Wie medienfähig ist die Kirche?

Hermann Barth

Institut für Praktische Theologie der Ev.-Theologischen Fakultät in München

Vortrag in der Vorlesungsreihe "Medienethik: Faszination und Verblendung"


Wie medienfähig ist die Kirche? Über diese Frage muss aus unterschiedlichen Perspektiven nachgedacht und Auskunft gegeben werden: von Journalisten, von Medienfachleuten, aus dem Blickwinkel derer, die die Medien nutzen, von denen, die die Kirchen in den Medien repräsentieren, aber auch von den Kirchenmitgliedern, die - ob sie es wollen oder nicht - von ihrer Kirchenleitung in der Öffentlichkeit repräsentiert werden. Ich kann das nicht alles gleichzeitig leisten. Ich kann und will nur über das reden, was ich aus eigener Anschauung und beruflicher Erfahrung kenne. Seit gut 15 Jahren arbeite ich denen zu, die für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in den Medien vorkommen und agieren, also insbesondere der Synode, dem Rat, dem Vorsitzenden des Rates und den Kammern und Kommissionen, die der Rat zu seiner Beratung einrichtet. Gelegentlich verlasse ich auch diese Zuarbeiter- und Beraterrolle und werde selbst zum Akteur auf der medialen Bühne.

Es ist dieser - begrenzte - Blickwinkel, aus dem heraus ich Antworten auf die gestellte Frage zu geben versuche. Die Frage nach der Medienfähigkeit der Kirche lässt sich auch so formulieren und zuspitzen: Was sind es für Kompetenzen, die die Kirchen in der Mediengesellschaft brauchen?

Ich habe den Stoff in vier Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt warnt davor, die Bedeutung der Medien für die Menschen und auch für die kirchliche Arbeit zu überschätzen: Die Mediengesellschaft ist nur ein Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit der Menschen. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, in welchem Maße es beim Auftritt in den Medien auf Sachkompetenz ankommt: Ohne Sachkompetenz ist alles nichts, aber Sachkompetenz ist nicht alles. Der dritte Abschnitt führt diesen Gedanken fort und beschreibt den inszenatorischen Anteil jeder medialen Präsenz: Sachkompetenz muss in den Medien in Szene gesetzt werden. Der vierte Abschnitt schließlich rückt zwei besondere Aspekte dieser Inszenierung in den Blickpunkt: Zur gelungenen Inszenierung von Sachkompetenz gehört die Wahl des richtigen Zeitpunkts und des geeigneten Mediums.

I. Die Mediengesellschaft ist nur ein Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit der Menschen.

"Mediengesellschaft" ist ein neuerer Begriff. In ihm kommt zum Ausdruck, dass die Medien - zunächst die Printmedien, in einem noch weiter zunehmendem Umfang aber vor allem die elektronischen Medien - die Gesellschaft der Gegenwart und der voraussehbaren Zukunft in erheblichem Maße prägen und bestimmen: Sie beherrschen die öffentliche Kommunikation, sie - und nicht die Parlamente - sind die entscheidende Bühne für das politische Geschehen, und sie sind auch in der privaten Sphäre nahezu allgegenwärtig. Das SZ-Magazin hat in seiner Ausgabe vom 23. Februar 2001 (S. 26-29) einige Zahlen darüber mitgeteilt, wie viel von seiner täglichen Zeit der Durchschnittsdeutsche für welche Tätigkeiten aufwendet: 40 Minuten liest jeder Deutsche über 14 Jahren täglich in einem Buch, 209 Minuten hört jeder Deutsche täglich Radio, 190 Minuten verbringt er täglich vor dem Fernseher, 92 Sekunden wendet er sich täglich dem Videotext zu, 91 Minuten ist jeder deutsche Internet-Nutzer täglich online.

Zwischen den verschiedenen Medien und ihren Wirkungen auf das persönliche und das öffentliche Leben bestehen gravierende Unterschiede. Sie können hier nur angedeutet und nicht ausgeführt werden. Besonders folgenreich ist die Verschiebung von den Printmedien hin zu den elektronischen Medien. Der Protestantismus ist von seinen Ursprüngen her eng mit der Buchkultur verbunden. Zwischen der geistigen Haltung, mit der ein Buch rezipiert und anverwandelt wird, und der geistigen Haltung, die der Konsum von Fernseh-Vorabendserien, Zeichentrickfilmen und Videoclips voraussetzt und hervorbringt, liegen Welten. Dies festzustellen heißt nicht automatisch, in einen sterilen Kulturpessimismus zu verfallen. Für den Umgang des Protestantismus mit kulturellen Entwicklungen ist immer beides in Anschlag zu bringen: Gestaltung und Kritik. Das Element der Gestaltung zielt darauf ab, sich für die Erfüllung des kirchlichen Auftrags auch der zeitgemäßen Medien zu bedienen; es geht darum, nicht den Verlust oder die zurückgegangene Bedeutung vertrauter Medien zu betrauern, sondern die spezifischen Möglichkeiten der gegenwärtigen Medienlandschaft entschlossen zu nutzen. Das Element der Kritik verpflichtet allerdings dazu, faktische Entwicklungen nicht einfach hinzunehmen, sondern ihre Auswirkungen auf die persönliche und öffentliche Kommunikation sorgfältig zu prüfen und nötigenfalls auch zu versuchen, schädliche Entwicklungen zu beeinflussen und zu verändern.

Auch die laufende Öffentlichkeitskampagne der EKD ist ein Versuch, bei der Erfüllung des kirchlichen Auftrags mit zeitgemäßen Medien zu arbeiten. Seit März dient - vor allem mit Hilfe von Großplakaten und Anzeigen - Monat für Monat eine neue Frage als Anknüpfungspunkt für das Gespräch mit denen, die sich der Kirche und den Glaubensthemen entfremdet haben: Woran denken Sie bei Ostern? Ist der Mensch nur soviel wert, wie er verdient? Was ist Glück? Die bisher gemachten Erfahrungen sind durchaus ermutigend. Aber - was nicht überraschend ist - sie lassen schon jetzt erkennen, dass wir bei der Nutzung solcher medialen Mittel noch üben und dazulernen müssen.

Dass die Mediengesellschaft nur einen Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit der Menschen darstellt, ist eine Banalität. Die Medien sind für das persönliche und für das öffentliche Leben zwar ein gewichtiger, aber nicht der einzige und nicht einmal der beherrschende Faktor. Auch in der Mediengesellschaft suchen die Menschen die Begegnung mit der Natur. Ihr Wohl und Wehe ist viel mehr von ihren Beziehungen zu anderen Menschen - in der Familie, am Arbeitsplatz, bei den Freizeitaktivitäten oder im Wohnviertel - als von den Medien abhängig. Sie müssen sich mit Krankheit, Versagen, Schuld und Tod auseinandersetzen. Alle genannten Dimensionen des Lebens kommen auch in den Medien vor. Aber sie werden von ihnen nicht aufgesogen, sondern das wirkliche Leben behält gegenüber dem medial vermittelten seine ursprüngliche Dichte und Wucht.

Kirchen und kirchliche Vertreter, die sich diesen Sachverhalt nicht genügend klar machen, sich vielmehr beeindrucken und blenden lassen von der Allgegenwart der Medien, können in die Gefahr geraten, die Frage nach kirchlichen Kompetenzen in der Mediengesellschaft zu verwechseln mit der Frage nach aktuellen kirchlichen Kompetenzen überhaupt. Darum sei an dieser Stelle ausdrücklich festgehalten: Die Frage, der dieser Vortrag nachgeht, gilt einem Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit der Menschen und darum auch nur einem Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit und den Aufgaben der Kirchen. Die Kirchen haben den Menschen mit einem angefochtenen Gewissen den Trost des Evangeliums auszurichten, sie haben die Menschen zu lehren, was Gottes Gebot ist, sie haben für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einzutreten, sie sollen in ihren Gottesdiensten die Gegenwart des kommenden Reiches Gottes feiern. All das kommt auf die eine oder andere Weise auch in der medialen Präsenz des Wortes Gottes und der Kirchen vor. Aber es geht darin nicht auf. Ebenso wie hier nach den Kompetenzen der Kirchen in der Mediengesellschaft gefragt wird, ist an anderer Stelle und mit entsprechender Intensität über die Kompetenzen nachzudenken, die die Kirchen auf anderen Feldern benötigen.

II. Ohne Sachkompetenz ist alles nichts, aber Sachkompetenz ist nicht alles!

Diese Feststellung darf nicht so missverstanden werden, als werde die Sachkompetenz gering geschätzt. Im Gegenteil - die Medien sind heute voll von Geschwätzigkeit und Schaumschlägerei, sie brauchen Beiträge mit inhaltlichem Gewicht. Die Vervielfachung des Angebots, vor allem in den elektronischen Medien, hat zu einem Mangelzustand geführt. Manchmal scheint es so, als fehlten genügend Fernsehkanäle, um alle Programmanbieter zum Zuge kommen zu lassen. In Wirklichkeit besteht ein akuter Mangel an Inhalten, um die vorhandenen Kanäle mit ihrem Rund-um-die-Uhr-Angebot in einer akzeptablen Weise zu füllen. Insofern ist Sachkompetenz in starkem Maße gefragt.

Aber worin besteht die Sachkompetenz der Kirchen? Was haben sie zu bieten? Die Antwort hat eine formale und eine materiale Seite:

  • In formaler Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass die Kirchen in den Medien weit überwiegend nicht als Institutionen, sondern über einzelne Personen, die - mit oder ohne ausdrückliches Mandat - für die Kirchen stehen, vorkommen. Es ist darum nicht hilfreich, pauschal und umfassend über die Sachkompetenz der Kirchen zu sprechen und die so beschriebene Sachkompetenz dann den einzelnen Personen abzuverlangen. Keine einzelne Person, die eine Kirche repräsentiert, ist auf allen Gebieten gleichermaßen kompetent. Vielmehr hat jeder und jede spezifische Begabungen und Schwerpunkte. Es gibt zwar einige "Universalisten", die ihre Kirche auf nahezu jedem Gebiet in den Medien mit Geschick vertreten können. Aber im allgemeinen empfiehlt es sich, auf die je besonderen Profile Rücksicht zu nehmen und sich nicht selbst zu überfordern oder sich überfordern zu lassen.
     
  • In materialer Hinsicht kommt es darauf an, die kirchliche Identität erkennbar werden zu lassen, also die kirchliche Kernkompetenz zur Geltung zu bringen. Dies ist der Faktor, der den vielstimmigen Chor kirchlicher Einzelstimmen zusammenhält oder jedenfalls zusammenhalten sollte. Das ist nicht schon damit abgegolten, dass die Bibel zitiert wird - auch wenn das nicht geringzuschätzen ist. Vielmehr muss erkennbar werden, dass hier eine Sicht zu Wort kommt, die den Menschen und die Welt coram Deo, also in ihrer Beziehung zu Gott betrachtet. Das lässt sich - was hier nicht im Detail geschehen kann - näher entfalten im Blick auf ihre Geschöpflichkeit, die Wegweisung zu einem guten Leben, die nicht durch eigene Taten zu erwerbende oder durch Untaten zu verlierende, wohl aber in der Lebenspraxis zu bewährende Würde des Menschen oder, um ein letztes Beispiel zu nennen, die Zukunft des menschlichen Lebens und der geschöpflichen Welt durch Tod und Vergänglichkeit hindurch. Wenn eine kirchliche Stimme in den Medien ihre kirchliche Identität vergisst, versteckt oder verleugnet, trägt sie faktisch dazu bei, sich in den Medien überflüssig zu machen. Denn es ist auf die Dauer nicht einzusehen, warum eine Stimme zu Wort kommen soll, die keinen anderen Aspekt beizutragen hat als die Stimmen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen. Man darf dieses Kriterium allerdings, insbesondere bei der Diskussion ethischer Fragen, nicht zu eng und zu streng anwenden - als müsste sich die kirchliche Stimme durchgängig von den anderen Stimmen abheben und als dürfte sie nichts von dem wiederholen oder vorwegnehmen, was genauso gut auch andere Stimmen beitragen können. Das Reservoir ethischer Argumentation ist endlich. Bei der Diskussion über das militärische Eingreifen im Kosovo oder in Afghanistan, die Präimplantationsdiagnostik oder die BSE-Krise muss eine kirchliche Stimme, so sehr sie sich explizit von theologischen Grundentscheidungen leiten lässt und auf praktische Erfahrungen der kirchlichen Arbeit bezieht, im Detail doch auf dieselben Beobachtungen, Evidenzen und Denkfiguren rekurrieren wie andere am Diskurs beteiligte Stimmen.


Es ist offenkundig: Wer als Repräsentant der Kirchen in den Medien auftritt, braucht Sachkompetenz. Aber mit Sachkompetenz allein kann niemand in den Medien bestehen. Das fängt schon damit an, dass Sachkompetenz allein noch keinen Zugang zu den Medien gewährleistet. Ein hervorragendes Beispiel für diesen Sachverhalt sind die Denkschriften oder denkschriftenähnlichen Texte der EKD. Ohne ihnen pauschal hohe Qualität zuzubilligen - es sind durchaus auch Texte darunter, die schon zum Zeitpunkt ihrer Entstehung suboptimal waren oder über die die Zeit hinweggegangen ist -, kann doch mit Fug und Recht behauptet werden, dass sich unter ihnen viele gelungene, bis zum heutigen Tag wegweisende Ausarbeitungen finden. Gern wird in diesem Zusammenhang auf die Ostdenkschrift von 1965 verwiesen, die ihre Wirkung allerdings weniger radikalen Formulierungen als vielmehr dem Zusammenspiel von Inhalt und historischem Kontext verdankt: Sie war zu ihrer Zeit ein Tabubruch, also ein Skandal; auf diesen Aspekt ist noch zurückzukommen. Unter den neueren Texten denke man nur an die Friedensdenkschrift von 1981, die Demokratiedenkschrift von 1985, die Studie zur Gentechnik "Einverständnis mit der Schöpfung" von 1991, die Wirtschaftsdenkschrift von 1991, die Denkschrift über den Religionsunterricht "Identität und Verständigung" von 1994 oder die gemeinsame kirchliche Erklärung zu den Aufgaben beim Schutz des Lebens "Gott ist ein Freund des Lebens" von 1989. Man kann all diesen Texten hohe Sachkompetenz bescheinigen, und man kommt dennoch nicht um die Feststellung herum, dass sie in den Medien nur sehr verhalten aufgenommen wurden und, wenn überhaupt, nur ein kurzes Strohfeuer der Aufmerksamkeit entfachten.

Die unbefriedigende Resonanz der Denkschriften und denkschriftenähnlichen Texte hat mit dazu beigetragen, dass im letzten Jahrzehnt in zwei Fällen eine methodische Innovation ausprobiert wurde. Die Denkschriften und denkschriftenähnlichen Texte entstehen, vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen, in plural zusammengesetzten Kommissionen von Fachleuten und werden nach in der Regel jahrelanger Vorbereitung dann von einem Tag auf den anderen der Öffentlichkeit präsentiert. Die Möglichkeiten der Partizipation für die Mitglieder der Kirche, für einen weiteren Kreis von Fachleuten, für Verbände und für die Öffentlichkeit im ganzen sind äußerst gering. Hier setzt das Verfahren eines gestuften Konsultationsprozesses an. Eine von einer Kommission vorbereitete Ausarbeitung fungiert als Impulspapier. Er wird in einem ausführlichen Konsultationsprozess zur Diskussion gestellt. Erst am Ende des Konsultationsprozesses und unter Berücksichtigung der dabei gemachten Erfahrungen und dazu eingegangenen Voten entsteht ein (vorläufig) abschließender Text. Die evangelische und katholische Kirche haben zwischen 1994 und 1997 einen solchen Konsultationsprozess zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland durchgeführt und mit dem Wort "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit " abgeschlossen. Die EKD und die evangelischen Freikirchen haben 1999 einen Konsultationsprozess zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur initiiert, der seinen Abschluss in diesem Jahr finden wird.

Der Blick auf die beiden Konsultationsprozesse bestätigt die Diagnose: Für eine hohe Sachkompetenz kirchlicher Texte zu sorgen ist zwar unerlässlich, aber dies allein gewährleistet noch keineswegs, dass die kirchliche Stimme in den Medien Beachtung findet und über ein kurzes Strohfeuer hinaus Wirkungen entfaltet. Der Konsultationsprozess zur wirtschaftlichen und sozialen Lage hat im Sommer 1994 Schlagzeilen gemacht, weil der durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangte Entwurf des Impulspapiers im Bundestagswahlkampf instrumentalisiert wurde und Ärgernis erregte. Der Pegel der Aufmerksamkeit blieb auch nach der Veröffentlichung des Impulspapiers relativ hoch, weil der Konsultationsprozess der Natur der Sache nach nicht im Verborgenen abläuft, sondern, auch für die Medien, eine gewisse Transparenz und Partizipation ermöglicht und weil er keine innerkirchliche Angelegenheit blieb, sondern von den politischen Parteien, den Tarifpartnern, den Verbänden und auch der Wirtschaftswissenschaft als Unterstützung oder als Gefahr wahrgenommen und behandelt wurde. Die genannten Aspekte beziehen sich allesamt nicht oder nur mittelbar auf den Umstand, dass sich die Kirchen in diesem Fall mit Sachkompetenz öffentlich engagiert hatten. Um in der Mediengesellschaft eine Rolle zu spielen, bedarf es über die Sachkompetenz hinaus offenkundig weiterer Kompetenzen. Um sie soll es in den beiden folgenden Abschnitten gehen.

III. Sachkompetenz muss in den Medien in Szene gesetzt werden.

Zu den vorzüglichen Einrichtungen der evangelischen Publizistik gehört das Medientraining, das vor allem den auf der kirchlichen Leitungsebene tätigen Personen seit vielen Jahren angeboten wird. Spitzenjournalistinnen und -journalisten üben mit einer kleinen Gruppe in der Form eines intensiven Workshop kürzere und längere Statements und Interviews. Auch unter Kirchenvertretern gibt es - selten - mediale Naturtalente. Im allgemeinen fangen sie als mediale Laienschauspieler an und sind auf Professionalisierung angewiesen. Das lässt sich am Medientraining veranschaulichen:

1. Die Professionalität fängt bei Äußerlichkeiten an: der Bekleidung, der Körperhaltung, der Sprechweise, dem Fernsehaufnahmenhintergrund, der Kameraperspektive. Es geht, kurz gesagt, um die Kompetenz des professionellen Auftritts.
 

2. Beim Medientraining werden die Übungen aufgezeichnet und der kleinen Gruppe zum Zwecke der Manöverkritik vorgespielt. Dies ist eine schonungslose Konfrontation mit den eigenen Unzulänglichkeiten. Eine für Theologen und Kirchenleute besonders peinliche Unzulänglichkeit ist ihre komplizierte, umständliche, unverständliche Sprache. Sie erleben im Medientraining bei sich und den anderen, wie nötig die Kompetenz der Elementarisierung ist.
 

3. Eine der interessantesten Übungen beim Medientraining ist es, sich zur selben Thematik in einer Länge von 3, 1"30 und 0"30 Minuten zu äußern. Gerade in kirchlichen und theologischen Kreisen gibt es eine Neigung zur Weitschweifigkeit. Auch für die Länge von Äußerungen gilt: Alles zu seiner Zeit. Unerlässlich ist in jedem Fall die Kompetenz der knappen und präzisen Äußerung.

Professionalisierung ist eine Ausbildungs- und Fortbildungsaufgabe. Darum ist das Medientraining auch nicht als einmaliger Schnupperkurs, sondern auf Wiederholung angelegt. Auch die weiteren Kompetenzen, die benötigt werden, um Sachkompetenz in wirkungsvoller Weise in Szene zu setzen, können gelernt werden. Sie gehen jedoch über Fertigkeiten, die in intensivem Training angeeignet werden, hinaus und setzen langfristige, sowohl von einzelnen Personen als auch von kirchlichen Leitungsgremien zu leistende Mentalitätsveränderungen voraus. Im Anschluss an die bereits genannten drei Kompetenzen, die sich auf die Professionalität medialer Präsenz beziehen, seien - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - noch die folgenden genannt:

4. Visualisierung: Die evangelische Kirche versteht sich gern als "Kirche des Wortes". Aber dabei ist mitnichten allein an den Hörsinn zu denken. So sehr das Alte und das Neue Testament ein besonderes Gewicht, ja einen Vorrang des Hörens begründen können (vgl. 1. Könige 19,11ff; Römer 10,17), so wenig dürfen die anderen menschlichen Sinne und gerade auch das Sehen unbeachtet bleiben. Das "Wort" ist schließlich "Fleisch geworden", "und wir sahen (!) seine Herrlichkeit" (Johannes 1,14). In den Medien spielen heutzutage die Bilder eine wachsende Rolle, übrigens nicht nur in den elektronischen Medien, sondern etwa wenn man an die Entwicklung bei den Magazinen und selbst bei den Tageszeitungen denkt, zunehmend auch in den Printmedien. Die Kirche braucht darum eine höhere Kompetenz, ihre Botschaft zu visualisieren. Ein gelungenes Beispiel war die Ökumenische Feier zur Jahrtausendwende am Samstag vor dem 1. Advent 1999 vor der Frauenkirche in Dresden, die in enger Kooperation zwischen Vertretern der Kirchen und Redakteuren des ZDF vorbereitet wurde. Im kleinen Maßstab steht aber jeder normale Fernsehgottesdienst vor der Aufgabe, die mit diesem Medium gegebenen Chancen der Visualisierung zu nutzen.

5. Personalisierung: In den Medien müssen eine bestimmte Nachricht oder eine bestimmte Aussage möglichst einen Namen und ein Gesicht haben. Mit anderen Worten: Die Medien drängen (objektiv wie subjektiv) auf Personalisierung. Die evangelische Kirche tut sich allerdings schwer mit der Personalisierung. Von ihrem Kirchen- und Amtsverständnis her hat jeder ihrer Repräsentanten oder Repräsentantinnen nur einen Auftrag auf Zeit. Die Leitung der Kirche geschieht durch die Verkündigung des Wortes Gottes. Darum besteht eine deutliche Scheu, einzelne Führungsfiguren besonders herauszustellen. Im einen oder anderen Fall mögen zusätzlich allzu bekannte menschliche Schwächen - wie Missgunst oder "Platzhirsch"-Verhalten - hinderlich im Wege stehen. Aber die evangelische Kirche hat in der Mediengesellschaft gar keine Alternative zu einer bewussten Bejahung und vernünftigen Inanspruchnahme des Mittels der Personalisierung. Unter dem Gesichtspunkt der Kirchenordnung ist es - und bleibt es - selbstverständlich ein Unterschied, ob eine bestimmte Aussage von der Synode oder vom Rat der EKD insgesamt autorisiert oder ob sie allein vom Vorsitzenden des Rates verantwortet wird. Aber die innerkirchlichen Differenzierungen - die weiterhin unerlässlich sind - werden von den Medien kaum transportiert und von der durch die Medien informierten Öffentlichkeit so gut wie gar nicht wahrgenommen. Schon die Interviewäußerung eines Oberkirchenrats im Kirchenamt der EKD führt unter Umständen zu der Meldung: "EKD erklärt ...". Die Personalisierung ist ein in den modernen Medien derart gewichtiges strukturierendes Prinzip, dass die evangelische Kirche gut beraten ist, wenn sie schon bei der Auswahl ihres Führungspersonals die Fähigkeit mit (!) im Auge hat, ob und in welchem Maße den in Betracht kommenden Personen zuzutrauen ist, ihre Kirche auch medial wirkungsvoll zu vertreten.

6. Emotionen ansprechen: Argumentationskraft und intellektuelle Brillanz sind wunderbare Gaben Gottes. Aber viele Menschen werden nicht - oder jedenfalls nicht allein - auf der intellektuellen Ebene erreicht, sondern sind am besten auf der Gefühlsebene ansprechbar. Es ist gar nicht selten der Fall, dass Menschen in einer Gesprächssituation ihrem Gegenüber argumentativ nichts mehr entgegenzusetzen haben und doch nicht überzeugt worden sind. Empfindungen und Gefühle sind stärker als Argumente. Wer andere Menschen gewinnen will, darf nicht allein auf die "kalte" Intellektualität setzen, sondern muss sie den "Wärmestrom" der Gefühle spüren lassen. Damit kann Schindluder getrieben werden - sei es, dass Kitsch herauskommt, sei es, dass mit psychologischer Raffinesse Manipulation ausgeübt wird. Doch das ist keine zwingende Folge. Das menschliche Gemüt hat eine emotionale Seite, und es ist darum von der Sache geboten und auch in verantwortlicher Weise möglich, diese emotionale Seite anzusprechen.

7. Mit dem Konflikt arbeiten: Konflikte sind häufig anstrengend und manchmal zerstörerisch. Darum ist es verständlich, wenn kirchenleitende Personen über die für die Öffentlichkeit sichtbare Austragung von Konflikten unglücklich sind und danach streben, solche Konflikte rechtzeitig zu entschärfen oder sie zu verbergen. Das gilt sowohl für innerkirchliche Konflikte als auch für Konflikte zwischen Kirche und Politik. Die Frage ist berechtigt: Wie viele Konflikte kann sich die evangelische Kirche leisten?

Auf der anderen Seite leidet es keinen Zweifel, dass Konflikte bei den Medien ein hohes Interesse finden und ein bevorzugter Gegenstand der Berichterstattung sind. Das müssen sich die Kirchen auch zunutze machen. In den Fällen, in denen eine Sache Ärgernis erregt und zu einem heftigen Streit eskaliert, hat es für die Kirchen sicherlich eine unangenehme Seite, wenn sich die Medien dieses Themas annehmen. Aber darin steckt fast immer zugleich die Chance, öffentliche Aufmerksamkeit zu finden und die durch den Konflikt hervorgerufene Aufmerksamkeit als Resonanzboden für die Weitergabe der eigenen Botschaft zu nutzen. Wolfgang Trillhaas wird der Ausspruch zugeschrieben, die eigentliche Kirchenverfolgung bestehe nicht darin, dass die Kirche bedrängt, sondern dass von ihr nicht mehr gesprochen wird.

Es darf sicher nicht leichtfertig geschehen, aber unter bestimmten Umständen kann es klug und verantwortbar sein, durch einen inszenierten Konflikt Aufmerksamkeit für die kirchliche Position zu schaffen. Die Veröffentlichung eines nicht-autorisierten Textes aus dem Konsultationsprozess der wirtschaftlichen und sozialen Lage im Sommer 1994 war, wie im Nachhinein erkennbar wurde, ein inszenierter Konflikt, allerdings nicht in Szene gesetzt durch die Kirchen selbst, sondern durch eine große politische Partei, die den Text als Instrument der Kritik an der damaligen Regierungskoalition nutzte. Den Kirchen war jener Streit zunächst sehr unangenehm und peinlich, aber er hat den Konsultationsprozess in eine überaus wirkungsvollen Weise angetrieben und gefördert. Selbst da, wo am Anfang nur Belastungen und Beschädigungen sichtbar sind, die der Kirche durch einen Konflikt oder Skandal zugefügt werden (man denke nur an den Aufruhr um die Schwangerschaftskonfliktberatung in der römisch-katholischen Kirche oder, im kleineren Maßstab, um die Entschädigung von Zwangsarbeitern), lässt sich am Ende auch eine (teilweise) positive Bilanz ziehen: Durch den Konflikt ist die Kirche sichtbarer und interessanter geworden.

8. Kooperation: Die Kirchen können sich in der Mediengesellschaft nicht allein auf sich selbst verlassen, wenn sie öffentlich wahrgenommen werden wollen. Sie sind auf Kooperation angewiesen: zum einen Kooperation mit weiteren gesellschaftlichen Gruppen, zum anderen Kooperation mit den Medien selbst.

Bei der Kooperation mit gesellschaftlichen Gruppen stellt sich zweifellos das Problem, ob und in welchem Umfang das kirchliche Profil klar erkennbar bleibt. Aber es gibt durchaus Themen, bei denen dieses Problem nur einen begrenzten Stellenwert hat und das Zusammenwirken mit Bündnispartnern die Erfolgsaussichten des kirchlichen Anliegens erheblich erhöht. Ein positives Beispiel ist die Öffentlichkeitskampagne für die Erhaltung des Sonntagsschutzes in den Jahren 1999/2000.

Die Kooperation mit den Medien muss lange vor einer Situation mit aktuellem Handlungsbedarf etabliert worden sein. Man kann das als aktive Vertrauensbildung beschreiben. Dazu gehört es, dass intakte, vertrauensvolle Beziehungen aufgebaut und gepflegt werden. Auf diese Weise wird wechselseitig ein Vertrauensvorschuss eingeräumt: Die Kirchen brauchen verlässliche Gesprächspartner in den Medien, und die Journalisten brauchen verlässliche Gesprächspartner in den Kirchen. Redaktionsbesuche und Pressehintergrundgespräche sind zwei der Instrumente, die zu nutzen für die Kirchen unentbehrlich geworden ist.

Kooperation muss sich auf der kirchlichen Seite heute aber auch darin zeigen, dass für die Journalisten manche Sachverhalte vorgearbeitet und aufbereitet werden. Viele kirchliche Themen und Zusammenhänge sind kompliziert und ohne spezielle Vorkenntnisse schwer zugänglich. Es kann auch einfach eine Frage des Zeitaufwands sein: Nicht sehr viele unter den Journalisten können sich die Zeit nehmen, etwa eine Denkschrift gründlich durchzuarbeiten und auf die wesentlichen Punkte zu komprimieren. Kirchliche Vor- und Zuarbeit muss in diesem Zusammenhang einen strikt dienenden Charakter haben. Kein Journalist lässt sich vorschreiben, was er oder sie zu berichten hat. Aber das Angebot (!) einer kirchlichen Kooperation wird willkommen sein. In diese Richtung gehen schon heute die Kurzfassungen und Interpretationshilfen, die die kirchlichen Pressestellen zu größeren kirchlichen Erklärungen herausgeben. Aber in diese Richtung könnte noch mehr geschehen. So könnte man in der letzten Phase der Erarbeitung von größeren kirchlichen Erklärungen Personen mit journalistischer Qualifikation beauftragen, das Dokument in "Halbfertigfabrikate" umzusetzen, und von solchen "Halbfertigfabrikaten" Disketten verfügbar machen, die man direkt in Redaktionssysteme zur Weiterbearbeitung einspielen kann.

In der Überschrift zu diesem Abschnitt war mit Bedacht die provozierende Formulierung gewählt worden, Sachkompetenz müsse in den Medien "in Szene gesetzt" werden. Der Ausdruck mobilisiert alle Vorurteile, die heutzutage teils zu Recht, teils zu Unrecht gegenüber den Medien bestehen: Wird da nicht viel zu viel "in Szene gesetzt"? Hat die "Inszenierung" nicht schon längst die Wirklichkeit entstellt oder gar ganz verdrängt? Gibt es in den Medien nicht schon genug Schaumschlägerei und Publicitygeilheit, als dass nun auch noch den Kirchen anempfohlen werden dürfte, sich und ihre Sache "in Szene zu setzen"? Alle diese Fragen haben einen rhetorischen Anteil. Es gibt Schaumschlägerei in den Medien, es gibt die Gefahr der Überlagerung der Wirklichkeit durch Inszenierung. Aber auch auf diesem Feld gilt: Abusus non tollit usum, der Missbrauch spricht nicht gegen den rechten Gebrauch. Das Risiko des Absturzes ist hoch. Gerade die Kirchen können es sich nicht leisten, leichtfertig mit dem Instrument der Inszenierung umzugehen. Aber dieses Instrument ist in der heutigen Mediengesellschaft unentbehrlich, und es lässt sich klug und verantwortungsbewusst einsetzen.

IV. Zur gelungenen Inszenierung von Sachkompetenz gehört auch die Wahl des richtigen Zeitpunkts und des geeigneten Mediums.

Wenn von den Kompetenzen die Rede ist, die die Kirchen in der Mediengesellschaft brauchen, dann muss über die Sachkompetenz und die Instrumente der Inszenierung der Sachkompetenz hinaus abschließend noch die Wahl von Zeit und Ort eines kirchlichen Auftritts in den Medien bedacht werden.

In manchen Fällen gibt es nichts zu wählen. Vieles geschieht ungeplant oder unplanbar. Hier kommt es darauf an, dass die kirchliche Reaktion rasch, möglichst unter Zuhilfenahme sachkundiger Beratung und in der der Situation angemessenen Deutlichkeit erfolgt. Das lässt sich oft nur mit Mühe gewährleisten, und manchmal gelingt es nicht. Vorgänge wie die um den Tod des kleinen Josef in Sebnitz haben vorgeführt, was für eine verhängnisvolle Dynamik in den Medien entstehen kann und wie leicht auch kirchliche Stimmen von dieser Dynamik mitgerissen werden können: Was medienmäßig "läuft", das muss der nächste Anbieter auch schnell im Angebot haben; es werden Interviews gesucht und gegeben; rasch entsteht eine Situation, in der ein Thema sich bis zur Hysterie hochschaukelt, die eine Lesart immer mehr an Plausibilität zu gewinnen scheint und die andere fast vollständig ausgeblendet wird. Die Reaktionsmuster in solchen aktuellen Krisensituationen werden unter den Bedingungen wachsender Konkurrenz zwischen den verschiedenen medialen Anbietern ein dringender Gegenstand medienethischer Reflexion.

In anderen Fällen jedoch können Zeit und Ort der kirchlichen Präsenz in den Medien sehr wohl in Ruhe ausgewählt und eingerichtet werden.

Im Blick auf den Zeitpunkt gibt es auch in der säkularisierten Gesellschaft von heute Themen, bei denen sich die Medien nach dem kirchlichen Kalender richten. Bei den Festzeiten und Festtagen - Advent, Weihnachten, Karfreitag, Ostern, Pfingsten, Erntedankfest - bedarf es keiner großen Mühe, kirchliche Beiträge in den Medien zu plazieren; sie sind willkommen und werden sogar gesucht. (Anders sieht es schon bei Festtagen wie dem Reformationsfest oder dem Buß- und Bettag aus. Kirchlicher Defätismus ist allerdings der sicherste Weg, die öffentliche Präsenz dieser protestantischen Feiertage zu verlieren.) Einer großen medialen Aufmerksamkeit erfreut sich auch der Deutsche Evangelische Kirchentag. In einer komfortablen, beneidenswerten Lage ist die römisch-katholische Kirche, die unter dem Gesichtspunkt der Personalisierung oder der Visualisierung wie geschaffen ist für die heutige Mediengesellschaft und keine Probleme hat, mediale Aufmerksamkeit für Ereignisse wie die Papstreisen oder die Zeremonie zur Kardinalserhebung auf dem Petersplatz in Rom zu finden. Im übrigen aber wäre es ein Irrtum, die Wahl des Zeitpunkts für einen medialen Auftritt ohne weiteres am kirchlichen Kalender zu orientieren. Vielmehr muss sorgfältig eruiert und abgewogen werden, welche konkurrierenden Ereignisse stattfinden und zu berücksichtigen sind. Das gilt in Berlin in noch erheblich stärkerem Maße als in Bonn.

Ein schwieriges Kapitel verbindet sich mit der Frage, in welchem Maße es den Kirchen gelingt, Themen zu setzen und zu besetzen. Generell ist festzustellen, dass die Kirchen bisher relativ geringe Anstrengungen unternommen haben, in dieser Richtung aktiv zu werden. Der Konsultationsprozess zur wirtschaftlichen und sozialen Lage war ein positives Beispiel. Der nach diesem methodischen Vorbild initiierte Konsultationsprozess zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur hingegen illustriert eher, wie schwer sich die Kirchen in dieser Hinsicht tun. Oder sollte der Umstand, dass es im zuletzt genannten Fall nur in bescheidener Weise gelungen ist, über den kirchlichen Binnenraum hinaus ein Thema zu setzen, damit zu tun haben, dass die römisch-katholische Kirche nicht beteiligt ist? Auch wenn das gelegentlich bestritten und eine aussichtsreichere Perspektive darin gesehen wird, das je besondere konfessionelle Profil sichtbar zu machen - je länger desto mehr führt die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung dahin, dass die Kirchen sich, wenn sie öffentlich eine nachhaltige Wirkung erzielen wollen, zusammentun müssen.

Auf dem Medienmarkt hat es in den vergangenen Jahrzehnten eine größere Dynamik gegeben als in Jahrhunderten zuvor. Diese Dynamik wird sich in der Zukunft eher noch verstärken und beschleunigen. Insofern ist es auch für die Kirchen eine schon jetzt drängende und in der Zukunft noch drängender werdende Frage, an welcher Stelle sie ihre mediale Präsenz vorzugsweise ansiedeln.

Sehr stark entwickelt hat sich in den vergangenen Jahren die kirchliche Präsenz im Internet. Heute gibt es von den kirchlichen Zusammenschlüssen und den Landeskirchen bis hin zu einzelnen Kirchengemeinden eine fast unüberschaubare Anzahl von Anbietern. Das war nicht immer so. Es ist ein ausgesprochenes Ruhmesblatt des Kirchenamtes der EKD (oder genauer gesagt: einiger weniger Mitarbeiter des Kirchenamtes), dass die wachsende Bedeutung dieses Mediums frühzeitig erkannt und die Präsenz der EKD in ihm unter großen individuellen Anstrengungen aufgebaut wurde - bis zu einem aktuellen Stand von knapp 4 Millionen Hits.

Der Entscheidungsprozess, der zur Aufgabe des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts und seiner Ablösung durch das Magazin "CHRISMON" führte, kann hingegen mit weniger Stolz vermerkt werden - jedenfalls was die Länge und den Kraftaufwand des Entscheidungsprozesses selbst angeht. Im Ergebnis freilich ist eine Konstellation erreicht worden, die erstaunliche Potentiale aufweist und intensive Begleitung und Förderung verdient. An die Stelle einer Wochenzeitung, die an 14.000 Abonnenten und in insgesamt 50.000 Exemplaren vornehmlich im kirchlichen Raum verbreitet wurde, ist ein Magazin getreten, das als Beilage zu vier großen Zeitungen monatlich in einer Auflage von ca. 1,4 Millionen einen breiten Bevölkerungsquerschnitt erreicht.

Besonders schwer ist die Einschätzung der Lage im Rundfunkbereich. Hier gab es schon in der Vergangenheit erhebliche Differenzen hinsichtlich der Frage, ob die kirchliche Präsenz vorrangig auf das öffentlich-rechtliche System oder auch auf die privaten Sender setzen sollte. Gegenwärtig hat sich diese Fragestellung dahingehend verschärft, ob die Kirchen gut beraten sind, angesichts der Digitalisierung auf die Entwicklung eigener Kanäle zu setzen. Radio Paradiso ist im Hörfunkbereich ein kleiner Vorreiter in dieser Richtung. Derzeit entsteht mit privatem Kapital im Fernsehbereich ein Bibelkanal. Prognosen sind außerordentlich unsicher. Aber Entscheidungen müssen getroffen werden. Sie können unter solchen Umständen nur mit der Einstellung getroffen werden, die weitere Entwicklung sorgfältig zu beobachten und mit Korrekturen nicht zu zögern, sobald sich die Rahmenbedingungen in einem relevanten Umfang ändern.

Zu diesen Rahmenbedingungen gehört es auch, dass die gegenwärtige Gesellschaft mit Fug und Recht als Mediengesellschaft beschrieben wird. Die Bedeutung der Medien ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen. Vieles spricht dafür, dass diese Entwicklung weitergeht. Aber Prognosen sind keine Sicherheiten. Um so mehr ist es gut, abschließend an den Gedanken zu erinnern, der am Anfang der hier dargestellten Überlegungen stand: Die Mediengesellschaft ist nur ein Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit der Menschen. Im Blick auf die Medienfähigkeit der Kirche bedeutet das: Wir müssen sie weiter verbessern. Aber wir dürfen in ihr nicht die Hoffnungsträgerin für die Zukunft der Kirche sehen.