der Hochschule erleben. Ich meine damit nicht nur die Generation der Senioren, die nach dem Berufsleben zu ihrem Vergnügen an die Alma mater zurückkehrt. Die ist ja schon heute zahlreich vertreten. Vielmehr richtet sich mein Augenmerk auf Studierende aus der mittleren Generation. Sie haben schon eine Berufsausbildung hinter sich, haben Berufserfahrungen gesammelt und kehren jetzt an die Universität zurück, um ein Zweit- oder Zusatzstudium aufzunehmen. Haben wir diese Menschen überhaupt im Blick? Sie sind doch auch Studierende und wären somit eine potentielle Zielgruppe für die ESG.

Studierendenpfarrer/innen versehen ihren Dienst im Auftrag ihrer Landeskirche. Mitunter jedoch kann ein Eindruck einer gewissen Eigendynamik entstehen. Das gilt für beide Seiten. An die Adresse der Gliedkirchen und ihrer Kirchenleitungen gerichtet, ist zu fragen, ob sie immer in hinreichendem Ausmaß den pfarramtlichen Dienst an der Hochschule begleiten, fördern und zu würdigen verstehen. Auch fehlt es in einigen Landeskirchen bislang an verbindlichen Konzepten für die Arbeit der Kirche an der Hochschule. Das muss behoben werden. Auch hier ist zu hoffen, dass die vom Rat der EKD eingesetzte Arbeitsgruppe möglichst konkrete Vorschläge zur Unterstützung der Hochschularbeit in den Gliedkirchen vorlegen wird.

Zu den konzeptionellen Fragen, die für die Arbeit der Studierendenpfarrer/innen zu beantworten sind, zählen u.a.: Wie lautet die Zielvereinbarung für den pfarramtlichen Dienst an der Hochschule? Was wird von den Pfarrern und Pfarrerinnen an der Hochschule erwartet? Wie werden sie vorbereitet? Wer führt sie in ihr Amt ein? Wo sind sie innerkirchlich angebunden? Welche Unterstützung erfahren sie von ihrer Landeskirche?

Umgekehrt jedoch gilt es auch, der möglichen Gefahr zu wehren, den pfarramtlichen Dienst an der Hochschule in einer gewissen inneren wie äußeren Distanz zur verfassten Kirche auszuüben. Vielmehr sind Sie darin zu bestärken, dass Sie, die Studierendenpfarrer/innen, einen wesentlichen und unverzichtbaren Dienst für die gesamte Kirche an der Hochschule wahrnehmen. Dafür sei Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich und herzlich gedankt.


X. Schlussbemerkung

Ich habe versucht, eine Positionsbestimmung für die Aufgaben der ESG vorzunehmen. Sie muss sich m.E. perspektivisch öffnen für den gesamten Bereich der Hochschule, ohne dabei ihre Herkunft zu leugnen und weiterhin Ansprechpartner für die Studierenden zu sein. Das ist und bleibt eine wesentliche Zielgruppe. Aber auf diese Zielgruppe darf sie sich nicht allein beschränken, will sie im Diskurs der Hochschule angemessen wahrgenommen und gehört werden. Das aber muss unser gesamtkirchliches Interesse sein. Die Studierendenpfarrer/innen nehmen hier eine Brückenfunktion an einer wichtigen Schaltstelle unserer Gesellschaft ein. Der Dialog der Kirche mit Wissenschaft und Hochschule muss verstärkt werden. Das eine tun, ohne das andere zu lassen, das ist mein Wunsch an Ihre Tätigkeit an der Hochschule. Sie versehen einen wichtigen Dienst im Auftrag der Kirche. Sie hierin zu bestärken und Sie gleichzeitig zu neuen Schritten zu ermutigen, war und ist meine Absicht. Deshalb habe ich gern die Einladung zu Ihrer diesjährigen Studierendenpfarrkonferenz angenommen. Mein Kommen soll Ihnen mein hohes Interesse an diesem Aufgabenbereich unserer Kirche signalisieren. Vielen Dank!