"Gott und Geld : Christliche Ethik und wirtschaftliches Handeln" - Vortrag im Langenscheidt Verlag in München

Wolfgang Huber

I.

Gott und Geld sind nahe miteinander verwandt. Man muss nicht so weit gehen wie Jochen Hörisch in seinem Buch über Gott, Geld und Medien, der die Behauptung aufstellt, Hostie, Münze und CD-Rom seien die Leitmedien unserer Zeit, eine Behauptung, die in ihrem distanzierten Ton bereits blasphemisch wirkt. Man braucht auch noch nicht der zumindest skeptischen, vielleicht sogar zynischen Distanz Voltaires zu folgen, der behauptet hat, wenn es um Geld gehe, gehöre jeder der gleichen Religion an. Aber man spürt doch schon an diesen beiden Zitaten: Einerseits hat das Geld eine große Nähe zum Göttlichen; andererseits ist es der große Gleichmacher, ein universaler Maßstab, vor dem viele Unterschiede verblassen, sogar Unterschiede der Religion.

Es gibt einen ursprünglichen Zusammenhang zwischen Geldwirtschaft und Religion. Forschungen über den Ursprung der Geldwirtschaft machen plausibel, dass das Geld in der sakralen Sphäre, am Ort des Heiligen, entstanden ist. Das gilt nicht nur deshalb, weil sakrale Orte von früh an zugleich Orte des Handels waren, wie wir das heute noch in Moscheen, an Wallfahrtsorten wie in touristisch attraktiven Kirchen beobachten können. Den Konflikt, der dadurch entstehen kann, hat Jesus bereits dramatisch zur Geltung gebracht, als er die Händler aus dem Tempel in Jerusalem vertrieb, weil er nicht wollte, dass das Haus Gottes zu einer Räuberhöhle würde.

Aber dieser praktische Zusammenhang ist nicht alles. Die magische Kraft des Geldes und seine religiöse Qualität haben tiefere Gründe. „Geld ist das Geltende schlechthin“, hat Georg Simmel gesagt, denn es ist die reine Potentialität. Es ist bloßes Mittel, offen für alle Verwendungsweisen. Es ist in diesem Sinn „all-mächtig“. Mit ihm kann man ein „Vermögen“ machen, also die Potentialität steigern. Geld ist „all-gegenwärtig“; es hat in einem Siegeszug ohnegleichen die ganze Welt erobert und verwandelt sie unaufhörlich. „Globalisierung“ nennen wir diesen Siegeszug und versuchen, durch die Konstruktion eines „Weltethos“ und andere Maßnahmen die Weltherrschaft allgegenwärtiger Finanzströme in Grenzen zu halten, wohl wissend, wer eigentlich der Stärkere ist. Denn Geld ist ubiquitär, an allen Orten zugleich präsent. Über mein Vermögen, so ich es habe, kann ich verfügen, an welchem Ort ich mich auch gerade befinde. Das Geld wird zum Äquivalent aller Werte.

Entgegengesetztes kann mit ihm ausgedrückt werden: Kunst oder Waffen, Lebensmittel oder Gift. All diese Gegensätze fallen im Geld zusammen.
Als Vereinigung der Gegensätze hat die theologische Tradition Gott gedeutet; Nikolaus von Kues sprach programmatisch von einer „coincidentia oppositorum“. Gott und Geld sind eben nahe miteinander verwandt. Das zeigt sich auch an der Leichtigkeit, mit der wir Gottesprädikate auf das Geld anwenden: Allmacht und Allgegenwart sind uns bereits begegnet. Es gibt nur einen kleinen Unterschied. Von Gott sagen wir: Gott ist alles; deshalb ist ohne Gott alles nichts. Vom Geld aber sagen wir: Geld ist nicht alles; und fügen – vielleicht zu kühn – hinzu: Aber ohne Geld ist alles nichts.

Gerade weil Gott und Geld so nahe miteinander verwandt sind, ist es lebensentscheidend, ob wir Gott und Geld unterscheiden können. Die Verehrung des einen Gottes und die Anbetung des Geldes sind nämlich nicht miteinander vereinbar. Das ist eine Erfahrung, die jeder machen kann, der mit sich, seinem Geld und seinem Gott ehrlich umgeht. Es ist deshalb eine Erfahrung, die auch in der biblischen Überlieferung fest verankert ist. Vom Tanz um das Goldene Kalb spannt sich der Bogen dieser Unvereinbarkeit bis zu Jesu Beispielgeschichte vom reichen Kornbauern oder vom reichen Mann und dem armen Lazarus; vor allem reicht sie bis zu der Begegnung Jesu mit dem reichen Jüngling, der fragt, was er denn tun müsse, um das ewige Leben zu haben. „Geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach“ (Matthäus 19, 21). Der Jüngling ging betrübt von dannen, denn sein Herz hing an seinem Besitz. „Woran du aber dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ So kommentiert Martin Luther diese Erfahrung. Die Alternative, um die es geht, bringt Jesus selbst auf die schroffe Alternative: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Matthäus 6, 24).

II.

Die Unvereinbarkeit, von der hier die Rede ist, wird heute vor allem auf zwei Weisen aktuell: durch die gesteigerte Universalität des Geldes einerseits oder durch die Fixiertheit auf sein Fehlen.

Das eine Phänomen ist die gesteigerte Universalität des Geldes. Der anglikanische Bischof von Durban (Südafrika), Peter Selby, hat schon vor Jahren ein Buch geschrieben, das den Titel trägt: „Grace and Mortgage. The Language of Faith and the Debt of the World“ (Gnade und Hypothek. Die Sprache des Glaubens und die Schuld der Welt). Darin führt Peter Selby aus, wie stark das gegenwärtige Wirtschaftssystem darauf ausgerichtet ist, Menschen zum Schuldenmachen zu veranlassen. Kreditkarten, genauer: Schuldkarten, sind zum Symbol wie zum Instrument dafür geworden. Den Menschen werden durch den bargeldlosen Zahlungsverkehr Handlungsmöglichkeiten erschlossen, die sie dazu verführen können, sich mehr zu leisten, als sie sich leisten können. Es gibt Fälle, in denen wirtschaftlicher Ruin oder die Zerstörung von Familien die Folge sind; dass Menschen sich – bis hin zum Suizid – zu Grunde richten können, ist ein eindrücklicher Beleg für die allgegenwärtige Macht des Geldes. Überschuldung ist zu einem zentralen Thema von Beratung, Seelsorge und Sozialarbeit geworden.

Weder die einzelnen noch das Gemeinwesen können große Vorhaben ohne Kredite durchführen. Aber was auf diese Weise ein Instrument mutiger und weitsichtiger Planung sein kann, vermag sich leicht zu verselbständigen. Das Geld beherrscht die Menschen, die es zum Schuldenmachen über die Grenzen der eigenen Möglichkeiten hinaus veranlasst. Es beherrscht die Politik, die angesichts des Ausmaßes der öffentlichen Verschuldung nur deshalb überlebt, weil Institutionen nicht zum Selbstmord fähig sind und man sich auf die Zwangsmitgliedschaft auch der nächsten Generation im Staat verlässt.

Eine vertraute Erfahrung ist auch das andere: die Fixiertheit auf das Fehlen des Geldes. Dass jemand sagt, er habe genug, ist eine seltene Erfahrung. Die Ethik des „Genug“ ist eine äußerst seltene Gabe. Jeder weiß, was er mit zusätzlichem Geld, das er hätte, machen würde – und sei es „Sparen“. Jeder, dem es gut geht, vergleicht sich mit anderen, denen es noch besser geht – und findet insgeheim, er habe darauf eigentlich genauso viel Ansprüche wie der andere. Geld trägt in sich selbst das Motiv der Steigerung. Deshalb ist der Wunsch, dass Geld sich verzinst, so unersättlich. Religiöse Einsprüche dagegen haben sich nie wirklich durchgesetzt. Nicht einmal das biblische Motiv, Schuldabhängigkeit in bestimmten Perioden zu unterbrechen, hat Schule gemacht. Man hat sich vielmehr darum bemüht, das Zinswesen zu humanisieren und religiösen Regeln zu unterwerfen. So hat in den letzten Jahren „Islamic Banking“ eine große Karriere gemacht; insbesondere wurden nach dem 11. September 2001 große Geldsummen aus den USA abgezogen und in islamischen Ländern, wie man sagt, Scharia-gemäß angelegt (ich kann Ihnen leider nicht erklären, worin das besteht). Umgekehrt ist in christlichen Kreisen das Konzept von „Godly Finances“ entwickelt worden. Ausgearbeitete Ausbildungskurse beschäftigen sich mit „God’s ways with finances“. Mir scheint, dass damit eher für gewinnträchtige Geldanlagen ein gutes Gewissen vermittelt werden soll, als dass religiöse Einwände gegen Ausbeutung und Wucher ernst genommen werden.

Ernster sind ohne Zweifel schon diejenigen Bemühungen, die auf ethisch verantwortbare Geldanlagen gerichtet sind. Wer Rüstungsexporte für friedensgefährdend hält, ist gut beraten, seine Geldanlagen so zu tätigen, dass sie nicht in exportierenden Rüstungsfirmen landen. Wer sich an politischen Kampagnen für ökologisch vertretbare Formen von Energieproduktion einsetzt und die CO 2 – Emissionen senken will, sollte sich nicht dabei ertappen lassen, genau aus diesem Bereich finanzielle Vorteile zu beziehen.

Doch man muss sich klar machen, dass man mit solchen persönlichen Entscheidungen nicht das herrschende Finanzsystem als solches in Frage stellt. Deshalb tauchen in religiösen, auch in christlichen Kreisen, immer wieder radikale Vorstellungen darüber auf, wie man wirtschaftlich ohne Geld im üblichen Sinn des Wortes existieren könne. Dafür wird immer wieder einmal auf Silvio Gesells Theorien vom „Freiland“ und vom „Freigeld“ zurückgegriffen. Das Freigeld sollte sich nach Gesells Vorstellungen in seinem Nominalwert nach einem festen Plan verringern, so dass das Horten dieses Geldes keinen Sinn machte. So erstaunlich diese Vorstellung auch ist – immerhin hat Silvio Gesell es 1919 in der Zeit der bayerischen Räterepublik zum bayerischen Finanzminister gebracht, sozusagen zum Vorgänger des neuen Vorsitzenden der CSU Erwin Huber.

Beherrschend aber ist in der Tradition der christlichen Ethik die Aufforderung zu unterscheiden – jene Aufforderung also, die Jesus an Hand einer Münze, eines Geldstücks also deutlich gemacht hat. Mit Blick auf diese römische Steuermünze, die das Bild des römischen Kaisers zeigte, sagte Jesus: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Oder auf das Geld bezogen: Macht vom Geld einen verantwortlichen Gebrauch, aber macht es nicht zu eurem Gott.

Ein verantwortlicher Gebrauch ist im christlichen Verständnis freilich einer, der nicht nur auf den eigenen Vorteil schaut, sondern mit der Liebe zum Nächsten vereinbar ist. In der christlichen Tradition war die Zustimmung zur Geldwirtschaft stets damit verbunden, dass Spielräume, die durch wirtschaftliches Handeln und den Umgang mit dem Geld entstanden, so genutzt wurden, dass sie nicht nur den eigenen Wohlstand steigerten, sondern auch dem Nächsten zu Gute kamen. Wirtschaftliches Handeln als solches wird daran gemessen, ob es den allgemeinen – und nicht nur den individuellen – Wohlstand vermehrt. Tauschverhältnisse – der Lohn und der Preis sind dafür die entscheidenden Beispiele – werden daran gemessen, ob sie den Kriterien der Gerechtigkeit entsprechen. Und über den allgemeinen Wohlstand und das Kriterium der Gerechtigkeit hinaus ist das christliche Verhalten von der Frage bestimmt, ob es der Barmherzigkeit Raum lässt, ob es einen Blick für den leidenden und hilfsbedürftigen Nächsten behält – weil doch Gott selbst den Menschen in der Gestalt eines Leidenden, der Hilfe Bedürftigen erscheint.

III.

Jede Generation stellt auf ihre Weise die Frage nach dem Verhältnis von ökonomischer Vernunft und christlicher Lebensorientierung, nach dem Verhältnis von Geld und Glaube, von wirtschaftlichem Handeln und christlicher Ethik. Ein in unserer Zeit verbreitetes Harmoniebedürfnis dehnt sich auch auf diese Frage aus: „Mach Geld mit Gott“. Das scheint ein verbreiteter Wahlspruch moderner Wirtschaftsethik zu sein. Dass auf amerikanischen Dollarnoten aufgedruckt ist: „In God we trust“ soll dieser Betrachtungsweise die Richtung weisen. Manchmal beschäftigt mich die Frage, ob nicht auch die Tendenz dazu, mit Hilfe der Regel des heiligen Benedikt Management-Trainings durchzuführen, in dieser Richtung etwas zu weit geht. Dabei bestreite ich nicht, dass die Menschenkenntnis, die der heilige Benedikt in seiner Mönchsregel verankert hat, auch modernen CEOs gut tut. Den Abstand zwischen einem Leben nach dem Grundsatz „ora et labora“ und wirtschaftlicher Geschäftigkeit sollte man nach meiner Auffassung dennoch nicht verkleinern – so attraktiv der Mönch als Guru der CEOs auch sein mag.

Doch gerade wenn man die Spannung zwischen christlicher Lebensorientierung und wirtschaftlichem Handeln nicht verkleinern will, drängt sich die Frage auf, wie sich beides zueinander verhält: eine Moral, die sich dem christlichen Glauben verbunden weiß, und eine ökonomische Vernunft, die sich auf Effizienz, Rationalität und Rentabilität richtet? Ich bin der festen Überzeugung, dass beides miteinander zu tun hat. Ökonomisches Handeln ohne Ethik ist genauso verkehrt wie christliche Moral ohne ökonomischen Sachverstand.

Skeptische oder gar zynische Beobachter der Diskussion kommentieren die Diskussion über Ethik in der Wirtschaft freilich manchmal so, dass sie sagen, die Ethik spiele dabei die Rolle einer Fahrradbremse am Interkontinentalflugzeug. Sie unterstellen damit der Ethikdiskussion einen Scheincharakter und sprechen ihr jeden Einfluss auf die reale Entwicklung der Dinge ab. Ich habe fünfundzwanzig Jahre lang wissenschaftlich im Bereich der theologischen Ethik geforscht und gelehrt. Ich habe dabei manchmal auch die Erfahrung gemacht, dass der Ethiker in die Rolle des Narren am Hof der Mächtigen gedrängt wird. Aber die Meinung, dass die ethische Diskussion ohne praktische Folgen bleibe, habe ich mir nie aufdrängen lassen. Sondern ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass dort, ethische Überlegungen auf unabweisbare Probleme reagieren.

Die Wirtschaft ist nicht ein Bereich, der nur seiner Eigengesetzlichkeit folgt und ethischen Herausforderungen gegenüber immun ist. Über die Fragestellungen, an denen sich die Notwendigkeit wirtschaftsethischen Nachdenkens in den letzten Jahren für viele Menschen mit Deutlichkeit gezeigt hat, müsste vielmehr leicht eine Verständigung zu erzielen sein.

 Ich sage das nicht nur als ein Mensch, der sich in langen Jahren beruflich mit ethischen Fragen beschäftigt hat. Ich sage es ebenso in meiner kirchenleitenden Verantwortung. Denn auch die Kirche kann gar nicht davon absehen, dass sie selbst in dieser Gesellschaft einen Wirtschaftsfaktor darstellt. Auch deshalb sieht sie sich genötigt, sich in das Nachdenken über die Grundorientierung wirtschaftlicher Verantwortung und damit auch in das Nachdenken über das Bild von der Gesellschaft im Ganzen, das wir haben und weiter entwickeln wollen, einmischt. Es besteht kein Zweifel daran, dass wirtschaftliche Entwicklungen und Weichenstellungen im wirtschaftlichen Bereich in hohem Maß über das Bild von Gesellschaft entscheiden, an dem wir uns insgesamt orientieren.

 Für diese Diskussion ist es förderlich, sich daran zu erinnern, dass die soziale Marktwirtschaft als das für uns verbindliche Grundmodell der Wirtschaftsordnung tiefe, fest verankerte christliche Wurzeln hat. Mit guten Gründen lässt sich sagen, dass sich christliche Ethik immer wieder als ein entscheidender Motor wirtschaftlichen Engagements erwiesen hat. Wenige Jahre nach dem hundertjährigen Jubiläum von Max Webers Untersuchungen über die „protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus“ braucht das kaum eigens hervorgehoben zu werden. Christliche Ethik in ihrer evangelischen Gestalt hat ebenso wie die katholische Soziallehre einen maßgeblichen Einfluss auf Konzeption und Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft ausgeübt. Zu den Wurzeln der heutigen sozialen Marktwirtschaft gehört die katholische Soziallehre mit ihren Grundprinzipien der Personalität, der Solidarität und der Subsidiarität. Zu ihnen gehört ebenso die protestantische Sozialethik mit ihrem Leitbild der verantworteten Freiheit, der Freiheit in Gemeinschaft. Am Beispiel des „Freiburger Kreises“ im deutschen Widerstand oder an der Gestalt von Alfred Müller-Armack, der den Begriff der „sozialen Marktwirtschaft“ prägte, lässt sich das deutlich machen. „Verantwortete Freiheit“ – so bezeichne ich zugespitzt den Impuls, den die evangelische Gestalt des christlichen Glaubens in die ethische Begründung wirtschaftlichen Handelns eingebracht hat. In einer Zeit, in der weithin noch immer eine individualistische Verengung des Freiheitsverständnisses vorherrscht, ist diese Freiheitsauffassung von hoher Dringlichkeit.

Neue Untersuchungen bestätigen auch, dass dieser Impuls von durchaus aktueller Bedeutung ist. Sie zeigen nämlich – die Online-Befragung „Perspektive Deutschland“ ist ein deutliches Beispiel dafür – , dass die Lebenshaltung von Christen sich von anderen Lebenseinstellungen durch Verantwortungsbereitschaft und Zuversicht auszeichnet. Menschen, die von Gott auch im Angesicht von Schwierigkeiten Gutes erwarten, stellen sich zuversichtlicher auf die Zukunft ein als diejenigen, für die der Mensch das Maß aller Dinge ist. Menschen, die sich an die Liebe zum Nächsten wie zu sich selbst gebunden wissen, beziehen in ihre Überlegungen auch das Wohl des Nächsten und nicht nur das eigene Wohl ein. Menschen, denen bewusst ist, dass sie für ihr Leben im Letzten Gott Rechenschaft schulden, werden Anstand und Fairness auch dann gelten lassen, wenn die Verletzung dieser Regeln ihnen einen Vorteil bringen würde. Menschen, die aus der Zusage von Vergebung und Rechtfertigung leben, werden in jedem Menschen mehr sehen, als er selbst aus sich macht, und auch den Menschen in seiner Würde achten, der vor den Anforderungen der Leistungsgesellschaft versagt.

 Gerade weil so viel von der Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft die Rede ist, muss man deutlich hervorheben: Es gibt kein wirtschaftliches Handeln, das nicht direkt oder indirekt ethische Implikationen hat und auf ethischen Grundsatzentscheidungen beruht oder solche Entscheidungen verletzt. Es wird von einer bestimmten Motivation getragen und verfolgt Ziele, die sich niemals nur innerhalb der Grenzen von Angebot und Nachfrage beschreiben lassen, sondern die stets die Grundfragen menschlichen Seins und menschlichen Handelns berühren. Der Verfasser eines neueren Buchs zu unserem Thema – der Theologe und Manager Ulrich Hemel – hat es kurz auf den Begriff gebracht. Er sieht eine entscheidende Grundlage unternehmerischen Handelns „in der Unverzichtbarkeit persönlicher Verantwortung, im langfristigen Mehrwert ethischer Orientierung auch für wirtschaftlichen Erfolg und in der Forderung nach Professionalität, etwa im Bereich der Strategie und der Wertschöpfung“.

In unserer öffentlichen Diskussion spielen diese Grundfragen allerdings eine marginale Rolle. Weittragende wirtschaftliche Entscheidungen – Entscheidungen zum Abbau von Arbeitsplätzen sind nur ein Beispiel dafür – werden angekündigt, ohne dass der ethische Horizont solcher Entscheidungen ausgeleuchtet wird. Auch die politische Debatte folgt diesem Muster. Über steuer- und sozialpolitische Details wird intensiver gesprochen als über die Frage nach dem Bild der Gesellschaft, an dem wir uns orientieren wollen. Die Frage nach der Zukunft der Pflege in unserer Gesellschaft wird auf eine Finanzierungsfrage reduziert; das Schicksal älterer Arbeitsloser interessiert erst, wenn über die Länge des Bezugs von Arbeitslosengeld I gestritten wird. Doch wir müssen weiter fragen: Das leitende Bild von der Gesellschaft und somit die unterschiedlichen Politikansätze sind von eben so hohem Interesse wie die Frage danach, worin Unternehmer heute ihre Verantwortung sehen, nicht nur für das eigene Unternehmen, sondern auch für die eigene Belegschaft, nicht nur für das eigene Interesse, sondern auch für das eigene Land. Deshalb sind auch die Unterschiede in weltanschaulichen und ethischen Fragen von hohem Gewicht; sie sollten deutlich ins Gespräch mit einbezogen werden.

IV.

Rationalität und Effizienz im Umgang mit Ressourcen sind heute insbesondere im Umgang mit den natürlichen Lebensbedingungen geboten – aus Nächstenliebe, aus Liebe für die nächste Generation und auch aus ökonomischer Einsicht. So kann eigentlich kein Gegensatz zwischen christlichem Menschenbild und ökonomischer Vernunft aufkommen. Da es in beiden Bezugssystemen letztlich um das Wohl des Menschen geht, müsste von vornherein klar sein, dass eine Orientierung aus dem christlichen Glauben und eine Orientierung an wirtschaftlicher Effizienz in dieselbe Richtung laufen. Nachhaltigkeit wird deshalb zu einem wichtigen Kriterium auch für wirtschaftliches Handeln.

Der Welt der Bibel und insbesondere den Traditionen der protestantischen Ethik ist jede Form von Verschwendung und Luxussucht fremd. Sparsamkeit und das kalkulierte zielorientierte Einsetzen von Ressourcen gehören zur Verantwortung des Christen. Man könnte geradezu sagen, dass der - in diesem Sinne - wirtschaftliche Umgang mit Ressourcen aller Art ein Akt der Nächstenliebe ist; denn er ermöglicht es, dass auch andere an diesen Ressourcen Anteil haben können. Immer wieder warnen die biblischen Texte vor der Anhäufung von Reichtum als Selbstzweck.

Unter solchen Gesichtspunkten fällt auch auf die menschliche Arbeit ein besonderes Licht. Sie gehört zum geschöpflichen Dasein des Menschen und bildet eine Grundform, in welcher der Mensch sein geschöpfliches Dasein tätig bejaht. Lieben und Arbeiten – so kann man sagen – sind Grundformen, in denen wir unserer Geschöpflichkeit dankbar innewerden. Dabei dient die Arbeit vor allem dazu, Lebensmittel in einem umfassenden Sinn des Wortes für sich selbst und für den Nächsten, ja für die ganze Gesellschaft bereitzustellen. Die Mitarbeit an der Schaffung von Wohlstand und gesellschaftlichem Reichtum ist in diesem Sinne jedem Christen aufgetragen. Die biblische Tradition ist sich völlig klar, dass in dieser Hinsicht jeder Mensch die Chance haben soll, die ihm von Gott gegebenen Gaben und Talente zu entwickeln, um seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung zu leisten. Deutlich ist allerdings auch, dass dies nicht zu einer Überforderung der Menschen und zu einer einseitigen Bevorzugung einer besonderen Leistungsgruppe führen darf.

Die Arbeit erfährt in der christlichen Tradition eine hohe Wertschätzung. Es ist schon bezeichnend, dass Martin Luther und Johannes Paul II. mit dem selben Vergleich den hohen Rang der Arbeit betont haben: „Die Arbeit gehört zum Menschen wie zum Vogel das Fliegen.“ Um dieses hohen Rangs willen ist sie so zu organisieren, dass alle an ihr Anteil haben, auch die Leistungsschwächeren. Zudem sind der Arbeit durch den Sonntag und durch andere Regelungen Grenzen gesetzt, die zum Wohle des Menschen einzuhalten sind.

Wirtschaft soll durch alle betrieben werden. Die Ungleichheit, die mit der Gestaltung der Wirtschaft einhergeht und die den Leistungsfähigeren und den Leistungsbereiteren mehr zukommen lässt als den Leistungsschwächeren und den Leistungsunbereiteren, darf nur so groß sein, dass durch die dadurch gesteigerte Produktivität auch den Schwächeren ein würdiges Leben ermöglicht und ein voller Anteil an der Gesellschaft eröffnet wird. Zur Debatte über Managergehälter ist das ein wesentlich substantiellerer Beitrag als manch andere Debatten, die eher von Neidkomplexen als von Gerechtigkeitsmotiven angetrieben sind. Gerechtigkeit ist auf diesem Hintergrund übrigens insbesondere als Befähigungs- und Beteiligungsgerechtigkeit zu verstehen. Eine Gesellschaft, in der nach wie vor viele Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen sind, hat deshalb ein elementares Gerechtigkeitsproblem.

Wirtschaftliches Handeln im Sinne von Effizienz und instrumenteller Rationalität ist vom christlichen Glauben her nicht nur gerechtfertigt, sondern verpflichtend. Zugleich ist deutlich, dass solch ein Handeln nicht im Gegensatz zur Menschlichkeit steht, sondern sie sowohl voraussetzt als auch zum Ziel hat. Damit ist aber auch schon gesagt, dass wirtschaftliches Handeln von gesellschaftlich anerkannten und kulturell wertvollen Zwecken her gesteuert werden muss. Der Wirtschaft kommt so wenig wie dem Geld ein Eigenwert zu. Tendenzen dazu, dass sich, wie das heute zu beobachten ist, das ökonomische Denken auf alle Bereiche unseres Lebens, und insbesondere auf die Bereiche der Kultur und der Werte ausbreitet, ist aus der Perspektive des christlichen Menschenbildes deutlich zu widersprechen.

Menschen müssen mit den Gütern dieser Welt wirtschaftlich umgehen; sie selbst unterliegen aber nicht den ökonomischen Rationalitätskalkülen. Menschen, von Gott geschaffen und ihm zum Ebenbild bestimmt, erschöpfen sich nicht darin, einen Wert für andere zu haben, der gegen Geld aufgewogen werden kann; sondern sie haben eine eigene Würde, die nach einem wichtigen Wort Immanuel Kants „kein Äquivalent verstattet“. Deshalb muss die Wirtschaft im Dienst des Menschen stehen und nicht umgekehrt – oder in Abwandlung eines Wortes Jesu über den Sabbat: Die Wirtschaft ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um der Wirtschaft willen.

Von diesem Gedanken her muss die Kirche allen Tendenzen widersprechen, kulturelle Güter ökonomischen Kalkülen zu opfern – auch dann beispielsweise, wenn Feiertage abgeschafft werden sollen, um dadurch eine geringfügige Steigerung des Bruttosozialprodukts zu erreichen. So weit dafür eine Verlängerung der Arbeitszeit nötig ist – aller Wahrscheinlichkeit nach übrigens nur jeweils branchenspezifisch und nicht einfach generell – , sind dafür sinnvollere und intelligentere Wege zu suchen als die generelle Abschaffung von Feiertagen. Auch die Auseinandersetzung um den Sonntag ist von daher zu verstehen: Der Sonntag symbolisiert aus biblischer Sicht die Grenze des Ökonomischen - “Ohne Sonntag sind alle Tage Werktage“ - und muss deswegen um der Menschlichkeit des Menschen willen erhalten bleiben.

V.

Aus all diesen Gründen müssen wir uns der christlichen Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens neu bewusst werden und dabei auch die Bereitschaft zu verantwortlichem Handeln in der Wirtschaft stärken und unterstützen.
Über Jahrzehnte war es in unserer Gesellschaft eine Art „säkularer Glaubenssatz“, dass Glaube und Religion ihre Zeit gehabt hätten. Die Abgesänge auf das Christentum und auf die Religionen insgesamt waren nicht zu überhören. Aber inzwischen weisen wichtige Signale in eine andere Richtung. Es gibt heute kaum einen kulturellen oder gesellschaftlichen Bereich, in dem man nicht Zeichen für eine Wiederkehr des Religiösen beobachten könnte. Das muss auch Folgen für die Wahrnehmung wirtschaftlicher Verantwortung haben.

Es entsteht ein neues Gespür dafür, dass ein komplett diesseitiges, rein wirtschaftstaumeliges und radikal konsumzentriertes Leben zu banal, zu äußerlich und zu oberflächlich ist. Je unerbittlicher die europäische Welt auf die globalisierte Wirtschaft ausgerichtet wird, je strikter Markt und Finanzkraft, Lohnnebenkosten und Konkurrenzkampf das Leben aller bestimmen sollen, desto stärker wird nach Gegenkräften gefragt. Die meisten spüren, dass Konsum allein nicht Halt gibt, dass Wirtschaft allein nicht Sinn schenkt, dass Funktionieren allein nicht Bedeutung verleiht. Mit der Zuwendung zur Religion rebelliert die Seele der Menschen gegen ihre kommerzielle Reduktion.

Wir müssen für Bedingungen dafür sorgen, dass Menschen sich ihres Glaubens neu gewiss werden und auch das nötige Glaubenswissen aneignen können. Für die Kirchen liegt darin eine große Herausforderung dazu, ihren Kernaufgaben in Verkündigung und Gottesdienst, in Seelsorge und Diakonie mit neuem Selbstbewusstsein und neuer Ausstrahlungskraft nachzukommen. Der Bedeutung der Kirchen als Träger von Kultur – bis hin zum Umgang mit den Kirchengebäuden – und dem Bildungsauftrag der Kirchen kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu. Im öffentlichen Bildungswesen müssen wir uns insbesondere dafür einsetzen, dass der Religionsunterricht gestärkt wird und seinen Ort behält.

Aber ebenso müssen wir die Bereitschaft zu verantwortlichem Handeln in den Unternehmen stärken. Es gibt nach meiner festen Überzeugung kein Unternehmen, das nur auf der Grundlage des Eigeninteresses der Beteiligten überleben könnte. Unternehmen, die nur auf kurzfristige Gewinnerzielung setzen, sind ganz schnell auf der Verliererseite. Denn ihnen geht leicht eine wichtige Ressource verloren, die Ressource des Vertrauens. Sie steigern ihre Kapitalrendite, verspielen aber unter Umständen einen wichtigen Teil ihres Vermögens, nämlich das Humanvermögen. Franz Xaver Kaufmann hat übrigens im Zusammenhang solcher Debatten deutlich gemacht dass es – wenn schon – viel richtiger wäre, von Humanvermögen statt von Humankapital zu sprechen.

Wir stehen heute vor gewaltigen neuen Herausforderungen, die Anlass dazu sind, Wertorientierung und wirtschaftliches Denken wieder so miteinander zu verbinden, wie dies die Gründergestalten der Sozialen Marktwirtschaft getan haben. Zu diesen Herausforderungen gehört vor allen Dingen die Entwicklung der Weltwirtschaft. Bei aller Globalisierung ist es offenkundig nötig,  dass die Wirtschaft einen realen Bezug zu den Menschen, zu dem Land, zu den Räumen und Zeiten behält, in denen sie sich vollzieht. Es hängt auch an uns, dass christliche Ethik und wirtschaftliches Handeln nicht beziehungslos auseinandertreten, sondern immer wieder miteinander verbunden werden – mit klarem Kopf, aber mit heißem Herzen, also, wie der große Soziologe Max Weber gesagt hätte, mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.