„Weltverantwortung der Kirchen - Vierzig Jahre Kirchlicher Entwicklungsdienst“ - Festvortrag in der Friedrichstadtkirche zu Berlin

Wolfgang Huber

I.

Gerade komme ich von dem Jubiläum einer evangelischen Schule. Den Schülerinnen und Schülern habe ich das Bild vom Garten Eden ausgelegt, den wir zu bebauen und zu bewahren haben. Ich habe ihnen dazu gratuliert, dass sie in einer Schule sind, in der sie Verantwortung und Nachhaltigkeit lernen können. Ich habe sie auf ein Bild der Welt als Gottes Schöpfung hingewiesen, über die wir staunen und für die wir danken können.

Eigentlich habe ich nichts anderes auf dem Herzen, wenn ich jetzt an das Jubiläum des Kirchlichen Entwicklungsdienstes denke, das wir miteinander begehen und feiern. Wir staunen und sind dankbar. Und wir orientieren uns an Verantwortung und Nachhaltigkeit.

Ich freue mich sehr darüber, dass so viele, die sich aus den Landeskirchen, von der Organen der EKD, den Entwicklungswerken Brot für die Welt und EED, den Missionswerken sowie aus den Parteien und der Politik dem Kirchlichen Entwicklungsdienst verbunden fühlen, in die Französische Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt gekommen sind, um dieses Jubiläum gemeinsam zu begehen.

Was feiern wir? Was ist der Kirchliche Entwicklungsdienst? Ein kirchliches Förderinstrument, das Partnerorganisationen in ihrem Einsatz gegen Armut und Ungerechtigkeit unterstützt? Ein sozialethisches Thema, dem die Kirche durch die Option für die Schwachen besonders verpflichtet ist? Eine kirchliche Institution, die sich oft gewandelt hat? Oder nur die kirchliche Selbstverpflichtung, Mittel zur Armutsbekämpfung zur Verfügung zu stellen?

Die Liste möglicher Antworten ist wahrscheinlich noch lange nicht vollständig. Aber schon bei den Vorschlägen, die ich gerade gemacht habe, fällt eine Auswahl schwer. Das mag damit zusammenhängen, dass sich der Kirchliche Entwicklungsdienst in seiner vierzigjährigen Geschichte so manches Mal gewandelt hat. Ursprünglich handelte es sich um einen kleinen Stab, der bei „Brot für die Welt“ angesiedelt war. Dann wurde daraus eine Abteilung im Kirchenamt der EKD. Sie fügte sich ein in die „Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst“. Dann wurde daraus eine wichtige Säule im großen Werk des Evangelischen Entwicklungsdiensts.

Doch in diesem Wandel zeigt sich inhaltlich doch auch eine große Kontinuität. Von den Anfängen bis heute ging und geht es ihm um die Weltverantwortung der evangelischen Kirchen in Deutschland, die sich in ganz besonderer und entschiedener Weise den Interessen der Armen und dem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit zuwendet.

II.

Der Kirchliche Entwicklungsdienst als ein unverzichtbarer Teil kirchlicher Arbeit begründet sich aus der Mitte unseres christlichen Glaubens und des evangelischen Selbstverständnisses. So heißt es gleich am Anfang der EKD-Denkschrift „Der Entwicklungsdienst der Kirchen – ein Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit“ von 1973: „Die Christenheit ist beauftragt, das Kommen der Gottesherrschaft in der Welt zu verkündigen, zu helfen und zu heilen. Ihre Sendung gründet in dem Glauben, der die Welt als Gottes Schöpfung bezeugt, in der Liebe, die in dem entrechteten und armen Nächsten ihrem Herrn begegnet, und in der Hoffnung, die in der Gewissheit der kommenden neuen Schöpfung handelt.“

In diesem weiten heilsgeschichtlichen Horizont ist die Aufgabe des Kirchlichen Entwicklungsdienstes zu sehen. Es ging und geht ihm um nicht weniger als um die allen Menschen geltende Bezeugung der Liebe Gottes in Wort und Tat, um die Einheit von Verkündigung und Dienst, von Glauben und Liebe.

An dieser Aufgabenbestimmung sind alle Elemente von gleicher Bedeutung. Das Ziel der Entwicklung, die Bereitschaft zum Dienst, die kirchliche Trägerschaft. Es geht hier nicht allein um die Verantwortung eines Einzelnen, auch nicht nur – bei aller Wertschätzung für die hoch kompetente und engagierte Arbeit – um die Verantwortung der Fachleute in den Entwicklungswerken, sondern um die Verantwortung, die die evangelische Kirche – also die Landeskirchen und die EKD – gemeinsam für den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt tragen. Ich freue mich, dass neben den Vertretern unserer Entwicklungswerke Brot für die Welt und EED heute auch zahlreiche Vertreter der Landeskirchen anwesend sind, um genau diese kirchliche Verantwortung zum Ausdruck bringen.

Dietrich Bonhoeffer hat in einem Vortrag vom April 1933 unter dem Titel „Die Kirche vor den Judenfrage“  die Frage gestellt, wozu die Kirche im Blick auf ihre Verantwortung für Gerechtigkeit und Frieden verpflichtet ist. Er hat damals drei Handlungsweisen der Kirche hervorgehoben, die ich auch heute für unverändert aktuell halte.

1. Die Kirche soll den Staat – ich füge hinzu: alle öffentlich tätigen Akteure – an ihre Verpflichtung erinnern, für Gerechtigkeit und Frieden tätig zu sein.

2. Die Kirche ist den Opfern von Friedlosigkeit und Ungerechtigkeit unbedingt verpflichtet. Sie steht ihnen bei, sie macht sich zum Mund der Stummen, sie verbindet die Opfer unter dem Rad.

3. Dort, wo es nötig wird, soll die Kirche jedoch nicht nur die Opfer unter dem Rad verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen fallen.

Bonhoeffer dachte schon 1933 vor allem an Situationen des Widerstands, in denen solches kirchliches Handeln nötig wird. Denn zuallererst hielt er sich an die Pflicht des Staates, für Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen. Heute haben wir eine andere Vorstellung vom Zusammenwirken des Staates mit anderen Akteuren. Wir haben neu verstanden, dass gesellschaftliche Akteure sich ihrer Verantwortung stellen müssen. Wir wissen, dass auch die Kirche politisch wirksam wird. Wir anerkennen die Notwendigkeit, dass sich die Kirche für gerechtere Strukturen einsetzt und sich an der Suche nach wirtschaftlichen, sozialen und politischen Alternativen beteiligt.

III.

Doch wie hat das alles begonnen? Was waren die Anstöße zur Gründung des Kirchlichen Entwicklungsdienstes vor vierzig Jahren?

Angefangen hat es in Berlin. Es begann mit einem Aufruf der EKD-Synode an die Landeskirchen. Im Oktober 1968 richtete die EKD-Synode bei ihrer Tagung in Berlin-Spandau den mittlerweile historischen Appell an die Gliedkirchen „... zunächst 2 Prozent aller kirchlichen Haushaltsmittel für die Aufgaben des kirchlichen Entwicklungsdienstes zur Verfügung zu stellen und diesen Betrag bis zum Jahr 1975 auf 5 % zu steigern ... “  Diese Mittel aus dem Kirchensteueraufkommen sollten zusätzlich zu den Spendenmitteln für die  1959 gegründete Aktion Brot für die Welt und zusätzlich zu den staatlichen Mitteln für die 1962 gegründete Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe „...der Bekämpfung von Armut, Hunger und Not und deren Ursachen dienen“ – wie es im Antragstext heißt.

Wenn es auch leider nie zu einer Steigerung auf 5 % gekommen ist, sondern sich sogar die Marke von 2 % als außerordentlich kühn erwies, so hätte damals wohl kaum jemand gedacht, das aus diesem Beschluss ein großes und vielgestaltiges kirchliches Arbeitsfeld erwachsen würde, für das sich viele Christinnen und Christen in der Kirche bis heute leidenschaftlich einsetzen, das aus unserer evangelischen Kirche nicht mehr wegzudenken ist und das ihr Profil bis heute prägt.

Was war der Hintergrund des Beschlusses von Spandau? Wodurch wurde er ausgelöst. Hinter dieser Entwicklung stehen Impulse, die aus der damaligen gesellschaftlichen Debatte und aus der weltweiten Ökumene kamen.

Das Jahr 1968 war ein Jahr voller gesellschaftlicher Auf- und Umbrüche, in dem zuerst die Studenten, dann auch andere Teile der Bevölkerung, politisch verkrustete und ökonomisch ungerechte Strukturen aufbrechen und verändern wollten. Das wirkte sich auch auf die kirchlichen Debatten aus. Das damalige West-Berlin war ein Ort, an dem das ganz besonders deutlich zu spüren war.

Ökumenische Anstöße kamen hinzu. Auf der Vollversammlung des ÖRK im Juli 1968 in Uppsala traten die Kirchen der Dritten Welt zum ersten Mal als eigenständige Akteure auf. Vorbereitet durch die Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft in Genf 1966 vollzog sich eine Südverschiebung der ökumenischen Wahrnehmung. Zugleich zeigte sich am Ende der ersten Entwicklungsdekade, dass sich das Konzept der nachholenden Entwicklung  als wirkungslos erwies und viel tiefer greifende strukturelle Veränderungen nötig waren, um weltweit gerechtere Verhältnisse zu schaffen. So hieß es in dem Bericht der einschlägigen Sektion von Uppsala: „Die Kirche hat heute die Aufgabe, für eine weltweite verantwortliche Gesellschaft zu arbeiten. Angesichts der Nöte der Welt selbstzufrieden zu sein, bedeutet, der Häresie schuldig zu werden.“ An den einzelnen Christen erging der Appell, 1 % seines Einkommens für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Die Kirchen wurden aufgerufen, Aufgaben zu übernehmen, die dem Auftrag der Weltverantwortung gerecht werden.

Diese Beschlüsse von Uppsala prägten auch die Debatten auf der nur drei Monate später stattfindenden EKD-Synode im Oktober 1968 in Berlin-Spandau – wie übrigens auch die Debatten im Bund der evangelischen Kirchen in der DDR, der zur gleichen Zeit gegründet wurde.

Helmut Gollwitzer, an dessen einhundertsten Geburtstag wir uns in wenigen Monaten erinnern werden, hielt vor der EKD-Synode ein Impulsreferat mit dem bezeichnenden Titel „Die Weltverantwortung der Kirche im revolutionären Zeitalter“. Er führte aus, dass die Hilfe für andere nur der Anfang des kirchlichen Tuns sein könne; denn die Kirche habe auch die Aufgabe, sich mit ihren Forderungen nach außen zu wenden und gegenüber der Bevölkerung und den Mächtigen in Politik und Wirtschaft für die Interessen der Armen einzutreten.

Schon in einer Sitzung des Rats der EKD vor der Spandauer Synode war darüber beraten worden, eine Kommission für Entwicklungsfragen einzurichten; denn es war offensichtlich, dass zu der praktischen Arbeit zur Bekämpfung von Armut und Not auch eine Analyse der Ursachen der Armut hinzutreten musste. Im Protokoll heißt es dazu kurz und knapp: „Zum Dienen muss das Denken kommen. ... Die praktische Arbeit braucht einen Unterbau“.

Als der damalige Synodale Richard von Weizsäcker im Auftrag des zuständigen Ausschusses den entscheidenden Antrag in die EKD-Synode einbrachte, wurde dieser Ansatz jedoch an einer entscheidenden Stelle modifiziert. Von Weizsäcker führte aus, der Schwerpunkt der kirchlichen Arbeit könne nicht so sehr in der Erarbeitung zusätzlicher Analysen liegen, er sei vielmehr in der Konsequenz für die kirchliche Arbeit selbst zu sehen.  Weizsäcker betonte, dass „nur eine sichtbare und in unser aller kirchlichem Leben spürbare Veränderung der Prioritäten den Forderungen Nachdruck verleihen kann, die wir über die Grenzen der Kirche hinaus zu geben verpflichtet sind.“

Damit trat gleich bei der Gründung des Kirchlichen Entwicklungsdienstes die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Kirche ins Zentrum. Diese Frage hat bis heute nichts von ihrer Zentralität verloren. Das bestätigt auch ein Zitat aus der EKD-Synode 1973 in Bremen, die den 2 % Appell mit den Worten begründet „Ohne ein solches sichtbares Zeichen christlicher Mitverantwortung können wir dem Zeugnisauftrag in der Welt von heute nicht mehr gerecht werden.“

Die Konsequenzen des  Appells von 1968 waren beachtlich. Das zeigte sich nicht nur in der Tatsache, dass alle Landeskirchen in Westdeutschland diesem Appell folgten und Mittel für den Kirchlichen Entwicklungsdienst zur Verfügung stellten. Es zeigte sich auch darin, dass es zu einer ganzen Reihe von Neugründungen im Bereich der kirchlichen Entwicklungsarbeit kam. 1969 wurde die Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst gegründet, die 1973 die viel beachtete in ihrer Grundanalyse immer noch unübertroffene Entwicklungsdenkschrift herausgab, aus der ich bereits zitierte. 1969 wurde der KED-Mittelausschuss gegründet, der über die Vergabe der Mittel entschied, 1970 die Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst (AGKED), die die Abstimmung mit Brot für die Welt, Dienste in Übersee und der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe gewährleisten sollte. 1973 wurde die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung gegründet, deren Name bis heute für eine fundierte ökumenische entwicklungspolitische Lobbyarbeit gegenüber Wirtschaft und Politik steht. Hier wie auch an anderen Stellen entwickelten sich fruchtbare Dialoge mit Politikern und Wirtschaftsvertretern darüber, wie Kirche, Politik und Wirtschaft gemeinsam daran arbeiten können, Armut und Ungerechtigkeit zu überwinden. Deshalb bin ich sehr dankbar dafür, heute Partner aus diesen Bereichen, insbesondere Mitglieder des Deutschen Bundestags und Vertreter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit dieses Jubiläum mit uns begehen.

In den siebziger und achtziger Jahren folgten die landeskirchlichen Beauftragungen für den Kirchlichen Entwicklungsdienst und die Errichtung von Ökumenischen Werkstätten in den Landeskirchen, die bis heute eine wichtige und unverzichtbare Bildungsarbeit und Bewusstseinsbildung in Gruppen, Gemeinden und Gremien leisten; sie sind in dieser Festversammlung besonders zahlreich vertreten. 1978 erfolgte schließlich die Gründung des Ausschusses für entwicklungspolitische Bildung und Publizistik, eines der größten Förderer entwicklungspolitischer Bildungsarbeit, auf den wir als evangelische Kirche besonders stolz sein können.

Im Bund der evangelischen Kirchen in der DDR entwickelte sich auch eine bemerkenswerte entwicklungspolitische Debatte. Das war umso bemerkenswerter, als die Staaten des real existierenden Sozialismus eine unmittelbare Mitverantwortung entwicklungspolitischer Art von sich wiesen; denn die Verantwortung für die Folgen von Imperialismus und Kolonialismus trugen ja allein die kapitalistischen Staaten des Westens. In den evangelischen Kirchen in der DDR entstanden zusätzlich zu der Beteiligung an der gesamtdeutschen Aktion Brot für die Welt beispielsweise eine engagierte Nicaragua- und Moçambique-Solidaritätsarbeit, das entwicklungspolitische Netzwerk INKOTA sowie wichtige Impulse für die Entstehung des konziliaren Prozesses 1983 in Vancouver. Daraus entwickelte sich der konziliare Prozess mit den ökumenischen Versammlungen in Magdeburg und Dresden; dessen Einfluss auf die friedliche Revolution von 1989 wird uns zwanzig Jahre danach im nächsten Jahr auf vielfältige Weise beschäftigen.

Viele Versuche, aus der lockeren und verwirrend komplexen AGKED-Struktur eine größere strukturelle Einheit zu schaffen, schlugen in den neunziger Jahren zunächst fehl. 2000 gelang es jedoch, aus der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe, den Diensten in Übersee, dem Kirchlichen Entwicklungsdienst und dem Ausschuss für entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik unter Einbeziehung der zuständigen Abteilung des Evangelischen Missionswerks ein neues Werk – den Evangelischen Entwicklungsdienst – zu gründen, der heute auf der Arbeitsebene die Aufgabe des Kirchlichen Entwicklungsdienstes zusammen mit Brot für die Welt stellvertretend für die Landeskirchen wahrnimmt.

Erst vor wenigen Monaten haben die Leitungsorgane von Diakonie, Brot für die Welt, Evangelischem Entwicklungsdienst und EKD ihre Absicht erklärt, im Jahr 2013 in Berlin ein gemeinsames Evangelisches Zentrum für Diakonie und Entwicklungspolitik zu gründen. Damit gelingt die Zusammenführung der im Evangelischen Entwicklungsdienst zusammengeführten Arbeitsbereich mit „Brot für die Welt“ und der Ökumenischen Katastrophenhilfe. Zugleich wird der innere Zusammenhang zwischen einer weltweit arbeitenden armutsorientierten Diakonie und einer im eigenen Land tätigen Diakonie deutlich hervorgehoben. Die beiden Säulen Diakonie und Entwicklungsdienst werden zwar eigenständig auch in die Öffentlichkeit hinein agieren. Aber dass sie beide zusammen Ausdrucksformen einer solidarischen Kirche sind, die sich der Kultur des Helfens verpflichtet weiß, gewinnt institutionelle Gestalt. Ein kirchliches Ethos, das sich dem Leitbild des barmherzigen Samariters verpflichtet weiß, gewinnt ein erkennbares institutionelles Gesicht. Ich begleite diese Entwicklung mit großem Respekt und voller Dankbarkeit.

Darüber hinaus hat die Kirchenkonferenz der EKD im September dieses Jahres die Weichen für einen Beschluss gestellt, mit dem die Finanzierung des Kirchlichen Entwicklungsdiensts auf das Umlageverfahren umgestellt wird. Dadurch soll eine nachhaltige Absicherung dieser wichtigen Arbeit erreicht werden. Ich sehe mit großer Dankbarkeit, welche Dynamik in diesem Jubiläumsjahr, in dem wir  vierzig Jahre Kirchlicher Entwicklungsdienst und fünfzig Jahre Brot für die Welt  feiern, im Bereich der kirchlichen Entwicklungsarbeit wirksam geworden ist und wünsche allen, die gerade an der Entwicklung der neuen Strukturen arbeiten, Geistesgegenwart und Gottes Segen.

IV.

Nicht nur auf der strukturellen Ebene, sondern auch auf inhaltlicher Ebene war der Beschluss der Spandauer-Synode von 1968 folgenreich. Lassen Sie mich aus den vielen inhaltlichen Impulsen und Kontroversen der letzten vierzig Jahre vier exemplarisch herausgreifen und dazu jeweils eine These entwickeln.

1. Zahlreiche Verlautbarungen der EKD wie auch die Werke und Einrichtungen – allen voran durch die Entwicklungsdenkschrift von 1973, aber auch andere Erklärungen und politische Stellungnahmen –  haben engagiert und impulsgebend zur gesellschaftlichen Debatte um Entwicklungspolitik, Armutsbekämpfung, Globalisierung, Menschenrechte, um die Milleniumsziele, um nachhaltige Entwicklung  und neuerdings auch um Fragen des Klimawandels beigetragen. Für die Erarbeitung kirchlicher Stellungnahmen bin ich unseren Partnern im Süden, den Fachleuten in unseren Entwicklungswerken, aber auch den Mitgliedern unserer Kammer für nachhaltige Entwicklung sehr dankbar. Für solche qualifizierten inhaltlichen Beiträge braucht es auch in Zukunft ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen.

Daher meine These: Diese theologische und entwicklungspolitische Grundsatzarbeit darf auch in Zukunft nicht allein von den Entwicklungswerken wahrgenommen werden, sondern muss in den Kirchen und der EKD verankert bleiben, weil die Option für die Armen ein zutiefst kirchliches Grundanliegen ist und bleibt.

2. Der Kirchliche Entwicklungsdienst hat in der Vergangenheit Konflikte nicht gescheut und sich beispielsweise mit der Unterstützung des Antirassismusprogramms des Ökumenischen Rates der Kirchen auch inneren Zerreißproben ausgesetzt. Damals war dieses Engagement höchst umstritten, heute können wir im Dossier, das anlässlich des heutigen Jubiläums erschienen ist, mit Dankbarkeit und Stolz die Würdigung von Bischof Tutu für dieses Engagement nachlesen.

Konflikte gab und gibt es auch zu der Frage, wie die Kirchen sich weltweit zu den Auswirkungen einer wirtschaftsdominierten Globalisierung stellen sollen. Die Erschütterung der Finanzmärkte weckt gerade in diesen Tagen ein neues Verständnis dafür, dass viele Bereiche in einer Weise ungeregelt sind, die sich als fatal erweist und die beteiligten Staaten zu beispiellosen Garantieerklärungen nötigt. Das wird der bisher in der weltweiten Ökumene höchst kontrovers verlaufenen Globalisierungs-Debatte möglicherweise einen neuen Impuls verleihen; beim Studium mancher Texte aus der Vergangenheit wird man freilich auch erkennen, dass sie zum Teil von den Problemdimensionen, die heute zutage treten, ziemlich weit entfernt waren.

Damit verbinde ich die zweite These: Auch in Zukunft sollte der Kirchliche Entwicklungsdienst sich den Mut zum konstruktiven Streit bewahren und sich nicht scheuen, kontroverse Fragen wie diejenige nach einer gerechteren Gestaltung der Globalisierung anzugehen. Wenn er uns frühzeitig auf sich anbahnende Herausforderungen aufmerksam macht – umso besser!

3. In den letzten 40 Jahren wurde von vielen Akteuren des kirchlichen Entwicklungsdienstes eine engagierte Lobbyarbeit in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft für die Interessen der Armen geleistet – beharrlich, mit langem Atem, oftmals gegen vorherrschende Machtverhältnisse. Manchmal gelang es, für wichtige Positionen die nötige Unterstützung zu gewinnen. Ein Beispiel ist der Erfolg, den das Aktionsbündnis gegen Aids und die Treatment Action Campaign – ein von Brot für die Welt geförderter Partner in Südafrika – im Kampf um die Zulassung von Generika und für den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten in Südafrika errungen haben. Ich selbst konnte mich im vergangenen Monat mit einer Delegation des Rates der EKD bei einer Reise nach Südafrika In der Begegnung mit der Treatment Action Campaign, verschiedenen weiteren Initiativen und vor allem auch im Gespräch mit Aidskranken selbst davon überzeugen, was dieser Erfolg für die Betroffenen bedeutet. Hunderttausende haben dort durch den Erfolg dieser Lobbyarbeit eine neue Lebensperspektive bekommen.

Daraus folgt die These: Auch in Zukunft muss der KED sich weiter mit ihrer Option für die Armen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu Wort melden und beharrlich seine Lobbyarbeit betreiben.

4. Der kirchliche Entwicklungsdienst unterstützt mit seinen Mitteln auch die Förderung der entwicklungspolitischen Bildung und Publizistik. Die evangelische Kirche ist nach dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit ca. 3,5 Millionen Euro jährlich  einer der größten Förderer in diesem Bereich. Die Arbeit vieler engagierter Gruppen, Initiativen und Kampagnen innerhalb und außerhalb der Kirche wären ohne diese Mittel nicht in einem vergleichbaren Umfang möglich. Ich möchte nur als ein Beispiel die Kampagne für den fairen Handel und das ökofaire Beschaffungswesen nennen, das sich erfreulicherweise  mehr und mehr in unseren Kirchen durchsetzt und zu einem Markenzeichen entwickelt. Erneut spielt das Kriterium der Glaubwürdigkeit – wie bereits in den Anfängen des KED – eine  große Rolle.

Daraus ergibt sich die These: Auch in Zukunft muss die Förderung dieser breiten und qualifizierten entwicklungspolitischen Bildungsarbeit gewährleistet bleiben und es müssen dafür ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen bereitgestellt werden. Dies gilt auch für die Landeskirchen.

V.

Lassen Sie mich damit schließen, dass ich einige Fragen aufwerfe, in denen möglicherweise Anregungen für weitere Diskussionen enthalten sind.

1. Die ökumenische Bewegung, die so wichtig war für die Gründung des Kirchlichen Entwicklungsdienstes, befindet sich in einer lang anhaltenden Krise. Darunter leiden auch wir als evangelische Kirchen in Deutschland. Wir brauchen auch heute die Impulse von außen, damit wir uns nicht zu einer provinziellen Angelegenheit des christlichen Glaubens entwickeln, wie Ernst Lange vor vierzig Jahren fürchtete.  Deshalb müssen wir uns fragen: Wie können wir die weltweite Ökumene wieder stärken? Wie können wir die Bereitschaft stärken, von ihr Impulse aufzunehmenund ihr auch von uns aus Impulse geben? Wie kann es gelingen, wieder zu einer konstruktiven Streitkultur beispielsweise zum Thema Globalisierungskritik zurückzufinden?

2. Die Fragen des kirchlichen Entwicklungsdienstes drohen mehr und mehr auszuwandern, weil die Landeskirchen und auch die EKD immer mehr Aufgaben an die Entwicklungswerke und ihre Experten delegieren. Wie können wir dafür sorgen, dass das Thema Weltverantwortung neben der kompetenten Wahrnehmung in den Werken auch in den Gemeinden und Kirchen lebendig bleibt? Wie kann es gelingen, dass Landeskirchen und Werke hier eng, vertrauensvoll und konstruktiv zusammenarbeiten? Was ist hier zu bedenken für das neue Evangelische Zentrum für Diakonie und Entwicklung?

3. Die Frage nach dem Verhältnis von Mission und Entwicklung, von Missionswerken und Entwicklungswerken ist noch immer nicht überzeugend geklärt. Vieles spricht für eine enge Verbindung von Mission und Entwicklung, für ein ganzheitliches Missionsverständnis wie auch für einen theologisch fundiertes Entwicklungsverständnis. Vieles spricht zugleich für eine klarere Profilierung und Arbeitsteilung. Was bedeutet das für die gegenwärtige und zukünftige Arbeit der Entwicklungs- und Missionswerke? Wo sind Kooperationen nötig und sinnvoll? Wo entstehen aber auch unnötige Doppelstrukturen und Konkurrenzen und wie lassen sie sich vermeiden?

4. Eine dringende Herausforderung für die Gegenwart ist die Frage, wie wir den Auswirkungen des Klimawandels so begegnen können, dass er die weltweiten ungerechten Verhältnisse und die daraus folgenden Verteilungskämpfe nicht noch verschärft, sondern den Menschen in den Ländern des Südens hilft, ihre Rechte auf ein menschenwürdiges Leben wahrzunehmen. An dieser Frage zeigt sich, dass die Erkenntnisse aus dem konziliaren Prozess über die Zusammenhänge der Gerechtigkeits-, Friedens- und Umweltfragen immer noch hoch aktuell sind. Der Klimawandel stellt uns vor grundlegende politische und theologische Fragen. Welche verbindlichen Werte, welche Lebenshaltung, welches politische und wirtschaftliche System brauchen wir, damit alle überleben können? Wie muss sich unser Leben dafür verändern? An welchen Zielen richten wir uns dabei als Kirche aus?  Wohin müssen wir umkehren? Was hilft uns bei der Umkehr? Mit welcher Verheißung können wir zur Umkehr einladen?

Auch vierzig Jahre nach seiner Gründung steht der Kirchliche Entwicklungsdienst vor großen Herausforderungen. Wir sind noch nicht am Ziel. Wir sind noch immer unterwegs. Unterwegs zu dem Reich des Friedens und der Gerechtigkeit, das uns verheißen ist. Aber Gott ist mit allen, die nach Gerechtigkeit hungern – ob im Süden oder Norden, im Osten oder Westen – verheißt ihnen, dass sie satt werden sollen. Darauf vertrauen wir und richten uns dabei an dem Wort Jesu aus, das diesem Jubiläumsjahr als Losung mitgegeben ist: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“