Grußwort der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Feier der Wiederöffnung der Johannes a Lasco-Bibliothek in der Großen Kirche Emden

Hermann Barth

Verehrte Herren Präsidenten, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

hochgeschätzte, liebe Gäste!

Auch für die Evangelische Kirche in Deutschland ist dies ein Freudentag. Mit der Evangelisch−reformierten Kirche, mit dem reformiert geprägten Protestantismus in ganz Europa, mit der Stadt Emden, mit denen, die zu Forschungszwecken hierher kommen, mit den Liebhabern des schönen Buchs freut sie sich von ganzem Herzen mit, dass die Johannes a Lasco−Bibliothek wiedereröffnet werden kann. Als diese Bibliothek 1995 eröffnet worden war, sprach es sich schnell herum: Sie ist ein Juwel. In ihr sind eine reich bestückte Bibliothek, eine leistungsfähige Forschungsstätte und ein stilvoller Versammlungsort unter einem Dach vereint. Wir sind alle von Herzen froh, dass das Juwel wieder funkelt.

Wir müssten uns allerdings gewaltig verstellen, wenn wir so tun wollten, als sei das die ganze Wahrheit. Hinter dem Begriff der Wiedereröffnung steht eine dramatische und schmerzvolle Geschichte. Die Johannes a Lasco−Bibliothek ist innerhalb der vergangenen knapp zwei Jahre durch eine lebensgefährliche Krise hindurchgegangen. Es konnte, ja, es durfte nicht ausbleiben, dass danach gefragt wurde, wer dafür die Verantwortung trägt. Uns muss daran gelegen sein, übertragene Verantwortung ernst zu nehmen. Das gilt für die damit verbundene Kompetenz, Entscheidungen zu treffen und den eigenen Gestaltungsspielraum zu nutzen. Es gilt aber im Falle von Fehlentscheidungen und des Misslingens auch dafür, sich diese negative Entwicklung zurechnen zu lassen und für sie geradezustehen. Heute ist weder der rechte Ort noch der rechte Zeitpunkt, um den Ausgang anhängiger rechtlicher Verfahren vorwegzunehmen oder gar in Missachtung dieser Verfahren eigene Bewertungen vorzunehmen. Bereits vollzogen ist die grundlegende Reform der Leitungs− und Kontrollgremien der Bibliotheksstiftung. Sie sind jetzt so aufgestellt, dass sie ihrer aufsichtlichen Rolle wirkungsvoller als bisher nachkommen können.

Dass es gelungen ist, das Stiftungskapital weitgehend zu restituieren, ist hocherfreulich. Dies verdankt sich vor allem einem Kraftakt der Gemeinschaft der Gliedkirchen der EKD. Wir haben uns im Zeitalter sei es boomender sei es kränkelnder Finanzmärkte daran gewöhnt, leichthin über astronomische Summen zu reden. Da wirkt es aufs erste nicht besonders spektakulär, wenn die Gemeinschaft der Gliedkirchen der EKD zur Erhöhung des Stiftungskapitals  gut 7 Mio. Euro aufbringt. Aber ich kann Ihnen versichern: Jeder einzelnen der beteiligten Gliedkirchen und auch der EKD fiele es leicht, ein paar Vorhaben zu benennen, in die das Geld hätte fließen können − wenn es für die Bibliotheksstiftung in Emden nicht dringender gebraucht worden wäre. In dieser Prioritätensetzung kommt auch zum Ausdruck, dass es sich die Gemeinschaft der Gliedkirchen etwas kosten lässt, ein profiliert reformiertes Element wie die Johannes a Lasco−Bibliothek zu erhalten und zu stärken.

Der reformierte Anteil an der Evangelischen Kirche in Deutschland ist quantitativ eher bescheiden. Aber der deutsche Protestantismus weiß − hoffentlich −, was er qualitativ am reformierten Erbe hat. Ich persönlich bin jedenfalls dankbar für alles, was ich in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Glied der reformierten Gemeinde in Hamburg−Altona und als Vikar der Evangelisch−reformierten Kirche an reformiertem Geist mitbekommen habe. Mir würde regelrecht etwas fehlen, wenn es in meiner Biographie und Berufsbiographie diesen reformierten Abschnitt nicht gäbe. Aber so verkörpere ich mit meiner Mischung von pfälzischem Ursprung, reformiertem Zwischenspiel und mittlerweile einem Vierteljahrhundert der Zugehörigkeit zur Evangelisch−lutherischen Landeskirche Hannovers das perfekte Verbindungsmodell. Kann es für einen Präsidenten des Kirchenamtes der EKD eine bessere Grundlage geben, sein Amt auszuüben?

Es ist noch keine zwei Jahre her, seit die beängstigende finanzielle Schieflage der Johannes a Lasco−Bibliothek bemerkt wurde. Finsterste Ahnungen gingen damals um. Und heute? Die Bibliothek hat wieder ein solides finanzielles Fundament. Ihre Konzeption ist neu gefasst und wird noch erweitert werden. Ihre Nutzung ist in einen Zusammenhang mit dem gesamten Protestantismus in Deutschland, mit der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa und mit dem europäischen und dem weltweiten Reformiertentum eingebettet. Das verhindert eine regionale Binnenorientierung, beugt jedem reformierten Konfessionalismus, sofern er über-haupt aufkommen sollte, vor und schafft die Voraussetzungen für eine überkonfessionelle und internationale Vernetzung.

So kann man sagen: Die Wiedereröffnung vollzieht sich − o Wunder − sogar unter günstigeren Voraussetzungen als die Eröffnung vor 15 Jahren. Manchmal muss es offenbar bis hart an den Rand eines tödlichen Absturzes gehen, damit die Kräfte des Umsteuerns und der Konsolidierung geweckt werden.

Hier in dieser Bibliothek hängt ein von einem unbekannten niederländischen Meister gemaltes Porträt Johannes a Lascos. An drei Stellen sind Texte in das Bild eingefügt, darunter das Zitat aus Psalm 116, 10: Credidi proinde et loquor ("Ich glaube, darum rede ich"). So spricht in diesem Psalm der aus Todesgefahr errettete Beter. Ich bin so kühn, die Johannes a Lasco−Bibliothek in dem Beter personalisiert zu sehen. Dann liest sich der Psalm wie ein Lobpreis dafür, dass die Bibliothek, die wie gesagt durch eine lebensgefährliche Krise hindurchgegangen ist, uns erhalten bleibt:

"Ich liebe den Herrn, denn er hört die Stimme meines Flehens ...

Stricke des Todes hatten mich umfangen, des Totenreichs Schrecken hatten mich getroffen;

ich kam in Jammer und Not. Aber ich rief an den Namen des Herrn ...

Der Herr ist gnädig und gerecht, und unser Gott ist barmherzig ...

Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der Herr tut dir Gutes.

Du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen,
meinen Fuß vom Gleiten. Ich werde wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen.

Ich glaube, darum rede ich."

Wenn uns schon die Bewahrung und Rettung einer Bibliothek zu Zeugen Gottes macht, um wie viel mehr tut das die Erfahrung, die wir in dieser österlichen Zeit in unserem persönlichen Leben und im Leben der christlichen Gemeinde machen:

"Ich glaube, darum rede ich."