"Das Christliche in unserem Land – Standort und Perspektiven" - Eröffnungsvortrag zum Kongress Auf Sendung der Hauptamtlichen im Gnadauer Gemeinschaftsverband, Gunzenhausen

Wolfgang Huber

I.

Wer am zweiten Tag der Woche des Sonntags Kantate über das Christliche in unserem Land zu berichten hat, der kann keinen Zweifel an der Tonlage dieses Berichts haben. Lob Gott getrost mit Singen, / frohlock, du christlich Schar (EG 243, 1)! Das ist der vorgegebene Ton eines solchen Berichts. Mit diesen Worten beginnt das Wochenlied nach einem Text der Böhmischen Brüder aus dem 16. Jahrhundert. Und es gibt auch tatsächlich vielerlei Grund, fröhlich zu singen von Gottes Gegenwart.

Die evangelische Kirche war immer schon eine singende Kirche und sie ist es in diesem Jahr besonders. Mit der Erinnerung an den größten Dichter geistlicher Lieder in deutscher Sprache, Paul Gerhardt nämlich, anlässlich seines 400. Geburtstags ruft sich unsere Kirche einen besonders kostbaren Schatz ihrer Liedtradition in Erinnerung; und wir stoßen dabei auf ein bemerkenswertes Echo. Du meine Seele, singe, / wohlauf und singe schön / dem, welchem alle Dinge / zu Dienst und Willen stehn. / Ich will den Herren droben / hier preisen auf der Erd; / ich will ihn herzlich loben, / solang ich leben werd (EG 302, 1). Diese Selbstermunterung der Seele zum Gotteslob findet ein vielfältiges Echo. Zahlreiche Ausstellungen und Bücher, Tagungen und gottesdienstliche Feiern erinnern in diesen Monaten an Paul Gerhardt und seine Wirkungen. Niemand vermag zu zählen, wie vielen Menschen die Lieder dieses Dichterpfarrers Trost und Halt gegeben haben, wie vielen Kindern sein Abendlied gesungen wurden, wie viele Kranke im Laufe der Jahrhunderte dem Herrn mit seinen Worten ihre Wege anbefohlen haben oder wie viele Sterbende mit seinen Strophen aus diesem Leben geleitet wurden. Doch nicht nur diese Tiefenwirkung, auch eine unerhörte Breitenwirkung ging von ihm aus: Die Großen der Musikgeschichte wie Telemann, Bach oder Brahms haben seine Texte und Lieder bearbeitet; jüngst wurde in Magdeburg eine Ausstellung zur Verbreitung der Lieder Paul Gerhardts in europäischen Gesangbüchern eröffnet. Man müsste schon Slawisch, Ukrainisch und Japanisch können, um seine Texte in den Gesangbüchern aus aller Welt im Original lesen zu können. Diese Wirkung setzt sich bis heute fort; selbst in den Charts der Popmusik erklingen Lieder von Paul Gerhardt; die Berliner Künstlerin Sarah Kaiser hat hier den Anfang gemacht, andere haben nachgezogen. Selbst Klingeltöne auf den Handys Jugendlichen kennen mittlerweile die Lieder Paul Gerhardts.

In der Paul-Gerhardt-Begeisterung unserer Tage wird etwas erkennbar, das für die Situation des Christlichen in unserer Gesellschaft insgesamt kennzeichnend ist: Geistliche Themen sind wieder gefragt; der Gottesbezug unseres Lebens gewinnt neue Bedeutung.  Das Paul-Gerhardt-Jahr ist ja ein vergleichsweise groß angelegter und erfolgreich durchgeführter Versuch, ein explizit religiöses, geistliches Thema in der Gesellschaft zu platzieren. Mit ethischen Hinweisen, mit Kampagnen zum Sonntagsschutz und zum Kircheneintritt haben wir uns schon hinausgewagt, aber mit einem spezifisch geistlichen, gleichsam frommen Sujet Themenpräsenz in der Medienlandschaft gewinnen zu wollen, ist noch immer vergleichsweise neu. Natürlich erfordert dies auch einen besonderen Aufwand; ungezählte Menschen haben sich dafür eingesetzt, von der Kulturbeauftragten und dem Rundfunkbeauftragten des Rates der EKD bis zum Verlag Chrismon, von den Gemeinden und ihren Kirchenmusikern bis hin zu Ausstellungsmachern und Literaten.

Eine wichtige Folgerung lässt sich aus diesem Einsatz ziehen: Wenn wir die Kräfte bündeln, können wir unsere ganz spezifischen Themen in die Öffentlichkeit hineintragen. Mit hinreichender Kraftanstrengung und guter Themenwahl können wir auf Sendung gehen und unsere Gesellschaft mit geistlichen Themen erreichen.

Eine weitere Einsicht aus dem Paul-Gerhardt-Jahr hängt eng damit zusammen: Unsere Gesellschaft verträgt und verlangt spezifisch geistliche Themen; es gibt eine neue religiöse Neugier. Die so oft von uns selbst ins Feld geführte Abständigkeit unserer Themen von dem, was die Gesellschaft vermeintlich hören und haben will, ist oftmals lediglich eine innere Bremse, eine Art Schweigefalle. Wir können und wir sollten mutiger und selbstbewusster die geistlichen Schätze und theologischen Reichtümer der Väter und Mütter unseres Glaubens in die Mitte der Aufmerksamkeit stellen.

Mir selbst jedenfalls hat sich in den dreizehn Jahren meines Bischofsamts ein bestimmtes biblisches Wort immer stärker als Leitwort aufgedrängt und eingebrannt: Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben (Römer 1, 16). Ich bin davon überzeugt: Die Bedeutung und der Einfluss der Religion, insbesondere der Kirchen, auf die Gesellschaft – durch Gottesdienst und Seelsorge, durch kulturelle Präsenz und politische Äußerungen, Gemeinwohlarbeit in den Kommunen, Diakonie und Bildung – wird an Bedeutung weiter wachsen. Allerdings geschieht dies vorrangig an den Punkten, an denen sich für die gesellschaftlichen Kräfte eine Auseinandersetzung mit der Meinung der Vertreter der Religionsgemeinschaften qualitativ lohnt. Schon ist in diesem Zusammenhang von einem kulturellen Wettbewerb (Wolfram Weimer) die Rede, der auch ein Wettbewerb um die Positionen und Antworten ist, die am meisten überzeugen. Unverkennbar wächst die Nachfrage nach der geistlichen Orientierung, die von den Religionsgemeinschaften ausgeht. Unsere christlichen Kirchen und Gemeinden müssen darauf antworten mit der Konzentration auf das, was allein sie vertreten können: mit der Orientierung an der Wirklichkeit Gottes. Die Kirchen vermögen es, Orte und Riten anzubieten, die über ihre eigenen Mitglieder hinaus tragfähig sind. Entwickeln wir Zutrauen zu den neuen und überraschenden Wegen, auf denen das geschieht.

II.

Diese Beobachtungen aus Anlass des Paul-Gerhardt-Jahrs sind exemplarisch für eine Veränderung in den Tiefenschichten unserer Welt. Sie ist im Kern mit dem Schlagwort von der Wiederkehr der Religion eingefangen. Um diesen Begriff rankt sich eine Auseinandersetzung, in der es zugleich um die  Grundfragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens geht.

Dabei spielt auch eine gewichtige Rolle, dass sich die meisten Prognosen der letzten Jahrzehnte zur Rolle der Religion als falsch erwiesen haben. Über Jahrzehnte war es in unserer Gesellschaft eine Art säkularer Glaubenssatz, dass Glaube und Religion ihre Zeit gehabt hätten. Die Abgesänge auf das Christentum und auf die Religionen insgesamt waren nicht zu überhören. Ob man nun an den neuzeitlichen Fortschrittsoptimismus denkt mit seiner These, mit der Zeit würden Gott und Glauben schlicht überflüssig werden, oder an den Anspruch der Wissenschaften, die Welt auch ohne die Hypothese Gott erklären zu können: inzwischen ist die Fraglichkeit der einen wie der anderen Position offenkundig geworden. Ob man sich an die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft erinnert und an die Voraussage, die Religion als Opium des Volkes werde sich von allein erledigen, wenn denn nur die Verhältnisse gerecht geworden seien, oder ob man an die pseudowissenschaftlich-darwinistische Weltanschauung der Nazi-Zeit denkt mit ihrem Ziel, nicht nur das Judentum auszurotten, sondern auch den schwächlichen Geist des Christentums: solche totalitären Ideologien haben sich allesamt selbst widerlegt. Auf andere Weise ist es auch um die Großerzählung des Projektes Aufklärung still geworden; denn auch eine sich selbst überlassene Vernunft, eine ohne Wertebindung existierende Rationalität überschreitet die Grenzen ihrer Zuständigkeit, wenn sie sich selbst absolut setzt.

Aber die Wiederkehr der Religion ist nicht nur Ergebnis der Schwäche anderer Deutungsmuster der Moderne. Denn auch die Rolle der Kirchen hat sich jedenfalls in Europa während der vergangenen zweihundert Jahre tiefgreifend gewandelt. In vielen Bereichen haben sie im Prozess der Säkularisierung ihre unmittelbare, mit staatlicher Unterstützung durchsetzbare Bestimmungsmacht verloren. Die Zeit der Staatskirchen ist vorbei; die staatlichen Gesetze werden nicht mehr von den Kanzeln verkündet. Doch die Wirkungsgeschichte des Evangeliums dauert an: Die Botschaft von Gottes Gnade wird verkündet, Menschen gründen ihr Leben im Glauben und lassen sich zu Taten der Liebe anstiften, der Gedanke der christlichen Freiheit wirkt auch dort fort, wo ein Hinweis auf seine Wurzeln fehlt. Viele Gewächse der Moderne gedeihen auf einem jüdisch-christlichen Nährboden, ohne dass das allgemein bewusst ist. Der Gedanke der Menschenrechte, die Ausgestaltung des demokratischen Staates, die Orientierung gesellschaftlichen Handelns an Gerechtigkeit und Solidarität oder die Idee eines Europas der Versöhnung und des Friedens verdanken sich entscheidenden Impulse des christlichen Glaubens und mit ihm der jüdischen Tradition. Auch deswegen gehört die Vorstellung, dass sich der Glaube in die Privatsphäre abschieben lasse und dass gesellschaftliches Zusammenleben ohne die öffentliche Erkennbarkeit von Religion und Glaube möglich sei, der Vergangenheit an. Und deshalb sollte auch die Auffassung, eine Präambel des Europäischen Verfassungsvertrages könne ohne den Hinweis auf Gott oder auf die jüdisch-christliche Tradition auskommen, ebenfalls bald der Vergangenheit angehören.

Die Wiederkehr der Religion geht mit einem neuen Gespür dafür einher, dass ein komplett diesseitiges, rein wirtschaftstaumeliges und radikal konsumzentriertes Leben zu banal, zu äußerlich und zu oberflächlich ist. Je unerbittlicher die europäische Welt auf die globalisierte Wirtschaft ausgerichtet wird, je strikter Markt und Finanzkraft, Lohnnebenkosten und Konkurrenzkampf das Leben aller bestimmen sollen, desto stärker wird nach Gegenkräften gefragt. Die meisten spüren, dass Konsum allein nicht Halt gibt, dass Wirtschaft allein nicht Sinn schenkt, dass Funktionieren allein nicht Bedeutung verleiht. Mit der Rückkehr der Religion rebelliert die Seele der Menschen gegen ihre kommerzielle Reduktion.

Unkritisch können wir freilich mit dieser Wiederkehr der Religion nicht umgehen. Allzu triumphale Töne machen für die eigenen Fehler blind. Und dass die Wiederkehr der Religion auch ihre Schattenseiten hat, ist unverkennbar. Manche meinen damit nur eine ästhetische Erbauung, ohne bestimmten Inhalt; deshalb wäre es ihnen am allerliebsten, wenn nicht nur die römische Messe, sondern auch der evangelische Gottesdienst in lateinischer Sprache gehalten würde – damit man sich am reinen Ritus erfreuen kann, ohne durch den Inhalt des Evangeliums gestört zu werden. Aber so richtig eine neue Aufmerksamkeit auf die Kraft des Ritus auch für den evangelischen Bereich ist, so wenig überzeugt die Inhaltsleere einer rein ästhetischen Religiosität. Religion, die nur vertröstet, stellt den prophetischen Impuls der biblischen Botschaft still.

Aber auch andere Gefahren sind nicht zu verkennen. Die Aufkündigung der Freiheit der Religion und der eigenständigen Verantwortung des Politischen enthält eine besondere Gefahr. Religion, die das Bündnis mit der Aufklärung aufkündigt, verweigert sich einem kritischen Wahrheitsanspruch. Fanatismus und Gewaltbereitschaft, die sich der wiederkehrenden Religion bedienen, fordern Widerspruch heraus. Auch aus diesen Gründen ist im Dialog der Religionen heute Klarheit vonnöten. Als christliche Kirchen müssen wir einvernehmlich sagen, dass Dialog und Mission sich nicht ausschließen – auch nicht im Verhältnis zum Islam. Mich hat beeindruckt und gefreut, dass Papst Benedikt XVI. mir gegenüber in der vergangenen Woche gerade aus diesem Grund seine Wertschätzung für die Handreichung der EKD Klarheit und gute Nachbarschaft zum Ausdruck gebracht hat.

Eine Haltung, die damit rechnet, dass mit der Wiederkehr der Religion gleichsam automatisch auch eine verstärkte Zuwendung zum christlichen Glauben gegeben ist, verschätzt sich. Zwar ist in vergleichsweise kurzer Zeit deutlich geworden, dass die Frage nach Gott eine der Fragen ist, in denen man zu einer persönlichen Entscheidung kommen muss. Während 1992 noch ein Drittel der (West-)Deutschen auf die Frage, ob sie an Gott glauben, antworteten, sie wüssten das nicht, sind es heute noch drei Prozent. Gestiegen ist in der Zwischenzeit nicht nur die Zahl derjenigen, die sich zum Glauben an Gott bekennen (von 50 auf 64 Prozent), sondern auch die Zahl derjenigen, die diesen Glauben für sich ablehnen (von 20 auf 33 Prozent). Aber das Entscheidende ist: Die Indifferenz ist in einem erstaunlichen Maß zurückgegangen. Menschen verstehen sich wieder als religiös. Aber Klarheit darüber, was sie damit meinen, suchen sie oft nicht in den Kirchen. 85 Prozent der Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren sehen die Frage nach Gott als wichtig an. Aber nur zwanzig Prozent der Erwachsenen haben starke Erwartungen an die Kirchen. Doch richtig ist auch: Die Anmeldungen zur Jugendweihe sind in Ostdeutschland innerhalb weniger Jahre ungefähr um die Hälfte zurückgegangen. Nicht etwa die absoluten Zahlen, aber der Anteil der Konfirmanden am jeweiligen Altersjahrgang steigt gleichzeitig schrittweise, aber deutlich an – im Bereich meiner eigenen Landeskirche inenrhalb von fünf Jahren von acht auf sechzehn Prozent. Das sind Entwicklungen, die es verdienen, bewusst wahrgenommen und entschieden gefördert zu werden.

Zu Recht wird intensiv darüber diskutiert, ob der Ausdruck Wiederkehr der Religion die Sache trifft, um die es geht. Dabei wird einerseits zu Recht darauf hingewiesen, dass von einer Wiederkehr doch nur die Rede sein kann, wenn zuvor etwas verschwunden war. Dies ist aber im Blick auf die Religion bei Leibe nicht der Fall. Der Soziologe Hans Joas betont daher zu Recht, dass es nicht um eine Rückkehr der Religion geht, sondern um einen Bewusstseinswandel in der Beurteilung von Religion. Und muss man nicht ebenso nüchtern sagen - wie der Theologe Ulrich Körtner bemerkt -, dass man mindestens auch von einem massenhaften Gewohnheitsatheismus reden könne, der ganz selbstverständlich ohne Gott lebt und diese Lebensform auch keineswegs als Problem erlebt. Ist Bischof Axel Noacks Bemerkung nicht zutreffend, dass wir es mit einer Generation zu tun haben, die nicht nur Gott vergessen hat, sondern auch vergessen hat, dass sie ihn vergessen hat? Angesichts von fast 75% Konfessionslosen in den neuen Bundesländern und einer weiteren Zunahme von Religionslosigkeit in den Großstädten kann man nicht einmal ungebrochen von einer Wiederkehr der Aufmerksamkeit für Religion sprechen, sondern lediglich von einer neuen Sichtbarkeit religiöser Fragen und Phänomene in der Öffentlichkeit. Insofern erscheint es angemessener, nicht von einer Wiederkehr der Religion, wohl aber von einer Wiederentdeckung der Religion zu sprechen. Die Religionen als bestimmende Lebensmacht waren nicht verschwunden, aber ihnen wird gegenwärtig eine neue Aufmerksamkeit zuteil; und eben daraus ergeben wich besondere Chancen wie besondere Verpflichtungen auch für unsere Kirche.

III.

Der Wiederentdeckung der Religionen soll nun eine Wiederentdeckung der eigenen Religion entsprechen! Dies ist eine der Kernthesen nicht nur des Impulspapiers Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelischen Kirche im 21. Jahrhundert, sondern des ganzen, von dort ausgehenden Reformprozesses in der evangelischen Kirche.

Man kann hinter den Thesen des Impulspapiers, aber auch hinter den Reformanstrengungen des Zukunftskongresses und der von dort ausgehenden Staffelübergabe des Reformgeschehens an die Landeskirchen und Institutionen, an die Kirchenkreise und Gemeinden diese Grundmelodie erkennen: Die evangelische Kirche reagiert auf die heutige gesellschaftliche Situation mit der Wiederentdeckung der eigenen Religion, mit der Stärkung des eigenen Glaubens und der Freilegung der eigenen Schätze. Ob man nun die im Impulspapier intensiv gestellten Fragen nach der Qualität geistlicher, liturgischer und seelsorgerlicher Arbeit im Kernbereich in den Blick nimmt oder die Stärkung der Bildungsarbeit im evangelischen Raum, ob man über die so umstrittenen Zielzahlen beim Gottesdienstbesuch oder bei Amtshandlungen nachdenkt oder an die bewusste Bejahung missionarischen Gemeindeformen denkt, überall steht gleichsam als Überschrift: Stärkung des Christlichen, Hebung der eigenen Glaubensschätze, Betonung der Erkennbarkeit.

Es geht in dem Reformprozess keineswegs zuerst um Organisationsfragen, sondern um einen inhaltlichen Aufbruch, der in dem Grundsatz des Impulspapiers festgehalten ist: Geistliche Profilierung statt undeutlicher Aktivität. Es geht auch um die Frage, ob wir es schaffen, in absehbarer Zeit die Diskussionen um Strukturen und Organisationen hinter uns zu lassen und uns in verstärkter Konzentration unserem Kerngeschäft zu widmen, der Verkündigung des Evangeliums. Wir können und wir sollen nicht eine weitere Dekade in unserer Kirche mit Strukturfragen zubringen, wir brauchen eine inhaltliche Konzentration und geistliche Vertiefung in aller Vielfalt unserer Kirche. Das Reformpapier und der Wittenberger Zukunftskongress haben dies vor Augen geführt: Es gibt eine neue Lust auf Inhalt auch in unserer Kirche, und damit verbunden eine neue Entschlossenheit, die Organisations- und Strukturfragen schnell und klar zu lösen, damit wir nicht alle drei Jahre ein neues Reformprogramm auflegen müssen.

IV.

Die Wiederentdeckung der eigenen Religion lässt sich inhaltlich nun in vielfältiger Form darstellen; ich will dafür den Weg wählen, bestimmte Aspekte des Glaubensverständnisses ins Zentrum zu rücken. Denn in der evangelischen Kirche ist der Glaube das Zentrum dessen, was wir den Menschen über unser Verstehen Gottes in Jesus Christus zu sagen haben. Im Zeugnis, dass Jesus Christus der Herr ist, und im Glauben, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat (vgl. Römer 10, 9f.), hat die Kirche ihren Wurzelgrund. Dieser Glaube wird schon in der christlichen Tradition in vielfachen Bezügen ausgelegt. Die Reformation hat das auch im Blick auf den Glauben selbst deutlich gemacht. Sie unterscheidet im Glauben an Jesus Christus die Dimensionen der Erkenntnis (notitia), der bewussten und willentlichen Zustimmung (assensus) und des Vertrauens (fiducia).

Erstens: Glauben als Erkennen. Die Glaubenserkenntnis hat es mit der Frage nach der Wahrheit zu tun. Es geht ihr um das Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft. Die evangelische Gestalt des christlichen Glaubens steht in besonderer Weise für einen verstandenen Glauben. Schon für das Neue Testament bedeutet zum Glauben kommen so viel wie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. An diese Wahrheitsverpflichtung knüpft die Reformation an. Deshalb ist sie von Anfang an auf das Verstehen des Glaubens gerichtet. Den Glauben zu verstehen, bedeutet, sich seinem inneren Zusammenhang anzunähern. Dass der Glaube uns in unserem Leben ergreift, dass Jesus Christus unser Leben verwandelt, bleibt ein Geheimnis. Wo immer Glaube sich ereignet, ist dies ein Wunder. Aber dieses Wunder drängt auf Verstehen. Wir wollen die Bündigkeit des Glaubens begreifen.

Deswegen wird die Diskussion um das Verhältnis von Glaube und Vernunft mit neuer Leidenschaft geführt. Nicht zuletzt die Rede von Papst Benedikt XVI. in Regensburg hat dazu beigetragen. Dabei muss uns gar nicht zuerst der vielleicht missverständliche Rekurs auf die Äußerungen eines ostkirchlichen Kaisers von 1391 beschäftigen, wohl aber die Einordnung der Reformation in ein Enthellinisierungsprogramm als vermeintliche Verfallsgeschichte der Neuzeit. Auch die Reformationskirchen und ihre Theologie haben immer für einen engen und notwendigen Zusammenhang zwischen Glauben und Vernunft plädiert, allerdings ohne eine Festlegung auf eine bestimmte historische Konzeption der menschlichen Vernunft. Auch der griechische, genauer: der platonische Vernunftbegriff ist ja nur einer unter vielen Möglichkeiten, die Vernunft zu verstehen. Es gibt keinen zwingenden Grund, das Zeugnis des Evangeliums in seiner untrennbaren Zuordnung und seiner unaufhebbaren Gegenüberstellung zur Vernunft allein an eine historische Phase des Vernunftbegriffs zu binden.

Vielmehr muss es heute darum gehen, dass wir an dieser Schnittstelle zwischen Glauben und Vernunft in ein gemeinsames Ringen mit jenen Geistern eintreten, die Glaube und Vernunft trennen wollen,  - sei es, um den Glauben vernunftfrei und damit irrational zu machen, sei es, um die Vernunft glaubensfrei zu halten und damit absolut zu setzen.

Beim Verstehen des Glaubens geht es nicht anders zu als beim Verstehen eines Menschen. Einen Menschen verstehe ich nicht, wenn ich diese oder jene Tat erklären, diesen oder jenen Satz wiederholen kann. Ich verstehe ihn, wenn ich erfasst habe, was ihn als Person ausmacht; dann kann ich seine Reaktionen einordnen und unter Umständen sogar voraussagen. Meine Sympathie bleibt ihm auch dort erhalten, wo mir manches an ihm rätselhaft ist. Ähnlich ist es mit dem Verstehen des Glaubens. Wenn es mir gelingt, den inneren Kern des christlichen Glaubens zu erfassen, kann ich eigenständig nachvollziehen, was er für die großen Fragen meines Lebens bedeutet. Meine Sympathie für diesen Glauben bleibt auch dort erhalten, wo mir manches an ihm rätselhaft bleibt. Das Verstehen des Glaubens zeigt sich also nicht an der Menge der Glaubenssätze, die ich für mich selbst als richtig anerkenne. Es zeigt sich an der Gewissheit, in der dieser Glaube mein eigenes Leben bestimmt.

Zweitens: Glauben als willentliche Zustimmung. Zum Glauben gehört als Zweites die Dimension der bewussten, willentlichen Zustimmung. Hier geraten in besonderer Weise die in den Blick, die um diese Zustimmung ringen: diejenigen, die den Glauben verstehen wollen, um seine Aneignung sich mühen, und sei es auch in der Sprache der Zweifler. Es ist meine feste Überzeugung, dass die bewusste Auseinandersetzung mit den Zweiflern eine der wichtigen Zukunftsaufgaben unserer Kirche ist. Das Fragen, das Zweifeln, die Suche nach Orientierung gehören zum Weg des Glaubens dazu. Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben – so lautet ein neutestamentliches Gebet, das an Kürze und Aufrichtigkeit nur schwer zu überbieten ist (Markus 9,24). Eine Kirche, die zu allen Menschen von Gottes freier Gnade  sprechen will, steht auch den Zweiflern nahe. Sie nimmt die Menschen – auch die, die an den Rändern der Kirche leben – wahr und ernst.

Unsere Aufmerksamkeit, so will ich auch hier wieder betonen, muss ganz besonders der kirchlichen Außenhaut gelten, also den Menschen, die man als kirchliche Membran bezeichnen kann: Menschen, die sich der Ortsgemeinde gern für einen kurzen Lebensabschnitt zuordnen; Eltern, die ab und an den Gottesdienst besuchen würden, wenn es ein geeignetes Angebot gäbe, das ihre Kinder einschließt; Interessierte außerhalb der Kirche, die für bestimmte Vorhaben erhebliche Gelder spenden; vor Jahren oder Jahrzehnten Ausgetretene, die darüber nachdenken, wieder in die Kirche zurückzukehren. Entgehen uns die Schwingungen dieser kirchlichen Membran? Oder finden solche Menschen in unserem kirchlichen und gemeindlichen Handeln die Aufmerksamkeit, die sie verdienen? Ebenso wichtig wie die Konzentration auf die geistliche Mitte des christlichen Glaubens ist die bewusste Außenorientierung hin zu den Menschen, die von unseren regelmäßigen kirchlichen Angeboten gar nicht oder nur schwer erreicht werden, denen die Botschaft von Gottes freier Gnade aber genauso gilt wie den treuen Kirchennahen.

Das Ringen um das Verstehen des Glaubens mit den Zweiflern kann und wird auch unsere Kirche verändern. Denn es ist ja noch nicht ausgemacht, dass wir bei ihnen nicht richtige und wichtige Fragen hören. Dass wir nicht nur auf Sendung gehen, um unsere Angebote und Antworten nach außen zu tragen, sondern dass wir auch auf Empfang gehen und unser eigenes Verstehen des Glaubens erweitern und vertiefen. Der alte pietistische Grundsatz gilt doch auch heute: Es geht nicht allein darum, Christus zu den Fernen zu bringen, sondern darum, Christus bei den Fernen zu finden!

Drittens: Glaube als Vertrauen. Schließlich gehört zum Glauben das Vertrauen, die Beheimatung in Gottes Wort. Denn der Glaube ist in seinem Kern Vertrauen. Er hat es damit zu tun, dass wir im eigenen Leben nicht nur auf die eigene Kraft bauen, sondern das Leben als Gabe empfangen. Glaube ist Vertrauen, weil er sich auf Gott richtet, der sich uns Menschen in Jesus Christus liebend zuwendet, bevor er etwas von uns fordert. Dieses Vertrauen bestärkt darin, mit der eigenen Gegenwart im Licht der Hoffnung umzugehen. Es ist dieses Vertrauen, das die Kraft zur Umkehr enthält aus den Todesverhängnissen unserer Zeit, aus den Sackgassen des Lebens und aus den Haltlosigkeiten der persönlichen Biographie heraus. Schöpfung, Liebe, Hoffnung und Umkehr: so lassen sich die vier zentralen Motive eines Glaubens beschreiben, der in seinem Kern Vertrauen ist.

Dass Glaube in seinem Kern Vertrauen ist, entdecken wir in einer Situation, die durch gestörtes Vertrauen geprägt ist. Misstrauen weckt nicht nur eine Welt, in der Gewinninteressen wichtiger sind als ethische Verantwortung, Einschaltquoten wichtiger als die Wahrheit, Machterhalt wichtiger als der moralische Grundkonsens. Die Erosion des Vertrauens vollzieht sich zugleich auf biographischer Ebene. Das Selbstvertrauen vieler Menschen ist in Frage gestellt. Wie sollen sie Vertrauen in sich und ihre Kräfte entwickeln, wenn sie keine Arbeit haben? Wie sollen junge Menschen Vertrauen entwickeln, wenn ihnen von der vorangehenden Generation kollektiv Schulden für einen Lebensstil aufgehalst werden, den sie selbst kaum werden erreichen können? Wie soll Vertrauen wachsen in einer Gesellschaft, in der die Hoffnung auf Glück nicht mehr am Aufwachsen von Kindern erkennbar sein soll, sondern nur am beruflichen Erfolg oder am materiellen Konsum, am kurzfristigen Erleben oder an haltloser Vordergründigkeit? Dabei wissen wir im Grunde genau, dass all das kein Ersatz ist für ein Vertrauen, aus dem eine Zukunftsgewissheit wächst, mit der wir leben können. Deshalb ist es so wichtig, im Vertrauen ein Grundwort christlicher Existenz neu zu entdecken. Wenn Jesus die niedergedrückten Menschen, auf die er traf, wieder aufrichtete, so war das Entscheidende das Vertrauen, das er in ihnen wachrief: Dein Glaube hat dir geholfen. Geh hin in Frieden.

Der Glaube, den Jesus den Menschen zusprach, ist in seinem Kern Vertrauen. Jesus weckte das elementare Zutrauen dazu, dass Gott für das Leben Gutes will. Gewiss ist das Gute nicht immer identisch mit dem Erwarteten. Aber der Blick auf das Gute, das Gott will, macht frei für die Zukunft. Biblisches Vertrauen ist in seinem Kern Gottvertrauen, nicht Vertrauen auf das eigene Selbst. Darum besteht der wichtigste Beitrag, den wir als Kirche zum Gedeihen des Vertrauens in unserer Welt leisten können, in der Stärkung des Gottvertrauens.

Auch dies ist ein Stück Wiederentdeckung der eigenen Religion, wenn wir den Zustand der Selbsteinschüchterung (Hans Joas) verlassen, und voller Zuversicht und Mut von diesem einzigartigen Vertrauen in Gott erzählen. Wir belassen es dann nicht dabei, den Verlust an Vertrauen zu beklagen und die Vorgänge zu benennen, die zur Erosion des Vertrauens beitragen – obwohl auch das immer wieder nötig ist, ohne falsche Scheu und Zurückhaltung. Doch Klage und Anklage allein schaffen noch kein Vertrauen. Sie zeigen im günstigsten Fall, warum es fehlt. Stärkung des Gottvertrauens aber geschieht in der Stärkung gelebten Glaubens, in gottesdienstlichen Feiern mit Stil und Qualität, in der lebendigen Erfahrung einer Gemeinschaft aus Glauben, in einer Bildungsarbeit, die auf einen verstandenen und gelebten Glauben zielt. Es geschieht in einer Seelsorge, die Menschen dahin führt, wo sie aus Gottvertrauen zur Freiheit und ins Freie finden, und in einer Diakonie, die den ganzen Menschen in den Blick nimmt. Es ist gut, dem Glauben einen Ort im eigenen Leben wie in unserer Gesellschaft zu geben, indem wir zeigen: Gottvertrauen, Vertrauen in unsere Mitmenschen und Selbstvertrauen gehören zusammen.

Unter den damit beschriebenen Aufgaben hebe ich eine noch ganz besonders hervor: die Stärkung eines persönlichen Glaubens. Nach meiner Überzeugung sollte es nicht länger als typisch protestantisch gelten, dass wir das Innenleben des Glaubens, die spirituelle Landschaft im Herzen, die geistige Tiefe in der Seele vernachlässigen. Vielmehr werden wir gerade aus solcher geistigen Tiefe und theologischen Klarheit, aus dem Miteinander von theologischem Profil und spiritueller Dichte heraus auch in unseren Taten, in unserem Sagen und in unserem Trösten zu einer neuen Tiefe und Klarheit kommen. Ich bin davon überzeugt, dass neben kritischer Aufklärung und dialogischer Toleranz, neben sozialem Engagement und diakonischem Tun auch eine gereifte Innerlichkeit, auch eine an Bibel und Bekenntnis orientierte Sehnsucht nach einem Ankommen bei Gott eines der kräftigsten Widerstandsnester ist gegen alle Kommerzialisierung und Rationalisierung unseres Lebens.

V.

Ich bin davon überzeugt, dass sich mit einem solchen Konzept der Wiederentdeckung der eigenen Religion gute Perspektiven für den Weg unserer Kirche im 21. Jahrhundert entwickeln lassen. Der Reformprozess, der durch den Zukunftskongress in Wittenberg den Schritt vom Text zum Prozess geschafft hat, macht bei dieser Einschätzung Mut. Es ist eine ungeahnte Bereitschaft vorhanden, ihn in den einzelnen Landeskirchen und Regionen je unter den regionalen Bedingungen weiterzuführen. In Wittenberg war ein aufbruchsgestimmter, zuversichtlicher Protestantismus versammelt, der aus der Gewissheit heraus, dass die Zukunft der Kirche in Gottes Hand liegt, beherzt die gemeinsamen Wege in die Zukunft diskutierte. In Wittenberg hatte das Lamentieren Platzverbot und die Klagen hatten Ausgang bekommen.

Eine der überraschenden Einsichten der bisherigen Reformanstrengungen und des Kongresses in Wittenberg besteht für mich darin, dass wir auch innerhalb unserer evangelischen Kirche noch viel zu wenig voneinander wissen – und sei es auch nur über die Nachbarlandeskirche oder die Nachbargemeinde. An vielen Stellen haben wir die staunenswerte Schätze, die weiterführenden Ideen und hilfreichen Anregungen, die an den verschiedenen Orten in den Landeskirchen schon gedacht, ausprobiert und umgesetzt worden sind, noch nicht entdeckt. Deswegen bin ich sehr dankbar dafür, dass die Gliedkirchen entschlossen und engagiert Kooperationsprozesse verstärken, dass sie mit Pilotprojekten und stellvertretenden Verabredungen untereinander, mit gemeinsamen Kompetenzzentren und gesamtkirchlichen Initiativen die Reformbemühungen fortsetzen.

Es gehört zum Verheißungsvollen der gegenwärtigen Situation, dass die Landeskirchen einerseits ihre besonderen Schwerpunkte und Stärken gleichsam als Botschafterthemen anderen anbieten und andererseits mit Kundschafterthemen Fragen an die anderen Landeskirchen stellen, die ihnen besonders wichtig sind. Damit ist eine neue Phase der Zusammenarbeit im deutschen Protestantismus erreicht; und ich sage gerne, dass mich das sehr zuversichtlich stimmt. Und darum bitte ich auch Sie alle herzlich, sich an ihrem Ort und nach Kräften mit ihren Gaben einzubringen. Dass die Gnadauer Gemeinschaftsbewegung in und mit der Kirche, aber nicht unter der Kirche arbeiten will, ist ein Selbstverständnis, zu dem auch die Bereitschaft gehört, besondere Erfahrungen und geistliche Einsichten einzubringen. Die evangelische Kirche braucht die Vielfalt der unterschiedlichen geistigen und geistlichen Strömungen. Die unterschiedlichen Gaben und Begabungen sind ein Reichtum, der sich dann auszahlt, wenn wir uns miteinander nach außen wenden, um Menschen für das Evangelium zu begeistern.

Wenn manche Landeskirchen nun damit begonnen haben, einzelnen kirchlichen Orten mit den Gaben der Mitglieder Ihres Verbandes ein besonderes Profil zu geben, dann wird sich darin bestätigen: Der Pietismus ist eine wichtige Quelle geistlicher Profilierung. Er hat und er kann weiter in guter Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Kirchenkreisen kräftige Farben hervorbringen. Dies gelingt dort am besten, wo die Grundlagen evangelischen Kircheseins nicht in Frage gestellt sind. So ist für uns die Zusammengehörigkeit von Taufe und konkreter Kirchmitgliedschaft unauflöslich; wir können und wollen an diesem Punkte nicht die ökumenische Gemeinsamkeit mit den anderen christlichen Kirchen in Gefahr bringen. Das wäre auch angesichts der Vereinbarung über die wechselseitige Anerkennung der Taufe für niemanden zu verstehen.

Dies führt mich zu einer letzten Überlegung. Natürlich wird und soll der Reformprozesses in unserer Kirche nicht in einen Zentralismus münden. Die Sorge ist unbegründet, es ginge im Reformprozess der EKD um Zentralismus. Schon ein kurzer Blick in die Grundordnung der EKD zeigt die Unmöglichkeit dieses Gedankens. Die EKD wird gerade dadurch, dass sie in der Wahrnehmung ihrer genuinen Aufgaben eine Dienstleistung für ihre Gliedkirchen sieht, den Prozess der Kirchwerdung der EKD am besten fördern. Eben deshalb aber kann der Weg der evangelischen Kirche in die Zukunft nicht allein durch Zufälle gesteuert werden. Wir brauchen vielmehr ein ausreichendes Maß an gemeinsamer Erkennbarkeit, um dem evangelisch geprägten Christlichen in unserem Land Wiedererkennbarkeit zu verleihen. Eine erkennbare Spur der Gemeinsamkeiten macht unsere Vielfalt überhaupt erst zu evangelischer Pluralität. Deshalb werden wir immer wieder um Gemeinsamkeiten ringen müssen; das geht nur durch das Wort und durch die Diskussion darüber, was an unveräußerlichen Gemeinsamkeiten nötig ist. Es gehört zu den Kennzeichen einer auf Sendung gehenden Kirche, dass sie sich in ihren Grundzügen erkennbar macht und so Beheimatung anbietet, die zwischen Regensburg und Flensburg nicht gänzlich verschieden ausfällt.

Paul Gerhardt ist dabei ein guter Wegbegleiter. Er vermittelt die Gewissheit des Glaubens in einem seiner bekanntesten Lieder so: Wohl dem, der einzig schauet / nach Jakobs Gott und Heil!/ Wer dem sich anvertrauet, / der hat das beste Teil, / das höchste Gut erlesen, / den schönsten Schatz geliebt; / sein Herz und ganzes Wesen / bleibt ewig unbetrübt. (EG 302, 2)