„Für eine Politik im christlichen Geist“ - Vortrag bei der Veranstaltung der CDU/CSU- Fraktion: Das „C“ ist für uns Programm - Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes in Berlin

Nikolaus Schneider

Sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender Kauder,

sehr geehrter Herr Dr. Friedrich,

lieber Bruder Zollitsch,

sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion!

Für die Einladung, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen, bedanke ich mich herzlich. Es ist ein vorbildliches Zeichen offener Gesprächskultur, dass sie zwei Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen einladen, einen „Blick von außen“ auf ihren Anspruch zu werfen, Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes zu betreiben.

Gleich zu Beginn möchte ich Sie beim Wort nehmen. Im Gründungsaufruf der CDU vom 26. Juni 1945 heißt es:

„In der schwersten Katastrophe, die je über ein Land gekommen ist, ruft die Partei Christlich-Demokratische Union Deutschlands aus heißer Liebe zum deutschen Volk die christlichen, demokratischen und sozialen Kräfte zur Sammlung, zur Mitarbeit und zum Aufbau einer neuen Heimat. Aus dem Chaos von Schuld und Schande, in das uns die Vergottung eines verbrecherischen Abenteurers gestürzt hat, kann eine Ordnung in demokratischer Freiheit nur erstehen, wenn wir uns auf die kulturgestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums besinnen und diese Kraftquelle unserem Volke immer mehr erschließen.“

Heute, 65 Jahre später, erscheint uns die Sprache dieses Aufrufs vielleicht übertrieben pathetisch, der Inhalt jedoch ist nach wie vor hoch aktuell.
 
Auf welche geistigen Kräfte des Christentums können und wollen wir uns besinnen, und wie können wir diese als Kraftquelle zum Wohle aller Menschen unseres Volkes erschließen?

Diese Frage stellte uns bei der Wiedervereinigung mit den  säkularisierten und entkirchlichten Bundesländern vor neue Aufgaben. Und diese Frage gewinnt heute angesichts unserer Bemühungen und Kontroversen um eine erfolgreiche Integration unserer muslimischen Mitbürger und Mitbürgerinnen eine ganz neue Brisanz.

Als Kirchen sind wir dankbar, dass Sie sich den grundsätzlichen und den konkreten Fragen um das „C“ in dem Parteinamen Ihrer Fraktion kritisch und zugleich konstruktiv stellen.

Ich möchte Sie bitten, die folgenden Thesen als Diskussionsbeitrag und vielleicht auch als Hilfestellung zu werten bei der „Einnordung“ des „C“ als Kompassnadel zur Überprüfung Ihrer Politik.

1. Das „Christliche Menschenbild“ achtet und respektiert dengrundsätzlichen und von Menschen nicht zu überwindenden Unterschied zwischen Gott und Mensch, von Schöpfer und Geschöpf.

Gott ist der Schöpfer von Zeit und Raum und allem Lebendigen, auch von uns Menschen. Wir Menschen sind Geschöpfe, von Gott zur Verantwortung befähigt  und gerufen, aber in der Übernahme von Verantwortung immer begrenzt und fehlbar – das gilt für die Entscheidungstragenden in der Politik ebenso wie für die leitenden Geistlichen in der Kirche.

2. Christenmenschen wissen sich von Gott auch zu gesellschaftlichem Engagement und zu politischer Verantwortung gerufen – und sie übernehmen diese Verantwortung in verschiedenen Organisationen und  Parteien, auch in Parteien ohne „C“ in ihrem Namen. Aber in welchem Rahmen auch immer Christenmenschen Verantwortung ausüben, die Ehrfurcht vor Gott lehrt sie, jeder Verabsolutierung und Vergottung - oder besser Vergötzung -  von Personen, Ideen, Parteien und Ordnungen zu widerstehen. Der Gottesbezug in unserer Verfassung, das „C“ in Ihrem Parteinamen und auch die Kreuze in öffentlichen Gebäuden sind für mich deshalb nicht Zeichen von Anmaßung und Ausgrenzung, sondern vielmehr Zeichen von Demut und der Einsicht:

Wir Menschen sind nicht die Herren über Leben und Tod und wir sind nicht das Maß aller Dinge! Maßstäbe wurden uns offenbart. Menschsein ist gekennzeichnet von Unvollkommenheit und Begrenztheit.

3. Unser „Christliches Menschenbild“ ist unauflöslich gebunden an das konkrete Leben, Glauben, Reden und Handel des Juden Jesus von Nazareth.

Auch wenn inzwischen 2000 Jahr vergangen sind, auch wenn unsere konkreten Vorstellungen von Kultur, Sittlichkeit und politischer Ordnung sich wesentlich verändert haben, das „C“ verweist uns theoretisch und praktisch immer wieder neu auf die Frage:  „Was würde Jesus dazu sagen?“

Dabei denke ich besonders an den Umgang Jesu mit den Fremden, die er als von Gott geschaffene und geliebte Geschöpfe zu betrachten uns aufgab. Und den Armen wandte er sich zu. Sie sollen einen ihrer Würde entsprechenden Platz in der Mitte der Gesellschaft haben.

4. Das „Christliche Menschenbild“ in konkretes Reden, Entscheiden und Handeln umzusetzen, das führt auch christliche Kirchen zu Kontroversen und Zerwürfnissen – um wie viel mehr Probleme müssen dabei in pluralen Parteien, Fraktionen und Koalitionen entstehen.

Die Wahrheit Gottes ist für uns hier auf der Erde nur fragmentarisch und – wie Paulus es sagt – nur wie in einem „dunklen Spiegel“ erkennbar. Keine Institution und kein Amt verfügt über die Wahrheit. In Bindung an Gottes Wort, geleitet durch seinen Geist und mit Hilfe menschlicher Vernunft gelingen uns aber wahre Annäherungen an die Wahrheit Gottes. Die Zeit der Ketzerhüte und Scheiterhaufen sind -Gott sei Dank- in unserem Land vorbei.

Heute drängen manche anderen absoluten Wahrheitsansprüche in den Vordergrund, nicht selten aus dem Bereich der Ökonomie – und damit ist nichts gewonnen.

5. Dialoge, Diskurse und Kompromisse sind unverzichtbar bei der kirchlichen und bei der politischen Suche nach der konkreten Umsetzung des „C“ zum Wohl der Menschen in unserem Volk.

Das gilt insbesondere bei den Fragen der Sexualethik und bei den politischen Entscheidungen zur Stammzellenforschung, Präimplantationsdiagnostik, Abtreibung und Sterbehilfe – den grundlegenden Fragen des Lebensschutzes am Anfang und Ende des Lebens und der Achtung der Würde jedes menschlichen Lebens.

Als Beitrag zur Verbesserung der Debattenkultur verweise ich auf die Auslegung des 8. Gebotes durch Martin Luther:  „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Was heißt das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen und Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“

Allerdings füge ich gleich hinzu, dass die Debatten des Bundestages zu grundlegenden Fragen des Lebens von beachtenswerter Qualität waren.

6. Den Bezugsrahmen für eine Politik auf der Grundlage des Christlichen Menschenbildes haben unsere Kirchen heute im konziliaren Prozess für „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ formuliert.

Eine Politik, die nicht dem Frieden dienen will, die nicht nach Strukturen der Gerechtigkeit fragt und die nicht nachhaltig versucht, Gottes Schöpfung zu bewahren, eine solche Politik darf das „C“ nicht für sich beanspruchen.

Im Einzelnen bleibt die Notwendigkeit – auch im Dialog mit den Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppen – ernsthaft um viele konkreten Fragen  zu ringen. Beispielhaft seien genannt:

- ob die Bezeichnung „Einsatzarmee“ angemessen ist; der Begriff irritiert uns;

- ob die geplante Umgestaltung der Bundeswehr die Wehrgerechtigkeit im Blick  behält und wie das Leitbild des „Bürgers in Uniform“ und die Grundsätze der „Inneren Führung“ bewahrt werden können;

- ob die Neuorganisation des Zivildienstes so erfolgt, dass die anderen Freiwilligendienste nicht gefährden werden; bei dieser Frage bitte ich Sie besonders um Aufmerksamkeit;

- ob die Beschlüsse des Sparpaketes Strukturen der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft fördern und die damit verbundenen Lasten gerecht verteilen; bevor ich mich zu Beträge in Euro und Cent äußere, möchte ich aber noch die Berechnungsmethode nachvollziehen; denn an ihr entscheidet sich in Wahrheit die Frage, ob die Vorgabe „der Menschenwürde entsprechendes Existenzminimum“ umgesetzt wurde;

- und ob eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke und eine Privatisierung der Endlagerung von Atommüll mit einer nachhaltigen Bewahrung der Schöpfung vereinbar sind und ob beides angesichts des Maßes menschlicher Fähigkeiten und Möglichkeiten verantwortet werden kann.

Persönlich bin ich der Meinung, dass unter diesen Gesichtspunkten der Ausstieg aus einer Technologie dringend geboten ist, und zwar wegen ihrer Fehlerunfreundlichkeit und die jeden menschlichen Verantwortungsraum überschreitende Folgeprobleme. Auch die EKD-Synode hat sich so geäußert.

7. Das Christentum ist eine Religion des Wortes und eine Religion der Beziehung. Ohne Sprache ist für Christenmenschen eine Gottesbeziehung nicht denkbar, ohne Beziehungsfähigkeit keine Kirche.

Die Bildung zu Sprach- und Beziehungsfähigkeit gehört deshalb unablösbar mit dem Christlichen Menschenbild zusammen.

Gerade für die Kirchen der Reformation waren der Bau und die Trägerschaft von Schulen für alle Kinder Ausdruck ihrer Christus-Verkündigung und ihrer sozialen Verantwortung. Ich halte es sowohl mit Blick auf unsere Tradition wie auch mit Blick auf die gegenwärtigen Probleme unseres Landes für unverzichtbar, dass evangelische Schulen Teil unserer Bildungslandschaft bleiben. Es irritiert uns deshalb, wenn christdemokratisch geführte Bundesländer die Existenz kirchlicher Schulen gefährden. Das gilt umso mehr, als ihre Sparbeschlüsse bei Personal- und Sachkosten für den laufenden Betrieb allein die Schulen in freier Trägerschaft treffen.

Auch mit dem „C“ als Kompassnadel für eine Politik auf der Grundlage des Christlichen Menschenbildes ist der Weg in die Zukunft nicht leicht und vor allem nicht ohne Diskurs und Widerspruch zu finden. Wir möchten ihn im zugleich kritischen wie konstruktiven Gespräch gehen, und im Bewusstsein, durch unseren Glauben mit einander verbunden zu sein.

Und jetzt freue ich mich auf eine angeregte Diskussion.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!