Eröffnungsstatement bei der Pressekonferenz des Kirchentages

Wolfgang Huber

Convention Center Messe

Der Kirchentag ist keine Bühne für Parolen, sondern für das Gespräch miteinander, auf den Podien, zwischen den Teilnehmenden und mit den Gästen anderer Konfessionen, anderer Religionen, anderer politischer, gesellschaftlicher Überzeugungen. Das tut dem Kirchentag gut – und viel mehr noch: Das tut unserer Kirche wie unserer Gesellschaft gut.

Was kennzeichnet die Situation des Kirchentags in Hannover 2005? Religion ist wieder in das öffentliche Leben, in Politik und Kultur, in Unterricht und Wissenschaft, in die Medien und ins öffentliche Gespräch zurückkehrt. Von vielen wird unsere Zeit als eine Zeit des Umbruchs und der Herausforderungen wahrgenommen. Deshalb brauchen wir beides: ein neues Verstehen und ein neues Handeln. Durch die Wiederkehr der Religion sind wir als Christen herausgefordert, den Glauben neu zu verstehen, uns neu seiner Quellen zu vergewissern. Das gilt für uns selbst. Das gilt genauso aber für die nächste Generation, der dieser Kirchentag durch seine Losung in besonderer Weise Aufmerksamkeit schenkt.
Das Handeln, das nötig ist, muss von Zuversicht getragen sein, nicht von Angst. Dafür können und sollen auch die Kräfte des Glaubens in Anspruch genommen werden.

Die wirtschaftliche und soziale Lage unserer Gesellschaft zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Mit Blick auf die Kinder, die uns morgen fragen werden, plädiere ich dafür, die christlichen Wurzeln, aus denen die soziale Marktwirtschaft entstanden ist, wieder fruchtbar werden zu lassen. Wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Ausgleich müssen aufeinander bezogen sein. Das erfordert eine grundlegende Neuausrichtung der Bildungs- und der Familienpolitik – gerade um einen Raum zu ermöglichen, in dem kommende Generationen geboren werden und aufwachsen können. Nötig ist ebenso eine weltweit ausgerichtete Verantwortung, die heute insbesondere die vordringlichen Aufgaben globaler Armutsbekämpfung im Blick hat.

Dieser Kirchentag erinnert mit seiner Losung daran: Eine Reform, die die nachwachsende Generation nicht wahrnimmt, ist keine auf Zukunft ausgerichtete Reform. Eine Politik, die nicht auch die Menschen außerhalb unseres Landes im Blick hat, ist keine auf Zukunft ausgerichtete Politik.

Die Resonanz, die dieser Kirchentag auslöst, beeindruckt: Das Fragen nach Gott und die Vergewisserung im eigenen Glauben füllen die Säle und Hallen oft über ihre Kapazität hinaus. Was wir hier erleben, ist gut für jeden einzelnen, es tut unserem Land gut, es stärkt das Selbstbewusstsein unserer evangelischen Kirche.
 
Ich wünsche mir, dass von diesem 30. Evangelischen Kirchentag hier aus Hannover das Signal ausgeht: Evangelische Christen helfen mit bei der Suche nach Antworten, die uns alle bewegen. Christen übernehmen neu Verantwortung für den Glauben und das Handeln in unserer Gesellschaft!

Davon konnte ich mir schon in den Veranstaltungen, an denen ich selbst teilgenommen habe, ein Bild machen:
Das gilt beispielsweise für den Dialog zwischen Christentum und Islam. Dass der Kirchentag dieses Thema vom ersten Tag an behandelt, dass sowohl der Saal, in dem das Gespräch stattgefunden hat, wie auch jener, in den hinein es übertragen wurde, überfüllt waren, zeigt die Bereitschaft, sich jetzt auch spezifischen Fragen dieses Dialogs – wie dem Verhältnis zwischen Scharia und säkularer Rechtsordnung – zu stellen. Nach diesem Gespräch zwischen den Religionen erlebte ich ein eindrückliches Plädoyer für die Freiheit zur Religion – zusammen mit Bundespräsidenten Horst Köhler, mit Richard Schröder und mit dem Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer.

Wie Christen innerhalb der Evangelischen Kirche ganz neue Wege für das Weitertragen des Evangeliums suchen, wurde an den Preisträgern des Förderpreises der AMD, „Fantasie des Glaubens“, sichtbar. Und es war auch für mich ermutigend, am Abend beim Hauptvortrag mit einer so großen Zahl intensiv beteiligter Menschen über das Thema „Glauben verstehen – Protestantismus und Theologie“ nachzudenken. “

Der Glaube erlebt ein Comeback – so hat ein Kommentator gestern Abend formuliert. Die Auseinandersetzung mit dem Glauben lohnt - dies ist für mich die Botschaft, die von diesem Kirchentag ausgeht. Auch die Berichte aus anderen Hallen, von den Open-Air-Bühnen, aus den Bibelarbeiten, bestätigen, dass dieser Kirchentag einen Weg erkennbar macht: den Glauben feiern, den Glauben verstehen, über den Glauben mit anderen reden und aus Glauben handeln. So will ich diese Schritte bezeichnen. Aus der Vergewisserung des Glaubens erneuert sich die Bereitschaft, an der Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft Anteil zu nehmen. Vergewisserung und Verantwortung: Das sind die beiden Kennzeichen einer selbstbewussten, zum ökumenischen Zusammenwirken bereiten evangelischen Kirche, wie sie sich auf diesem Kirchentag zeigt.

27. Mai 2005