Globalisierung ohne Moral? - Die Verantwortung eines Unternehmers - Vortrag in der WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar

Wolfgang Huber

I.

Globalisierung ist zu einem Allerweltsbegriff geworden. Er fehlt in kaum einer Rede zur Wirtschaftspolitik, aber er ist bis heute nicht so klar definiert, dass wir damit alle die gleichen Inhalte verbinden. Wir haben uns so an den Begriff gewöhnt, dass es uns bereits überrascht festzustellen, dass sich der Begriff „Globalisierung“ erst nach 1990 verbreitet hat. Vor 1990 findet er sich in keinem Lexikon der Welt. Der Brockhaus von 1997 definiert Globalisierung wie folgt: „Globalisierung, schlagwortartig benutzte Bezeichnung für die weltweite Durchdringung von Märkten, vor allem bewirkt durch die wachsende Bedeutung der internationalen Finanzmärkte, den Welthandel und die intensive internationale Ausrichtung von multinationalen Unternehmen und begünstigt durch neue Telekommunikationstechniken sowie durch Finanzinnovationen.“

Diese Definition unterstreicht die ökonomische Dimension der Globalisierung. Immer stärker  aber treten die kulturellen und ökologischen Implikationen der Globalisierung in den Blick. Für die kulturelle Dimension der Globalisierung bildet der Karikaturenstreit des vergangenen Jahres ein Beispiel. In Peshawar, einer Stadt in Pakistan, demonstrierten damals siebzigtausend Menschen gegen Karikaturen, die in Kopenhagen veröffentlicht wurden. Dort brannte das Büro eines norwegischen Mobilfunkunternehmens, um der Empörung gegen eine dänische Zeitung Ausdruck zu geben. Auch das gehört zu der globalen Wirklichkeit, in der wir leben.

Die ökologischen Aspekte der Globalisierung stellt uns vor allem der Klimawandel vor Augen. Der Anfang des Monats vorgestellte Vierte Report des UN-Klimarates IPCC bestätigt die Befürchtungen eines rasant voranschreitenden Klimawandels, der in direkter Verantwortung der Menschen steht. Darin steckt zugleich ein Hoffnungsschimmer: Die Folgen dieses dramatischen Wandels lassen sich abmildern. Aber die schnellere Abfolge von Naturkatastrophen steht offenbar, wie allmählich eingeräumt wird, auch im Zusammenhang mit dem anthropogenen Klimawandel.

Freilich reagieren wir auf solche globalen Vorgänge keineswegs immer mit einem globalen Bewusstsein. Zwar kennzeichnet es unsere Zeit, dass Katastrophen und Unglücksfälle, die sich an einem Ort der Erde ereignen, dank der modernen Kommunikationsmittel an allen Orten wahrgenommen werden können. Doch wir reagieren darauf auf sehr unterschiedliche Weise. Wir messen menschliches Leid mit zweierlei Maß – je nachdem, wie unmittelbar wir selbst oder unsere wirtschaftlichen Interessen betroffen sind. Seit einer Reise, die ich selbst in den Sudan unternommen habe, bedrückt es mich noch mehr als vorher, wie wenig wir uns anrühren lassen von der millionenfachen Flucht und den hunderttausenden von Toten, die in diesem afrikanischen Land zu beklagen sind; dabei bin ich davon überzeugt, dass wir diesem massenhaften Leiden vergleichbare Aufmerksamkeit zuwenden müssen wie den Opfern der Flutkatastrophe im Indischen Ozean.

Denn wer global handeln will, muss auch global fühlen. Wir brauchen in unserer Welt nicht nur eine Globalisierung wirtschaftlichen Denkens, sondern auch eine Globalisierung der Solidarität, nicht nur eine Globalisierung der Märkte, sondern auch eine Globalisierung des Herzens.

Der Begriff der Globalisierung wird freilich oft politisch instrumentalisiert:

„Globalisierung wird als Entschuldigung für nationale Untätigkeit oder Misserfolge verwendet; mit dem Begriff wird Druck auf nationale Regierungen oder Verbände ausgeübt; – und er dient als Ausrede für Resignation oder Rückzug in die Schmollecke. Ferner wird das Wort Globalisierung zuweilen auch für Phänomene in Anspruch genommen, die überhaupt nicht global sind, insbesondere regionale Blockbildung mit Ausgrenzungstendenzen“ (Ernst Ulrich von Weizsäcker).

Hingegen vermehren sich die Beispiele dafür, dass die Verantwortung für viele Bereiche unseres Lebens in der Tat zunehmend als globale Aufgabe begriffen werden muss – ob es sich um den Klimaschutz, die Energieversorgung oder den Erhalt der Artenvielfalt handelt. Zunehmend wird auch deutlich, dass eine wachsende wirtschaftliche Ungleichheit zur Entkopplung ganzer Regionen – vor allem in Afrika – vom Welthandel und deswegen zu einem starken Migrationsdruck geführt hat. Nach wie vor verdient die Tatsache mehr Aufmerksamkeit, dass es in der einen Welt Regionen gibt, die durch die Globalisierung unter einen verstärkten Armutsdruck geraten, während in anderen Regionen dadurch ein Wachstumsschub ausgelöst wird.

Die Globalisierung hat viele Gesichter. Zu ihnen gehört, dass Hass weltweit organisiert und verbreitet werden kann. Zu ihnen gehört aber auch, dass innerhalb weniger Stunden eine weltweite Hilfsaktion für die Opfer des Tsunami rund um den Indischen Ozean aufgebaut wurde. Zu diesen Gesichtern gehört, dass Wirtschaftsbeziehungen Wohlstand fördern und Menschen eine auskömmliche Arbeit ermöglichen. Zu ihnen gehört aber auch, dass wirtschaftliche Macht egoistisch eingesetzt und dadurch wirtschaftliche Gerechtigkeit verhindert wird. Wer die Zeichen der Zeit deuten will, muss beide Seiten sehen: die Chancen wie die Gefahren der gegenwärtigen Weltentwicklung.

Wenn man sich diesem Problem nähert, muss man zugleich in Erinnerung behalten: Die Wirtschaft ist nur ein Teil des Lebens, sie ist nicht das Ganze. Die Diskussion über Fragen der Globalisierung darf nicht allein auf die wirtschaftlichen Aspekte beschränkt werden. Wir dürfen uns nicht der Ökonomisierung des Denkens ausliefern, die sich um uns her ausbreitet. Wirtschaftliche Entscheidungen erzeugen keine ethischen Werte; Solidarität kann nicht durch den Markt entstehen. Wirtschaftliche Gerechtigkeit ist überhaupt nur dann möglich, wenn die Zivilgesellschaft ihre eigenständige Bedeutung behält und neue Kraft entwickelt. Sie kann sich nur entfalten, wenn der Staat die Bedingungen für menschliche Solidarität fördert und den Schwächeren beisteht. Geeignete politische Rahmenbedingungen sind nötig, damit sozialer Ausgleich geschaffen und der Zusammenhalt in der Gesellschaft gefördert wird. Wir müssen fragen: Inwiefern fordert uns die Globalisierung unserer Welt dazu heraus, unser Handeln auf neue Weise am Maßstab der Gerechtigkeit auszurichten? Das ist der Gesichtspunkt, unter dem wir uns der Frage nach dem Beitrag der christlichen Ethik zur Wahrnehmung wirtschaftlicher Verantwortung in einer globalisierten Welt zuwenden wollen.

II.

Christliche Ethik hat sich immer wieder als ein entscheidender Motor wirtschaftlichen Engagements erwiesen. Ich erinnere nur an Max Webers Untersuchungen über die „protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus“. Christliche Ethik in ihrer evangelischen Gestalt hat ebenso wie die katholische Soziallehre einen maßgeblichen Einfluss auf Konzeption und Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft ausgeübt. Am Beispiel des „Freiburger Kreises“ im deutschen Widerstand oder an der Gestalt von Alfred Müller-Armack, der den Begriff der „sozialen Marktwirtschaft“ prägte, ist das immer wieder deutlich gemacht worden. „Verantwortete Freiheit“ – so lässt sich der Impuls bezeichnen, den die evangelische Gestalt des christlichen Glaubens in die ethische Begründung wirtschaftlichen Handelns eingebracht hat.

Neue Untersuchungen bestätigen, dass dieser Impuls von durchaus aktueller Bedeutung ist. Sie zeigen nämlich – die Online-Befragung „Perspektive Deutschland“ ist ein deutliches Beispiel dafür –, dass die Lebenshaltung von Christen sich von anderen Lebenseinstellungen durch Verantwortungsbereitschaft und Zuversicht auszeichnet. Menschen, die von Gott auch im Angesicht von Schwierigkeiten Gutes erwarten, stellen sich zuversichtlicher auf die Zukunft ein als diejenigen, für die der Mensch das Maß aller Dinge ist.

In Fragen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit ist der christliche Glaube nicht neutral. Er fügt sich nicht einem alleinigen Anspruch der Ökonomie; denn er bekennt sich zu Christus als dem einen Herrn der Welt. Er überlässt das wirtschaftliche Handeln nicht seinen eigenen Gesetzen; denn er richtet sich an Gottes Gebot aus. Menschenwürde, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit sind die elementaren Werte, an denen wirtschaftliches Handeln heute und morgen zu messen ist. Die Globalisierung unserer Welt prüfen wir als Christen an der Frage, ob sie ein menschenwürdiges Leben fördert, der menschlichen Freiheit dient und kulturelle Vielfalt ermöglicht. Deshalb benennen wir die Ungerechtigkeiten, die mit gegenwärtigen wirtschaftlichen Machtverhältnissen verbunden sind. Eine Globalisierung, die diesen Namen verdient, schließt alle ein und spaltet die Menschheit nicht in Gewinner und Verlierer, in Reiche und Arme.

Menschen, die sich an die Liebe zum Nächsten wie zu sich selbst gebunden wissen, beziehen in ihre Überlegungen auch das Wohl des Nächsten und nicht nur das eigene Wohl ein. Menschen, denen bewusst ist, dass sie für ihr Leben im Letzten Gott Rechenschaft schulden, werden Anstand und Fairness auch dann gelten lassen, wenn die Verletzung dieser Regeln ihnen einen Vorteil bringen würde. Menschen, die aus der Zusage von Vergebung und Rechtfertigung leben, werden in jedem Menschen mehr sehen, als er selbst aus sich macht, und auch den Menschen in seiner Würde achten, der vor den Anforderungen der Leistungsgesellschaft versagt.

Natürlich gibt es Themen der christlichen Ethik, die nichts oder nur wenig mit ökonomischen Fragen zu tun haben. Aber es gibt kein wirtschaftliches Handeln, das nicht direkt oder indirekt ethische Implikationen hat und auf ethischen Grundsatzentscheidungen beruht oder solche Entscheidungen verletzt. Es wird von einer bestimmten Motivation getragen und verfolgt Ziele, die sich niemals nur innerhalb der Grenzen von Angebot und Nachfrage beschreiben lassen, sondern die stets die Grundfragen menschlichen Seins und menschlichen Handelns berühren. Der Theologe und Manager Ulrich Hemel hat es kurz auf den Begriff gebracht. Er sieht eine entscheidende Grundlage unternehmerischen Handelns „in der Unverzichtbarkeit persönlicher Verantwortung, im langfristigen Mehrwert ethischer Orientierung auch für wirtschaftlichen Erfolg und in der Forderung nach Professionalität, etwa im Bereich der Strategie und der Wertschöpfung“.

In unserer öffentlichen Diskussion spielen diese Grundfragen allerdings eine marginale Rolle. Weittragende wirtschaftliche Entscheidungen – Entscheidungen zum Abbau von Arbeitsplätzen sind nur ein Beispiel dafür – werden angekündigt, ohne dass der ethische Horizont solcher Entscheidungen ausgeleuchtet wird. Auch die politische Debatte folgt diesem Muster. Über steuerpolitische Details wird intensiver gesprochen als über die Frage nach dem Bild der Gesellschaft, an dem wir uns orientieren wollen. Doch sind die unterschiedlichen Politikansätze von eben so hohem Interesse wie die Frage danach, worin Unternehmer heute ihre Verantwortung sehen. Doch nicht allein an sie sollte diese Frage gerichtet sein, sondern zugleich auch an die Shareholder, deren Gewinnerwartung oft genug die strategische Ausrichtung eines Unternehmens bestimmt. Beide zugleich stehen in der Verantwortung nicht nur für das eigene Unternehmen, sondern auch für die Belegschaft, nicht nur für das eigene Interesse, sondern auch für das eigene Land, nicht nur für das Wachstum des Unternehmens, sondern auch für dessen Folgen für das Weltklima. Deshalb sind auch die Unterschiede in weltanschaulichen und ethischen Fragen von hohem Gewicht; sie sollten deutlich ins Gespräch mit einbezogen werden.

Empirische Untersuchungen belegen freilich einen gegenläufigen Trend. So weit eine gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers anerkannt wird, wird diese von kleinen und mittleren Unternehmen nachhaltiger wahrgenommen als von großen Unternehmen; sie wird jedoch von diesen weit deutlicher zur Image-Pflege eingesetzt. „Image Construction“ wird zum erkennbaren Ziel der neuen Konzepte von „Corporate Social Responsibility“. „Corporate Citizenship“ ist eine verbreitete Strategie gegen die wachsende Kritik am Gebaren großer Unternehmen, die seit dem Beginn entsprechender Erhebungen noch nie, wie das World Economic Forum unlängst feststellte, auf so wenig Vertrauen stießen wie heute. So weit in solchen Zusammenhängen von gesellschaftlicher Verantwortung die Rede ist, erleben wir also eine gravierende semantische Verschiebung des Begriffs der Verantwortung. Nicht mehr die Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl oder die Rechenschaftspflicht gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestimmt diesen Begriff; soziale Verantwortung wird vielmehr als eine freiwillige Leistung verstanden, die so weit erbracht wird, wie sie für das Gewinninteresse des Unternehmens als nützlich erscheint. Hanns Michael Hölz, der Leiter des Bereichs Corporate Citizenship & Sustainable Development der Deutschen Bank, hat diese Betrachtungsweise 2005 knapp auf den Begriff gebracht: „Gesellschaftlich verantwortliches Handeln ist heute Voraussetzung dafür, Geschäfte machen zu können.“
Dem ist entgegenzuhalten: So sehr auch gesellschaftliche Verantwortung mit wirtschaftlicher Effizienz verbunden werden muss, so wenig reicht es, gesellschaftliche Verantwortung allein unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten.

III.

Lassen Sie mich von den gerade skizzierten Grundlagen aus vier Aspekte entfalten, die für mich im Blick auf die ethische Orientierung wirtschaftlichen Handelns in einer globalisierten Welt von hervorgehobener Bedeutung sind. Die Verantwortung für eine nachhaltige Zukunftsentwicklung, die gerechte Verteilung von Arbeit, der Umgang mit Reichtum und die Wahrung kultureller Werte sind die Aspekte, die ich hervorheben möchte.

1. Wir leben in einer Welt, in der die Ressourcen begrenzter sind, als wir vor Generationen gedacht haben. Wir sind alle darauf angewiesen, dass mit ihnen sinnvoll, und das heißt schonend, umgegangen wird. Nur dann haben wir eine gemeinsame Zukunft auf diesem Planeten. Allein schon von dieser Einsicht her sind Rationalität und Effizienz im Umgang mit den Ressourcen geboten – aus Nächstenliebe, aus Liebe für die nächste Generation und auch aus ökonomischer Einsicht. So kann eigentlich kein Gegensatz zwischen christlichem Menschenbild und ökonomischer Vernunft aufkommen. Da es in beiden Bezugssystemen letztlich um das Wohl des Menschen geht, müsste von vornherein klar sein, dass eine Orientierung aus dem christlichen Glauben und eine Orientierung an wirtschaftlicher Effizienz in dieselbe Richtung laufen.

Nachhaltigkeit wird zu einem wichtigen Kriterium wirtschaftlichen Handelns. Der Lebensstandard der westlichen Industrienationen ist indessen in keiner Weise nachhaltig. Es erscheint heute als unmöglich, auf dem ganzen Globus zu einer Angleichung des Lebensstandards auf dem Niveau westlicher Industriestaaten zu kommen. Zugleich erzwingt die Globalisierung nach der Auffassung vieler bestimmte Angleichungen. Sie werden dann nur auf einem niedrigeren Niveau möglich sein. Die politische Brisanz dieser Überlegung ist offensichtlich. Die Debatte über Mindestlöhne findet in einer Zeit statt, in der wirtschaftspolitisch deutlich gefordert wird, Beschäftigungsverhältnisse unterhalb des soziokulturellen Minimums vorzusehen. Gegenwärtig müssen wir in unserem Land neues Vertrauen sowohl in die Politik als auch in die Wirtschaft wecken, ohne dass dieses Vertrauen auf kontinuierliche Zuwächse für alle gestützt werden könnte. Das stellt besonders hohe Anforderungen an die Verantwortungsträger – eine verantwortliche Gestaltung ihrer eigenen Einkommensverhältnisse eingeschlossen.

2. Die menschliche Arbeit hat eine ganz klare Bestimmung: sie dient vor allem dazu, Lebensmittel in einem umfassenden Sinn des Wortes für sich selbst und für den Nächsten, ja für die ganze Gesellschaft bereitzustellen. Die Mitarbeit an der Schaffung von Wohlstand und gesellschaftlichem Reichtum ist in diesem Sinne jedem Christen aufgetragen. Die biblische Tradition ist sich völlig klar, dass in dieser Hinsicht jeder Mensch die Chance haben soll, die ihm von Gott gegebenen Gaben und Talente zu entwickeln, um seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung zu leisten. Deutlich ist allerdings auch, dass dies nicht zu einer Überforderung der Menschen und zu einer einseitigen Bevorzugung einer besonderen Leistungsgruppe führen darf.

Die Arbeit erfährt in der christlichen Tradition eine hohe Wertschätzung. Es ist schon bezeichnend, dass Martin Luther und Johannes Paul II. mit dem selben Vergleich den hohen Rang der Arbeit betont haben: „Die Arbeit gehört zum Menschen wie zum Vogel das Fliegen“. Um dieses hohen Rangs willen ist sie so zu organisieren, dass alle an ihr Anteil haben, auch die Leistungsschwächeren. Zudem sind der Arbeit durch den Sonntag und durch andere Regelungen Grenzen gesetzt, die zum Wohle des Menschen einzuhalten sind. Wirtschaft soll durch alle betrieben werden. Die Ungleichheit, die mit der Gestaltung der Wirtschaft einhergeht und die den Leistungsfähigeren und den Leistungsbereiteren mehr zukommen lässt als den Leistungsschwächeren und den Leistungsunbereiteren, darf nur so groß sein, dass durch die dadurch gesteigerte Produktivität auch den Schwächeren ein würdiges Leben ermöglicht und ein voller Anteil an der Gesellschaft eröffnet wird. Gerechtigkeit ist auf diesem Hintergrund insbesondere als Befähigungs- und Beteiligungsgerechtigkeit zu verstehen. Eine Gesellschaft, in der so viele Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen sind, wie das bei uns gegenwärtig der Fall ist, hat deshalb ein elementares Gerechtigkeitsproblem.

3. Der Welt der Bibel und insbesondere den Traditionen der protestantischen Ethik ist jede Form von Verschwendung und Luxussucht fremd. Sparsamkeit und das kalkulierte zielorientierte Einsetzen von Ressourcen gehören zur Verantwortung des Christen. Man könnte geradezu sagen, dass der – in diesem Sinne – wirtschaftliche Umgang mit Ressourcen aller Art ein Akt der Nächstenliebe ist; denn er ermöglicht es, dass auch andere – auch zukünftigen Generationen – an diesen Ressourcen Anteil haben können. Immer wieder warnen die biblischen Texte vor der Anhäufung von Reichtum als Selbstzweck.

Nicht, wie man heute oft hören kann, die Gewinnorientierung als solche, sondern der Umgang mit dem Gewinn ist das im Neuen Testament hervorgehobene Grundproblem. Besonders im Lukasevangelium findet man dafür viele Belege. Das Problem kommt besonders zugespitzt in dem Wort Jesu zur Sprache, man könne nicht zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon. Die Verantwortung für den Umgang mit Gewinn und Besitz wird an dem Beispiel eines selbstgefälligen reichen Kornbauern geschildert, der über seinem Besitz vergisst, dass sein Leben an jedem Tag von ihm genommen werden kann. An den Beispielen des reichen Mannes, der beim armen Lazarus um Hilfe fleht, oder des wohlhabenden jungen Mannes, den Jesus zur Nachfolge einlädt, wird immer wieder davor gewarnt, sein Herz an weltliche Güter und in diesem Sinne an Reichtum zu hängen. Die biblischen Aussagen sind durch die Vorstellung geprägt, dass mit Geld, Reichtum und irdischem Besitz instrumentell so umgegangen wird, dass damit etwas für den Nächsten und den gemeinsamen Nutzen erreicht wird. Reichtum soll genutzt werden - zum Wohle aller. Dass Eigentum sozial verpflichtet, steht nicht nur im Grundgesetz, sondern ist eine der Grundüberzeugungen der gesamten christlichen Tradition. Auch wer über Reichtum verfügt, muss sich bewusst bleiben, dass sein Leben endlich ist, und sich fragen, wie er mit seiner endlichen Freiheit verantwortlich umgehen kann. Das ist von durchaus aktueller Bedeutung: Um des Zusammenhalts unserer Gesellschaft willen ist es unverzichtbar, dass auch und gerade wirtschaftlich erfolgreiche Menschen Maß halten und ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung nicht vergessen.

4. Wirtschaftliches Handeln muss von gesellschaftlich anerkannten und kulturell wertvollen Zwecken her gesteuert werden. Der Wirtschaft kommt so wenig wie dem Geld ein Eigenwert zu. Tendenzen dazu, dass sich, wie das heute zu beobachten ist, das ökonomische Denken auf alle Bereiche unseres Lebens, und insbesondere auf die Bereiche der Kultur und der Werte ausbreitet, ist aus der Perspektive des christlichen Menschenbildes deutlich zu widersprechen.

Menschen müssen mit den Gütern dieser Welt wirtschaftlich umgehen; sie selbst unterliegen aber nicht den ökonomischen Rationalitätskalkülen. Menschen, von Gott geschaffen und ihm zum Ebenbild bestimmt, erschöpfen sich nicht darin, einen Wert für andere zu haben, der gegen Geld aufgewogen werden kann; sondern sie haben eine eigene Würde, die nach einem wichtigen Wort Immanuel Kants „kein Äquivalent verstattet“. Deshalb muss die Wirtschaft im Dienst des Menschen stehen und nicht umgekehrt – oder in Abwandlung eines Wortes Jesu über den Sabbat: Die Wirtschaft ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um der Wirtschaft willen.

Von diesem Gedanken her muss die Kirche allen Tendenzen widersprechen, kulturelle Güter ökonomischen Kalkülen zu opfern – auch dann beispielsweise, wenn Feiertage abgeschafft werden sollen, um dadurch eine geringfügige Steigerung des Bruttosozialprodukts zu erreichen. So weit dafür eine Verlängerung der Arbeitszeit nötig ist – aller Wahrscheinlichkeit nach übrigens nur jeweils branchenspezifisch und nicht einfach generell – , sind dafür sinnvollere und intelligentere Wege zu suchen als die generelle Abschaffung von Feiertagen. Auch die Auseinandersetzung um den Sonntag ist von daher zu verstehen: Der Sonntag symbolisiert aus biblischer Sicht die Grenze des Ökonomischen - “Ohne Sonntag sind alle Tage Werktage“ - und muss deswegen um der Menschlichkeit des Menschen willen erhalten bleiben.

IV.

Drei Folgerungen will ich aus diesen Überlegungen ziehen: Wir müssen uns der christlichen Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens neu bewusst werden. Wir müssen die Bereitschaft zu verantwortlichem Handeln in der Wirtschaft stärken. Wir müssen uns den großen ethischen Herausforderungen der weltwirtschaftlichen Situation stellen. Alle drei Aufgaben will ich abschließend kurz erläutern.

1. Zunächst ist dankbar festzustellen: Viele der aufgezeigten Grundsätze finden in unserer Gesellschaft Resonanz. Ja, in manchen Bereichen beobachten wir eine verstärkte Zuwendung zu den christlichen Wurzeln unserer gesellschaftlichen Ordnung. Doch weithin scheinen diese Grundlagen in Vergessenheit geraten zu sein. Eingebunden in einen Bogen zwischen Individualisierung und Globalisierung reduzieren Menschen ihre Wahrnehmung auf das jeweils eigene Interesse. Den vielfältigen Einflüssen der Informations- und Mediengesellschaft ausgesetzt, drohen wir alle zu elektronischen Nomaden zu werden. In einer groben Fehleinschätzung halten manche Menschen die christliche Grundlegung unseres gemeinsamen Lebens einfach für gegeben, so dass sie den eigenen Kindern gar nicht mehr weitergegeben wird.

Über Jahrzehnte war es in unserer Gesellschaft eine Art „säkularer Glaubenssatz“, dass Glaube und Religion ihre Zeit gehabt hätten. Die Abgesänge auf das Christentum und auf die Religionen insgesamt waren nicht zu überhören. Aber inzwischen weisen wichtige Signale in eine andere Richtung. Es gibt heute kaum einen kulturellen oder gesellschaftlichen Bereich, in dem man nicht Zeichen für eine Wiederkehr des Religiösen beobachten könnte. Es entsteht ein neues Gespür dafür, dass ein komplett diesseitiges, rein wirtschaftstaumeliges und radikal konsumzentriertes Leben zu banal, zu äußerlich und zu oberflächlich ist. Je unerbittlicher die europäische Welt auf die globalisierte Wirtschaft ausgerichtet wird, je strikter Markt und Finanzkraft, Lohnnebenkosten und Konkurrenzkampf das Leben aller bestimmen sollen, desto stärker wird nach Gegenkräften gefragt. Die meisten spüren, dass Konsum allein nicht Halt gibt, dass Wirtschaft allein nicht Sinn schenkt, dass Funktionieren allein nicht Bedeutung verleiht. Mit der Zuwendung zur Religion rebelliert die Seele der Menschen gegen ihre kommerzielle Reduktion. Das muss auch Folgen für die Wahrnehmung wirtschaftlicher Verantwortung haben.

2. Wir müssen die Bereitschaft zu verantwortlichem Handeln in den Unternehmen stärken. Es gibt nach meiner festen Überzeugung kein Unternehmen, das nur auf der Grundlage des Eigeninteresses der Beteiligten überleben könnte. Unternehmen, die nur auf kurzfristige Gewinnerzielung setzen, sind ganz schnell auf der Verliererseite. Denn ihnen geht leicht eine wichtige Ressource verloren, die Ressource des Vertrauens. Sie steigern ihre Kapitalrendite, verspielen aber unter Umständen einen wichtigen Teil ihres Vermögens, nämlich das Humanvermögen. Franz Xaver Kaufmann hat übrigens im Zusammenhang solcher Debatten deutlich gemacht dass es – wenn schon – viel richtiger wäre, von Humanvermögen statt von Humankapital zu sprechen.

Die evangelische Kirche zeichnet seit Jahren Unternehmen mit einer vorbildlichen Unternehmenskultur sowie einer Personalpolitik, die an der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, an der Bereitschaft zur Förderung der jungen wie der Achtung der älteren Arbeitnehmer orientiert ist, mit dem Arbeitsplatzsiegel "ARBEIT PLUS" aus.

3. Wir stehen heute vor gewaltigen neuen Herausforderungen, die Anlass dazu sind, Wertorientierung und wirtschaftliches Denken wieder so miteinander zu verbinden, wie dies die Gründergestalten der Sozialen Marktwirtschaft getan haben. Zu diesen Herausforderungen gehört vor allen Dingen die Entwicklung der Weltwirtschaft. Wird sich in ihr das europäische und insbesondere deutsche Modell einer sozial verantworteten Wirtschaft als überholt erweisen? Oder enthält die Globalisierung auch eine Chance dazu, Maßstäbe der sozialen Verantwortung auch international stärker zur Geltung zu bringen, als dies bisher möglich war? Unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen gibt es eine starke Tendenz dazu, sich der persönlichen Zurechenbarkeit von Verantwortung zu entziehen. Das bestimmt heute in hohem Maß das öffentlich erzeugte Bild der Wirtschaft. Das ist – gerade in Bezug auf den Mittelstand, auf eigentümergeführte Unternehmen wie auch auf das Handeln vieler Menschen in großen Kapitalgesellschaften – ungerecht. Aber es ist nicht grundlos.

Deutlich stehen wir heute vor der Aufgabe, die Maßstäbe des Generationenvertrags und der Nachhaltigkeit in Politik und wirtschaftlichen Handeln zum Zuge zu bringen. Bei aller Globalisierung ist es offenkundig nötig, dass die Wirtschaft einen realen Bezug zu den Menschen, zu dem Land, zu den Räumen und Zeiten behält, in denen sie sich vollzieht. Oder noch einfacher gesagt: Wirtschaftliche Verantwortung braucht Bodenhaftung und Nähe zu den Menschen.