Statement zum Podiumsgespräch „Reformpartnerschaft mit Afrika“ anlässlich des Internationalen Forums der GKKE in Berlin

Wolfgang Huber

Sehr geehrte Frau Ministerin Wieczorek-Zeul,
sehr geehrter Herr Erzbischof Schick,
sehr geehrter Herr Bischof Bemile,
sehr geehrter Herr Simiyu,
meine Damen und Herren!

Dass Afrika beim bevorstehenden G8-Gipfel in Heiligendamm einen prominenten Platz auf der Tagesordnung haben wird, sehe ich mit großer Zustimmung. Afrika kann uns nicht gleichgültig sein, dazu ist es uns zu nahe. Das meine ich nicht nur in geographischer Hinsicht, ich habe vielmehr die elementare menschliche Verpflichtung vor Augen, die uns mit Afrika verbindet. Es ist gerade die Größe und Weite dieses Kontinents, der ihn uns auf besondere Weise nahe bringt.

In seinem Roman „Das Herz der Finsternis“ aus dem Jahr 1902 schildert Joseph Conrad eine Reise in die Tiefe Afrikas. Angesichts des Sich-Verlierens in Raum und Zeit, das unlöslich zu Afrika gehört, ist es nicht der Afrikaner, der die Orientierung verliert. Sondern es ist der Europäer, der auf dem Weg in den afrikanischen Dschungel zugleich den Weg in die Abgründe seines eigenen Herzens geführt wird und sich in ihnen heillos verfängt. Afrika als Metapher für Europas Schicksal – das füllt mehr als einen Roman.

Unvergesslich ist mir meine letzte Reise nach Afrika, die mich vor knapp eineinhalb Jahren in den Sudan brachte und auf bestürzende Weise mit der Not und dem Leid der Menschen konfrontierte. Sie eröffnete mir aber auch eindrucksvolle Begegnungen mit Menschen, die voller Hoffnung und Vertrauen auf die Zukunft zugehen. Im Austausch mit unseren Partnerkirchen habe ich zugleich die Kraft wahrgenommen, die die Kirchen in die afrikanischen Gesellschaften einbringen; aber auch die Schwierigkeiten traten mir deutlich vor Augen, mit denen die Kirchen sich bei ihrem Zeugnis in Wort und Tat auseinandersetzen müssen. Sie geben vielen Menschen Halt im Alltag und stehen ihnen in ihren Bedrängnissen bei. Sie treten aber auch öffentlich ein für gerechte Strukturen in Staat und Gesellschaft, um den Armen eine breitere Teilhabe am Leben der Gemeinschaft zu eröffnen. Es geht auch in Afrika um die „vorrangige Option für die Armen“, die im ökumenischen Gespräch über Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu einem Leitmotiv für die gesellschaftliche Verantwortung der Kirchen geworden ist.

Auch die deutschen Kirchen haben sich ausdrücklich auf dieses Leitmotiv verpflichtet, als sie vor einem Jahrzehnt in ihrem Gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage formulierten: „Alles Handeln und Entscheiden in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft muss darum an der Frage gemessen werden, inwiefern es die Armen betrifft, ihnen nützt und sie zu eigenverantwortlichem Handeln befähigt.“

Die Kirchen in Afrika handeln aus der Mitte unseres gemeinsamen christlichen Glaubens heraus, die ich in einem anderen Zusammenhang einmal so beschrieben habe: „Der christliche Glaube ist so politisch, wie er persönlich ist. Er betrifft die äußeren Lebensverhältnisse, wie er das Innere der Menschen verwandelt. Er hat es mit dem Frieden der Staaten ebenso zu tun wie mit dem Frieden der Herzen. Denn er betrifft den ganzen Menschen.“

Die Parteinahme für die Armen äußert sich in sehr praktischer Weise. In vielen afrikanischen Ländern sind es die Kirchen, die in großem Umfang elementare Leistungen in den Bereichen Bildung und Gesundheit erbringen. Dass es das Eintreten der Kirchen in Südafrika war, das entscheidend zur Überwindung der Apartheid beigetragen hat, ist uns allen ebenso im Gedächtnis wie das mutige Engagement der katholischen und evangelischen Kirchen in Kenia im Übergang zur Demokratie zu Beginn der Neunzigerjahre. Eng sind die Beziehungen unserer Kirchen auch durch die Arbeit der Hilfswerke: Misereor, Brot für die Welt und der Evangelische Entwicklungsdienst wenden einen Großteil ihrer Mittel für die Unterstützung von Entwicklungsvorhaben in Afrika auf. Nicht vergessen dürfen wir die zahlreichen Partnerschaften von Kirchengemeinden, für die diese Art der ökumenischen Verbundenheit ein wichtiger Teil ihres Zeugnisses in unserer Gesellschaft und über ihre Grenzen hinaus darstellt.

Die Befassung mit Afrika in Heiligendamm – so haben wir es von Ihnen, Frau Ministerin, gehört – ist darauf angelegt, die Hilfe für Afrika „praktisch“ werden zu lassen. In der Tat: nach den Beschlüssen der vorangegangenen G8-Gipfel zu Afrika muss es jetzt konkrete Folgerungen gehen. „Praktisch“ geht es darum, dass die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) in Afrika weiter voran gebracht wird. Denn gerade für diesen Kontinent sind die MDGs eine besondere Herausforderung; stärker als in anderen Kontinenten ist ihre Verwirklichung hier gefährdet.

Insbesondere die Erreichung des Ziels der Halbierung des Anteils der Hungernden und der absolut Armen, also derer, die mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen müssen, ist alles andere als gesichert. Es bedarf besonderer Anstrengungen im Hinblick auf die Höhe und die Qualität der Hilfe, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei gilt es jedoch, Augenmaß zu zeigen: nach unserer Meinung ist es nicht der „big push“, der den Durchbruch bringen wird, sondern die beharrliche Unterstützung Afrikas bei der Fortführung seiner Reformpolitik, die sich mit der Initiative „New Partnership for Africa`s development (NePAD)“ verbindet. Herr Erzbischof Schick wird auf den Rang, den diese Initiative aus unserer Sicht hat, gleich noch im einzelnen eingehen.

Neben dem Ziel der Halbierung des Anteils extrem Armer sind es für uns vor allem die gesundheitsbezogenen Millenniums-Entwicklungsziele, für die wir uns größere Beachtung in Heiligendamm wünschen. Im Zetrum muss hier die weitere entschiedene Bekämpfung von HIV/AIDS stehen.

70 Prozent der weltweit über 40 Millionen HIV-Infizierten leben in Afrika südlich der Sahara. Neben all dem persönlichen Leid, das sich damit verbindet, sind auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Länder dramatisch: große Teile der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung werden nach derzeitigen Prognosen der Krankheit zum Opfer fallen; damit droht die wirtschaftliche Entwicklung erheblich beeinträchtigt zu werden. Ein Sinken des Bruttoinlandsprodukts wird die Folge sein; das wird Fortschritte, die sich in den letzten Jahren eingestellt haben, wieder zunichte machen. Aber wir betrachten die Geißel von HIV/AIDS nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Uns beschäftigt vor allem die menschliche und humanitäre Katastrophe, die damit verbunden ist. Insbesondere habe ich die Auswirkungen auf die Kinder vor Augen: auf die AIDS-Waisen ebenso wie auf diejenigen, die schon in der Kindheit von der HIV-Infektion betroffen sind.

Es kommt entscheidend darauf an, dass die Zielsetzung des „Universellen Zugangs zu Prävention, Behandlung und Pflege“ umfassend weiter verfolgt wird. Der Zugang zu Medikamenten ist dabei eine Schlüsselgröße; ihn zu sichern erfordert über einen verantwortungsvollen Umgang mit Regelungen des Patentrechts hinaus jedoch auch umfassende Investitionen in die weithin maroden Systeme des öffentlichen Gesundheitswesens. Qualifiziertes Personal, an dem es nicht zuletzt wegen gezielter Abwerbung durch die Industrieländer mangelt, muss in den Ländern gehalten werden. Investitionen in die Infrastruktur sind unumgänglich; nicht zuletzt bildet ein System sozialer Sicherung, das die Risiken von Krankheiten abdeckt, eines der dringlichen Erfordernisse in vielen Ländern.

Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass es neben der AIDS-Pandemie weitere stark verbreitete Krankheiten gibt, deren Behandlung bisher nur eingeschränkt möglich ist. Auch diese so genannten „vernachlässigten Krankheiten“ wie Flussblindheit oder Chagaskrankheit fordern einen hohen Preis an ausbleibender gesellschaftlicher Entwicklung.

Insgesamt ist die Zeit reif dafür, dass wir einen neuen Blick auf die Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Gesundheit werfen. Systemische Ansätze zur nachhaltigen Entwicklung von Gesundheitssystemen sind überfällig; wir hoffen darauf, dass sich der G8-Gipfel für diese Einsicht öffnet und aus ihr Konsequenzen zieht. Investitionen in Gesundheit sind wirksame Investitionen in soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Neuere Forschungen belegen eindeutig den positiven Effekt solcher Investitionen.

Dieses Plädoyer für mehr Engagement im Gesundheitsbereich leitet dazu über, auch die Frage der Finanzierung von Entwicklung anzusprechen. Wir haben mit großer Zustimmung die verschiedenen Beschlüsse zur Kenntnis genommen, die Entwicklungsleistungen im Zeitraum bis 2015 kontinuierlich zu steigern und, in diesen Prozess eingebunden, die Hilfen für Afrika schon bis 2010 zu verdoppeln. Dass die deutschen Leistungen im vergangenen Jahr gestiegen sind, haben wir mit Respekt und Dankbarkeit wahrgenommen. Dennoch ist der Weg noch weit, bis zum Jahr 2010 die deutschen Beiträge auf 0,51 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu steigern. Wir wollen Sie, Frau Ministerin, ausdrücklich ermutigen, in dieser Frage nicht nachzulassen.

Die deutsche Bevölkerung unterstützt die Entwicklungspolitik in breitem Maße, wie Umfragen erst kürzlich gezeigt haben. Die Debatte über den Klimawandel macht auch den bisher noch Skeptischen deutlich, dass wir nur gemeinsam in Nord und Süd eine Zukunft haben. Wir sollten die Stunde nutzen, das Bewusstsein von der Einen Welt weiter zu befestigen und den Menschen dieses Bewusstsein an konkreten Beispielen nahe zu bringen. Afrika hält eine Fülle solcher konkreten Beispiele bereit.