"Reformationsjubiläum 2017 – Händels Erben"

Margot Käßmann

Es gilt das gesprochene Wort.

1. Reformationsjubiläum 2017 – nicht verschlafen

Ein Schüler fragt den Meister: „Kann ich irgendetwas tun, um erleuchtet zu werden?“ Antwortet der Meister: „Genauso wenig, wie du dazu beitragen kannst, dass die Sonne aufgeht.“ Fragt der Schüler: „Was nützen dann die geistlichen Übungen, die ihr verschreibt?“ Antwortet der Meister: „Um sicher zu gehen, dass du nicht schläfst, wenn die Sonne aufgeht.“ Dieser kleine Dialog fügt sich gut zum Pfingstfest, das wir vor einigen Tagen gefeiert haben. Die Frage lautet: „Was kann ein Mensch dazu beitragen, dass der Heilige Geist ihm das Herz und den Verstand erleuchtet?“ Die Antwort: „Genauso wenig, wie er dazu beitragen kannst, dass die Sonne aufgeht. Aber der Mensch kann dafür Sorge tragen, dass er den Moment, in dem der Heilige Geist seine Wirkung entfaltet, endlich die Menschen versöhnt und Barrieren, die wir zwischen uns errichten, abreißt, nicht verschläft.“

Was für das Warten auf den Heiligen Geistes richtig ist, gilt auch für die Vorbereitungen auf das 500. Reformationsjubiläum, das wir im Jahr 2017 feiern werden. Die Frage lautet ja: „Was können wir dazu beitragen, damit das Reformationsjubiläum 2017 eine Grundstimmung für Festlichkeit, Leichtigkeit und Verständigung zwischen den Religionen und ein ökumenisches Miteinander aufbaut, die diesem 500. Jubiläum angemessen ist?“ Als Evangelische Kirche in Deutschland haben wir uns für die Antwort entschieden: „Wir feiern 10 Jahre lang die Lutherdekade, erinnern mit den Jahresthemen, die jedem Jahr zugeordnet sind, zentrale Personen der Reformation wie etwa Johannes Calvin oder Philipp Melanchthon, oder widmen uns, wie im Jahr 2011, dem Thema „Reformation und Freiheit“, in diesem Jahr dem Thema „Reformation und Musik“ und im Jahr 2013 dem Thema: „Reformation und Toleranz“.

Heute eröffnen wir hier in Halle die diesjährigen Händel-Festspiele Halle 2012. Ich denke, es gibt eine geradezu natürliche Verbindung der Händelfestspiele  zu „Luther 2017“. Für mich sind diese Festspiele Teil der Vorbereitung auf das „Reformationsjubiläum 2017“ vor, eine gute Gelegenheit, jenen großen Anfang zu erinnern, und auch nach seiner Bedeutung für Gegenwart und Zukunft zu fragen.

2.  Ein Ereignis von Weltrang

Uns ist bewusst, dass die Reformation „… in den vergangenen 500 Jahren nicht nur in unserem Land, sondern europaweit und weltweit eine prägende Wirkung auf Gesellschaft und Politik gehabt“[1] hat, formulierten mehr als 60 Bundestagsabgeordnete in ihrem Antrag an den Bundestag. Der Deutsche Bundestag hat sich in seinem Beschluss am 18. Oktober 2011 unter anderen beachtlichen Sätzen diesen Satz zu Eigen gemacht: „Der Thesenanschlag durch Martin Luther am 31. Oktober 1517 gilt als Auslöser für die Reformation.“[2] Und: „Über 400 Millionen Protestanten sehen in den Thesen, die Martin Luther der Überlieferung nach an die Wittenberger Schlosskirche angeschlagen haben soll, ihre konfessionellen und wichtigen geistigen Wurzeln.“[3] 

Was das in der Tiefe und in seinem umfassenden geschichtlichen Sinn bedeutet, wird die wissenschaftliche Forschung in den kommenden Jahren noch intensiver ergründen. Die „prägende Wirkung“ der Reformation lässt sich mit dem Blick auf einzelne Biografien einzelner Frauen und Männer allerdings schon jetzt – natürlich nur exemplarisch – nachvollziehen.  Mir ist wichtig, dass wir Reformation als umfassenden Prozess sehen, für den Martin Luther die Symbolgestalt und 1517 das Symboldatum sind. Es ist ein Prozess, der in die Freiheit des Glaubens und des Gewissens führt, die schließlich die umfassende Freiheit im freiheitlich-demokratischen Staat zur Folge hat. Was das 2017 bedeutet, wie wir nach der ökumenischen Annäherung der beiden Kirchen, die sich im 16. Jahrhundert aus einer herausgebildet haben, der Reformation gedenken, das werden wir in den kommenden fünf Jahren zu beraten haben. Die Kirche der Reformation hat sich weiter entwickelt, wie ihre Gründer das auch immer gewünscht haben. Sie kann heute auch die Schattenseiten der Reformation anschauen etwa mit Blick auf das Judentum oder das Verhältnis zur Gewalt. Und dennoch kann sie feiern, dass hier in Mitteldeutschland ein Prozess in Gang gesetzt wurde, der die Welt veränderte.

3. Von Halle in die Welt

Georg Friedrich Händels Lebensweg war von der Reformation geprägt. Händel, hier aus Halle stammend, wurde in das Luthertum sozusagen hinein getauft. Als junger Mann bricht er aus seiner Heimatstadt in die Welt auf, musiziert, komponiert und erlangt für die Musikszene seiner Zeit Weltbedeutung. Nur einen einzigen Musiklehrer hat er angeblich gehabt, den Marktkirchenorganisten Friedrich Wilhelm Zachow.

Mit seinem Wechsel von Halle nach Hamburg verlässt Händel den kirchlichen Kontext und tritt in das weltliche Musikleben ein. Der Oper bleibt er Zeit Lebens treu, er führte Opernhäuser und wächst in England in die Rolle eins erfolgreichen „Opernunternehmers“ hinein. Zugleich widmet er sich der geistlichen Kompositionen. Er schreibt Chormusik zur Krönung von Georg II. und Königin Caroline 1727 die in der Londoner Westminster Abbey erklang. Hier sollte er, der Lutheraner, am Ende seines Lebens sogar seine Grabstätte finden – ein früher ökumenischer Brückenbauer können wir wohl sagen. Zwischen Anglikanern und Lutheranern gibt es heute gar eine Kommission, die die theologische Annäherung betreibt.

Deutlich ist auf jeden Fall: Musik verbindet, über konfessionelle, nationale und andere Grenzen hinweg. Vielleicht zeigt das am Schönsten die wohl kurioseste Aufführung von Händels „Großem Hallelujah“, die im Internet in kleinen youtube-videos zu finden ist: Mensch kommen per flashmob in einem Einkaufszentrum oder an anderen säkularen Orten zusammen und singen.

Das „Große Hallelujah“ stammt aus Händels bekanntestem geistlichem Oratorium, dem Messiah, das in Dublin uraufgeführt wurde Diese erste und viele weitere Aufführungen würden aus heutiger Sicht als „Benefizveranstaltungen" bezeichnet werden. Entsprechend den Grundgedanken der Reformation unterstützte Händel mit seinen Einnahmen die Schuldgefangenen und Armenkrankenhäuser. Mit dieser, wir würden heute sagen, diakonischen Haltung, erweist er, der Komponist, sich auch legitimer Erbe der Reformation, die in seiner Heimat zu Hause ist.

4. „Reformation und Musik" – die Lutherdekade in Halle

Die Händel-Festspiele in Halle verstehen sich seit 2008 als Teil der Lutherdekade. In diesem Jahr ist das natürlich besonders passend. Musik hat eine ungeheure Strahlkraft. Oft wurden die reformatorischen Ideen mehr noch über Lieder als über Texte vermittelt. Und Musik ist die zentrale spirituelle Kraft des christlichen Glaubens. Wer singt, betet zweifach, sagt Luther.

Mit den Veranstaltungen, die im Programm der „Händel-Festspiele 2012“ angekündigt sind, wird der Bogen, den Händel mit seinem Wirken und seiner Person vorzeichnet, nachgezeichnet. Er reicht von der Kirche bis zur Oper, ist von der geistlichen zur weltlichen Musik. In Händels Schaffen spielen die großen christlichen Texte eine zentrale Rolle und kommen mit den großen auch unterhaltenden oder tragischen Themen seiner Zeit in Verbindung. Auch das ist reformatorisch: die Bibel in Verbindung bringen mit dem Leben der Menschen, auf das der Glaube Sprachkraft entfaltet. Martin Luther hat die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt und die Gründung von Schulen für alle Kinder gefordert, damit Menschen selbst nachlesen können. Um gebildeten Glauben ging es ihm. Und seine Bibelübersetzung war auch eine ungeheure Kulturleistung.

Das Themenjahr „Reformation und Musik" leitet die Aufmerksamkeit auf den geistlichen Beitrag der Reformation und dessen weltlichen Wirkungen im Kulturbetrieb. Die mitteldeutschen Wurzeln der Reformation werden freigelegt. Am Leben Händels lässt sich die nationale und internationale Strahlkraft der Reformation ablesen. In der Entschließung des Deutschen Bundestages heißt es, durch „die Reformation wird bis heute das religiöse Leben und die kulturelle Entwicklung in Musik, Kunst und Literatur entscheidend mitgeprägt.“[4] 

Das Reformationsjubiläum 2017 ist als einladendes Jubiläum gedacht, das weit über den Mitteldeutschen Raum, über den deutschen Sprachraum, auch über den kirchlichen Kontext hinausweist. Das Jahr 2017 soll von einer befreienden Weltoffenheit und durch die Gastgeberschaft einer heute konfessionell und religiös befriedeten Nation geprägt sein. Und der Evangelischen Kirche in Deutschland liegt daran, dass auch an anderen Orten, in den vielen evangelischen Kirchen in aller Welt mitgefeiert wird.

So hoffe ich, der Grundton, der im musikalischen Wirken Händels mitklingt, trägt dazu bei, Aufmerksamkeit zu wecken für das 500. Reformationsjubiläum. Georg Friedrich Händels musikalisches Schaffen und diese Festspiele sind ein Beitrag aus Halle, der bewusst macht, dass wir in fünf Jahre das Reformationsjubiläum 2017 feiern und uns hellwach darauf vorbereiten.

Gerne habe ich diese Schirmherrschaft übernommen und wünsche unseren Händel-Festspielen 2012 von Herzen Gottes Segen.

Fußnoten:

  1. Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/6465, Seite 1
  2. Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/6465, Seite 1
  3. Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/6465, Seite 1
  4. Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/6465, Seite 2